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Neudenken:
Lux und Lumen
Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen:
In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk.¹
Laotse
1 Die ganze Geschichte hindurch war der Raum wie die Leere im Innern von Laotses Tontopf. Nicht der Topf, sondern die Leere darin enthält, was immer wir wünschen. Seit wir den Begriff des Raums geschaffen haben,[a] hat er stets enthalten, was wir in ihn hineingelegt haben. Wir haben uns ihn in vielerlei Gestalt vorgestellt, und dieser Vorstellungsakt war entscheidend für das Bild, das wir uns vom Licht gemacht haben. Stattet man den Raum mit göttlichem Wesen aus, so ist das Licht gottähnlich; entdeckt man seine Form, wird das Licht geometrisch; füllt man ihn mit Materie, bekommt das Licht Substanz.[b] Von Moses bis Einstein ist die Geschichte des Lichts auch die Geschichte des Raums.
2 Der Bibel zufolge hat Gott [c] am ersten Schöpfungstag gesagt: «Es werde Licht.» Dieses erste Licht verstanden die frühen Kirchenväter als erhabene, geistige Wirklichkeit, die sie [lat.] lux [d] nannten und die für sie die Seele des Raums war. Sie, und nach ihnen die Gelehrten des Mittelalters, bemühten sich lange und eifrig, lux von seiner Emanation oder seinem körperhaften Pendant zu unterscheiden, das sie lumen nannten. Für uns [Materialisten] ist die Unterscheidung schwer zu fassen, doch für ihr Weltbild [e] war sie wesentlich.²
3 Lux ist nach dieser Auffassung das gottgegebene Licht, die Essenz des Lichts und als solche ein Widerschein des Schöpfers [in der Weisheit]. Laut Augustinus [f] ist es das einfachste, erhabenste, beweglichste und vielfältigste aller Körperwesen. Lumen dagegen ist das materielle Medium, das es uns ermöglicht, das Wesen des Lichts (der lux) wahrzunehmen. Im Glanz [g] der Sonne sehen wir ihre lux, doch dies gelingt uns nur mittels des unsichtbaren lumen, das jene mit uns verbindet. In der Zeit von Augustinus bis Galilei [h] schwand das Licht, das den Raum beseelte (lux), allmählich aus den Erörterungen, so daß nur noch seine feste materielle Spur (lumen) als fossiles Zeugnis für den wißbegierigen Naturphilosophen zurückblieb.
4 Das Licht war und ist ein faszinierender Gegenstand, denn, wie Leonardo schreibt: «Unter allen natürlichen Ursachen und Gesetzen weiß das Licht den Lernbegierigen am meisten zu entzücken.»³ Vom Leuchtkraft schenkenden Auge [i] im alten Ägypten bis zu den Quantenfeldtheorien unserer Tage hat das Licht den Raum stets seinen Bedürfnissen angepaßt.
5 Nach Grossetestes [k] Vorstellung ließ die Entfaltung des Lichts aus dem Urfeuer - seine Stufe um Stufe erfolgende Vervielfältigung - den Raum entstehen, bis es, verbraucht, am Rand des von ihm erschaffenen Universums erstarb.
6 Der Raum von Euklid und Brunelleschi ist reine Geometrie.[l] Licht und Blick pflanzen sich in Form von Strahlen fort, als Geometrie empfindungsfähiger Linien, die die Seele mit der Welt verbinden.
7 Für Descartes besitzt der Raum Dimensionen,[m] ist ausgedehnt und muß deshalb substanziell sein. Descartes konnte sich keinen ausgedehnten Raum getrennt von Substanz vorstellen. Wo eines ist, muß nach seiner Ansicht auch das andere sein. Wenn man bei Nacht oder tagsüber aufblicke, sehe man einen Himmel, der aus flüssigem Stoff gemacht sei, und die Planeten wirbelten in seiner Strömung wie Gras in den Strudeln eines Flusses.⁴ Das Licht, wie auch immer es beschaffen sein mag, muß dieses Medium durchqueren. Ende des 18. Jahrhunderts gilt der Äther als das materielle Medium;[n] seine Bewegungen sind das lumen, das es uns ermöglicht zu sehen, während lux kein Attribut Gottes mehr ist, sondern ein subjektives Phantom des Bewußtseins.
S.121f
Arthur Zajonc
1. Laotse, Tao te king, a. a. O., S. 51, Nr. 11.
2. Vgl. Bartholomew the Englishman, Concerning the Properties of Things, in: Edward Grant (Hg.), A Source Book in Medieval Science, Harvard, University Press, Cambridge 1974, S. 383; ferner Vasco Ronchi, The Nature of Light, Harvard, University Press, Cambridge 1970, S. 62; und David C. Lindberg, Auge und Licht [im Mittelalter, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1987], S. 205 und 250.
3. Hier zitiert Leonardo da Vinci John Pecham.
4. René Descartes, paraphrasiert nach: Shmuel Sambursky, Der Weg der Physik, 2500 Jahre physikalischen Denkens, DTV, München 1978, S. 323 und 325.
S.406
aus «Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein»
Unsere Anmerkungen
a] vgl. R.Steiner zu Sinneserfahrung u. Begriff
b] Eigentlich offenbart das Licht seine Substanz im Stoff (vgl. auch E.Haich zu Gott und Materie).
c] siehe J.Böhmes Gottesbegriff
d] hebr. אר (OR), griech. τὸ φῶς (to phõs) - In der modernen Physik gilt lux (lx) als SI-Einheit der Beleuchtungsstärke, lumen (lm) als SI-Einheit des Lichtstroms (Lichtmenge je Zeitspanne): 1 lx = 1 lm/m².
e] aufgrund von Jh.8-12
f] Aurelius Augustinus, Bischof von Hippo Regius (Karthago) im IIII./V.Jhdt.
g] hebr. זהר (SoHaR), griech. ἡ δόξα (he dóxa), lat. gloria
h] der Pisaner Forscher Galileo Galilei
i] siehe
k] der englische Bischof Robertus Grosseteste
l] Auf Eukleídes von Alexandrien geht die klassische Geometrie zurück; Filippo Brunelleschi war einer der Entdecker der Perspektive.
m] zum Hintergrund der drei Cartesischen Raumdimensionen vgl. Mbl.5: Anm.1
n] vgl. Mbl-B.18
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202304.htm