zum IMPRESSUM
Merkblatt-
Beilage 41:
Zum Gespräch
„Was ist erquicklicher als das Licht?
- Das Gespräch”
J.W.v.Goethe
1 Buch als Gesprächspartner
Man nehme doch ein solches Buch, wie dieses ist, wie ein Gespräch, das der Verfasser mit dem Leser führt.
Rudolf Steiner
in «Wie erlangt man ...»; S.222
2 Dialog und Diskussion
„Gespräche nehmen einen bedeutenden Teil unseres Lebens ein”, gibt Karl-Martin Dietz zu bedenken.[a] Dabei unterscheidet er zwischen dem Dialog (aus dem griechischen ο διαλόγος ~ Wechselwort), also dem Zwiegespräch, und der Diskussion (lat. ~ wörtl. Zerschlagung).
Während es beim Dialog darum geht, gemeinsam einen Inhalt aufzubauen oder eine Lösung zum Wohl aller Beteiligten zu erreichen, will man bei der Diskussion lediglich den eigenen Standpunkt durchsetzen. Jener entwickelt sich aus dem Interesse an den Gedanken anderer Menschen, diese aus dem am eigenen Denken.
Die Vorgangsweise des Dialogs ist der Austausch von Blickwinkeln (Aspekten) - dies befördert eine Kultur des Nachfragens. Die der Diskussion ist das Herauskristallisieren von Gegensätzen - dies bringt eine Streitkultur zuwege.
Der Dialog versucht, zu überzeugen und zu inkludieren, also alle brauchbaren Argumente mit einzuschliessen. Die Diskussion hingegen versucht zu überreden und zu exkludieren, also unerwünschte Argumente auszuschliessen. Deshalb baut der Dialog auf Vertrauen zum Anderen auf, die Diskussion auf seine Beherrschung. So teilt jener das vorhandene Wissen so weit als möglich mit, dieser hält es so weit als möglich zurück, sodass geheimes Herrschaftswissen entsteht.
Im Dialog greifen wir Fragen auf, versuchen, uns verständlich auszudrücken, und streben an, initiatives Handeln zu wecken. In der Diskussion stellen wir Behauptungen auf, halten an Formalismen fest und streben Beschlüsse an, die zu vollziehen sind.
3 Dialogisches
Wie auch das eifrigste Aufeinanderzu-Reden kein Gespräch ausmacht (am deutlichsten zeigt das jener absonderliche Sport einigermaßen denkbegabter Menschen, den man zutreffend Diskussion, Auseinanderschlagung, nennt), so bedarf es hinwieder zu einem Gespräch keines Lauts, nicht einmal einer Gebärde. Sprache kann sich aller Sinnenfälligkeit begeben und bleibt Sprache.
[...]
Denn wo Rückhaltlosigkeit zwischen Menschen, sei es auch wortlose, gewaltet hat, ist das dialogische Wort sakramental geschehen.
S.15ff
Die Erörterung der Lage zwischen Juden und Christen hatte sich in einen Bund zwischen dem Christen und dem Juden verwandelt; in dieser Wandlung erfüllte sich die Dialogik. Die Meinungen waren versunken, leibhaftig geschah das Faktische.[b]
S.20
Das Dialogische ist nicht auf den Verkehr der Menschen miteinander beschränkt: es ist, so hat es sich uns gezeigt, ein Verhalten der Menschen zueinander, das sich in ihrem Verkehr nur eben darstellt.
Demnach scheint, mag auch Rede, mag auch Mitteilung zu entbehren sein, eins denn doch zum Mindestbestand des Dialogischen sinngemäß unablösbar zu gehören: die Gegenseitigkeit der inneren Handlung. Zwei Menschen, die dialogisch verbunden sind, müssen doch offenbar einander zugekehrt sein, sich also - gleichviel, mit welchem Maß von Aktivität oder gar von Aktivitätsbewußtsein - einander zugekehrt haben.
Es ist gut, sich das so kraß formelhaft vorzurücken. Denn hinter der formulierenden Frage nach den Grenzen einer erörterten Kategorie birgt sich eine Frage, die alle Formeln zersprengt.
S.23f
Ich kenne dreierlei Dialog: den echten - gleichviel, geredeten oder geschwiegenen -, wo jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, daß lebendige Gegenseitigkeit sich zwischen ihm und ihnen stifte; den technischen, der lediglich von der Notdurft der sachlichen Verständigung eingegeben ist; und den dialogisch verkleideten Monolog, in dem zwei oder mehrere im Raum zusammengekommene Menschen auf wunderlich verschlungenen Umwegen jeder mit sich selber reden und doch der Pein des Aufsichangewiesenseins entrückt dünken. Die erste Art ist, wie gesagt, selten geworden; wo sie sich erhebt, und sei es in noch so »ungeistiger« Gestalt, wird für den Fortbestand der organischen Substanz menschlichen Geistes Zeugnis abgelegt. Die zweite gehört zum unveräußerlichen Kerngut der »modernen Existenz«, wiewohl sich hier immer noch in allerlei Schlupfwinkeln die wirkliche Zwiesprache verbirgt und gelegentlich in ungebührlicher Weise, freilich immer noch öfter überlegen geduldet als geradezu anstoßerregend, etwa im Tonfall eines Bahnschaffners, im Blick einer alten Zeitungsverkäuferin, im Lächeln des Schornsteinfegers überraschend und unzeitgemäß hervortaucht. Und die dritte ...
S.43f
Dialogisches Dasein empfängt auch in der äußersten Verlassenheit eine herbe und stärkende Ahnung der Reziprozität, monologisches wird auch in der zärtlichsten Gemeinschaft nicht über die Umrisse des Selbst hinaustasten.
Mit dem von einigen Moralisten erdachten Gegensatz von »Egoismus« und »Altruismus« [c] darf dieser nicht verwechselt werden. Ich kenne Leute, die in der »sozialen Tätigkeit« aufgehen [d] und nie mit einem Mitmenschen von Wesen zu Wesen geredet haben; und andere, die keine persönlichen Beziehungen außer zu ihren Feinden haben, zu ihnen aber so stehen, daß es nur noch an denen liegt, wenn das Verhältnis nicht zum dialogischen gedeiht.
Mit der Liebe ist die Dialogik erst recht nicht gleichzusetzen. Ich weiß niemand in den Zeiten, der es fertiggebracht hätte, alle Menschen, denen er begnetete, zu lieben. Auch Jesus liebte unter den »Sündern« offenbar nur die lockeren, liebenswürdigen, die gegen das Gesetz, nicht auch die dichten, erbgutstreuen, die gegen ihn und seine Botschaft sündigten; doch er stand zu diesen wie zu jenen unmittelbar. Mit der Liebe ist die Dialogik nicht gleichzusetzen. Aber Liebe ohne Dialogik, also ohne wirkliches Zum-Andern-ausgehen, Zum-Andern-gelangen und Beim-Andern-verweilen, die bei sich bleibende Liebe ist es, die Luzifer heißt.
S.45f
Martin Buber
aus «Zwiesprache»
4 Freund- und Gegnerschaft
Ich erhoffe diesen Hinweisen zwei Arten von Lesern. Den amicus,[e] der um die Wirklichkeit weiß, auf die ich, mit einem Zeigefinger, den ich so austrecken möchte wie Grünewalds Täufer, hinweise, und den hostis oder adversarius,[f] der diese Wirklichkeit leugnet und darum mich, weil ich darauf als auf eine Wirklichkeit, also irreführend, hinweise, bekämpft; der also doch wohl das, was hier gesagt wird, ebenso ernst nimmt, wie ich selber, nach langem Warten schreibend was zu schreiben ist, es nehme, - ebenso ernst, nur eben mit negativem Vorzeichen. Den bloßen inimicus,[g] als den ich jeden ansehe, der mich aufs Ideologische abdrängen und da gelten lassen will, würde ich gern missen. Mathias Gruenewald: Kreuzigung, Detail (Isenheimer Altar) © GNU
Dem amicus brauche ich an dieser Stelle nichts zu sagen. Der Stundenschlag der gemeinsamen Sterblichkeit und des gemeinsamen Wegs schlägt an seine und meine Ohren, als stünden wir auch im Raum beisammen und kennten einander.
Dem adversarius aber - es genügt nicht, ihm an dieser Stelle zu sagen, worauf ich ihn hinweise: auf die Verborgenheit seines persönlichen Lebens, auf sein Geheimnis, [...] Es genügt nicht. Ich darf seinen schwersten Einwand nicht abweisen, ich muß den annehmen, wo und wie er erhoben wird, und muß antworten.
Martin Buber
aus «Zwiesprache»; S.67
5 Interview
Reines Fragenstellen, wie dies dem journalistischen oder wissenschaftlichen Interview eigen ist, kann nicht als Gespräch begriffen werden, obschon es in manchen Zeitschriften so genannt werden mag, irreführenderweise. In scharfem Gegensatz zum Gespräch erzeugt das Interview nämlich ein soziales Ungleichgewicht entweder zugunsten des Befragten oder des Fragenden.
Als Sonderformen des Interviews können die Meinungsumfrage, die heilberufliche Anamnese [h] oder die amtliche Befragung sowie das Verhör gelten, in denen jenes typische Ungleichgewicht besonders deutlich in Erscheinung tritt.
Ein gesprächsbereiter Mensch wird deshalb einem Interview zwar nicht ablehnend, jedoch distanziert gegenüberstehen.
6 Eu- und Dysphemie
„Waffenworte” nennt Stephan Siber einseitig dominierende Begriffe,[i] die euphemisch (verführerisch aufwertend) oder dysphemisch (verwerfend abwertend) eine störende Rolle im öffentlichen und privaten Diskurs spielen. Die Euphemie geht mit positiv verhüllenden Konnotationen vor, die Dysphemie mit negativ aufdeckenden; beides oft nur scheinbar. Diese semantischen Antinomien (Bedeutungsgegensätze) dienen der Überredung oder gar Mundtotmachung des oder der Andren, mithin dem Versuch, deren Bewusstsein zu unterlaufen oder gar abzuwürgen.
Geht es bei ersterer darum, das Wertvolle eines Gedankens oder einer Sache zu stark zu betonen, wie das etwa bei jeder Art Werbung geschieht, so wird letztere dazu verwendet, kritische oder oppositionelle Ansichten zu ächten. In beiden Fällen wird kaum auf die Wirklichkeit [k] eines Gedankens oder die Tatsächlichkeit [k] einer Sachlage eingegangen.
Beide Abweichungen vom Gespräch arbeiten einerseits mit prägnanten, jedoch vereinfachenden Ausdrücken, ja eigenen Wortschöpfungen, andrerseits mit ungenauen, verschwommenen Bildern, um das Konnotat (gefühlsbetonte Nebenbedeutung) zu Lasten des Denotats (begrifflicher Inhalt) in den Vordergrund zu schieben. Sie können bis zu sogenannten Totschlagargumenten gesteigert werden.[l]
7 Gesprächsraum
Nach Heinz Zimmermann hat jedes Gespräch seinen Ort und seinen Zeitrahmen samt den entsprechenden Umständen wie Aussehen und Stimme der Beteiligten oder Witterung. Der Gesprächsraum wird als einzigartiger Leib betrachtet, in den das Gespräch einfliesst, umso vollkommener, je besser Seelisch-Geistiges aufgenommen und ausgedrückt werden kann. Ein Gespräch ist gemeinsam gestaltete Zeit.
Im Sprechen fasst der Mensch einen unbestimmten Gedanken, grenzt ihn jedoch auch ein; ein Ganzes wird ausdifferenziert. Dabei erwacht der Mensch. Sprechen lernen wir inderregel unbewusst und spielerisch.
Im Zuhören ahmt der Mensch schlafähnlich das Gesprochene bis in dessen innere Bewegung nach; ein stummes Sprechen. Dies erfordert stetes Bewusstwerden im Sprachlichen, was wiederum erhellend ins eigene Sprachvermögen zurückwirkt.
Nur wenn zugehört wird, kann sinnvoll gesprochen werden, gerade auch im Selbstgespräch.
Sprache wird als lebendiges Bewegungswesen aufgefasst. Der Mensch ergreift es im Medium des Atems. Unter Mitanwendung von feinmotorischer Mimik und Gestik wird die Stimme erhoben und mit dem Kehlkopf geformt, dann mit Zunge, Zähnen und Lippen rhythmisch gestaltet. Die eigene wie die fremde Stimme mag als wohltuend oder störend empfunden werden; stets wird sie die Tiefe eines Gesprächs mitbestimmen.
Das Gespräch ist das Urphänomen des Miteinanders, des Sozialen.[m]
8 Weltbürgertum und Kommunikation
[vorher ...] Kant schlug einst den Historikern seiner Zeit vor, eine »Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« zu schreiben. Man könnte leicht nachweisen, daß Jaspers' gesamtes philosophisches Werk von den Anfängen in der Psychologie der Weltanschauungen (1919) bis zu der im Entstehen begriffenen »Weltgeschichte der Philosophie«³ in solch »weltbürgerlicher Absicht« konzipiert worden ist. Wenn die Solidarität der Menschheit sich auf etwas Zuverlässigeres stützen soll als auf die berechtigte Furcht vor des Menschen dämonischen [n] Möglichkeiten, wenn die neue universale Nachbarschaft aller Länder ein Ergebnis haben soll, das mehr verspricht als einen gewaltigen Zuwachs an gegenseitigem Haß und ein gewissermaßen universales Sich-gegenseitig-auf-die-Nerven-Fallen, dann muß in gigantischem Ausmaß ein Prozeß gegenseitigen Verstehens und fortschreitender Selbsterklärung einsetzen. Und genau wie die Voraussetzung für die Welt-Regierung nach Jaspers' Meinung Verzicht auf Souveränität zugunsten einer weltumfassenden »federation« ist, so ist die Voraussetzung für diese allgemeine Verständigung Verzicht, nicht auf eigene Tradition und politische Vergangenheit, sondern auf die bindende Autorität und allgemeine Gültigkeit, die Tradition und Vergangenheit stets für sich in Anspruch nahmen. Mit diesem Bruch, nicht mit Tradition, aber mit der Autorität von Tradition, betrat Jaspers das Gebiet der Philosophie. Die Psychologie der Weltanschauungen bestreitet den absoluten Charakter jeder Lehre, und stellt an ihren Platz eine allgemeine Relativierung, in welcher jeder spezifische philosophische Inhalt Mittel für individuelles Philosophieren wird. Das Gehäuse der traditionellen Autorität wird aufgebrochen, und die großen Inhalte der Vergangenheit werden frei und »spielerisch« miteinander in Verbindung gesetzt durch das gegenwärtige, lebendige Philosophieren, das mit ihnen kommuniziert. In dieser universellen Kommunikation, die durch die existenzielle Erfahrung des gegenwärtigen Philosophen zusammengehalten wird, werden alle dogmatischen metaphysischen Inhalte in Prozesse aufgelöst, in Gedankengänge, die durch ihre Wichtigkeit für mein gegenwärtiges Exisitieren und Philosophieren ihre chronologisch fixierte historische Position verlassen und in ein Geisterreich eintreten, in dem alle [einander] Zeitgenossen sind. Was immer ich denke, muß in dauernder Kommunikation bleiben mit allem, was je gedacht worden ist.[o]
S.96f
Hannah Arendt
in „Karl Jaspers: Bürger der Welt”, 1957
3 Vgl. Karl Jaspers, Weltgeschichte der Philosophie: Einleitung, aus dem Nachlaß hrsg. von Hans Saner, München - Zürich: Piper 1982 (Anm. d. Hrsg.)
S.347
aus «Menschen in finsteren Zeiten»
9 Gespräch
Mit Herrn Dubois und einem Philologen [...] fand er auch Gelegenheit, diese historischen Interessen im Gespräch ausschwingen oder neu anregen zu lassen, was ihm stets willkommene Erfrischung und Freude war.
Hermann Hesse
aus «Das Glasperlenspiel»; S.305
10 Gesprächsformen
[...] Es gibt so vielerlei Gesprächsformen. Auch der Monolog, der sich immer an einen ersonnenen oder wirklichen Hörer richtet, ist eine solche Gesprächsform, eine sehr deutsche Gesprächsform übrigens. [...] Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts ist diese Form des Gesprächs, das einen freien geistigen Reichtum voraussetzt, ist dieser Monolog der Weisheit sehr selten geworden. Und nun gar das Zwiegespräch, das ein glückliches Zusammentreffen von Umständen voraussetzt, wie rasch ging es unter in der Hast, wie mußte es sich verbergen vor Unberufenen als ein nur noch geraunter Austausch von Geheimnissen und Geständnissen. Gar so oft fehlte der Einklang gleichstrebender Freunde; anstatt gemeinsam zu suchen und zu ergänzen, anzuregen und aufzufassen, kämpte man unter dem Vorwand, einen Standpunkt zu verteidigen, um jene nackte, öde Macht der gegenwärtigen Stunde, die man innerlich in dem Augenblick verliert, in welchem man sie äußerlich gewinnt. Bisweilen mißbrauchte man das Wort, indem man es überschätzte, es an die Stelle des Lebens setzte; darin waren die Russen sehr stark. Nicht endende Gespräche hat ihre Epik aufgezeichnet, Gespräche, welche erdachte Figuren in Bahnen des Schicksals hineinrissen, wie schon Euripides es tat, als seien es die Worte, die das menschliche Ergehen wenden und leiten, während doch alle wirklichen Entscheidungen des Daseins stumm sind; oder im umgekehrten, im viel häufigeren Sinne mißbrauchte man das Wort, indem man es unterschätzte, es der Verlegenheit, der Neugier, dem Eigensinn oder niedriger, unmittelbarer Absicht dienstbar machte; kurz, das Wort blieb nicht dort stehen, wo es hingehört, nämlich entweder an die Stelle, an der es Wesentliches richtig bezeichnet, vom Gebet bis zum Bericht, oder dort, wo es dem wahren Spiel des Geistes dient, das eine zuchtvolle Leichtigkeit haben soll, durch welche es die Spannkraft des Denkens steigert und ihm Beute aus allen Fernen herbeibringt.
Dieses Gespräch gehört geselligen Völkern, wie den Griechen und den Franzosen, und seltenen, kurzen Epochen an. Es gehorcht der stillschweigenden Übereinkunft eines gleichgestimmten Geschlechtes.
Konversation ist ein echter Begriff der geselligsten aller [europäischen] Welten, der französischen. Es bedeutet ein stets wieder erneutes Sicheinanderzuwenden in einer bestimmten Taktfolge wie im Tanze, wobei das beherrschte Wesen, die geregelte Improvisation,[p] Raschheit und Leichtigkeit, Entspanntsein und Heiterkeit Vorbedingungen blieben, auch das Fechten, der blanke Hieb des in Worten aufblitzenden Witzes, die böse Finte, die kluge Parade, die Quarte, die Quinte; und zu alldem gehört auch der federnde Sprung und das lächelnde Sichneigen. Von alldem haben wir Heutigen nur seltene Überreste, fast nur den Abglanz gekannt.
Carl Jacob Burckhardt
in „Gespräche in Cressier” (1941) aus «Gesammelte Werke Bd.4»; S.231f
11 Veränderungen
Wenn wir uns beispielsweise unterhalten, dann haben wir kein festes System mehr, denn in dem Augenblick, wo wir unsere Unterhaltung beginnen, verändern wir uns. Wir treten in einen lebendigen Austausch miteinander ein, und die Unterhaltung geht in eine völlig unvorhersehbare Richtung. Haben Sie vorher den Computer hinsichtlich des Gespräches programmiert, dann wird dieser vorhersagen, dass das Gespräch in eine bestimmte Richtung geht und an einen Endpunkt gelangt. Das ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall. Im Gespräch tauchen plötzlich bestimmte Bilder auf, wobei man nicht weiß, ob man sie voneinander übernommen hat oder woher sie kommen.
Ich glaube, diese »Bilder« entstehen, wenn man gemeinsam wahrnimmt und aufmerksam zuhört. Wenn ein Gespräch, ein Dialog, sehr intensiv ist, dann führt die Kommunikation zur Kommunion. Es stellt sich dann nicht mehr die Frage, wer was gesagt hat, sondern man kommt zu dem Schluss, gemeinsam etwas entdeckt und herausgefunden zu haben, dessen man sich vorher nicht bewusst war. Man hat sich also geholfen, sich gegenseitig an etwas zu erinnern, das in allen Beteiligten bereits angelegt war.
Hans-Peter Dürr
aus «Es gibt keine Materie»; S.47f
12 Überzeugungen
[...] Ja, unsere Zeit zwingt uns vielleicht andere, nicht viel weniger fürchterliche und vor allem nicht weniger unentscheidbare Fragen auf. Denken wir nur an die Diskussionen über Abtreibung oder Euthanasie. Wütende Menschen kämpfen für ihre »Überzeugungen« - kaum jemand ist bereit zuzugeben, dass wir gar nicht wissen, wovon wir reden. Solange wir nicht wissen - aus geistiger Erfahrung, nicht aus Büchern und Predigten - wer das Wesen ist, das geboren wird und stirbt, und wer überhaupt derjenige ist, der lebt, können wir solche Fragen nicht adäquat beantworten. Einander aufgrund von »Überzeugungen« zu beschimpfen, ist allerdings viel einfacher und scheint sogar ein bestimmtes Vergnügen zu bereiten.
Laszlo Böszörmenyi
aus «Georg Kühlewind»; S.49f
Unsere Anmerkungen
a] in »die Drei« 6/2015; S.96f - siehe auch H.Arendt: Wahrheit und Gespräch
b] vgl. G.E.LESSING: „Jud' und Christ
c] Schliesslich handelt es sich dabei nicht um einen Gegensatz, sondern um eine Wechselwirkung.
d] womöglich fordernd bis hin zum Befehlston
e] Freund
f] Gegner
g] Feind (vgl. R.Steiner zu den Volksseelen Europas)
h] die erinnernde Aufnahme des Gesundheitsstands
i] in »das Goetheanum« 29-30·2015; S.4
k] vgl. »TzN Jän.2004«: Anm.b
l] vgl. mit Sprachtricks
m] vgl. J.W.v.Goethe zum Urphänomen
n] vgl. J.W.v.Goethe zum Dämonischen
o] was in der Gedankensphäre oder im kollektiven Unbewussten (nach C.G.Jung) ohnehin der Fall ist
p] vgl. Diverse zur Improvisation
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB41.htm