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Neudenken:
Erste Schritte
[...] Aber wir sind nicht mehr Griechen, härter und schwerer ist unser physischer Leib geworden, fest und verhaftet in ihm und sinnlich-unsichtbar unser Ätherleib.[a] Und darum würde auch nichts Wesentliches erreicht werden bei einer noch so treuen Nachahmung der Gebärden und Bewegungen dieser griechischen Kunstwerke. Wir müssen lernen, diesen Ätherleib als ein erstes übersinnliches Wesensglied zu erleben, beheimatet in dem letzten, untersten Himmel,[b] und den Weg weisend in die oberen Himmel, aus denen es herniedergestiegen und nun verzaubert und gefangen ist in der zu harten und festen physischen Leiblichkeit der heutigen Menschheit.
Aber der Weg zu diesem Wiederaufstieg ist erschlossen, ein Schlüssel sind die zehn oder zwölf Blätter von Rudolf Steiners Hand, auf denen er in einfachen Worten, einem damals 19jährigen jungen Menschen verständlich, die Grundlagen für die Eurythmie [c] niedergelegt hatte.
Und dann kam der Juli [1912], und wir fuhren nach München. Als wir ankamen, hatten die Proben zu dem Hüter der Schwelle, der in jenem Jahre zum ersten Male gespielt wurde, schon begonnen. Der „Hüter” ist ja das dritte in der Reihe der Mysterienspiele [d]; aber diesmal war etwas ganz Neues und alle Mitspieler sehr Überraschendes in einer Szene enthalten. Da sollten Wesen auftreten, die „tanzen” mußten! Und gerade als ich zum erstenmal den Saal betrat, übte man an diesen „Tänzen”. Es waren die luziferischen und ahrimanischen Wesen.[e] „In tanzartiger Weise führen diese Bewegungen aus, welche Gedankenformen, den Worten Luzifers (Ahrimans) entsprechend, darstellen.” Rudolf Steiner hatte für jede Gruppe drei allereinfachste Formen angegeben, die durch die Anordnung und Stellung der Personen im Raum sichtbar wurden. Das heißt, man stand zum Beispiel ruhig in einer Acht und lief auf ein bestimmtes Zeichen hin in einen flach nach rechts geöffneten Bogen, dann zurück in die Acht, und von da an in einem Winkel, so daß die Form immer in der Ruhe sichtbar war und durch die Bewegung die eine Form zerstört und die nächste neugeformt wurde. Rudolf Steiner hatte vier kleine Sätze angegeben, die diesem Geschehen zugrunde lagen: „Ich will” (Acht), „Ich kann nicht” (Bogen), „Ich will” (wieder Acht), „Ich muß” (Winkel). Auch Armbewegungen machten wir schon. Wir hatten ganz leichte Schleierstolen; die rechte Hand hielt den vorderen Teil, die linke den Rückenteil der Stola, und nun wechselte man zwischen einer A- oder U-Geste ungefähr in Brusthöhe und einer I-Geste. Natürlich ohne diese Lautbezeichnungen. Die luziferischen Wesen mußten die Bewegungen „graziös und geschmeidig” machen, die ahrimanischen „hart und eckig”. Die Formen für diese ahrimanischen Wesen hatten auch diesen Charakter. Ein auf der Spitze stehendes Quadrat mit leicht nach innen gebogenen Seiten - „Ich will”, eine Gerade, vom Hintergrund nach vorne verlaufend - „Ich kann nicht”, wieder das Quadrat „Ich will” und dann ein Kreuz „Ich muß”. Das war also die erste „Eurythmie”, die gezeigt worden ist, aber Rudolf Steiner hatte gar keine näheren Erläuterungen dazu gegeben, und so ahnte damals niemand, daß es sich um den allerersten, zartesten Anfang einer ganz neuen Kunst handelte.
Ich aber wartete von Tag zu Tag darauf, daß Dr. Steiner uns rufen lassen würde und die „Stunden” begännen. Endlich eines Tages begegnete ich ihm in einer offenen Tür. Vielleicht habe ich ihn sehr fragend und erwartungsvoll angesehen, jedenfalls legte er die Hand auf meine Schulter und sagte: „Ja, Kleine, es gehört die Weisheit der ganzen Welt dazu, ich kann es Ihnen jetzt noch nicht sagen. - Ich kann mir in diesen Wochen hier nicht die Zeit nehmen, die ich dazu brauche. - Wäre es möglich, daß Sie im September, wenn ich in Basel bin, dorthin kämen? Da werde ich Zeit haben.” Und so kam es, daß schon das erste Kapitel der Eurythmie in Basel gegeben wurde. Einen Tag vor unserer Abreise von München wurden wir aber doch noch ganz überraschend zu Dr. Steiner gerufen, und in dieser Besprechung gab er die ersten konkreten Angaben über drei Vokale.[f]
Lory Maier-Smits
aus «Erinnerungen an Rudolf Steiner»; S.108f
Unsere Anmerkungen
a] Im Zuge der ICh-Entfaltung (vgl. Mbl.6) verfestigten sich die Wesensglieder (vgl. Mbl.5).
b] in der Erdenätheraura (vgl. Mbl.27: Anm.1)
c] vgl. R.STEINER zur Eurythmie
d] siehe «Vier Mysteriendramen»
e] Diese Wesen (vgl. Mbl.16) werden im Faust als eines (Mephistopheles) dargestellt.
f] I, A und O (vgl. R.Steiner zur Eurythmisten-Meditation und zu Ephesus und JOA)
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201405.htm