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Merkblatt-
Beilage 48:
Zusammengestellt für das
XIX. Sommerseminar
«Das Wegkind»: XXII.Garn
Nacht und Tag
Rudolf Steiner
1 Der physische Ausdruck all der Veränderungen, welche in der geistigen Welt geschahen, während die Menschenentwickelung durch die geschilderten Verhältnisse hindurchging, war die allmähliche Regelung der gegenseitigen Beziehungen von Sonne, Mond und Erde (und im weiteren Sinne noch anderer Himmelskörper). Von diesen Beziehungen sei als eine Folge der Wechsel von Tag und Nacht hervorgehoben. (Die Bewegungen der Himmelskörper werden durch die sie bewohnenden Wesen geregelt. Die Bewegung der Erde, durch welche Tag und Nacht entstehen, wurde durch das Wechselverhältnis der verschiedenen über den Menschen stehenden Geister bewirkt. Ebenso war auch die Bewegung des Mondes zustande gekommen, damit nach der Trennung des Mondes von der Erde, durch die Umdrehung des ersten um die zweite, die «Geister der Form»[a] auf den physischen Menschenleib in der rechten Art, in dem richtigen Rhythmus, wirken konnten.) Bei Tag wirkten nun das Ich und der astralische Leib des Menschen in dem physischen und dem Lebensleib. Bei Nacht hörte diese Wirkung auf. Da traten das Ich und der astralische Leib aus dem physischen und dem Lebensleibe heraus.[b] Sie kamen in dieser Zeit ganz in den Bereich der «Söhne des Lebens» (Engel),[c] der «Feuergeister» (Erzengel),[c] der «Geister der Persönlichkeit»[c] und der «Geister der Form». Den physischen Leib und den Lebensleib faßten in dieser Zeit außer den «Geistern der Form» noch die «Geister der Bewegung»,[a] die «Geister der Weisheit»[a] und die «Throne»[a] in ihr Wirkungsgebiet. So konnten die schädlichen Einwirkungen, welche während des Tages durch die Irrtümer des astralischen Leibes auf den Menschen ausgeübt wurden, wieder ausgebessert werden.
aus «Die Geheimwissenschaft im Umriß»; S.252f
2a Wenn wir noch einmal zurückblicken auf das, was wir angeführt haben, so können wir sagen, daß auch alle Arten von Anordnungen in der Zeit, von Verteilung in den Zeit- und Raumverhältnissen mit diesen Wesenheiten zusammenhängen. Daher ist uns im Okkultismus ein altes Wort erhalten zur Bezeichnung von diesen Wesenheiten, die wir in der Gesamtheit erkennen als den astralischen Leib der Erde, und dieses Wort würde, im Deutschen ausgedrückt, heißen: Geister der Umlaufszeiten. So daß also nicht nur der regelmäßige Jahresumlauf im Wachsen und Verwelken der Pflanzen, sondern auch der regelmäßige Umlauf, der sich in bezug auf den Erdplaneten in Tag und Nacht ausdrückt, von solchen Geistern bewirkt wird, welche zum astralischen Leib der Erde zu rechnen sind. Mit anderen Worten, alles, was mit rhythmischer Wiederkehr, rhythmischer Abwechslung, was mit dem Wechsel der Zeitverhältnisse und der Wiederholung der Zeitgeschehnisse zusammenhängt, das wird angeordnet von geistigen Wesenheiten, die alle zusammen zum astralischen Leib der Erde gehören und auf welche anwendbar ist der Name «Geister der Umlaufszeiten unseres Planeten». Und dasjenige, was der Astronom durch seine Berechnungen herausfindet von dem Umdrehen der Erde um ihre Achse, das ist dem okkulten Blick dadurch wahrnehmbar, daß er um die ganze Erde herum verteilt weiß diese Geister der Umlaufszeiten, welche wirklich die Träger der Kräfte sind, die die Erde um ihre Achse herum drehen. Es ist außerordentlich wichtig, daß man in dem astralischen Leib der Erde alles dasjenige sieht, was mit dem gewöhnlichen Wechsel zusammenhängt, mit dem Aufblühen und Verblühen der Pflanzen, aber auch alles das, was mit dem Wechsel, bis zu Tag und Nacht hin, in den Jahreszeiten,[d] in den Tageszeiten und so weiter zusammenhängt. Alles das, was so geschieht, ruft in dem Beobachter, der so weit gekommen ist, daß er mit seinem astralischen Leib aus seinem physischen und Ätherleib herausgehen und doch bewußt bleiben kann, den Eindruck von geistigen Wesenheiten hervor, die eben zu den Geistern der Umlaufszeiten gehören.
Damit haben wir gleichsam den zweiten Schleier hinweggezogen, den Schleier, der gewoben wird aus den Naturgeistern. Wir könnten sagen: Den ersten Schleier, der gewoben ist aus den sinnlich-physischen Eindrücken, den ziehen wir hinweg und kommen zum Ätherleib der Erde, zu den Naturgeistern. Dann können wir einen zweiten Schleier hinwegziehen und kommen zu den Geistern der Umlaufszeiten, die alles das, was in periodischer Weise wiederkehrt, was einem rhythmischen Wechsel unterworfen ist, regeln und anordnen.
S.37ff
2b Das ist außerordentlich wichtig, daß wir uns fühlen wie zum ganzen Planeten gehörig. Es drückt sich zum Beispiel, um eine Einzelheit zu sagen, für den genügend aufgewachten okkulten Blick dieses Leben mit dem Planeten so aus, daß der Mensch dann, wenn er so weit gekommen ist, daß sein Ich und sein astralischer Leib zugleich aufwachen, allerdings während des Tagwachens, wenn er in der Sinneswelt ist, die Sonne verfolgt, wie sie über den Himmel hin zieht von der Morgen- bis zur Abenddämmerung, daß ihm aber die Sonne nicht entschwindet, wenn er einschläft.[e] Wenn er einschläft, bleibt die Sonne mit ihm verbunden. Sie hört nicht auf zu leuchten, nur nimmt sie einen geistigen Charakter an. So daß der Mensch, wenn er nun wirklich während der Nacht dann schläft, die Sonne auch während der Nacht verfolgt. Der Mensch ist eben so, daß er mit den wechselnden Zuständen des Planeten nur insofern etwas zu tun hat, als er in seinem astralischen Leib lebt. Mit diesen wechselnden Zuständen des Planeten hat er aber dann nichts zu tun, wenn er sich seines Ich bewußt wird. Da wird er sich aller Zustände bewußt, die sein Planet durchmachen kann. Er, der Mensch, ergießt sich dann in die ganze Substanz des Planetengeistes.
S.43
Helsingfors, 4.Apr.1912 ♃ (in «GA 136»)
3 Wir haben nun im Laufe dieser Tage darauf aufmerksam gemacht, wie die verschiedenen Wesenheiten der einzelnen Hierarchien Nachkommen, sich abspaltende Wesenheiten haben, die sie herunterschicken in die Reiche der Natur, und wir haben kennengelernt, daß die Nachkommen der dritten Hierarchie die Naturgeister sind, daß die Nachkommen der zweiten Hierarchie die Gruppenseelen sind. Auch die Wesenheiten der ersten Hierarchie haben solche sich abspaltenden Nachkommen, und im Grunde genommen habe ich Ihnen bereits von einer anderen Seite her diese Wesenheiten beschrieben, welche die Nachkommen der ersten Hierarchie sind. Ich habe es Ihnen beschrieben in den allerersten Betrachtungen, als wir aufgestiegen sind zu den sogenannten Geistern der Umlaufszeiten, zu denjenigen Geistern, welche anordnen und dirigieren, was in den Naturreichen in rhythmischer Folge und Wiederholung geschieht. Die Wesenheiten der ersten Hierarchie spalten von sich ab diejenigen Wesenheiten, welche anordnen den Wechsel von Winter und Sommer, so daß die Pflanzen sprießen und wiederum verwelken; jene rhythmische Folge, wodurch zum Beispiel die Angehörigen einer gewissen tierischen Art eine bestimmte Lebenszeit haben, innerhalb welcher sie sich entwickeln von der Geburt bis zum Tod. Aber auch alles, was in den Naturreichen rhythmisch und sich wiederholend folgt, wie Tag und Nacht, wie Jahreswechsel, wie die vier Jahreszeiten - alles, was so rhythmisch folgt, alles, was auf sich wiederholendem Geschehen beruht, das wird geregelt von den Geistern der Umlaufszeiten, von den Nachkommen der Wesenheiten der ersten Hierarchie. Man kann diese Geister der Umlaufszeiten von der einen Seite charakterisieren, wie wir das vor einigen Tagen gemacht haben, und man kann sie jetzt ihrer eigenen Abstammung nach charakterisieren, wie wir das heute taten.
Helsingfors, 7.Apr.1912 ☉ (in «GA 136»; S.84f)
4 Auch noch einen anderen Strom von Ereignissen in der Zeit erlebt der Mensch mit, wenn er eine okkulte Entwicklung durchmacht. Im gewöhnlichen Leben wird dieser Strom von Ereignissen wenig wahrgenommen, aber er wird eben wahrgenommen bei einer Höherentwicklung der Seele: das ist der Tageslauf. Denn in gewisser Weise wirken mit minderen Kräften die Geister des Jahreslaufes auch herein in den Tageslauf. Ist es ja dieselbe Sonne, die den Jahres- und die den Tagesverlauf bedingt! Derjenige, der eine esoterische Entwicklung durchgemacht hat, der wird bald finden, daß eine solche Verwandtschaft besteht zwischen seinem Ätherleib und dem, was im äußeren Äther vorgeht, daß er sozusagen den Geistern des Morgens anders gegenüberstehen wird als den Geistern des Mittags und denen des Abends.[f] Die Geister des Morgens regen uns so an, daß wir uns da sozusagen angeregter fühlen in unserem Ätherleib zu einer Tätigkeit, die mehr nach dem Verstande, nach der Vernunft zuneigt, die mehr das Erlebte überdenken kann, die mehr das Beobachtete in der Erinnerung mit dem Urteil verarbeiten kann. Geht es gegen den Mittag zu, so nehmen diese Kräfte des Urteils nach und nach ab; der Mensch fühlt, wie innerlich die Impulse des Willens arbeiten. Wenn auch der Mensch gegen den Mittag zu anfängt, sozusagen in bezug auf die äußeren Arbeitskräfte weniger leistungsfähig zu sein als am Morgen: innerlich arbeiten die Willenskräfte mehr. Und wenn es dann gegen den Abend zugeht, dann kommen die produktiven Kräfte, das, was mehr mit der Phantasie zusammenhängt. So unterscheiden sich auch in bezug auf ihre Obliegenheiten die geistigen Wesenheiten, die ihre Kräfte in die Lebensäther-Verhältnisse der Erde hereinsenden.
Den Haag , 23.Mär.1913 ☉ (in «GA 145»; S.75)
5a [...] So paradox das für das erste Hören klingt: es ist der Tageslauf in einer gewissen Beziehung eine Zusammenfassung einer gewissen Summe von Naturgesetzen um uns herum in diesem Ganzen. Während des Tageslaufes gehen einfach in unserer Umgebung und durch uns hindurch Prozesse vor sich, welche, wenn man sie auseinanderlegt, in die verschiedensten physikalischen und chemischen Prozesse und so weiter zerfallen. Man kann sagen, eine Art Zeitorganismus ist der Tageslauf, ein Zeitorganismus, der in sich eine Summe von Naturprozessen faßt, die wir sonst im einzelnen studieren können.
Und eine größere Totalität ist der Jahreslauf. Wenn Sie nämlich zum Jahreslauf übergehen und alles ins Auge fassen, was während des Jahreslaufes mit der Erde und der Menschheit zusammenhängend im äußeren Sphärenbereich an Veränderungen geschieht - nehmen wir nur an im Luftkreise -, wenn Sie alles das zusammenfassen, was vom Frühling bis wieder zum Frühling an Vorgängen in den Pflanzen und auch in den Mineralien geschieht, dann haben Sie eine zeitlich organische Zusammenfassung von dem, was Ihnen sonst zerstreut bei den verschiedenen Naturuntersuchungen erscheint, so wie wir im menschlichen Organismus eine Zusammenfassung haben der Leber-, Nieren-, Milzvorgänge und so weiter. Es ist in der Tat der Jahreslauf eine organische Summierung - es ist nicht genau gesprochen, aber man muß eben Worte gebrauchen - von dem, was wir sonst im einzelnen naturwissenschaftlich untersuchen.
Man möchte sagen, etwas leichthin, aber es ist etwas sehr Tiefes damit gemeint, wie Sie fühlen werden: Damit der Mensch nicht jenes abstrakte Verhältnis zur Naturumgebung hat, das er zu den Beschreibungen der physikalischen und chemischen Experimente hat, oder zu dem, was ihm heute vielfach in der Pflanzenlehre oder Tierlehre gesagt wird, müssen ihm im Kosmos der Tageslauforganismus, der Jahreslauforganismus vorgestellt werden. Da findet er gewissermaßen seinesgleichen.
S.153f
5b Und wenn wir aufwachen, wenn das Ich und der astralische Leib wiederum zurückkehren, dann tritt all das sprießende und sprossende Leben des physischen und ätherischen Leibes zurück. Es beginnt für den geistsehenden Blick das Leben im physischen und ätherischen Organismus des Menschen dem Herbst- und Winterleben der Erde sehr ähnlich zu werden. Und man hat tatsächlich, wenn man den Menschen in einer Wachens- und Schlafensperiode hintereinander verfolgt, in kurzem ein mikrokosmisches Abbild von Herbst, Winter, Frühling, Sommer. Sie brauchen nur einen Menschen geisteswissenschaftlich vierundzwanzig Stunden hindurch als physischen und ätherischen Organismus zu verfolgen, und Sie machen einen Jahreslauf im Mikrokosmischen durch. So daß man sagen kann, wenn man bloß auf dasjenige vom Menschen schaut, was im Bette liegen bleibt oder bei Tag herumläuft: der Jahreslauf vollzieht sich mikrokosmisch.
S.157f
Dornach, 29.Dez.1922 ♀ (in «GA 219»)
6 Durch Jahrhunderte, seit dem 15. Jahrhundert, ist der Mensch in dieser Passivität der Begriffe erzogen. Und heute betrachtet er schon das wie eine Art von Sünde, wenn er innerlich tätig ist, sich seine Gedanken selber macht. Ja, die Naturgedanken kann man nicht selber machen. Man würde die Natur nur verunreinigen durch allerlei Phantastereien, wenn man die Naturgedanken selber machte. Aber man hat in sich den Quell des Denkens. Man kann eigene Gedanken machen, ja man kann die Gedanken, die man schon hat, weil sie ja eigentlich eben bloße Gedanken sind, mit innerlicher Wirklichkeit durchdringen. Wann geschieht das? Das geschieht dann, wenn der Mensch so viel Willen [g] aufbringt, daß er wiederum seinen Nachtmenschen in das Tagleben hineinschiebt, daß er nicht bloß passiv denkt, sondern seinen während des Schlafes unabhängig gewordenen Menschen [h] in seine Gedanken hineinschiebt. Das kann man nur mit den reinen Gedanken.
Eigentlich ist das der Grundgedanke meiner «Philosophie der Freiheit» gewesen, daß ich aufmerksam darauf gemacht habe: In das Denken, das sich der moderne Mensch erworben hat, kann er sein Ich-Wesen wirklich hineinschieben. Jenes Ich-Wesen, das er - ich konnte es dazumal noch nicht aussprechen, aber es ist so - während des Schlafzustandes in der modernen Zeit freikriegt, das kann er hineinschieben in das reine Denken. Und so wird der Mensch seines Ich-Wesens sich wirklich bewußt im reinen Denken, wenn er so die Gedanken faßt, daß er aktiv, tätig in ihnen lebt.
[...]
Mit anderen Worten: der Mensch ist im allgemeinen heute noch nicht dazu gekommen, die Realität, die er als unabhängige Realität im Schlafe erlebt, während des Wachlebens durch Willensstärke hineinzugießen in die Gedanken des Wachlebens. Wenn man Anthroposoph werden will in der Art, daß man die anthroposophischen Gedanken aufnimmt und dann nicht einfach passiv sich ihnen hingibt, sondern durch einen starken Willen dasjenige, was man während jeder Nacht im traumlosen Schlafe ist, hineingießt in die Gedanken, in die reinen Gedanken der Anthroposophie, dann hat man die erste Stufe desjenigen erklommen, was man heute berechtigt ist, Hellsehen zu nennen, dann lebt man hellsichtig in den Gedanken der Anthroposophie. [...] Wenn man ein anthroposophisches Buch liest, muß man mit seinem ganzen Menschen hinein, und weil man im Schlafe bewußtlos ist, also keine Gedanken hat - aber der Wille dauert fort -, muß man mit dem Willen hinein. Wollen Sie dasjenige, was in den Worten eines wirklichen anthroposophischen Buches liegt, so werden Sie durch dieses Wollen wenigstens gedankenhaft unmittelbar hellsichtig. [...]
Dornach, 3.Feb.1923 ♄ (in «GA 221»; S.36f)
7 Nun ist der Tag durch das ganze Jahr hindurch variabel. Im Frühling wird er lang, im Herbst wird er kurz, im Sommer ist er am längsten, im Winter am kürzesten. Der Tag wird metamorphosiert während des Jahres. Das rührt von einer der Ostwest-Strömung entgegenkommenden Strömung her, die von West nach Ost geht. Und das ist die Strömung der ersten Hierarchie,[a] der Seraphime, der Cherubime und Throne. Verfolgen Sie daher, wie sich der Tag ändert im Lauf des Jahres, gehen Sie vom Tag zum Jahr über, dann, meine lieben Freunde, dann kommen Sie hinüber in dasjenige, was Ihnen während des Schlafes begegnet als die entgegengesetzte Strömung.
Dornach, 25.Nov.1923 ☉ (in «GA 232»; S.52)
Andere Stimmen
13 [...] Ein eigentlich kosmogonischer Text wurde bis jetzt zwar noch nicht gefunden, doch lassen sich die entscheidenden Stadien der Schöpfung, wie die Sumerer sie dachten, aus einigen Anspielungen rekonstruieren. Die Göttin Nammu (deren Name mit jenem Bildzeichen wiedergegeben wird, das „Urmeer” bedeutet) wird gedacht als „Mutter, die Himmel und Erde gebar”,[i] sowie als „Ahnmutter, die alle Götter gebar”. Das Thema der als kosmisches und zugleich göttliches Ganzes gedachten Urwasser erscheint in archaischen Kosmogonien sehr häufig. Auch in Sumer identifiziert man die Wassermassen mit der Urmutter, die durch Parthenogenese das erste Paar, den Himmel (An) und die Erde (Ki) als Inkarnation des weiblichen und des männlichen Prinzips hervorbrachte. Dieses erste Paar war so eng miteinander verbunden, daß es im „hieros gamos” ineinander verschmolz.[k] Aus seiner Vereinigung entstand Enlil, der Gott der Luft. In einem weiteren Fragment erfahren wir, daß dieser letzere seine Eltern voneinander löste: der Gott An hob den Himmel nach oben, und Enlil nahm seine Mutter, die Erde, mit sich¹. Das kosmogonische Thema der Trennung von Himmel und Erde ist gleichfalls sehr verbreitet und auf verschiedenen Kulturstufen anzutreffen. Wahrscheinlich rühren aber die im Mittleren Osten und im Mittelmeergebiet aufgezeichneten Versionen in letzter Instanz von der sumerischen Tradition her.
_______
¹ Siehe S. N. Kramer, From the Tablets of Sumer 77ff; ders., The Sumerians 145.
Mircea Eliade
aus «Geschichte der religiösen Ideen I»; S.63f
Fragment 1216
Die Nacht ist zweifach: indirekte und direkte Asthenie. Jene entsteht durch Blendung, übermäßiges Licht. So gibt es auch eine Unbesonnenheit aus Mangel an Selbstreiz und eine Unbesonnenheit aus Übermaß an Selbstreiz - dort ein zu grobes, hier ein zu zartes Organ. Jene wird durch Verringerung des Lichts oder des Selbstreizes - diese durch Vermehrung derselben gehoben oder durch Schwächung und Stärkung des Organs. Die Nacht und Unbesonnenheit aus Mangel ist die häufigste. Die Unbesonnenheit aus Übermaß nennt man Wahnsinn. Die verschiedne Direktion des übermäßigen Selbstreizes modifiziert den Wahnsinn.
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Dritter Band»; S.128
14
Wahrlich, als erstes ist Chaos [τὸ Χάος] entstanden, doch wenig nur später
Gaia [ἡ Γαῖα], mit breiten Brüsten, aller Unsterblichen ewig
sicherer Sitz, der Bewohner des schneebedeckten Olympos,
dunstig Tartaros [ὁ Τάρτᾶρος] dann im Schoß der geräumigen Erde,
wie auch Eros [ὁ Ἔρος], der schönste im Kreis der unsterblichen Götter:
Gliederlösend bezwingt er allen Göttern und allen
Menschen den Sinn in der Brust und besonnen planendes Denken.
Chaos gebar das Reich der Finsternis: Erebos [τὸ Ἔρεβος] und die
schwarze Nacht [ἡ Νύξ l], und diese das Himmelsblau [τὸ Αἰϑήρ] und den hellen
Tag [ἡ Ἡμέρα m], von Erebos schwanger, dem sie sich liebend vereinigt.
Hesiódos v.A.
aus «Theogonie»; S.15
15
CHOR. Einzeln, zu zweien und vielen, abwechselnd und gesammelt.
Wenn sich lau die Lüfte füllen
Um den grünumschränkten Plan,
Süße Düfte, Nebelhüllen
Senkt die Dämmerung heran,
Lispelt leise süßen Frieden,
Wiegt das Herz in Kindesruh,
Und den Augen dieses Müden
Schließt des Tages Pforte zu.
Nacht ist schon hereingesunken,
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd,
Glänzen droben klarer Nacht;
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd,
Herrscht des Mondes volle Pracht.
Schon verloschen sind die Stunden,
Hingeschwunden Schmerz und Glück;
Fühl es vor! Du wirst gesunden;
Traue neuem Tagesblick!
Täler grünen, Hügel schwellen,
Buschen sich zu Schattenruh,
Und in schwanken Silberwellen
Wogt die Saat der Ernte zu.
Wunsch um Wünsche zu erlangen,
Schaue nach dem Glanze dort!
Leise bist du nur umfangen,
Schlaf ist Schale, wirf sie fort!
Säume nicht, dich zu erdreisten,
Wenn die Menge zaudernd schweift;
Alles kann der Edle leisten,
Der versteht und rasch ergreift.
Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.
ARIEL. Horchet! horcht dem Sturm der Horen!
Tönend wird für Geistesohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsentore knarren rasselnd,
Phöbus' Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt, und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
Johann Wolfgang v.Goethe
aus «Faust II», Erster Akt; S.137f
16a So bittet ein Alchemist (und er ist ein Kleriker!): »Horridas nostrae mentis purga tenebras, accende lumen sensibus!«[n] Daraus spricht wohl die Erfahrung der »nigredo«, der ersten Stufe des Werkes [opus], welche als »Melancholia« empfunden wurde und psychologisch dem Zusammentreffen mit dem Schatten [o] entspricht.
S.61
16b Die Schwärze, »nigredo« [oft durch einen Raben dargestellt], ist der Anfangszustand,[p] entweder als Eigenschaft der »prima materia«, des Chaos oder der »massa confusa« von vornherein vorhanden oder durch Zerteilung (solutio, separatio, divisio, putrefactio) der Elemente erzeugt. Ist der zerteilte Zustand vorausgesetzt, wie das gelegentlich vorkommt, dann wird die Vereinigung der Gegensätze durchgeführt unter dem Gleichnis der Vereinigung des Männlichen und des Weiblichen (sog. coniugum, matrimonium, coniunctio, coïtus), und dann tritt der Tod des Vereinigungsproduktes ein (mortificatio, calcinatio, putrefactio) mit entsprechender Schwärzung.
S.318
Carl Gustav Jung
aus «Psychologie und Alchemie»
17 Andere Frauen wurden durch ihr mustergültiges asketisches Leben zu Vorbildern für ihre Söhne; berühmt ist die Mutter des Schiraser Asketen Ibn Khafif (gest. 982), der sich als Jüngling in fast übermenschlichen Anstrengungen durch Fasten und Beten kasteite, weil er hoffte, in der lailat al-qadr, der Nacht [der Bestimmung q] am Ende des Ramadan, in der die erste Offenbarung des Korans [r] stattgefunden hatte, das göttliche Licht zu erschauen, das in dieser heiligen Nacht die Welt erleuchtet. Aber nicht er erblickte den himmlischen Lichtglanz, sondern seine fromme Mutter.
Annemarie Schimmel
aus «Meine Seele ist eine Frau»; S.90
18 Nacht für Nacht erscheinen am Firmament funkelnd die Sterne. Sobald der Tag verdämmert, treten sie aus dem Dunkel hervor. Sie sind nur nachts zu sehen, aber auch tagsüber stehen sie am Himmel, doch dann sind sie vom Sonnenlicht in die Unsichtbarkeit verdrängt. Immer sind sie da. Fortwährend ist die Erde umgeben von diesem glitzernden Gewölbe. Die gewaltige und doch zarte Sternbilderkugel umkreist unaufhörlich still und majestätisch die Welt, sie birgt und umhüllt sie. Die Nacht ist mächtiger als der Tag.
Elke Blattmann
aus «Geheimnisvolle Sternenwelt»; S.9
19a Was machen denn eigentlich die Sonne und das Licht mit mir und meiner Wahrnehmung? Tagsüber ignoriere ich sie zumeist - sie wäre auch zu hell, um hinzuschauen. Ich bemerke sie schließlich ohnehin, als Quelle dieser drückenden Kraft, die sofort wärmt, ja erhitzt, die auch etwas Anstrengendes hat. Auf die Umgebung geschaut, sorgt sie für voll ausgeleuchtete Flächen und harte, scharf begrenzte Schatten. Die Farbigkeit hingegen tritt zurück. Alles sieht blass und ein bisschen verstaubt aus. Räumlich wiederum sticht nichts heraus, ich sehe alles, aber es wirkt in seiner Einzelheit zugleich wie vereinheitlicht. Das Tageslicht betont die Gegenstandswelt, es meißelt sie förmlich heraus, und ich stehe mittendrin in dieser Welt, muss mich behaupten, bin aber auch frei.
Nachts, wenn man ganz in die Dunkelheit eintaucht, etwa ohne Kunstlicht spazieren geht, betritt man eine völlig andere Welt. Grenzen verschwimmen und verschwinden, alles geht ineinander über, mich selbst eingeschlossen. Ich sehe nicht, wo ich selbst ende und wo der Baum beginnt, den ich als schwarze Wolke vor mir wahrnehme. Doch das ist gar nicht beängstigend, im Gegenteil: Ich fühle mich in dieser Verbundenheit, in diesem Aufgelöstsein wohl. Leib und Seele fühlen sich nachts wie eins an, Seele und Welt ebenso. Man wird gewissermaßen groß und weit. Wo das Licht des Tages trennt, vereint die Dunkelheit der Nacht.[s]
Das Besondere am Dazwischen, der Mitte zwischen Licht und Dunkel, ist das Erscheinen der Farben [t] - nicht nur am Himmel, sondern alle Dinge tauchen am Morgen aus der schwarzen Verbundenheit auf und beginnen farbig, wie aus sich selbst heraus, zu leuchten. Und auch am Abend, wenn das grelle Licht die Welt wieder loslässt, leuchten die Dinge farbig auf, sehen wie herausgeputzt aus. Die Farben sind in der Dämmerung viel gegenwärtiger als die Dinge, zu denen sie gehören, sie führen in dieser Übergangszeit eine Art Eigenleben.
S.8
19b Zu Winter und Sommer gehören bei uns auch die unterschiedlichen Tageslängen. In Äquatornähe spielt das hingegen keine große Rolle. Die Tage sind über das ganze Jahr hinweg etwa gleich lang. Die Sonne geht steil auf und unter, sodass auch die Dämmerung sich nicht lange hinzieht. Rasch wird es am Morgen hell und am Abend stockfinster. Tag und Nacht grenzen so scharf und relativ unvermittelt aneinander.
S.11
Renatus Derbidge
in »die Drei« 7-8/2019
Unsere Anmerkungen
a] siehe Mbl.14
b] siehe Mbl.5
c] siehe Mbl.12
d] siehe R.Steiner zu den Jahreszeiten
e] vgl. Schauen der Mitternachtssonne bzw. Nikodemus sowie Mbl-B.53
f] Den Ägyptern stand Isis am Tor des Morgens, ihre Schwester Nephthys am Tor des Abends (vgl. Jachin und Boas); den langen Mittag beherrschte ihnen .
g] siehe Wollen
h] nämlich den Lichtmenschen, der über jedes Nirdvandva erhaben ist
i] vgl. Gen.1,2 sowie E.Bock zur Sumerischen Hochkultur
k] vgl. Geb und Nut
l] Išpanzašepa in der hethitischen Mythologie, Báau in der phönizischen, hebr. לילה (vgl. Lilith u. Sur.92,1), Nótt in der nordischen
m] Šiwat in der hethitischen Mythologie, hebr. יום (vgl. Gen.1,5 u. Sur.92,2), Dagr in der nordischen
n] Das schreckliche Nachtdunkel unseres Verstandes reinige, entzünde Licht den Sinnen!
o] vgl. Mbl-B.45
p] vgl. Mbl.15
q] vgl. Sur.97
r] nämlich Sur.96,1-5
s] vgl. das Gedicht Mondnacht im Gegensatz zu Diese Nacht, aber zB. auch »TzN Apr.2015«
t] siehe Mbl.22
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB48.htm