zum IMPRESSUM
Merkblatt-
Beilage 51:
Zusammengestellt für das
XX. Sommerseminar
«Das Wegkind»: XX.Garn
Zur Technik
Rudolf Steiner
1a [...] Bei den Völkern der dritten Kulturepoche [a] ist die Seele der übersinnlichen Fähigkeiten zum großen Teile verlustig gegangen. Sie muß in der sinnlichen Umwelt die Offenbarungen des Geistigen erforschen und durch die Entdeckung und Erfindung der aus dieser Welt sich ergebenden Kulturmittel sich weiter bilden. Dadurch, daß aus der physisch-sinnlichen Welt die Gesetze des hinter ihr stehenden Geistigen erforscht wurden, entstanden die menschlichen Wissenschaften; dadurch, daß die Kräfte dieser Welt erkannt und verarbeitet wurden, die menschliche Technik, die künstlerische Arbeit und deren Werkzeuge und Mittel. Dem Menschen der chaldäisch-babylonischen Völker war die Sinnenwelt nicht mehr eine Illusion, sondern in ihren Reichen, in Bergen und Meeren, in Luft und Wasser eine Offenbarung der geistigen Taten dahinterstehender Mächte, deren Gesetze er zu erkennen trachtete. Dem Ägypter war die Erde ein Feld seiner Arbeit, das ihm in einem Zustand übergeben wurde, den er durch seine eigenen Verstandeskräfte so umzuwandeln hatte, daß er als Abdruck menschlicher Macht erschien. [...]
S.282f
1b [...] Zwei Welten entwickelten sich gewissermaßen in der Menschenbrust. Die eine ist dem sinnlich-physischen Dasein zugekehrt, die andere ist empfänglich für die Offenbarung des Geistigen, um dieses mit Gefühl und Empfindung, doch ohne Anschauung zu durchdringen. Die Anlagen zu dieser Seelenspaltung waren schon vorhanden, als die Christuslehre in die Gebiete Europas einfloß. Man nahm diese Botschaft vom Geiste in die Herzen auf, durchdrang Empfindung und Gefühl damit, konnte aber nicht die Brücke schlagen zu dem, was der auf die Sinne gerichtete Verstand im physisch-sinnlichen Dasein erkundete. Was man heute kennt als Gegensatz von äußerer Wissenschaft und geistiger Erkenntnis, ist nur eine Folge dieser Tatsache. Die christliche Mystik (Eckharts, Taulers usw.) ist ein Ergebnis der Durchdringung von Gefühl und Empfindung mit dem Christentum. Die bloß auf die Sinnenwelt gerichtete Wissenschaft und deren Ergebnisse im Leben sind die Folgen der andern Seite der Seelenanlagen. Und es sind die Errungenschaften auf dem Felde der äußerlichen materiellen Kultur durchaus dieser Trennung der Anlagen zu verdanken. Indem sich diejenigen Fähigkeiten des Menschen, welche ihr Instrument im Gehirn haben, einseitig dem physischen Leben zuwandten, konnten sie zu jener Steigerung kommen, welche die gegenwärtige Wissenschaft, Technik usw. möglich machte. Und nur bei den Völkern Europas konnte der Ursprung dieser materiellen Kultur liegen. Denn sie sind jene Nachkommen atlantischer Vorfahren, welche den Zug für die physisch-sinnliche Welt erst dann zu Fähigkeiten ausbildeten, als er zu einer gewissen Reife gediehen war. Vorher ließen sie ihn schlummern und lebten von den Erbstücken des atlantischen Hellsehens und den Mitteilungen ihrer Eingeweihten. Während äußerlich die Geisteskultur nur diesen Einflüssen hingegeben war, reifte langsam aus der Sinn für die materielle Beherrschung der Welt.
S.297f
aus «Die Geheimwissenschaft im Umriß»
2 [...] So nehmen wir auch während des tagwachen Lebens teil an alledem, was das moderne Leben rings um uns herum an Gepresse und Gehämmere der modernen Technik hervorgebracht hat. Bei Nacht versenken wir uns mehr in dieses Gepresse und Gehämmere mit unserem Gefühls- und Gedankenleben, bei Tag mehr mit unserem Willens- und Gefühlsleben.
Nun liegt die Sache so, daß ja dasjenige, was wir so modernes Leben nennen, nicht immer vorhanden war in dem Entwickelungsgange der Menschheit. Das ist erst heraufgekommen, und zwar im wesentlichen heraufgekommen seit dem Beginne der fünften nachatlantischen Kulturepoche. Mit dem Beginne der fünften nachatlantischen Kulturepoche fällt auch zusammen der Beginn dieses modernen Lebens. Wie spricht die äußere Geisteskultur über das Heraufkommen dieses modernen Lebens? Die moderne Geisteskultur ist ja, wie wir wissen, stolz auf das, was sie sich errungen hat mit diesem modernen Leben. Sie sagt etwa so: Das ganze Altertum und das ganze Mittelalter hindurch waren die Menschen nicht fähig, eine wirkliche Naturbetrachtung zu entwickeln, die zu einer Naturwissenschaft hätte führen können. Erst in neuerer Zeit ist dies eingetreten. - Und wenn man so von der neueren Zeit spricht, so fällt das eben zusammen mit dem Beginne der fünften nachatlantischen Kulturepoche. Da hat man sich frei gemacht von dem alten Naturbeobachten und betrachtet die Natur unbefangen, rein ihrer abstrakten Gesetzmäßigkeit nach. Dadurch ist die Naturwissenschaft auch in die Lage gekommen, durch die Erfahrung der Naturgesetze in einer unerhörten Weise - man hört dieses Wort recht oft - die Beherrschung der Naturkräfte für sich möglich zu machen. Das aber ist die moderne Technik, und das, woraus die moderne Technik besteht, ist dasjenige, was dadurch entstand, daß der Mensch die Naturgesetze kennenlernte und wiederum die Materie nach diesen Naturgesetzen zu seinen Maschinen formte, mit denen er dann auf die Natur und das Leben wirkt, indem er das moderne Leben überhaupt dadurch maschinell durchzieht und sich sein technisches Milieu schafft, also dasjenige, was das moderne Leben um uns herum ist und was es schafft. So sieht man: Die neuere Zeit hat erst die wahre Naturwissenschaft begründet und damit die rechte Beherrschung der Natur und ihrer Kräfte.
So ähnlich hört man sehr häufig reden. Wenn man aber so redet, spricht man die Sprache Ahrimans,[b] denn dies ist in der Sprache Ahrimans gesprochen. Wir wollen einmal versuchen, diese Sprache Ahrimans in jene wirkliche, wahrhaftige Sprache zu übersetzen, die wir versuchen, uns durch die Geisteswissenschaft wieder anzueignen, und durch die den Worten nicht bloß die Bedeutung gegeben wird, die ihnen gegeben werden kann aus der Betrachtung der äußeren Natur, sondern auch jene Bedeutung, die ihnen zukommt, wenn wir den Kosmos in seiner Ganzheit, das heißt gleichzeitig in seiner Natur und in seinem geistigen Leben betrachten.
Nehmen wir zunächst ganz äußerlich das, was geschieht, wenn wir die moderne Technik ausbilden. Was da geschieht, ist ja nichts anderes zunächst, als, ich möchte sagen, ein Arbeiten in zwei Etappen. Die erste Etappe besteht darin, daß wir den Zusammenhang der Natur zerstören. Wir zerklopfen die Steinbrüche, holen aus ihnen heraus die Steine, wir malträtieren die Wälder, holen aus ihnen heraus das Holz - man könnte das noch weiter ausführen -, kurz, man schafft zunächst Rohmaterialien, indem man den Naturzusammenhang zerklopft und zermürbt. Und die zweite Etappe besteht darinnen, daß das, was man so aus der Natur herausgeschlagen hat, wieder zusammengefügt wird zu einer Maschine nach den Gesetzen, die man erkannt hat als Naturgesetze. Das sind die zwei Etappen, wenn man die Sache äußerlich betrachtet.
Aber wie ist die Sache innerlich betrachtet? Innerlich betrachtet ist die Sache so: Wenn wir die Natur zermürben, zunächst die mineralische, so ist dies - wir wissen es aus früheren Betrachtungen - verknüpft mit einem gewissen Wohlgefühl, welches das geistige Elementarische darinnen empfindet. Das soll uns aber hier weniger bekümmern. In dem aber, was da vorgeht, ist das wichtig, daß wir aus der Natur austreiben die die Natur zusammenhaltenden Elementargeister, welche zu dem Reiche, der Sphäre der regelrecht fortschreitenden Hierarchien gehören. In allem Naturdasein sind elementare geistige Wesen. Indem wir die Natur zermürben, pressen wir in das Reich des Geistigen hinaus die Naturgeister. Das ist in der Tat dasjenige, was mit der ersten Etappe fortwährend verknüpft ist. Wir zerschlagen, zermürben die materielle Natur und lösen dadurch heraus aus dieser Natur die Naturgeister, die wir gewissermaßen aus ihrer, ihnen von den, ich möchte sagen, Jahvegöttern angewiesenen Sphäre hinausjagen in das Reich, wo sie frei flattern können und nicht mehr gebunden sind an den ihnen angewiesenen Wohnplatz. Also die erste Etappe können wir auch nennen die Austreibung der Naturgeister. Die zweite Etappe ist diese, wo wir zusammenfügen nach den von uns erkannten Naturgesetzen das, was wir aus der Natur herausgemürbt, herausgemartert haben. Ja, wenn wir nach einem Naturgesetze, das wir erkannt haben, aus Rohmaterialien eine Maschine oder einen Zusammenhang von Maschinen bilden, dann versetzen wir wiederum gewisse geistige Wesenheiten hinein in das Gebilde, das wir also formen.
Das Gebilde, das wir also formen, ist keineswegs ein geistloses. Indem wir es formen, schaffen wir das Bett für andere geistige Wesen, und diese geistigen Wesen, die wir jetzt aber in unsere maschinellen Gebilde hineinzaubern, sind die Wesenheiten, die zur ahrimanischen Hierarchie gehören. Also in der ersten Etappe treffen wir die Naturgeister an, die in fortlaufender Entwickelung sind, treiben sie heraus, und in der andern Etappe vereinigen wir diese ahrimanischen Geister mit dem, was wir als Mechanismen oder sonstige Werke der Technik aufbauen. Das aber bewirkt, indem wir in diesem technischen Milieu in der neueren Zeit darinnen leben, daß wir uns für dasjenige, was wir entweder bei Nacht oder bei Tag in uns schlafend haben, durchaus eine ahrimanische Umgebung schaffen. Es ist daher kein Wunder, daß der, welcher auf der ersten Stufe der Initiation steht, wenn er beim Aufwachen dasjenige hereinbringt, was er erlebt hat draußen in dem Gebrause, Gezerre und Getöse, es als ein Zerstörendes empfindet, wenn er mit demselben in seinem Ich und seinem astralischen Leibe in den physischen und ätherischen Leib [c] hineinkommt. Denn er bringt sich ja sozusagen die Folge eines Zusammenlebens mit den ahrimanischen Elementargeistern mit hinein in seinen eigenen Organismus. Wir können sagen: Als dritte Etappe jetzt, als Kulturetappe, haben wir das von der uns umgebenden Technik, daß wir uns mit ahrimanischen Geistern ausstopfen, so recht mit ihnen durchstopfen. - So sieht sich die Sache innerlich an.
[...]
Nun gelangt der Mensch zu jenem Zusammenhang, den er haben muß, wenn er im wahren Sinne des Wortes Mensch sein will, nur dadurch, daß er diesen Zusammenhang durch das Leben in seinem Inneren sucht, daß er in seinem inneren Erleben so weit in die Tiefen seiner Seele hinabsteigen kann, daß er in diesen Tiefen die Kräfte findet, die ihn zusammenbringen mit dem Geistigen des Kosmos, von dem er abstammt und in das er eingebettet ist, und von dem er abgetrennt werden kann, von dem er abgetrennt worden ist schon durch Sinneswahrnehmung und Verstandesdenken, jetzt aber auch dadurch, wie wir gesehen haben, daß ihn das moderne Leben mit ahrimanischen Geistern ausstopft. Nur dadurch, daß der Mensch in seines eigenen Wesens Tiefen hinuntersteigt, kommt er in Zusammenhang mit den für ihn guten und heilsamen göttlich-geistigen Wesen, mit den in geradem Schritte sich fortlaufend entwickelnden geistigen Hierarchien. Dieses Zusammenkommen mit den geistigen Hierarchien, für die wir eigentlich geistig geboren worden sind, dieses Zusammenleben mit ihnen wird dem Menschen in hohem Grade erschwert durch das immer mehr und mehr Durchsetztwerden der Welt mit dem Milieu der modernen Technik. Der Mensch wird gewissermaßen herausgerissen aus seinem geistig-kosmischen Zusammenhange, und es wird abgedämpft und abgedämmert in seinem Inneren dasjenige, was er an Kräften entwickeln soll, um mit dem Geistig-Seelischen des Kosmos in Zusammenhang zu bleiben.
Dornach, 28.Dez.1914 ☽ (in «GA 275»; S.21ff)
3 Aber man muß sich ganz klar darüber sein, wie weit entfernt im Grunde genommen die Gegenwart ist von einem unbefangenen Hinnehmen dieser Dinge. Die Gegenwart - ich habe es oft gesagt - ist ja so autoritätsgläubig wie nur irgend etwas. Sie sieht sich dann nicht an, was, sagen wir, hinter den Autoritäten steht. Die Autoritäten werden heute bemessen nach den Titeln und Ämtern, die sie haben, aber was dahinter steht, darauf kommt es ja an. Ich möchte Ihnen doch ein nettes Beispiel, das vor kurzem erzählt worden ist, geben, wie weit vorgeschritten in unserer Zeit der Homunkulismus schon ist, wie weit vorgeschritten das Denken in der reinen Äußerlichkeit ist. Da führt ein Mann ganz nett und gutmeinend - er ist gegen den Homunkulismus, wenn er auch nicht weiß, was er an die Stelle des Homunkulismus setzen soll - einen interessanten Beleg an für dasjenige, was die Homunkulusse unserer Zeit für das eigentlich Große, Bedeutende halten. Es gibt ja heute schon viele, die als ihren Gott die Technik verehren; ich habe Ihnen besondere Beispiele vor einigen Wochen hier angeführt. Als Beleg aber, wie mächtig die Überzeugung von der Gottheit der Technik schon war, möge folgende Ungeheuerlichkeit angeführt werden, der ungeheuerliche Ausspruch eines ernsten Mannes gesetzten Alters, eines Arztes und Familienvaters, der - das wird uns alles gesagt - in nichts hervorragt oder vertieft ist, welcher also alle Bedingungen hat, um ein Urteil von der soliden Marke des gesunden Menschenverstandes abzugeben. Als die Welt der Zeitungen vor dem Kriege durch den kühnen Flug des französischen Aviatikers Pégoud in tiefes Staunen versetzt wurde, sagte jener Mann, der also ein Urteil ganz im Stile der Zeit gab, denn er ist «Arzt, Familienvater und in nichts hervorragend», hat daher alle Bedingungen zu einem soliden und gesunden Menschenverstand, über den Kulturwert der Flugmaschine ganz ernst und mit festem Pathos: «Eine Schraube vom Flugapparat von Pégoud ist wichtiger als alle Philosophie von Kant und Schiller, und wenn ihr wollt, als alle Philosophien aller Zeiten.» - Glauben Sie nicht, daß dies ein so seltener Ausspruch ist! Das ist schon dasjenige, was heute viele beherrscht als Gesinnung, und was sich immer mehr und mehr als Gesinnung herausarbeitet.
Berlin, 13.Jun.1916 ♂ (in «GA 169»; S.51f)
4 [...] Diese Bewegung beim Fernrohr, die zweifach ist: hin und her und auf und ab, die wird hervorgebracht dadurch, daß eine Doppelvorrichtung für die Drehung da ist, eine obere Vorrichtung, die man in der Mechanik als ein Scharniergelenk bezeichnet, und eine untere, die man in der Mechanik als ein Zapfengelenk bezeichnet. Dadurch kann in der richtigen Weise diese doppelte Drehung hervorgerufen werden. Nun würde die Sache töricht sein - was man ja beim Fernrohr leicht ausprobieren kann -, wenn man das umgekehrt machen würde: wenn man das Zapfengelenk an die Stelle des Scharniergelenks und unter das Zapfengelenk das Scharniergelenk setzen würde. Das wäre unvorteilhaft. Man kann das nun preisen als eine tiefbedeutsame Erfindung des Menschen, daß er solch eine Bewegungsvorrichtung erfunden hat. Aber in viel genialerer Weise - wenn ich jetzt das Wort «genial» objektiv gebrauche, nicht subjektiv zunächst - tragen Sie alle diese Vorrichtung da hinten, wo der Kopf aufsitzt auf Ihrem Halswirbel: oben ein Scharniergelenk, unten ein Zapfengelenk. Und dadurch sind Sie imstande, den Kopf auf und ab zu bewegen und nach den Seiten hin zu wenden. Sehen Sie, da haben wir genau dasselbe, was Gegenstand des menschlichen Denkens heute ist, im menschlichen Organismus.
Es gibt überhaupt nichts, was der Mensch erfindet, jemals erfinden wird, was nicht am menschlichen Organismus irgendwie zu finden wäre. Alles ist am menschlichen Organismus zu finden, was der Mensch an mechanischen Einrichtungen ausfindig gemacht hat und noch ausfindig machen wird, alles das, was wirklich beitragen kann zur menschlichen Evolution. Nur das, was zur menschlichen Evolution nichts beitragen kann, findet sich nicht am Menschen, oder es findet sich am Menschen in einer solchen Art, daß es ganz anders eingegliedert ist, als es vom Menschen in seine Evolution eingegliedert wird.
Dornach, 28.Aug.1916 ♃ (in «GA 170»; S.226f)
5a Glauben Sie denn, daß die Naturwissenschaft heute den Kosmos im Verhältnis zum Menschen denken kann? Erinnern Sie sich an den Ausspruch, den ich auch in öffentlichen Vorträgen zitiert habe, von Herman Grimm:° Die Naturwissenschaft denkt eine Art Mechanismus, in dem der Mensch gar nicht drinnen sein kann. - Den Menschen im Verhältnis zum Kosmos kann heute die naturwissenschaftliche Weltanschauung nicht denken, denn um das zu können, muß man die Dinge erst konkret anschauen. Heute konstruiert einer eine Maschine; das tut er eben und glaubt, indem er diese Maschine konstruiert, da geschieht in der Tat nichts, als daß er diese Maschine konstruiert, beziehungsweise noch das, was durch diese Maschine geschieht. Aber einem solchen Glauben sich hinzugeben, hieße begründen das, was heute so allgemein verbreitet ist, was man nennen kann: negativen Aberglauben. Aberglaube ist der Glaube an Geister, wo keine sind; aber man kann auch nicht an Geister glauben, wo welche sind: das ist der negative Aberglaube. Diesem negativen Aberglauben, dem gibt sich heute die Menschheit in Hülle und Fülle hin, ohne daß sie es zunächst noch weiß, weil man sich noch nicht gewöhnt hat, die Dinge, welche in der Menschheitsentwickelung auftreten und die man heute nur unter dem Gesichtspunkte des Mechanismus denkt, diese Dinge auch im ganzen Weltenzusammenhange drinnen unter einem moralischen Gesichtswinkel zu denken.
S.191f
5b Die biblische Urkunde sagt, daß Jahve dem Menschen den lebendigen Odem eingeblasen hat,[d] die Luft, und dadurch wurde er eine lebendige Seele. Die Luft mußte in den Menschen hereingeschaffen werden, damit der Mensch dasjenige werden konnte, was er als Erdenmensch werden soll. Durch viele Jahrhunderte, ja durch Jahrtausende hat der Mensch nur dasjenige an Luftverdünnung und -Verdichtung benützt, was sich von selber ergab im kosmischen Zusammenhange. Dann kam die neuere Zeit. Da ging der Mensch daran, die Luft selber zu verdünnen, wegzuschaffen das, was Jahve hereingeschaffen hat, im Gegensinn zu dem zu wirken, wie Jahve wirken kann, indem er den Menschen in die Erde hereingestellt hat. Was geschieht denn also eigentlich, indem der Mensch den luftverdünnten Raum benützt, das heißt, die Luft fortjagt von dem Räume? Es geschieht Opposition gegen Jahve. Sie können sich jetzt leicht denken: Während Jahve in den Menschen hereinströmt durch die Luft, verjagt der Mensch den Jahve, wenn er den luftverdünnten Raum herstellt! Ahriman gewinnt die Möglichkeit, bis in die Physis herein sich als Dämon festzusetzen, indem auf diese Weise die Dampfmaschine konstruiert wird. Wenn man die Dampfmaschine konstruiert, gibt man Gelegenheit zur Verkörperung der Dämonen. Man braucht ja nicht an sie zu glauben, wenn man nicht will: das ist negativer Aberglaube. Positiver Aberglaube ist, Geister zu sehen dort, wo keine sind; negativer Aberglaube aber ist, Geister zu leugnen da, wo sie sind. In den Dampfmaschinen aber sind ahrimanische Dämonen wirklich sogar bis zum physischen Körper gebracht. Das heißt: Während der Kosmos mit seinem Geistigen heruntergestiegen ist durch das, was der menschlichen Evolution eingegossen worden ist, wird verjagt der Geist des Kosmos mit demjenigen, was da an Dämonen geschaffen wird. Das heißt: Der neuere große, bewundernswerte Fortschritt hat nicht nur eine Dämonologie gebracht, sondern eine Dämonomagie, und die moderne Technik ist vielfach Dämonomagie.
S.193f
5c Natürlich darf nun niemand glauben, daß so etwas, wie ich es jetzt gesagt habe, bedeuten solle, man solle die Dampfmaschine abschaffen. Man müßte vieles abschaffen, denn die Dampfmaschinen sind nicht einmal das Dämonischste. Überall da, wo Elektrizität [e] angewendet wird und manches andere noch, da ist viel mehr Dämonomagie, weil es noch mit ganz anderen Kräften wirtschaftet, die eine noch andere Bedeutung haben für den Kosmos. Selbstverständlich wird derjenige, der Geisteswissenschaft versteht, sich klar sein darüber, daß diese Dinge nicht abgeschafft werden sollen, daß wir nicht reaktionär oder konservativ sein können in dem Sinne, daß wir uns auflehnen gegen den Fortschritt. Oh, die Dämonomagie bedeutet den Fortschritt, und die Erde wird immer mehr und mehr solche Fortschritte machen! Man wird es noch dazu bringen, daß man große, große Wirkungen hinaus in das Weltenall entwickeln wird. Nicht ums Abschaffen handelt es sich, auch nicht ums Abkritisieren, denn selbstverständlich sind die Dinge berechtigt. Aber darum handelt es sich, daß, nachdem auf der einen Seite diese Dinge auftreten müssen im Menschheitsfortschritt, auf der anderen Seite Gegenkräfte geschaffen werden müssen, die den Ausgleich wiederum herbeiführen. Gegenkräfte müssen geschaffen werden. Diese Gegenkräfte, die den Ausgleich herbeiführen, können nur geschaffen werden, wenn die Menschheit wiederum das Christus-Prinzip verstehen wird, wenn die Menschheit den Weg finden wird zu dem Christus. Eine Weile ist die Menschheit abgeführt worden von dem Christus. Selbst diejenigen, die sich offiziell Vertreter des Christus nennen, suchen nur statt des Christus einen Angelos [f]. Aber es wird der Weg gefunden werden müssen, den die Seele machen muß zu Christus. Denn geradeso, wie wir durch die Dämonen der Maschinen zu den physischen Sternen wirken in den Kosmos hinaus, so müssen wir den Weg finden geistig in die Welten hinein, in denen der Mensch ist zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, in denen die Wesen der höheren Hierarchien sind. Und das, was ich jetzt andeute, das hängt zusammen mit dem, was ich schon ausgeführt habe: wie die Menschen hineinkommen immer mehr und mehr in ein Berufskarma auf der einen Seite, so wie ich es geschildert habe, und wie auf der anderen Seite diesem Berufskarma entgegenwirken muß das Verständnis für die geistige Welt, welches auch wiederum anbahnen kann das Finden eines Weges zu dem Christus.
S.196f
° Erinnern Sie sich an den Ausspruch von Herman Grimm: in der 23. «Goethe»-Vorlesung, über die «große Laplace-Kantsche Phantasie von der Entstehung und dem einstigen Untergange der Erdkugel».
S.234
Dornach, 26.Nov.1916 ♃ (in «GA 172»)
6 [...] Es ist bedeutungsvoll, daß die sogenannte manganistische [g] Kultur sich erst nach und nach, eigentlich erst innerhalb des letzten Jahrhunderts, so recht entwickelt hat. Ich möchte sagen, das paradoxeste Resultat dieser neueren Kultur ist das, daß sie eigentlich künstlich viel mehr Menschenwesenheit in die Erde hineinbefördert hat, als der Zahl nach Menschen auf der Erde herumgehen. Das ist dadurch bewirkt, daß im Laufe der letzten Jahrzehnte bei dem kleineren Teil der Menschheit das Mechanische, die Maschine, zu ganz ungeheurer Entfaltung gekommen ist. Sie werden es ja selbstverständlich finden, wenn ich sage, daß ein großer Teil der heutigen Arbeit, die geleistet wird, mit von der Maschine geleistet wird; aber Sie werden vielleicht doch ein wenig erstaunt sein, wenn man berechnet - und man kann es ganz gut berechnen -, wie groß denn diese von der Maschine geleistete, Menschenarbeit vertretende Arbeit eigentlich ist. Man kann es berechnen, wenn man den Blick daraufhinwendet, wieviel Millionen Tonnen Kohle jährlich verbraucht werden, die dann in Maschinenkraft ihre Offenbarung finden. Und wenn man das, was da durch diese auf der Erde beförderte Kohle an Menschenkraft ersetzt wird, durch die betreffende Zahl von Menschen, die notwendig wäre, um diese Arbeit zu leisten, ausdrückt, so würde man finden: Nicht weniger als fünfhundertvierzig Millionen Menschen wären dazu notwendig, und diese fünfhundertvierzig Millionen müßten eine zwölf stündige tägliche Arbeitszeit haben, um das zu verrichten, was durch die Maschine geleistet wird. Man könnte also sagen: In Wahrheit ist es gar nicht richtig, daß über unsere Erde nur fünfzehnhundert Millionen Menschen vorhanden sind, sondern es sind fünf hundert vierzig Millionen mehr auf der Erde vorhanden. Die sind rein dadurch mehr vorhanden, als wirklich im Fleisch herumgehen, daß von dem kleineren Teil der Menschen diese nicht naturistische, sondern manganistische Arbeit geleistet wird, die eben durch die Maschine, durch den Mechanismus geleistet wird. In der Tat hat sich im letzten Jahrhundert die Menschenzahl auf der Erde nicht bloß so vermehrt, wie es die Statistik zum Ausdruck bringt, sondern so, daß noch fünfhundertvierzig Millionen Menschenkräfte dazuzurechnen sind. Und zwar kann ich sagen: Wir europäischen und amerikanischen Menschen - für Osteuropa kommt es noch wenig in Betracht - sind umgeben von einer Arbeit, die fortwährend in unser Tagesleben hereinreicht, mehr als man denkt, und Menschenkraft einfach ersetzt.
Nun sind die Menschen des Westens außerordentlich stolz auf diese Leistung, und es wird hervorgehoben, wenn man rein das, was durch Maschinen geleistet wird, vergleicht mit den Leistungen der weit zahlreicheren Menschen, die sich noch nicht eigentlich in ausreichendem Maße der Technik der Maschinenkraft bedienen, die noch mehr auf naturistischem Standpunkte leben, so bekommt man eine ganz bedeutende Mehrleistung der europäischen und amerikanischen Menschheit gegenüber der ganzen übrigen Menschheit. Wir können also sagen: Wenn die Arbeit, welche durch Maschinen verrichtet wird, durch Menschen geleistet werden sollte, dann müßten fünfhundertvierzig Millionen Menschen täglich zwölf Stunden arbeiten. - Das bedeutet sehr viel. Das bedeutet aber auch, wie Sie wissen, das stolze Resultat der neueren Weltkultur. Dieses stolze Resultat der neueren Weltkultur hat Verschiedentliches im Gefolge.
Wenn Sie Einblick gewinnen wollen in das, was da zugrunde liegt, so brauchen Sie nur einmal einen Fall ins Auge zu fassen, wo die naturistische Kultur noch sehr, sehr in unsere manganistische hereinragt. Das ist zum Beispiel beim Zündhölzchen der Fall. Die Jüngeren von uns zwar nicht, wohl aber die Älteren werden sich noch der Zeiten erinnern, wo die Zündhölzchen noch wenig verbreitet waren, und wo man mit Stahl und Stein den Zündfaden, den Zunder entzündet hat, um Feuer zu bekommen. Das aber führt zurück auf eine viel ältere Art, Feuer zu erzeugen: auf den Feuerbohrer, wo unmittelbar mit Anwendung großer Menschenkraft die Menge von Feuer, die heute durch Zündhölzchen erzeugt wird, durch Drehen eines Bohrers in Holz erzeugt werden mußte. Wenn Sie diese letztere naturistische Form mit der heutigen vergleichen, so werden Sie sich noch etwas anderes zur Anschauung bringen können. Sie werden sich sagen können: Die ganze manganistische Kultur hat noch etwas besonders Eigentümliches; sie macht nämlich in hohem Grade die wirkenden Gesetze, welche früher dem Menschen nahe waren, für den Menschen unsichtbar. Sie schiebt die wirkenden Gesetze zurück. - Nehmen Sie gerade diese ursprüngliche Art des Feuererzeugens: Wie hing diese Arbeit, die der Mensch aufbrachte, innig zusammen mit seiner Person und seiner persönlichen Leistung! Was unmittelbar als Feuer entstand, wie eng war es verknüpft mit der persönlichen Leistung! Das ist zurückgeschoben. Indem heute der physikalische, mechanische oder chemische Prozeß an diese Stelle gesetzt ist, haben wir es zu tun mit einer Entfernung des eigentlichen Naturgeschehens - in dem ja auch das geistige Geschehen wirkt - von dem, was der Mensch unmittelbar tut. Sie werden heute sehr häufig den Ausspruch hören, der Mensch habe durch diese neuere Technik die Naturkräfte in seinen Dienst gezwungen. Dieser Ausspruch hat gewiß von der einen Seite seine große Berechtigung, aber er ist höchst einseitig und unvollkommen. Denn in alledem, was Maschinenkraft leistet - die ich auch in weiterem Sinne in ihrer Umwandelung in chemische Energie in Anwendung bringen will -, ist nicht nur Naturkraft in den Dienst der Menschheit hereingerückt, sondern es wird das Naturgeschehen in seinen tieferen Zusammenhängen mit den eigentlichen Weltimpulsen hinausgeschoben. Im Mechanismus wird dem Menschen allmählich der Anblick des Naturgeschehens selber entzogen. Es wird also durch die Technik nicht nur Naturgeschehen in den Dienst der Menschheit hineingezwungen, sondern es wird etwas von den Menschen abgeschoben. Es wird durch die Technik ein Totes ausgebreitet über die lebendige Natur; es wird das Lebendige, was früher unmittelbar aus der Natur in die menschliche Arbeit hereinspielte, von dem Menschen abgeschoben. Wenn Sie bedenken, daß der Mensch eigentlich aus der Natur das Tote herauszieht, um es in die manganistische Kultur hineinzubringen, dann wird es nicht mehr sehr auffallen, wenn ich nun die Geisteswissenschaft an das anknüpfe, was der bloße Techniker sagt.
Der Techniker Reuleaux hebt hervor, daß der neuere Fortschritt der Menschheit - von seinem Gesichtspunkte aus mit Recht - darauf beruht, daß die Naturkräfte in den Dienst der Menschheitskultur hineingerückt worden sind. Wir müssen aber vor allem zunächst den Blick darauf wenden, daß wir Mechanismen vor uns haben, welche Menschenkraft eigentlich ersetzen. Das ist nicht nur ein Vorgang, der sich in dem erschöpft, was man mit den Sinnen sieht, sondern dieser Vorgang, diese Erzeugung von fünfhundertvierzig Millionen ideellen Menschen auf der Erde hat eine sehr bedeutsame geistige Seite. In alledem, was da entstanden ist, ist Menschenkraft kristallisiert; in all das ist gewissermaßen menschlicher Verstand eingeflossen und wirkt darin, aber nur menschlicher Verstand. Wir sind umgeben von einem solchen, vom Menschen losgelösten Verstand. In dem Augenblick, wo wir so etwas vom Menschen loslösen, was von Natur aus mit dem Menschen verbunden ist, nehmen diejenigen Kräfte, die wir in unserer Geisteswissenschaft als ahrimanische [b] beschrieben haben, von alledem unmittelbar Besitz. Diese fünfhundertvierzig Millionen ideellen Wesen auf der Erde sind zu gleicher Zeit eben so viele Behältnisse für ahrimanische Kräfte, für Kräfte des Ahriman. Das darf nicht übersehen werden. Damit finden Sie aber den rein äußeren Fortschritt unserer Kultur gebunden an die ahrimanischen Kräfte,[h] an die gleichen Kräfte, welche, sagen wir, in der Mephistophelesnatur - denn das ist ja der Ahrimannatur ähnlich - eigentlich drinnen sind. Aber nun entsteht im Weltenall niemals ein Einseitiges, ohne daß das entsprechende andere dazu entsteht, niemals nur ein Pol, ohne daß der andere Pol mitentsteht. Zu diesem Ahrimanischen, das auf der Erde in den materiellen Formen der Industrie und so weiter, der Maschinen entsteht, entsteht ebensoviel - nun aber auf geistigem Gebiete - Luziferisches.[i] Niemals entsteht bloß das Ahrimanische; sondern in demselben Maße, als dieses sichtbar auf der Erde entsteht, wie ich es eben dargestellt habe, entsteht, durchwebend diese ganze Kultur, die sich so vom Ahrimanischen durchdringt, ein Luziferisches. In demselben Maße, als die Menschen auf der Erde entstehen und die ahrimanische Kultur auf der Erde sich kristallisiert, wirken herein in den menschlichen Willen die geistigen Korrelate, wirken herein in das menschliche Wollen, in die menschlichen Impulse, in die menschlichen Leidenschaften und Stimmungen. Hier auf der Erde die ahrimanische Maschine - in der geistigen Strömung, in die wir hineingestellt sind, für jede Maschine ein luziferisches Geistwesen! Indem wir unsere Maschinen erzeugen, rücken wir hinunter in das tote Reich, das deshalb erst äußerlich recht sichtbar ist, in die ahrimanische Kultur. Wie ein Spiegelbild entsteht unsichtbar zu dieser ganzen ahrimanischen Kultur eine luziferische Kultur. Das heißt, in demselben Maße, als die Maschinen entstehen, wird die Menschheit auf der Erde in ihrer Moralität, in ihrem Ethos, in ihren sozialen Impulsen von luziferischen Stimmungen durchzogen. Das eine kann nicht ohne das andere entstehen. So stellt sich die Welt zusammen.
Daraus kann man sehen, daß es sich niemals darum handeln kann, zu sagen: Ich fliehe Ahriman -; aber ebensowenig können Sie sagen: Ich fliehe Luzifer. - Sie können nur davon sprechen, daß ein solcher Zustand, wo polarisch Ahrimanisches und Luziferisches entsteht, mit der gegenwärtig sich weiterentwickelnden Menschheitskultur notwendigerweise verbunden ist. Das ist, geistig angesehen, das, was in unserer Kultur wirkt, und die Dinge müssen eben, von unserer Gegenwart angefangen, immer mehr und mehr geistig angesehen werden.
Berlin, 3.Jul.1918 ☿ (in «GA 181/III»; S.28ff)
7 Die Naturanschauung, von der Goethe sich abwandte, ist diejenige, die das allmähliche Verfallen nur erfassen kann im Naturgange, und aus den Symptomen des Verfallens dann sich erheben möchte zu dem, was auf ihre Weise nicht gezeigt werden kann, was nur im übersinnlichen Anschauen sich zeigen kann: zu den Symptomen des Aufsteigens, des Wachsens, des Geborenwerdens, des Gedeihens. Aber - so paradox es wiederum klingt - diese Naturanschauung, die eigentlich auf das Tote gerichtet ist in der lebendigen Natur, die warf ihre Schatten tief hin auf das ganze moderne soziale Zusammenleben. Sie schuf im Grunde einen neuen Universalimpuls über die neuere Menschheit hin, aber einen solchen Universalimpuls, gegen den sich der Mensch selbst in seiner Individualität fortwährend auflehnen muß, weil er ihn herausstellt aus der Natur und er eben den Zusammenhang immer wieder suchen muß. Seine Erkenntnis stellt ihn heraus. Er muß aus etwas anderem, als er durch diese Erkenntnis anstrebt, seinen Zusammenhang wieder suchen. Ein Dualismus, eine Zweiheit im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt wird dadurch in das Leben hineingetragen. Diese Naturwissenschaft strömt ein in das moderne Leben der Technik, das die ganze moderne Kultur trägt, das ungeheuer bedeutungsvoll eingreift.
Haben wir gesehen in denjenigen Impulsen, die wir früher betrachtet haben, zum Beispiel in den nationalen, daß Althergebrachtes konserviert wird, kein neues Produktives eingeführt wird in das Leben, sieht man in dem Rätsel des europäischen Ostens, wie ein merkwürdig zur geistigen Produktivität angeregtes Volksgebilde sich einschnürt, um ja nicht produktiv sein zu dürfen, trotzdem es zur Produktivität im höchsten Maße veranlagt ist, sich einschnürt wirklich in die alleräußersten Fesseln der alten byzantinischen Kirchengemeinschaft, sehen wir, wie da Altes herauf gebracht wird und konserviert wird, so sehen wir, wie in dem, was die Naturanschauung ausgießt über die moderne Menschheit, nun ein Universales geschaffen wird, ein Universales, das nun wiederum nicht geht auf das, was der Mensch aus sich selber heraus produziert, sondern gerade auf dasjenige, was er in der Absonderung von sich selber als Verfall der Naturerscheinungen in seine Erkenntnis hereinnimmt und daher auch nur als etwas in seine Kultur einfließen lassen kann, was er hinausträgt in die Technik, indem er das Natürliche ertötet.
Zürich, 17.Okt.1918 ♃ (in «GA 73»; S.352ff)
8 Aber wenn man betäubt ist, kann man nicht zur Bewußtseinsseele kommen. Daher strebt die neuere Naturbetrachtung ganz instinktiv danach, die Beobachtung allmählich zu überwinden und durch das Experiment alles zu gewinnen. Man sucht ja auch auf dem Gebiete der Biologie, auf dem Gebiete der Anthropologie zu experimentieren. Aber wenn man experimentiert, ist die Hauptsache dabei, daß man das Experiment zusammenstellt, daß man die Ordnung bestimmt, in welcher man beobachtet. Wie die Dinge selbst angeordnet sind, wenn man zum Beispiel Embryologie experimentell treibt, das ist nicht durch die Natur bestimmt, sondern das ist durch den menschlichen Intellekt, durch den menschlichen Verstand bestimmt, das ist durch das bestimmt, von dem ich Ihnen gesagt habe, daß es sich von der Natur entfernt, um gerade in dem Menschen innerlich zu sein. Wir ertöten die Natur, um sie erkennen zu lernen im Experiment. Aber nur das, was wir durch das Experiment gewinnen, können wir technisch anwenden. Naturerkenntnis wird erst reif zur technischen Anwendung, wenn sie auf dem Umwege durch das Experiment sich reif dazu macht. Was vorher Einführung der Naturerkenntnis ist in das soziale Leben, ist noch nicht Technik. Es wäre sogar barbarisch, von Technik zu sprechen, wenn man es nicht zu tun hat mit der reinen Umsetzung eines Experimentes in die soziale Ordnung oder in diejenigen Dinge, die im Dienste der sozialen Ordnung stehen.
Dann aber schafft die moderne Menschheit in die soziale Ordnung hinein Ergebnisse der Experimentierkunde als Technik: Totes. Und das ist das Wesentliche: Totes schaffen wir hinein in die Kolonisationsbestrebungen, Totes schaffen wir hinein, wenn wir für die Industrie unsere Maschinen bauen. Aber nicht nur dann, sondern wenn wir unsere Arbeiter in einer gewissen sozialen Ordnung zu diesen Maschinen hinzubringen. Totes schaffen wir hinein in unsere neuere geschichtliche Ordnung, indem wir unsere Finanzwirtschaft über kleinere oder größere Territorien ausbilden. Totes schaffen wir hinein, wenn wir eine soziale Ordnung überhaupt nach dem Muster der modernen Naturwissenschaft aufbauen wollen, wie es instinktiv die moderne Menschheit getan hat. Totes schaffen wir überall hinein in das menschliche Zusammenleben, wenn wir Naturwissenschaft hineinschaffen in dieses menschliche Zusammenleben, Totes, sich selbst Ertötendes.
Dornach, 20.Okt.1918 ☉ (in «GA 185»; S.66f)
9 Nun weist das aber noch zurück auf eine Zeit, welche in einer gewissen Weise Sinn und Empfänglichkeit hatte für das freie geistige Leben. Denken Sie, es ist ja nicht so sehr lange her, daß die freien Hochschulen, die Universitäten, von dem Staate aufgesogen worden sind. Die Universitäten hatten früher ihr eigenes Ansehen, ihre eigene Ehre. Autonom waren sie, autonome Körperschaften. Diese Autonomie haben sie vollständig verloren. Sie bilden Staatsdiener aus, brave, gute Staatsdiener auf allen Gebieten. Dem aber tritt gegenüber eine Hypertrophie des sozialen Kopfsystems, des Wirtschaftslebens. Alles wird vom Wirtschaftssystem ausgedacht, und die Perspektive Kontor und Maschine anstelle von Thron und Altar, das ist auch gerade keine Perspektive, welche auf Dinge hinwiese, die den sozialen Organismus lebensfähig machen können! Ich habe Ihnen ja öfter gesagt, da würde die Welt eine große Buchhaltung werden, die geführt würde über eine Art Werkstättenleben. Gerade die individuellen menschlichen Fähigkeiten, die die Nahrungsmittel bilden für den sozialen Organismus, die würden verkümmern und gelähmt sein, wenn an die Stelle von Thron und Altar treten würde Kontor und Fabrik, Kontor und Maschine.
Das aber alles hängt eben damit zusammen, daß das gegenwärtige menschliche Zusammenleben, das heißt das Individualleben, in dem Menschen auslöst vor allen Dingen ein Denken, das nach dem Wirtschaftsleben hin orientiert ist, das nur Sinn und Interesse hat für das Wirtschaftsleben. Dies ist in der neueren Zeit dadurch heraufgekommen, daß die moderne Technik Platz gegriffen hat, und mit der modernen Technik die moderne Art des Kapitalismus. Da wurden zunächst die führenden, leitenden Kreise abhängig von demjenigen, was man nennen könnte den bloß auf das Wirtschaftssystem hin orientierten sozialen Verstand. Ich habe immer wieder und wiederum hingewiesen darauf, wie gewissermaßen der Mensch aufgesogen worden ist von dem objektiven sozialen Verstande, von der Überflutung durch das bloße Kopfsystem, mit dem der soziale Organismus um uns herum denkt. In dieses Denken sind wir heute eingespannt.
Dornach, 22.Mär.1919 ♄ (in «GA 190»; S.40f)
10 So stand vom Jahre 1200 bis in das 20. Jahrhundert hinein das, was sich als die naturgemäße Entwickelung Mitteleuropas ergab, einem Luzifertum gegenüber, das die zurückgebliebene Nibelungenwildheit war, als Seelenleben entfaltet in der neueren Zeit. Betrachten wir das, dessen Ausgangspunkt wir suchen dürfen ungefähr um das Jahr 1200 herum, und stellen wir ihm gegenüber das luziferische Element der Fürstentümer, der Territorialfürsten, dann werden wir begreifen, was es für ein besonderes Zusammenwirken ergab, als das ahrimanische Element des modernen Industrialismus mit der Technik und dem Kapitalismus heraufkam und in der letzten Phase des nun seinem Verröcheln entgegengehenden Mitteleuropa der furchtbar ahrimanisch-luziferische Zusammenhang zustande kam; namentlich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts jenes Zusammenwirken zustande kam zwischen dem Industrialismus und dem alten Territorialfürstentum, dem alten Junkertum und den alten Anhängern der in den Verfall geratenen Nibelungenwildheit. Das ist es, was Mitteleuropa seinen Untergang gebracht hat: die Ehe zwischen dem Industrialismus und dem Territorialfürstentum, den politischen Verwaltern Mitteleuropas. Das ist es, was die in meinem «Aufrufe» geforderte Entfaltung einer wirklichen mitteleuropäischen und deutschen Mission nicht zustande kommen ließ: Die ahrimanisch-luziferische Ehe zwischen dem heraufkommenden Industrialismus, der andere Gegenden der Welt anders ergriffen hat als die Gegend, in der die alte Nibelungenwildheit im Territorialfürstentum in Mitteleuropa herrschend war. Und wenn einmal frank und frei wird geschildert werden sollen, welche furchtbaren Symptome eines welthistorischen, tragischen Niederganges vorhanden waren vom Jahre 1914 bis 1919, weiter hinaus vorhanden sein werden gerade in Mitteleuropa, dann wird man zu schildern haben das für dieses Mitteleuropa grausam-fürchterliche Zusammenwirken des alten verkommenen Nibelungenadels mit dem heraufkommenden, seine welthistorische Stellung durch keine inneren seelischen Ansprüche rechtfertigenden industriellen Menschentum Mitteleuropas. Die Typen, welche sich in Mitteleuropa in diesen Jahren gezeigt haben aus diesen beiderlei Kreisen heraus, das waren die Menschen, die in unendlichem Hochmut aus einer eingebildeten Praxis heraus durch Jahre hindurch alles niedergetreten haben, was irgendwie hat hinwirken wollen auf ein Wiederbemerken dessen, was mit Walther von der Vogelweide zu singen begonnen hat, und was mit dem Goetheanismus seinen Abschluß gefunden hat. Daß die äußere Welt sich das Schlagwort des «Militarismus» erfunden hat, um diese viel tiefere Erscheinung unzutreffend-zutreffend, zutreffendunzutreffend zu bezeichnen, das ist ja nicht weiter zu verwundern, denn furchtbar viel tiefsinniger als die mitteleuropäische Welt ist die außermitteleuropäische Welt auch nicht, wahrhaftig nicht. Ein Verständnis für mitteleuropäisches Wesen hat sich nirgends gefunden woanders, wenn auch gesagt werden muß, daß es mit Riesenschritten zurückgegangen ist, was in diesem Mitteleuropa sich entwickelt hat bis zum Goetheanismus hin, nach dem Zeitalter Goethes.
Dornach, 12.Apr.1919 ♄ (in «GA 190»; S.174f)
11 [...] Die Erdenmenschen werden ihren Intellekt ja weiter automatisch entwickeln können; der kann sich auch innerhalb der Barbarei entwickeln; aber das Vollmenschentum wird nicht hineingezogen sein in diesen Intellekt, und die Menschen werden keine Beziehung haben zu denjenigen Wesenheiten, die sich ihnen hinunterneigen wollen ins Erdendasein herein. Und alle diejenigen Wesen, welche nun vom Menschen unrichtig gedacht werden, die Wesen, welche unrichtig gedacht werden aus dem Grunde, weil der bloße schattenhafte Intellekt nur das Mineralische, ich möchte sagen das grob Materielle im Mineralreich, im Pflanzen-, im Tierreich und sogar im Menschenreich denkt, diese Gedanken der Menschen, die keine Wirklichkeit haben, die bekommen mit einem Schlage Wirklichkeit, wenn der Mond sich mit der Erde vereinigt. Und aus der Erde wird aufsprießen ein furchtbares Gezücht von Wesenheiten, die in ihrem Charakter zwischen dem Mineralreich und dem Pflanzenreich drinnenstehen als automatenartige Wesen mit einem überreichlichen Verstande, mit einem intensiven Verstande. Mit dieser Bewegung, die über der Erde Platz greifen wird, wird die Erde überzogen werden wie mit einem Netz, einem Gewebe von furchtbaren Spinnen, Spinnen von einer riesigen Weisheit, die aber in ihrer Organisation nicht einmal bis zum Pflanzendasein heraufreichen, furchtbare Spinnen, die sich ineinander verstricken werden, die in ihren äußeren Bewegungen alles das imitieren werden, was die Menschen ausdachten mit dem schattenhaften Intellekt, der sich nicht anregen ließ von demjenigen, was durch eine neue Imagination, was überhaupt durch Geisteswissenschaft kommen soll. All dasjenige, was die Menschen an solchen Gedanken denken, die irreal sind, das wird wesenhaft. Die Erde wird überzogen sein, wie sie jetzt mit einer Luftschicht überzogen ist, wie sie sich manchmal mit Heuschreckenschwärmen überzieht, mit furchtbaren mineralisch-pflanzlichen Spinnen, die sehr verständig, aber furchtbar bösartig sich ineinanderspinnen. Und der Mensch wird, insoweit er nicht seine schattenhaften intellektuellen Begriffe belebt hat, statt sein Wesen mit den Wesen, die heruntersteigen wollen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, zu vereinigen, er wird sein Wesen mit diesen furchtbaren mineralisch-pflanzlichen Spinnengetieren vereinigen müssen. Er wird selber zusammenleben mit diesen Spinnentieren, und er wird sein weiteres Fortschreiten im Weltendasein suchen müssen in derjenigen Entwickelung, die dann annimmt dieses Spinnengetier.
Dornach, 13.Mai 1921 ♀ (in «GA 204»; S.244f)
12 Mit all dem, was ich geschildert habe, kann der Mensch nur bis zu einem gewissen Grade leben, und die Entwickelung der neuesten Zeit hat ja gezeigt, daß es sich bis zu einem gewissen Grade mit all dem leben läßt. Das hat seinen tiefen Grund in der ganzen neueren Zivilisations- und Kulturentwickelung. Als eine Folge der wissenschaftlichen Denkweise ist heraufgekommen die moderne Technik, die eigentlich nur arbeiten kann in dem, was vom Menschen abgesondert ist, in demjenigen, in das der Mensch mit seiner eigenen inneren Wesenheit nicht hineindringt. Diese Technik stellt etwas um uns herum dar, das unsere Arbeit so in Anspruch nimmt, daß wir uns selber nach und nach ihr eingegliedert haben wie etwas, das sich ihr hingibt, wie etwas, das sich mit ihrem Besten hingibt. Man braucht sich nur zu erinnern an allerlei Arbeitssysteme, die in der westlichen Zivilisation ihren Ursprung haben, wie diese Arbeitssysteme den Menschen hineinstellen mochten in die Welt der Technik selber wie ein Glied einer Maschine, so daß dasjenige, was ihm lieb ist, was seine Sympathie, seine Antipathie erregt, was ihn veranlaßt, einmal irgend etwas schneller, ein andermal etwas langsamer zu machen, daß das ausgeschaltet wird, daß man rechnen kann auf das, was als seine Tätigkeit aus ihm kommt, wie man rechnen kann auf die Tätigkeit einer Maschine.
Niemals konnte die Menschheit auf die Dauer irgendwie befriedigt sein durch eine solche Hingabe, durch eine solche Anlehnung an ein Fremdes, sei es ein äußerlich Physisches, sei es ein Geistiges. Natürlich ist es, daß unter dem Einflusse der triumphalen Technik gerade bei den zivilisiertesten Menschen des neuesten Zeitalters sich so etwas ausgebildet hat. Aber es ist in gewisser Beziehung heute auch an seinem Kulminationspunkte angelangt, es ist da angelangt, wo deutlich die Rufe hörbar sind nach einer Umkehr, wo deutlich schon gefühlt werden kann die innere Entzweiung des Menschen im Vorstellungsleben, das Dumpfwerden seines Gefühlslebens, das Leerwerden seines Willens- und religiösen Lebens, das Leerwerden auch seiner sozialen Impulse.
Wir stehen an dem Zeitpunkte, wo erlebt werden können die Früchte des Agnostizismus,[k] der als Theorie begonnen hat, der aber als eine Art von Lebenspraxis überall heute schon unser soziales Leben durchzieht. Und im Leben ist alles im Grunde genommen nicht nur eine Wirkung von der einen nach der andern Seite, sondern auch von der andern Seite nach der ersten zurück. Wenn der Mensch heute drinnensteht in einem praktisch-technischen Leben, das seine Subjektivität, das seine Persönlichkeit ganz auszuschalten strebt, wenn er sich selbst in eine Lage gebracht hat, in der sein Wille an innerer Leerheit, seine Gefühle und Empfindungen an einer gewissen Stumpfheit kranken, dann können wir sehen, wie das alles wiederum zurückwirkt auf das Vorstellungsleben. Dadurch ist der Mensch heute zu einer gewissen Bequemlichkeit in seinem Vorstellungsleben gekommen.
Es ist heute durchaus so, daß man sagen kann: Was auch immer auftaucht an Anschauungen, an Impulsen, um den Niedergangskräften Aufgangskräfte entgegenzusetzen - das menschliche Vorstellungsleben ist nicht mehr empfänglich genug, das menschliche Vorstellungsleben entwickelt passive, aber nicht innerlich aktive Kräfte, artet sich nicht mehr so, daß es etwas mit Enthusiasmus ergreifen kann, um zu sehen, ob es standhält im Leben. Dieses innerlich Tätige des Vorstellungslebens ist einer gewissen Bequemlichkeit gewichen. Wenn man irgend etwas hört, was einem ungewohnt ist, was man nicht selbst schon gedacht hat, möchte man nicht das Innere so anstrengen, daß nun anders konturierte Vorstellungen, anders tangierte Vorstellungen aufleben in einem als diejenigen, die schon dagewesen sind. Man prüft nicht eigentlich an dem inneren Leben, das einem ermöglicht ist, dasjenige, was auftaucht, sondern man fragt nur: Bin ich gewöhnt daran, daß solche Vorstellungen in mir auftauchen? - Findet man, daß man nicht gewohnt ist, daß solche Vorstellungen auftauchen, wie sie einem entgegengebracht werden, dann läßt man sich nicht auf sie ein. Ich will nicht einmal sagen, daß man immer energisch ablehnt, sondern man greift gar nicht an, man läßt die Vorstellungen vorübergehen.
Stuttgart, 29.Aug.1921 ☽ (in «GA 78»; S.20ff)
Andere Stimmen
Fragment 1505
Technische und wissenschaftliche Pädagogik: Der Lehrling darf noch nicht räsonieren. Erst muß er mechanisch fertig werden, dann kann er anfangen nachzudenken und nach Einsicht und Anordnung des Gelernten streben. Das voreilige Denken hält mehr auf, als daß es befördert. Diese Pflicht des wissenschaftlichen Anfängers gehört zu der allgemeinen Pflicht, seine Vernunft gefangen zu nehmen. Auch diese Gefangennehmung kann zur Kunst werden.
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Dritter Band»; S.217
13a Nun ist es aber der Metallurgie wie dem Ackerbau - der ebenfalls die Fruchtbarkeit der Erdmutter mit einbegriff - gelungen, im Menschen ein Gefühl des Vertrauens, ja des Stolzes zu erwecken. Der Mensch fühlt sich imstande, Mitarbeiter am Werk der Natur zu sein, imstande, bei den Wachstumsprozessen mitzuhelfen, die sich im Mutterleib der Erde vollziehen. Der Mensch ändert und beschleunigt den Rhythmus dieses langsamen chthonischen Reifens; irgendwie setzt er sich an die Stelle der Zeit, was einen Autor des 18. Jahrhunderts dazu veranlaßte, folgendes zu schreiben: „Was die Natur am Anfang getan hat, können wir ebenfalls vollbringen, wenn wir das Verfahren, das sie angewandt hat, bis zu seinen Anfängen zurückverfolgen. Was sie vielleicht noch, mit Hilfe der Jahrhunderte, in ihrer unterirdischen Einsamkeit unternimmt, können wir sie in einem einzigen Augenblick vollenden lassen, wenn wir ihr helfen und günstigere Bedingungen für sie schaffen. So wie wir Brot backen, könnten wir Metalle herstellen. Ohne uns würde die Ernte auf den Feldern nicht reifen; das Korn würde ohne unsere Mühlsteine nicht zu Mehl werden, noch das Mehl ohne Kneten und Backen zu Brot. Verständigen wir uns also mit der Natur über die Arbeit an den Mineralien, wie auch über die Arbeit des Ackerbaus, und die Schätze werden sich uns erschließen”¹⁵.
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15 Jean Reynaud, Etudes encyclopédiques, vol. IV, S. 487, zitiert von [A.] Daubrée, [„La génération des minéraux métalliques dans la pratique des mineurs du Moyen Age” (Journal des Savants, 1890)] (Anm. 14), S. 383.
S.51f
13b Der Alchemist, ebenso wie der Schmied und vor diesem der Töpfer, ist ein „Meister des Feuers”. Durch das Feuer bewirkt er den Übergang der Materie von einem Zustand in einen anderen. Der Töpfer, dem es zum ersten Mal dank der Kohlenglut gelang, die „Formen”, die er dem Ton gegeben hatte, weitgehend zu härten, muß die Trunkenheit eines Demiurgen [~ Erbauers] empfunden haben: er hatte ein Agens der Wandlung entdeckt. Was die natürliche Hitze - jene der Sonne oder des Erdinnern - langsam reifen ließ, vollbrachte das Feuer in einem unvermuteten tempo. Die demiurgische Trunkenheit entsprang jenem dunklen Vorgefühl, daß das große Geheimnis darin bestehe, zu lernen, wie man es „schneller machen” könne als die Natur, das heißt - weil man es immer in die Ausdrucksweise des archaischen Menschen und seiner geistigen Erfahrung übersetzen muß - wie man ohne Gefahr in den Entwicklungsprozeß des umgebenden kosmischen Lebens einzugreifen vermöge. Das Feuer erwies sich als Mittel, „schneller zu machen”, aber auch etwas anderes zu machen als das schon in der Natur Vorhandene. Es war also die Manifestation einer magisch-religiösen Kraft, welche die Welt verwandeln konnte und infolgedessen nicht dieser Welt angehörte. Das ist der Grund, weshalb schon die archaischen Kulturen den Repräsentanten des Sakralen - den Schamanen, den Medizinmann, den Zauberer - für einen „Meister des Feuers” halten. Die primitive Magie und der Schamanismus schließen die „Meisterung des Feuers” ein, sei es, daß der Medizinmann ungestraft die Kohlenglut berühren kann, sei es, daß er imstande ist, im eigenen Körper eine „innere Glut” zu erzeugen, die ihn „brennend”, „glühend” macht und ihm erlaubt, der äußersten Kälte zu widerstehen.
Wir können hier ein Problem nur streifen, das wir an anderer Stelle untersucht haben¹. Es sei nur vermerkt, daß die „Erzeugung des Feuers” im eigenen Körper ein Zeichen dafür ist, daß man die menschliche Natur überwunden hat. Den Mythen gewisser archaischer Völker zufolge besaßen die Ahnfrauen „von Natur” das Feuer in ihren Geschlechtsorganen; sie nutzten es, um ihre Nahrung zu kochen, verbargen es aber vor den Männern. Denen gelang es jedoch, sich seiner durch List zu bemächtigen². Diese Mythen widerspiegeln Erinnerungen an eine matriarchalische Ideologie, wie auch die Tatsache, daß man glaubte, das Feuer durch Aneinanderreiben zweier Holzstücke, daß heißt durch deren „sexuelle Vereinigung” erzeugt, befinde sich „von Natur” in jenem Holzstück, welches das Weibliche darstellte. Dank dieser Symbolik ist die Frau auf dieser Kulturstufe „von Natur” Zauberin. Den Männern gelang es aber, das Feuer zu „meistern”, und schließlich wurden die Zauberer mächtiger und zahlreicher als die Zauberinnen. In Dobu sagen die Eingeborenen, die Zauberer und Zauberinnen flögen durch die Nacht und man könne die von ihnen hinterlassenen Feuerspuren sehen³.
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1 Siehe unser Buch Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, dem wir die meisten der folgenden Beispiele entnehmen.
2 Sir James Frazer, Mythes sur l'origine du feu (Paris 1931), S. 36 f. (Australien), S. 59 f. (Neu-Guinea), S. 66 (Tobriandinseln), S. 108 (Marquesas-Inseln), S. 161 f. (Südamerika).
3 Eliade, a. a. O. (Anm. 1), S. 347, nach R. F. Fortune, Sorcerers of Dobu (London 1932), S. 150 f.
S.83f
13c Für unseren Zweck genügt es, ganz kurz gewisse alchemistische Symbole und Verfahrensweisen hervorzuheben und ihren Zusammenhang mit den archaischen Symbolen und Techniken, die mit der Entwicklung der Materie in Verbindung stehen, aufzuzeigen. Wir glauben, daß die Vorstellungen, welche die Erdmutter und die [Tone,] Erze und Metalle betreffen, vor allem aber die Erfahrung des archaischen Menschen, der mit den Arbeiten [mit Lehm,] im Bergwerk, am Schmelzofen und in der Schmiede beschäftigt war, als eine der Hauptquellen der Alchemie [l] zu betrachten sind. Die „Eroberung der Materie” hat sehr früh begonnen, vielleicht schon mit der Altsteinzeit, das heißt, als es dem Menschen nicht nur gelungen war, Werkzeuge aus Feuerstein herzustellen, sondern auch sich des Feuers zu bedienen, um den Zustand der Materie zu verändern. Jedenfalls waren gewisse Techniken - in erster Linie der Ackerbau und die Töpferei - schon während der Jungsteinzeit voll entwickelt. Sie waren aber auch zugleich Mysterien, denn sie umfaßten einerseits die Heiligkeit des Kosmos und wurden andrerseits durch Initiationen als „Berufsgeheimnis” weitergegeben. Das Pflügen und das Brennen des Tones, wie etwas später die Arbeit im Bergwerk und in der Metallurgie, stellten den archaischen Menschen in eine Welt, die mit Heiligkeit gesättigt war. Es wäre vergeblich, seine Erfahrungen wieder lebendig machen zu wollen, denn zu lange schon ist der Kosmos, vor allem infolge des Triumphes der Experimentalwissenschaften, seiner Heiligkeit beraubt. Die modernen Menschen sind außerstande, in ihrer Beziehung zur Materie das Numinose [m] zu erleben; sie können es höchstens in ästhetischer Hinsicht tun; für sie ist die Materie vor allem ein „Naturphänomen”. [...]
S.149f
Mircea Eliade
aus «Schmiede und Alchemisten»
14 Mit dem Wort Vita activa sollen im folgenden drei menschliche Grundtätigkeiten zusammengefaßt werden: Arbeiten, Herstellen und Handeln. Sie sind Grundtätigkeiten, weil jede von ihnen einer der Grundbedingungen entspricht, unter denen dem Geschlecht der Menschen das Leben auf der Erde gegeben ist.[n]
Die Tätigkeit der Arbeit entspricht dem biologischen Prozeß des menschlichen Körpers, der in seinem spontanen Wachstum, Stoffwechsel und Verfall sich von Naturdingen nährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet, um sie als die Lebensnotwendigkeiten dem lebendigen Organismus zuzuführen. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben selbst.
Im Herstellen manifestiert sich das Widernatürliche eines von der Natur abhängigen Wesens, das sich der immerwährenden Wiederkehr des Gattungslebens nicht fügen kann und für seine individuelle Vergänglichkeit keinen Ausgleich findet in der potentiellen Unvergänglichkeit des Geschlechts. Das Herstellen produziert eine künstliche Welt von Dingen, die sich den Naturdingen nicht einfach zugesellen, sondern sich von ihnen dadurch unterscheiden, daß sie der Natur bis zu einem gewissen Grade widerstehen und von den lebendigen Prozessen nicht einfach zerrieben werden. In dieser Dingwelt ist menschliches Leben zu Hause, das von Natur in der Natur heimatlos ist; und die Welt bietet Menschen eine Heimat in dem Maße, in dem sie menschliches Leben überdauert, ihm widersteht und als objektiv-gegenständlich [o] gegenübertritt. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Herstellens steht, ist Weltlichkeit, nämlich die Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und Objektivität.
Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt. Die Grundbedingung, die ihr entspricht, ist das Faktum der Pluralität, nämlich die Tatsache, daß nicht ein Mensch, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern. Zwar ist menschliche Bedingtheit in allen ihren Aspekten auf das Politische bezogen, aber die Bedingtheit durch Pluralität steht zu dem, daß es so etwas wie Politik unter Menschen gibt, noch einmal in einem ausgezeichneten Verhältnis; sie ist nicht nur die conditio sine qua non [~ Bedingung, ohne die (es) nicht (geht)], sondern die conditio per quam [~ Bedingung, durch die (es geht)]. Für Menschen heißt Leben - wie das Lateinische, also die Sprache des vielleicht zutiefst politischen unter den uns bekannten Völkern, sagt - soviel wie »unter den Menschen weilen« (inter homines esse) und Sterben soviel wie »aufhören unter den Menschen zu weilen« (desinere inter homines esse). [...]
Hannah Arendt
aus «Vita activa»; S.16f
15
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben.
[...]
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein!
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei!
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise!
[...]
Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl die Massen sind im Fluß.
Laßts mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.
[...]
Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein:
Sehn wirs überglast erscheinen,
Wirds zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
[...]
Wohl nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch
Doch, bevor wirs lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch.
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießts mit feuerbraunen Wogen.
[...]
In die Erd ists aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt;
Wirds auch schön zu Tage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.
[...]
Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hülle, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielts im Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Friedrich v.Schiller
Auszüge aus dem „Lied von der Glocke”
in «Sämtliche Werke Bd.IV»; S.293ff
16 Diese Schilderung [dass die Technik in den Hintergrund gedrängt wird] klingt zwar heute noch utopisch. Aber sie ist nicht nur eine mögliche, sondern eine recht realistische Vision der Welt von morgen. Pläne, Projekte, Experimente, hier und da auch schon Verwirklichungen weisen in diese neue Richtung. Vieles, was gestern noch als unökonomisch und daher als undurchführbar abgelehnt wurde, erwies sich als durchaus machbar. Anfang der sechziger Jahre hieß es z.B., die Verlegung von Überlandkabeln unter der Erde sei zu kostspielig und könne nur in Ausnahmefällen stattfinden. Anfang der siebziger Jahre wurden im Zeichen des erwachten »Umweltbewußtseins« bereits Hunderte Kilometer von Stromleitungen eingegraben. Einerseits hatten Verbesserungen auf den Gebieten des Tiefbaus und der Elektrotechnik die Kosten gesenkt, andererseits mußten und konnten staatliche und private Werke mit einemmal doch die notwendigen, gestern noch als »untragbar« bezeichneten Mehrlasten übernehmen.
Eine entscheidende Rolle in diesem Wandlungsvorgang spielte die zunächst unbeachtete, später verspottete Zivilisationskritik der Intellektuellen. Sie weckte das Unbehagen an den Apparaturen, die sich das Lebendige zu unterwerfen und oft unwiderruflich zu zerstören begannen, schon zu einer Zeit, da der Nimbus der Technik noch sehr groß war und sie als eine Art moderne »Religion« angesehen wurde, gegen die nur rückständige »Ketzer« etwas einwenden konnten. Seither zeigte es sich aber, daß die angeblich wirklichkeitsfremden Intellektuellen die Realität besser beurteilt hatten als die »Praktiker«, weil ihr Begriffsrahmen weiter gespannt war. Die sogenannten »Realisten« hingegen, die weder Nebeneffekte noch längerfristige Folgen der Industrialisierung hatten sehen wollen, waren bei ihrer »streng seriösen« Beurteilung der Lage weniger ernsthaft gewesen als der geniale Filmkomiker Charlie Chaplin, der in seinem Meisterwerk »Modern Times« beim Kampf mit dem Fließband die beschämende Lächerlichkeit einer inhumanen Produktionsweise sehr früh bloßgestellt hatte.
Doch erst die menschheitsgefährdende Grenzüberschreitung der technischen Entwicklungsmöglichkeiten in den Atombombenexplosionen von Hiroshima, Bikini, Eniwetok und Nowaja Semlja verwandelte Unbehagen in weltweite Furcht, erschütterte das Dogma vom unbefleckten und unausweichlichen technischen Fortschritt, dem man sich zu fügen und anzupassen habe.[p]
[...]
Ist es überhaupt richtig, von »der Technik« zu sprechen? Nach Ansicht des englischen Ingenieurs und Erfinders Professor Meredith Thring (Marylebone College, London) haben wir bisher noch gar nicht versucht, eine »kreative Technik« zu konstruieren, sondern uns mit einer »cheap technology«, einer »schäbigen Technik«, zufriedengegeben, die ausschließlich der Zielsetzung unterworfen ist, billig, profitabel, sparsam und schnell zu produzieren. Seiner Ansicht nach könnten Forscher und Ingenieure schon längst menschen- und umweltfreundlichere Apparaturen konstruieren, wenn man sie nur ließe und die Rücksichtnahme auf Mensch und Umwelt in ihren Entwürfen eine mindestens ebenso große Rolle spielen dürfte wie wirtschaftliche Bedingungen.
Über der Welt der Maschinen steht heute noch, alle anderen Motive überragend, das Motto der Auftraggeber: »Mehr Leistung! Mehr Gewinn!« Diese Leitsätze erweisen sich aus größerer Entfernung als trügerisch, denn diese an Effizienz und Profit ausgerichtete Technik bringt zwar raschen Gewinn, aber infolge ihrer schädlichen Nebenwirkungen übergroße »soziale Kosten« und langfristigen Verlust.
Robert Jungk
aus «Der Jahrtausendmensch»; S.31f
17a Leupold unterscheidet zwischen Kräften und Maschinen: „Ich halte aber vor besser alles dasjenige, was eine Bewegung verursachet, eine Krafft und alles, was die Krafft vermehret, eine Maschine zu nennen” ([«Theatrum Machinarum Generale»,] Bd. I, 114).
Durch diese Unterscheidung richtet Leupold die Aufmerksamkeit auf die Frage des Antriebs von Maschinen und arbeitet damit der späteren Unterscheidung von Kraftmaschinen und Werkzeugmaschinen vor. In der traditionellen Auffassung der mechanischen Künste ging es fast ausschließlich um das Umlenken und das Transformieren von Bewegungen. Woher aber diese Bewegungen kamen, worin sie ihren Antrieb hatten, war nicht ausdrücklich Gegenstand dieser Mechanik. Dies lag an der zugrundeliegenden Naturphilosophie, die ja selbst kräftefrei war. Sie enthielt nur natürliche Bewegungen bzw. die Tendenzen der Elemente, ihren natürlichen Bewegungen zu folgen. Mechanik verstand sich nicht so sehr als Ausnutzung dieser Tendenzen, sondern als List, durch die die Elemente von ihren natürlichen Bewegungen abgelenkt wurden. Insofern ist der Einzug des Kraftbegriffs in die Techniktheorie auch eine Folge der neuzeitlichen Naturwissenschaft. Hier war in der Auseinandersetzung zwischen Leibnizianern und Cartesianern der Begriff der lebendigen Kraft, der vis viva, gebildet worden. Mit diesem Begriff wollte man das Vermögen „anderes zu bewegen”, das in einem bewegten Körper steckt, fassen. Wenn Leupold von Kraft spricht, meint er damit lebendige Kraft: Es sind die lebendigen Kräfte, die die Maschinen antreiben. In Bd. I, 114 unterscheidet er einerseits die Kräfte der lebenden Kreatur, nämlich Mensch und Tier, andererseits die der leblosen Geschöpfe und schließlich die der Federn. Die Kräfte der leblosen Geschöpfe - das sind die Kräfte der vier Elemente. Leupold zählt auf: 1. Wind, 2. Feuer, 3. Wasser und 4. Gewicht oder alle „Schwehre der Körper”. [...]
S.265f
17b Die Gliederung der Technologien, wie sie bei Leupold zu finden ist, basiert bereits auf einem vereinheitlichenden Gesichtspunkt, nämlich der Frage nach dem Antrieb der Maschinen. Die Naturkräfte Feuer, Wasser, Erde und Luft erscheinen unter diesem Gesichtspunkt als qualitativ unterschiedliche lebendige Kräfte. Dieser Gesichtspunkt gewann seit dem 18. Jahrhundert für die Geschichte der Technik immer größere Bedeutung, insofern die Entwicklung der Kraftmaschinen mit der Erfindung der Dampfmaschine überhaupt erst einsetzte. Die nächsten Schritte waren der Elektro- und der Verbrennungsmotor. Trotzdem ist die Leupoldsche Ordnung der Techniken nicht fortgeführt worden. Im Gegenteil setzt mit der Erfindung der Dampfmaschine eine Entwicklung ein, die zu einer Identifizierung der verschiedenen lebendigen Kräfte und zu einer Vergleichgültigung ihrer qualitativen Unterschiede führte. Die Dampfmaschine selbst ist das Symbol der Vereinheitlichung: Sie ist, wie Carnot sagt, eine Maschine, die die lebendige Kraft des Feuers zu nutzen erlaubt. Das geschieht aber, indem sie in die Kraft der Luft transformiert wird - nämlich die Spannkraft des Dampfes, und diese wird wiederum in mechanisch-lebendige Kraft umgesetzt, später dann diese durch Generatoren wiederum in elektromotorische Kraft. Es ist der Satz von der Erhaltung der Energie [q], als Prinzip zunächst formuliert von Robert Mayer [r] und dann mathematisch durchgeführt für alle möglichen lebendigen Kräfte durch Hermann von Helmholtz, der in der Technikgeschichte die Vier-Elementenlehre zu ihrem Ende führt: die Kräfte des Feuers, des Wassers, der Erde und der Luft - all das ist im Grunde Energie.
Gleichwohl trifft die Annahme nicht zu, daß die qualitativen Unterschiede der Elemente in der gegenwärtigen Technik keine Rolle spielen. Es gibt die Aero- und die Hydrodynamik, ferner den Wasserbau und eine hochspezialisierte Verbrennungstechnologie. Am stärksten aber ist die Prägung von Technologien durch die klassischen vier Elemente dort, wo sie auch heute noch der Auseinandersetzung mit den Naturgewalten dienen, dem Schutz vor Naturkatastrophen - Fluten, Stürmen, Vulkanausbrüchen und Erdbeben - bzw. der Bewältigung ihrer Folgen.
S.268f
Gernot und Hartmut Böhme
aus «Feuer Wasser Luft Erde»
18 Rosa Mayreder zitiert einmal Darwin, der in seiner Autobiographie gesteht, schon seit vielen Jahren keinen Vers mehr lesen zu können: «Mein Geist scheint eine Art Maschine geworden zu sein, um aus großen Tatsachensammlungen allgemeine Gesetze zu destillieren.» Und sie stellt dazu fest: «Eine solche Maschine zu sein, gilt unter dem Gesichtspunkt der intellektuellen Zivilisationswerte [s] als Kennzeichen der ‹wahrhaft männlichen› Geistesbeschaffenheit.»⁵
Heute leben wir in einer Zeit, in der sich die «wahrhaft männliche Geistesbeschaffenheit» ihre «Inkarnation» in Computern verschafft hat, in der sie darauf sinnt, das menschliche Dasein dem technologischen Modell anzugleichen. Als «Robotertum» bezeichnet Mary Daly einmal die «Reduzierung eines Lebens im Zustand der Knechtschaft auf mechanische Bewegungen». Robotertum ist zwar nicht geschlechtsspezifisch - die Reduzierung betrifft Frauen und Männer, aber wiederum nicht gleichermaßen. Die auf die Funktion eines Roboters reduzierte Frau würde perfekt den Wünschen von MANN entsprechen, wäre die technologisch perfekte Version von FRAU. «Der Marsch des mechanistischen maskulinen Fortschritts hat die Auslöschung der weiblichen sich-auf-die-Mitte-zubewegenden Realität zum Ziel.»⁶ Das heißt, Frauen erleben an sich selbst die Folgen des patriarchalen Denkens, des Denkens von MANN. Sie erleben an sich, was der Natur geschieht, wenn sie zum Gegenstand patriarchaler Wissenschaft wird, denn wo diese Denkweise herrscht, soll auch sie «zu Sachen gemacht und in den Bereich der Dinglichkeit verwiesen» werden.⁷
S.75f
5 Rosa Mayreder, Zivilisation und Geschlecht [in Zur Kritik der Weiblichkeit, Essays, Jena-Leipzig 1910], S. 63.
6 Mary Daly, Gyn/Ökologie. Eine Meta-Ethik des radikalen Feminismus, München 1986 (4. Auflage), S. 75.
7 Mary Daly, Reine Lust [Elemental-feministische Philosophie, München 1986], S. 78.
S.162
Dagmar Müller
aus «Das Eigene der Frauen»; S.75f
18a 9. März 1921
Nach langer Zeit wieder bei Goldscheid. Lissauer hatte erwähnt, er habe sich kürzlich sehr schlecht mit ihm gesprochen; nun erfuhr ich das Nähere. Es war eine Diskussion über das Radio, das Goldscheid für eine epochale Erfindung von ganz unberechenbarer Bedeutung hält, während Lissauer es mit Stefan Zweig als einen weiteren Schritt in der Mechanisierung der Kulturmenschheit betrachtet. Goldscheid neigt eben in allem zu der Coudenhoveschen¹⁴⁶ Anschauung, daß die Technik die große Erlöserin der Menschen ist, obwohl ja vorläufig alle technischen Errungenschaften nur dazu gedient haben, die Menschen noch oberflächlicher, noch gedankenloser, noch reizhungriger und noch zanksüchtiger zu machen. Gibt es denn irgendeine Errungenschaft, die nicht mißbraucht wird, wenn sie Menschen des Mißbrauches in die Hände fällt? Ich kann nicht glauben, daß die Erlösung des Menschen von außen kommen soll; alles liegt in der Beschaffenheit seiner Seele beschlossen. Und so wenig der innerliche Mensch durch äußere Einflüsse von seiner Richtung abwendig gemacht wird, so wenig können leere, oberflächliche, äußerliche Menschen das Heil in dem finden, was den innerlichen befriedigt.
Rosa Mayreder
S.242
146 Richard von Coudenhove-Kalergi, österreichischer Freimaurer und Pazifist, trat für die Sozialisierung von Nahrungsmitteln, Obdach und Kleidung ein. Gründer der Paneuropa-Bewegung.
S.311
aus «Tagebücher»
19 In zwei wesentlichen Aspekten war damit [t] ein grundlegender Wandel eingetreten. Wenn vereinfachte Modelle zunächst als Hypothesen Wirklichkeit [u] wurden und sich bewährt hatten, dann drängte sich die Frage auf, ob ihnen nicht auch irgendeine Form der Realität [u] entsprechen sollte. Mit anderen Worten, wenn das Fallen von Körpern im Vakuum zu einer besseren geistigen Konstruktion geführt hatte, sollte ihm doch auch eine dingliche Konstruktion folgen können: Vakuum sollte nicht nur denkbar, sondern auch machbar sein! Damit war die Technik in ihrer neuzeitlichen Form geboren. Nicht mehr nur Hilfsmittel zur Erleichterung der Alltagsplagen sollte sie erzeugen, fortan würde sie die Lebenswelt umgestalten und alte Formen des Handelns und der Tätigkeit durch neue ersetzen, die weniger Mühe und Plage erforderten.
Als noch fruchtbarer aber sollte sich die Tatsache erweisen, dass es nun gelungen war, allgemein gültige Aussagen zu erarbeiten, die nicht auf die Stütze durch die Autorität angewiesen waren. Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass Naturgesetze allgemeine Sätze sind, die keine Ausnahmen zulassen. Im Vakuum fallen alle Körper gleich schnell - ausnahmslos!
Herbert Pietschmann
aus «Aufbruch in neue Wirklichkeiten»; S.81
20 Weder die Träume der Humanisten noch die Begriffe der Philosophen und nicht einmal politisches Handeln haben zu der »Vereinigung in der Menschengattung« geführt, sondern nahezu ausschließlich die Entwicklung der abendländischen Technik. Hinzu kommt, daß, als Europa im Ernst anfing, seine Gesetze allen anderen Kontinenten vorzuschreiben,[v] es selbst schon sein Vertrauen in sie verloren hatte. Ebenso evident wie die Tatsache, daß die Technik die Welt vereinigt hat, ist, daß Europa in diese von ihm geeinigte Welt vor allem auch seine eigenen Auflösungsprozesse exportiert hat, den Zerfall aller geistigen, religiösen und politischen Traditionen, der die grandiose Entwicklung der Naturwissenschaften und den Sieg des Nationalstaates über alle anderen Staatsformen begleitete. Aber die Kräfte, die in Europa immerhin Jahrhunderte brauchten, bis die Sitten der Völker und die Institutionen ihrer Gemeinwesen wirklich unterminiert waren und welche den Ursprung ausschließlich in der geschichtlichen Entwicklung des Abendlandes haben, sprengten in wenigen Jahrzehnten die so anders gearteten Traditionen in allen übrigen Teilen der Welt.
Zwar haben zum ersten Mal in der Geschichte alle Völker der Erde [w] eine gemeinsame Gegenwart: Jedes Volk ist der unmittelbare Nachbar jedes anderen geworden, und Erschütterungen auf der einen Seite des Erdballs teilen sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit der gesamten Erdoberfläche mit. Aber diese faktische gemeinsame Gegenwart fußt nicht auf einer gemeinsamen Vergangenheit und garantiert nicht im mindesten eine gemeinsame Zukunft. Die Technik, die die Welt »geeint« hat, kann sie genausogut zerstören, und zwar gerade weil sie geeint ist. Daß die Mittel des globalen Verkehrs gleichzeitig mit den Mitteln globaler Zerstörung erfunden wurden, ist kein bloßer Zufall. [...] Sofern überhaupt ein Solidaritätsgefühl der technischen Einigung des Erdballs entspricht, dürfte es vor allem negativer Natur sein. [...] Was alle Völker heute miteinander gemein haben dürften, ist die Sehnsucht nach einer Welt, die ein bißchen weniger geeint ist.
Diese auf die Furcht vor globaler Zerstörung gegründete negative Solidarität ist begleitet von einer weniger evidenten, aber nicht weniger wirksamen Befürchtung politischer Natur. Positive Solidarität im Politischen kann es nur geben aufgrund gemeinsamer Verantwortlichkeit. Bürger eines Landes zu sein heißt, die Verantwortung für das, was öffentlich von der Regierung im Namen dieses Landes getan wird, mittragen zu müssen, und zwar ganz unabhängig von individueller »Schuld« oder »Unschuld«. Die Solidarität der Menschheit könnte eine globale Verantwortlichkeit in sich bergen, die schlechterdings untragbar ist. Es ist nur natürlich, daß die Reaktion auf die ungeheuren Gefahren und untragbaren Lasten der »Weltpolitik« politische Apathie ist, die sich auch in einem isolationistischen Nationalismus oder einer verzweifelten Rebellion gegen moderne Technik äußern kann. Allein die Tatsache, saß wir in eine globale Gegenwart gezwungen sind, der keine gemeinsame Vergangenheit entspricht und die daher alle Traditionen entleert und allen vergangenen geschichtlichen Ereignissen ihr spezifisches Gewicht raubt, würde genügen, uns den Idealismus, in dem der Humanismus und die Aufklärung den Begriff der Menschheit konzipierten, wie ruchlosen oder jedenfalls wirklichkeitsfremden Optimismus erscheinen zu lassen. [weiter]
Hannah Arendt
in „Karl Jaspers: Bürger der Welt”, 1957
aus «Menschen in finsteren Zeiten»; S.94ff
21a Gegenüber diesen verschiedenen Formen der Technophilie [x] gibt es auch ‹Technophobe›, die sich aus der modernen Technologie herausträumen, wie die mehrhundertjährige Bewegung der Amishs beispielsweise. Aber Technoskepsis ist nicht notwendigerweise radikal und drückt sich auch in dem Streben aus, nicht vollständig in der technischen Welt aufzugehen und unsere Verbindung zur Natur und zur Erde zu stärken. Dem Philosophen Bruno Latour folgend, geht es eher darum, das menschliche Bewusstsein inmitten des Lebendigen, inmitten von ‹Gaia›, dem Organismus Erde zu verankern.⁴ Sollten wir angesichts der technischen Welt, die uns von unserem natürlichen Teil, unserem [lebendigen] Körper abschneidet, unser Bewusstsein nicht eher wieder in der Erde verwurzeln und lernen, mit der Erde zu träumen? Hier zeichnet sich ein Gegengewicht zu einem ungezügelten technischen Fortschritt ab. Für andere europäische Philosophen, wie Bernard Stiegler [y] und sein Projekt ‹Ars industrialis›, geht es darum, die Technologie in der sozialen Dimension zu verwurzeln: Um der Bedrohung einer Automatisierung des Geistesleben durch die Informationstechnologien entgegenzuwirken, sollten wir überlegen, wie man den Spieß umdrehen kann, damit die Technologien vollständig in den Dienst eines freien Geisteslebens gestellt werden.
21b Welche Träume auch immer es sind, alle, die ihnen folgen, sind sich einig darin, dass es sich um eine spirituelle Wende der Menschheit handelt. Aber wohin? Ist es nicht wichtig, dass wir in diesem Traum der Technik erwachen und zu seinen Akteuren werden? Die technophilen Träume und die technophoben Albträume, die unsere Zivilisation unbewusst prägen, können, ins Bewusstsein gehoben, Quelle vielfältiger Debatten werden. Es sind Debatten über die Stellung von uns Menschen in einer technisierten Welt. Dafür sollten wir mit unserem Bewusstsein die technisierte Welt ebenso durchdringen wie die lebendige und die soziale Welt, wie den Kosmos. Dieses Durchdringen verlangt ein Verstehen und ein Hineinfühlen gleichermassen, bedeutet Distanz und Nähe zugleich.
4 Bruno Latour, Kampf um Gaia. Suhrkamp 2017.
Louis Defèche
in »das Goetheanum« 19·2022; S.5 [z]
Unsere Anmerkungen
a] siehe Mbl.7
b] Die Sprache Ahrimans redet durch allerlei Experten mittlerweile von der „notwendigen” Biomorphosierung der Technik.
c] siehe Mbl.5
d] „Dann bildete Jahwe Gott (יהוה אלהים) den Menschen (אדם) aus Staub (עפר) von dem Erdboden (אדמה) und blies in seine Nase (אפיו) einen Lebenshauch (נשמת חיים). So wurde der Mensch ein lebendes Wesen (נפש חיה).” (Gen.2,7)
Eine wesentliche Folge daraus schildert der Mythos von Kain und Abel.
e] siehe »TzN Mai 2020«
f] siehe Mbl.12
g] Mit dem Ausdruck „manganistisch” (abgeleitet von „magisch”) versuchte Ing.Reuleaux (Vortrag „Cultur und Technik” am 14.XI.1884 im niederösterreichischen Gewerbeverein) eine technische Lebenshaltung von einer „naturistischen” zu unterscheiden.
h] vgl. „Was tut der Engel in unserem Astralleib
i] siehe Mbl.16
k] vgl. J.Ortega y Gasset zum Agnostizismus
l] siehe Stichwort-Register
m] ein Begriff Rudolf Ottos für das unaussprechbar Geheimnisvolle, erschreckend, weil völlig anders, eine nur dem Göttlichen zukommende, evidente Eigenschaft
n] vgl. »TzN Okt.2019«
o] objektiv im Sinne von intersubjektiv, gegenständlich im Sinne von stofflich
p] siehe »TzN Apr.2003«
q] vgl. P.Teilhard de Chardin zur Energie
r] „Meine Behauptung ist [...]: Fallkraft, Bewegung, Wärme, Licht, Elektrizität und chemische Differenz der Ponderabilien sind ein und dasselbe Objekt in verschiedenen Erscheinungsformen.”
s] vgl. »TzN Nov.2003«
t] mit der Nuova Scienza Galileis, der das Experiment anstelle der Spekulation setzte
u] vgl. »TzN Jän.2004«: Anm.b
v] vgl. Mbl-B.54
w] vgl. N.Sachs „Völker der Erde
x] vgl. Mbl-B.47
y] Bernard Stiegler beschäftigte sich vor allem mit den Auswirkungen digitaler Technik auf das ökonomische, politische, psychologische und soziale Lebensfeld.
z] vgl. ders. Technik spirituell verstehen?
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB51.htm