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Neudenken:
Von Staat und Recht
1a Buch 1, Kap. 2: Die aus einer Mehrzahl von Dorfgemeinden gebildete vollkommene Gesellschaft ist der Staat, eine Gemeinschaft, die gewissermaßen das Ziel einer vollendeten Selbstgenügsamkeit erreicht hat, die um des Lebens willen entstanden ist und um des vollkommenen Lebens willen besteht.
1b Hieraus ergibt sich also, daß der Staat zu den von Natur bestehenden Dingen gehört und der Mensch von Natur aus ein Gesellschaftswesen, ζῶον πολιτικόν (zoon politikon) ist. Darum haben alle Menschen von Natur aus den Trieb, sich zu dieser Gemeinschaft zusammenzuschließen; der Mann, der sie zuerst errichtet hat, ist der Schöpfer der höchsten Güter. Allerdings wie der Mensch in seiner Vollendung das vornehmste Geschöpf ist, so ist er auch, wenn er sich von Gesetz und Recht [a] löst, das schlechteste von allen.[b] Die bewaffnete Ungerechtigkeit ist das Ärgste. Der Mensch tritt ausgestattet mit den Waffen seiner intellektuellen und moralischen Fähigkeiten ins Dasein, Waffen, die, wie sonst keine, in völlig entgegengesetzter Richtung gebraucht werden können. Darum ist ein Mensch ohne Moralität das ruchloseste und roheste Wesen, und wenn er sich von seiner Geschlechts- und Gaumenlust leiten läßt, das allergemeinste Wesen. Die Gerechtigkeit aber, in der sich alle Moralität verkörpert, ist etwas, was mit dem Staat eng zusammenhängt. Denn das Recht ist nichts anderes als die in der staatlichen Gemeinschaft herrschende Ordnung, und eben dieses Recht ist es auch, das darüber entscheidet, was gerecht ist.[c]
S.20f
2a Buch 2, Kap. 11: Die Karthager stehen in dem Rufe, eine gute Verfassung zu haben, die diejenige anderer Staaten in vieler Beziehung übertrifft. Ein Zeichen für ihre gute Beschaffenheit ist der Umstand, daß sie das Volk in der Anhänglichkeit an die Staatseinrichtung erhält und daß sich unter ihrer Herrschaft kein nennenswerter Aufstand und kein Tyrann erhoben hat.
2b Es scheint verkehrt, daß eine Person mehrere Ämter bekleidet. Denn es ist am besten, daß eine Funktion immer nur von einem versehen wird. Der Gesetzgeber muß darauf achten, daß dies geschieht, und nicht verlangen, daß derselbe Mann die Flöte spielt und Schuhe macht.
S.23f
3a Buch 4, Kap. 4: Von den Demokratien [d] ist die erste die, in der die Gleichheit am vollkommensten verwirklicht ist. Der Gleichheitsgrundsatz liegt in der Satzung einer solchen Demokratie darin, daß jeder, ob arm oder reich, nicht mehr ist als der andere und keiner Herr ist, sondern alle sich gleich stehen. Denn wenn, wie einige meinen, Freiheit und Gleichheit am meisten in der Demokratie zu finden ist, so würde dies am meisten dann zutreffen, wenn möglichst alle an der Staatsleitung den gleichen Anteil haben. Da das Volk nun in der Mehrzahl ist und das gilt, was der Mehrzahl recht scheint, so muß diese Form eine wirkliche Volksherrschaft sein.
3b Das ist also die eine Art der Demokratie; eine andere ist es, wenn die Ämterbesetzungen von der Steuerschätzung abhängen, aber diese Einschätzung nicht hoch geht. Hier muß jedem, der das erforderliche Vermögen erwirbt, das Recht der Teilnahme zustehen; wer dieses Vermögen verliert, darf nicht mehr an den Ämtern teilhaben.
3c Eine weitere Art der Demokratie ist es, wenn ausnahmslos alle Bürger, soweit sie mit Rücksicht auf ihre Geburt einwandfrei sind, an den Ämtern teilhaben, und im übrigen das Gesetz herrscht.
3d Noch eine andere Art der Demokratie ist es, wenn allen die Ämter offenstehen, wofern sie nur Bürger sind, und im übrigen das Gesetz herrscht.
3e Wieder eine andere Art der Demokratie ist es, wenn im übrigen das vorige gilt und nur die Menge Herr ist und nicht das Gesetz. Das muß eintreten, wenn die Abstimmungen entscheiden, aber nicht das Gesetz. Wenn das geschieht, so ist es die Schuld der Demagogen [e]. Denn in den Demokratien, wo es nach dem Gesetze zugeht, können die Demagogen nicht hochkommen, weil dort die besten aus den Bürgern die Stimmführer sind; aber wo die Gesetze nicht die Herrschaft haben, da stehen die Demagogen auf. Dort nämlich wird das Volk als kollektive Einheit Monarch, da die Vielen, nicht jeder für sich, sondern als Gesamtheit die Herrschaft haben. Ein solches Volk sucht als Monarch auch den Monarchen herauszustecken, bindet sich an kein Gesetz und wird despotisch, so daß die Schmeichler bei ihm zu Ehren kommen und so ein Volk eine analoge Rolle spielt wie die Tyrannis unter den Monarchien. Darum ist auch der Charakter der beiden derselbe, und beide unterdrücken despotisch die Besseren; die Volksbeschlüsse sind dasselbe wie dort die Befehle. Auch Demagoge und Schmeichler sind ein und derselbe, und beide haben bei beiden den allergrößten Einfluß, die Schmeichler bei den Tyrannen und die Demagogen bei einem solchen Volk. Sie sorgen dafür, daß die Stimmen, nicht die Gesetze herrschen, indem sie alles vor das Volk bringen. Kann es doch nicht fehlen, daß sie selbst groß werden, wenn das Volk über alles Herr ist und sie über die Meinung des Volkes, indem der große Haufe ihnen beipflichtet. Will man den Richtern eins anhängen, heißt es, das Volk müsse richten, und das Volk nimmt den Vorschlag bereitwillig auf, so daß alle Staatsämter der Auflösung anheimfallen. Nur zu berechtigt wäre der Tadel, daß eine solche Demokratie überhaupt keine Verfassung sei; denn wo die Gesetze nicht herrschen, ist auch keine Verfassung. Das Gesetz muß über alles herrschen.[f]
S.32ff
4a Buch 7, Kap. 2: Daß die Staatsverfassung die beste ist, bei deren Einrichtung sich jedermann ohne Ausnahme wohl befindet und glücklich lebt, liegt auf der Hand.
4b Daraus ergibt sich, daß man alle auf den Krieg berechneten öffentlichen Einrichtungen und Vorkehrungen zwar als gut und recht bezeichnen muß, nicht aber als absolut höchsten Zweck.[g]
S.44
Aristotéles
in «Politeia»
aus W.Schätzel: «Der Staat»
Unsere Anmerkungen
a] vgl. J.G.Fichte zum Urrecht
b] vgl. H.Broch zu Recht und Macht
c] vgl. Platon dazu
d] von ὁ δῆμος (ho démos ~ Gebiet; Gemeinde, Volk) im Unterschied zu ὁ λαός (ho laós ~ Fuß-; Kriegs-; Bundesvolk) und ἡ κρατεία (he krateía ~ Herrschaft)
e] von ho démos und ὁ ἀγωγός (ho agogós ~ Führer; Verführer)
f] im Gegensatz zu H.Kickls Ausspruch „Das Recht hat der Politik zu folgen.” Interessant auch, was José Ortega y Gasset zum mechanischen Staat schreibt.
g] Im alten Sparta galt hingegen das Kriegs- und Waffenhandwerk als höchste Leistung.
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202209.htm