zum IMPRESSUM
Merkblatt-
Beilage 99 Abriss
zum nicht gehaltenen Impulsvortrag vom
Freitag, den 23. April 2021
im Rahmen der Improvisationen zur AnthropoSophie heute
Zarathustra
Die Weisheit in den Gegensätzen
siehe auch zugehörigen »TzN«
1 In diesen Wochen verschwindet Sirius allmählich vom Abendhimmel dem Westen zu. Der Alphastern des Grossen Hundes, deshalb auch Hundsstern genannt, ist das hellste Gestirn am Firmament. Canopus, Alpha Carinae, dh. des Schiffskiels, dessen Lichtstrahl aus dem Südpolgebiet der Ekliptik den meisten Raumsonden zur Peilung dient, bringt es lediglich auf gut die Hälfte an Leuchtkraft. Beiden gegenüber beherrscht Arcturus im Bärenhüter die nördliche Himmelskuppel; er ist das dritthellste unter den Alphalichtern. Und unser Stern? Der ist längst über den Frühlingspunkt gezogen, welcher immer noch durch das Sternbild Fische zurückwandert, Pisces, die zum Vertiefen, aber auch zum Loslassen anregen. In gut 570 Jahren wird er in den Wassermann eintreten, den von haarigen Hippies weltflüchtig angesungenen Aquarius.
2 Vor rund 7000 Jahren jedoch glitt der Sonnenbahnknoten durch das Sternbild Zwillinge, aus dem Impulse zu Trennung und Gegenüber entspringen. Im Bereich von Gemini finden sich nur wenig Sterne, da hier aus unsrem Milchstrassensystem heraus in den intergalaktischen Raum geblickt wird. Hell und Dunkel treffen in dieser Himmelsregion deutlicher aufeinander als vis-à-vis im Schützen. Wegen der Präzessionsbewegung der Erdachse lag der Himmelsnordpol damals in der Nähe von Edasich, dem Iotastern des Drachen, ein drakonischer Pol gewissermassen, und deswegen schienen alle Himmelsleuchten aus etwas andren Richtungen als heutzutage.
3 Unten auf Erden, im kargen persischen Hochland, stand Zardoscht aus dem Geschlecht der Spitāma und schaute. Den Ursprung allen Lichts gewahrte er in einer grossen Aura, dem urgöttlichen Ahura Mazda, weder weiblich noch männlich, im Kreisen der Spenta Mainju, Fülle seiner dienstbaren Geister. Aber er nahm auch wahr, dass dieser strahlenden Aura ein Dunkel entgegenwallte, ein arg wütendes, das ihm als Angra Mainju offenbar wurde. Beides entfaltete sich gleichermassen aus dem Zerwan, der unfassbar raum- und zeitlosen Dauer, die später von den Hebräern als En-Soph begriffen wurde. Und die lebendige Erde, auf der er stand, erfuhr er als den Zankapfel zwischen Wesen des Glanzes und finsteren Schatten.
4 Die alte Indus-Kultur hatte ihren Höhepunkt längst überschritten. Der monotone siebenstimmige Gesang der Rischis war bis ins Unhörbare leise geworden. Der Blick nach innen mit der Sehnsucht nach Rückkehr in himmlische Menschheitszustände verblasste wie der Morgenstern vor Sonnenaufgang. Eine erste Epoche nach der atlantischen Flut oder Eiszeit, wie man sagt, neigte sich ihrem Ende zu. Der Stab der kulturellen Führung wurde langsam nach Nordwesten weitergereicht. Ein neuer Entwicklungsschritt hob an.
5 Zardoscht, der später Zarathuschtra, Zarathustra oder gar Zoroaster, Feuergestirn, genannt wurde, lebte zunächst zurückzogen im Gebirge. In reiner, lichtdurchfluteter Luft stellte sich ihm die Frage nach dem eignen Wer und Wo, lange bevor im Apollon-Heiligtum zu Delphi aufs „Erkenne dich selbst” gewiesen wurde. Der Kulturhistoriker Markus Osterrieder erwähnt in seiner Studie «Die Durchlichtung der Welt» (auf S.53) folgende Zeilen einer kleinen Lehrschrift aus sassanidischer Zeit (II.Jh.n.): „Wer bin ich, wem gehöre ich an? [...] Bin ich aus der Himmlischen Welt gekommen, oder hat mein Dasein in der irdischen Welt begonnen? Gehöre ich Ōhrmazd an oder Ahriman? Den Engeln oder den Dämonen?”. Was also ist des Menschen Platz und wie stellt er sich dessen Herausforderung? Im Streben nach einer Antwort begann auf seiner Stirn tischtrjā aufzuleuchten, das Abbild des allerhellsten Sterns.
P a u s e
6 Zardoscht der Spitāma lebte in den Tagen, da die grosse Spannung zwischen Iran und Turan anfing, die Völker zu spalten. Im weiten Umfeld streunenden Abgrasens und Weiterziehens, Jagens und Sammelns, begannen einige Menschen, Tiere zu zähmen und erste Gräser zu züchten, Gärten und Äcker anzulegen, mit andren Worten: Verantwortung für die Erde zu übernehmen, indem sie diese bearbeiteten, nicht einfach nur auszehrten. Das führte zu dem, was im XX.Jahrhundert als „neolithische Revolution” bekannt wurde, nämlich zu Bauerntum und Sesshaftigkeit gegenüber dem Nomadentum. Diese radikale Veränderung breitete sich über das Zweistromland, dann über Anatolien, die Schwarzmeerküsten und den Donauraum nach Europa aus.
7 Was lehrte Zarathustra also? Wohl kaum, was ihm Nietzsche 1883 unterschoben hat, von Richard Strauss 1896 so eindrücklich vertont. Eher finden wir seinen Ansatz in den Worten, die in Hermann Koepkes «Das Leben des Zarathustra» (auf S.59) nacherzählt werden: „Ich will reden von dem guten Geist, der den bösen Geist in die Finsternis stürzte, wo er betäubt darniederlag. Und als er zurückgebannt war, entstanden die dienenden Sonnengötter. Aus dem unendlichen Licht ward das Feuer, aus dem Feuer die Luft, aus der Luft das Wasser, aus dem Wasser die Erde und alles, was in der Welt enthalten ist”. Am angenehmsten aber sei der Erde, „wenn ein reiner Mensch über sie dahinschreitet” und „eine Wohnstätte erbauet, die ausgestattet ist mit Feuer und ausgestattet ist mit Vieh, wo eine Frau, Kinder und schöne Herden vorhanden sind. Denn in diesem Hause ist Redlichkeit die Fülle”. Doch müsse dies alles der argen Widersachermacht abgerungen werden, indem sich daēnā, das Lichtwesen des Menschen, dem Wesenslicht in mēnōk, dem Geistigen, zuwende. Dazu bedürfe es tanasach, eines wiederholten Eingreifens in die Erdenverhältnisse, bis zu tanpasin, der Befreiung von aller irdischen Notwendigkeit.
8 Nichtringen hingegen bringt Absterben. In gētik, dem Erdenbereich, herrscht nun einmal der Tod. Mit ihm verfällt dem Irdischen, was für die Himmel unannehmbar geworden ist. Der Adler lässt sich nicht lähmen, der Stich des Skorpions erreicht ihn nicht. Was zu Materie verschmiert und zu Stoff geballt ist, weist Himmelslicht von sich. Dennoch ist kaum verloren, was da zurückgelassen wird. Ins Gedächntis der Schwere wird's aufgenommen; in seinem Dunkel um und um gewandelt; aus seinen Tiefen wieder zur Verfügung gestellt.
9 Ur-Zwiespalt verkündete Zarathuschtra, unaufhörliches Ringen somit. Im Zwielicht verborgen bewirkt die Weisheit mannigfaltig Gegensätze, die miteinander kämpfen. Nirgendwo im Gewordenen erscheint sie als absolute Wahrheit, ebensowenig im Werdenden. Wie sollte die Herrliche auch, sie, die sich mit jedem Erkenntnisstrohhalm erneut verbindet! Der Mensch muss sich entscheiden: will er Turanier bleiben und im zerstörenden Verzehren sein Auslangen finden, oder will er Iranier werden und sich dem An- und Aufbau widmen? Denn Kleid der Sonnenaura ist, was auf Erden erscheint, wunderweise gewirktes Kleid - das allerdings der Obsorge bedarf, der liebevollen Pflege von Mineral, Pflanze, Tier und Mitmensch.
10 Klare Worte findet das Awesta, das heilige Buch der Zoroastrier, in seinen Gathas, um jene Lehre zu verbreiten. In Jasna 51,14-15 lesen wir zum Beispiel: „Wer böse ist / und voll unheiligen Wandels, / dem ist auch die Erde / ein wüstes Getriebe. / Doch einen Sinn hat das Leben / und ist freudiges Tun, / wer den Schein der Lüge / hinter sich läßt. // Ich, Zarathustra, wenn ich von Kommendem rede, / so rede ich ja nur von dem, / was schon immer in Gott ist. / Es sieht nur aus, / als ob wir immer streben: / aber ich habe dich, Wahrheit und Gott, / oder ich habe dich nicht!” Von fern tönen die Worte heran, streng unterscheidend. Auf vielfältige Weise waren sie von Mund zu Ohr gesungen worden, bevor ihr Sinn niedergeschrieben wurde. Ist er uns etwa fremd darob?
11 Die Philosophie hat das dialektische Prinzip als Treiber der Entwicklung erkannt. Jede Stellung fordert eine Gegenstellung heraus und im Zusammenstellen führen beide zum Fortschreiten. Im Grossen wie im Kleinen spielen sich These und Antithese aufeinander ein und werden schliesslich synthetisch aufgelöst, nur um neuen Widersprüchen Platz zu machen. Denn auf die kommt es an wie auf die fortwährende Auseinandersetzung mit ihnen. Hat das Menschenkind gehen gelernt, lernt es sprechen, hat es sprechen gelernt, lernt es denken und erinnern. In die Aufrechte gekommen, muss der Mensch lernen, sich zu bücken. Stets wird eine erworbene Fähigkeit angewandt, um eine neue zu erwerben. Vermittelt nicht schon Verdauen, ja Ausatmen die Kraft, wiederum Frisches aufzunehmen? Wo nicht, verglimmt das Leben.
12 Am Anfang der abendländisch christlichen Überlieferung taucht der fundamentale Gegensatz im Prolog des Johannes-Evangeliums ausdrücklich auf: „Und das Licht scheint in der Finsternis; und die Finsternis hat es nicht ergriffen” (Jh.1,5). Der rote Faden des Kampfes zwischen Licht und Finsternis zieht sich bis in die Apokalypse des „Jüngers, den der Herr liebhatte”. Keineswegs liebliche Genrebildchen entfalten sich darin, vielmehr entladen sich gewaltige Imaginationen so erhaben wie schaurig. Die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen beeinflussten das Denken der Menschen von der Spätantike bis ins Mittelalter, durchzogen dann die Aufklärung und finden heute ihren Niederschlag in der unüberwindbar scheinenden Dichotomie von Gut und Böse, dem Antrieb vieler unseligen Debatten und Kämpfe. Wirklich unüberwindbar? Nicht, wenn wir der Weisheit in den irdischen Verhältnissen gerecht werden, dem Gewand jenes Urwesens, das sich Zardoscht dem Spitāma als Ahura Mazda offenbart hatte.
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB99a20210423.htm