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Neudenken:
Jesus und der Vater
Wie mächtig aber auch die Eindrücke der ihn umgebenden Welt auf Jesu [a] Seele waren, so verblaßten sie alle vor der übermächtigen, unsagbaren Wahrheit seiner inneren Welt. Diese Wahrheit entfaltete sich in seinem Innern gleich einer glänzenden Blume, die aus dunklem Gewässer emporsteigt.[b] Das glich einer wachsenden Klarheit, die in ihm erstrahlte, wenn er allein war und sich in sich selbst zurückzog. Dann schienen ihm die Menschen und die Dinge, ob nah oder fern, wie durchsichtig in ihrer innern Essenz. Er las die Gedanken, er sah die Seelen. Dann schaute er in seiner Erinnerung, wie durch einen leichten Schleier, auf göttlich schöne und strahlende Wesen, über ihn gebeugt oder versammelt in der Anbetung eines strahlenden Lichtes. Wunderbare Visionen erfüllten seine Träume oder stellten sich zwischen ihn und die Wirklichkeit durch eine wahre Verdoppelung seines Bewußtseins. Auf dem Gipfel dieser Ekstasen, die ihn von Zone zu Zone wie in andere Himmel führten, fühlte er sich manchmal angezogen durch funkelndes Licht, dann untergetaucht in eine blendend weiße Sonne.[c] Von diesen Verzückungen blieb ihm eine unsägliche Zärtlichkeit zurück, eine eigentümliche Kraft. Wie fand er sich da versöhnt mit allen Wesen, in Harmonie mit dem Universum! Was war denn dieses geheimnisvolle Licht, ihm vertrauter und lebendiger als alles andere, das in ihm selbst emporloderte, um ihn in ferne Weiten zu tragen, dessen erste Ausströmungen sich aus den großen Augen seiner Mutter [d] über ihn ergossen hatten und das ihn jetzt durch geheime Vibrationen mit allen Seelen verband? War es nicht der Urquell der Seelen und der Welten?
Er nannte es den himmlischen Vater.[e]
Dieses angeborene Gefühl der Einheit mit Gott im Licht der Liebe, das ist die ursprüngliche, die große Offenbarung Jesu. Eine innere Stimme sagte ihm, dies in seinem tiefsten Innern zu verschließen, aber es sollte sein ganzes Leben durchleuchten. Es gab ihm eine unerschütterliche Gewißheit. Es machte ihn sanft und unüberwindlich. Es machte aus seinem Gedanken einen Demantschild, aus seinem Wort ein Lichtschwert.
Dieses tief verborgene, mystische Leben vereinigte sich beim Jüngling mit einer vollkommenen Klarheit in den Dingen des realen Lebens. Lukas [f] stellt ihn uns dar im Alter von zwölf Jahren, »wachsend in Kraft, Anmut und Weisheit«. Das religiöse Bewußtsein war in Jesus etwas Eingeborenes, ganz Unabhängiges vom äußerlichen Leben. Sein prophetisches, sein Messias-Bewußtsein konnte nur durch einen Anprall von außen erwachen, durch das Schauspiel seiner Zeit,[g] endlich durch eine besondere Initiation und durch lange, innere Arbeit.[h] Spuren davon finden sich in den Evangelien und anderwärts.[i]
Édouard Schuré
aus «Die großen Eingeweihten»; S.383f
Unsere Anmerkungen
a] Jesus ist die lateinische Form des griechischen Ἰησοῦς, das wiederum dem hebräischen יהשוה (Jehoschuah).
b] etwa einer Lotosblume
c] vgl. »TzN Mär.2015«
d] Bereits auf S.382 schwärmt der Verfasser von der „Mutter, deren große Augen mit langen Wimpern, wie sie den träumerischen Syrierinnen eigen sind” - zu „Mutter” vgl. Mbl.5: Anm.2
e] vgl. Mbl.5a und zB. Chr.Morgensterns „Matth. 4,8
f] Lk.2,41-52
g] da Palästina unter Herodes Agrippa ins römische Reich eingegliedert war
h] vgl. Mbl.25
i] etwa in R.Steiners Vorträgen zum „Fünften Evangelium” (GA 148)
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201612.htm