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Vortragssammlung
Teil 1
oser la rose
Vortrag von Rudolf STEINER
DAS ROSENKREUZERISCHE CHRISTENTUM II
gehalten in Neuchâtel, am 28.Sep.1911 ♃
1 Heute wird es nun meine Aufgabe sein, Ihnen etwas zu sagen über das Werk des Christian Rosenkreutz. Dieses Werk begann mit dem dreizehnten Jahrhundert und dauert bis heute und wird in alle Ewigkeit dauern. Der erste Akt dieses Werkes ist natürlich dasjenige, was wir gestern von der Initiation des Christian Rosenkreutz sagten und was wir über die Vorgänge zwischen dem Kollegium der Zwölf und dem Dreizehnten hörten. Als dann Christian Rosenkreutz im vierzehnten Jahrhundert wiedergeboren wurde und damals seine Inkarnation mehr als hundert Jahre dauerte, bestand sein Werk hauptsächlich in der Belehrung der Schüler der Zwölf. Während dieser Zeit lernten kaum andere Menschen Christian Rosenkreutz kennen außer seinen Zwölf. Es ist dies nicht so aufzufassen, als ob Christian Rosenkreutz etwa nicht auch unter anderen Menschen herumgegangen wäre, sondern nur so, daß die anderen Menschen ihn nicht erkannten. Das ist im Grunde ähnlich so geblieben bis heute. Aber der Ätherleib des Christian Rosenkreutz wirkte stets im Kreise der Schüler, und seine Kräfte wirkten in immer weiteren Kreisen, und heute sind eigentlich schon viele Menschen in der Lage, ergriffen zu werden von den Kräften dieses Ätherleibes.
2 Diejenigen, die Christian Rosenkreutz zu seinen Schülern machen will, werden von ihm auf eine eigentümliche Weise dazu auserwählt. Es handelt sich dabei darum, daß der also Erwählte achtgeben muß auf ein bestimmtes Ereignis oder mehrere Ereignisse dieser Art in seinem Leben. Es geschieht diese Erwählung durch Christian Rosenkreutz so, daß irgendein Mensch in seinem Leben an einen entscheidenden Wendepunkt, an eine karmische Krise herankommt. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Mensch sei im Begriff, eine Sache zu begehen, die ihn zum Tode führen würde. Solche Dinge können die verschiedensten sein. Der Mensch geht einen Weg, der für ihn sehr gefährlich werden kann, vielleicht bis in die Nähe eines Abgrundes, ohne es zu bemerken. Es geschieht dann, daß der Betreffende vielleicht wenige Schritte vor dem Abgrund eine Stimme hört: Halt ein! - so daß er halten muß, ohne zu wissen warum. Tausend ähnliche Fälle kann es geben. Zu bemerken ist allerdings, daß dies nur das äußere Zeichen ist, aber das wichtigste Zeichen der äußeren spirituellen Berufung. Zur inneren Berufung gehört, daß der Erwählte sich mit irgend etwas Spirituellem, Theosophie oder sonstiger geistiger Wissenschaft beschäftigt hat. Das Ihnen genannte äußere Ereignis ist eine Tatsache in der physischen Welt, rührt aber nicht von einer menschlichen Stimme her. Das Ereignis ist immer so gestaltet, daß der Betreffende ganz genau weiß, daß die Stimme aus der geistigen Welt kam. Es kann zuerst der Glaube herrschen, daß ein Mensch irgendwo versteckt sei, von dem die Stimme herrühre, aber wenn der Schüler reif ist, findet er heraus, daß nicht etwa eine physische Persönlichkeit in sein Leben eingegriffen hat. Kurz, die Sache ist so, daß durch dieses Ereignis der Schüler ganz genau weiß, daß es Mitteilungen gibt aus der geistigen Welt. Solche Ereignisse können einmal, aber auch öfters vorkommen im menschlichen Leben. Wir müssen nun die Wirkung davon auf das Gemüt des Schülers verstehen. Der Schüler sagt sich: Es ist mir durch Gnade ein weiteres Leben geschenkt worden; das erste war verwirkt. - Dieses neue, durch Gnade verliehene Leben gibt dem Schüler Licht in seinem ganzen folgenden Leben. Er hat dieses bestimmte Gefühl, das man in die Worte kleiden kann: Ohne dieses mein Rosenkreuzer-Erlebnis wäre ich gestorben. Das nun folgende Leben hätte nicht denselben Wert ohne dieses Ereignis.
3 Es kann allerdings vorkommen, daß ein Mensch dies schon einmal oder mehrere Male erlebt hat und er doch nicht gleich zur Theosophie oder Geisteswissenschaft kommt. Dann kann aber später die Erinnerung an ein solches Erlebnis hinzutreten. Viele von denen, die hier sind, können ihr vergangenes Leben prüfen und finden, daß ähnliche Ereignisse in ihrem Leben vorgekommen sind. Man beobachtet solche Dinge heute nur zu wenig. Wir sollten uns überhaupt klarmachen, daß wir an so vielen wichtigen Ereignissen vorbeigehen, die wir nicht beobachten. Dies sei eine Andeutung für die Art der Berufung der höheren Schüler des Rosenkreuzertums.
4 Entweder wird nun ein solches Ereignis spurlos an dem betreffenden Menschen vorübergehen, dann verwischt sich der Eindruck, und er hält dieses Erlebnis überhaupt nicht für wichtig. Oder nehmen wir an, der Mensch sei aufmerksam, er hält dieses Erlebnis nicht für bedeutungslos, dann kommt er vielleicht zu dem Gedanken: Eigentlich standest du da vor einer Krisis, einer karmischen Krisis, eigentlich sollte dein Leben in diesem Augenblicke enden, du hattest dein Leben verwirkt; nur durch etwas Zufallähnliches bist du gerettet worden. Es ist seit jener Stunde gleichsam ein zweites Leben auf dieses erste daraufgepflanzt. Dieses zweite Leben mußt du als dir geschenkt betrachten und demgemäß mußt du dich benehmen.
5 Wenn ein solches Erlebnis in einem Menschen die innere Stimmung auslöst, daß er sein Leben von jener Stunde an als geschenkt betrachtet, so macht dies heute diesen Menschen zu einem Bekenner des Christian Rosenkreutz. Denn das ist seine Art, diese Seelen zu sich zu rufen. Und derjenige, der sich zurückerinnern kann an ein solches Erlebnis, kann sich sagen: Christian Rosenkreutz hat mir einen Wink gegeben aus der spirituellen Welt, daß ich seiner Strömung angehöre. Christian Rosenkreutz hat zu meinem Karma hinzugefügt die Möglichkeit eines solchen Erlebnisses. - Das ist die Art, wie Christian Rosenkreutz die Wahl seiner Schüler trifft. So wählt er seine Gemeinde. Wer solches bewußt erlebt, der sagt sich: Da ist mir ein Weg gewiesen, ich muß dem nachgehen und sehen, inwiefern ich meine Kräfte in den Dienst des Rosenkreuzertums stellen kann. - Diejenigen aber, die den Wink nicht verstanden haben, werden später noch dazu kommen, denn an wen der Wink einmal ergangen ist, der wird auch nicht wieder davon loskommen.
6 Daß der Mensch ein Erlebnis der geschilderten Art haben kann, das rührt davon her, daß dieser Mensch in der Zeit zwischen seinem letzten Tode und seiner letzten Geburt zusammengetroffen ist in der geistigen Welt mit Christian Rosenkreutz. Damals hat uns Christian Rosenkreutz erwählt, er hat einen Willensimpuls in uns hineingelegt, der uns nun zu solchen Erlebnissen führt. Das ist die Art, wie geistige Zusammenhänge herbeigeführt werden.
7 Um nun weiter in die Sache einzudringen, wollen wir den Unterschied des Unterrichts des Christian Rosenkreutz in früheren Zeiten von den späteren Zeiten besprechen. Dieser Unterricht war früher ein mehr naturwissenschaftlicher, heute ist er mehr geisteswissenschaftlicher Art. So sprach man zum Beispiel früher mehr von Naturprozessen und nannte diese Wissenschaft Alchimie, und insofern diese Prozesse außerhalb der Erde stattfanden, nannte man diese Wissenschaft Astrologie. Heute gehen wir mehr von der spirituellen Betrachtung aus. Wenn wir zum Beispiel die aufeinanderfolgenden nachatlantischen Kulturepochen betrachten, die urindische Kultur, die urpersische, die ägyptisch-chaldäisch-assyrisch-babylonische Kultur, die griechisch-lateinische Kultur, so lernen wir aus dieser Betrachtung die Natur der menschlichen Seelenentwickelung kennen. Der mittelalterliche Rosenkreuzer studierte die Naturvorgänge, die er als die Erdvorgänge der Natur ansah. So unterschied er zum Beispiel drei verschiedene Naturvorgänge, die er als die drei großen Prozesse der Natur ansah.
8 Als der erste wichtige Prozeß ist folgender anzuführen: Die Salzbildung. Alles, was in der Natur aus einer Auflösung als fester Stoff sich niederschlägt, sich setzen, herausfallen kann, nannte der mittelalterliche Rosenkreuzer: Salz [sal]. Wenn aber der mittelalterliche Rosenkreuzer diese Salzbildung sah, war seine Vorstellung davon ganz verschieden von der des heutigen Menschen. Denn der Anblick eines solchen Prozesses mußte wie ein Gebet wirken in der Seele desjenigen Menschen, der ihn betrachtete, wenn er ihn als verstanden empfinden wollte. Der mittelalterliche Rosenkreuzer suchte sich deshalb klar zu machen, was in seiner eigenen Seele vorgehen müßte, wenn in ihr diese Salzbildung auch vorgehen sollte. Er dachte: Die menschliche Natur vernichtet sich fortwährend durch die Triebe und Leidenschaften. Unser Leben wäre eine fortwährende Zersetzung, ein Fäulnisprozeß, wenn wir uns nur den Begierden und Leidenschaften hingeben würden. Und wenn der Mensch sich wirklich schützen will gegen diesen Fäulnisprozeß, so muß er sich fortwährend hingeben reinen, nach dem Geistigen hintendierenden Gedanken. Es handelte sich um die Höherentwickelung seiner Gedanken. Der mittelalterliche Rosenkreuzer wußte, daß, wenn er in einer Inkarnation seine Leidenschaften nicht bekämpfte, er in die nächste Inkarnation mit Krankheitsanlagen hineingeboren werden würde, daß er aber, wenn er seine Leidenschaften läuterte, in die nächste Inkarnation mit gesunden Anlagen eintreten würde. Der Prozeß der Überwindung der zur Verwesung führenden Kräfte durch Spiritualität, das ist mikrokosmische Salzbildung. So können wir begreifen, wie ein solcher Naturvorgang für den mittelalterlichen Rosenkreuzer zum frömmsten Gebet werden konnte. Bei der Betrachtung der Salzbildung sagten sich die mittelalterlichen Rosenkreuzer mit dem Gefühl der reinsten Frömmigkeit: Hier haben göttlich-geistige Kräfte seit Tausenden von Jahren ebenso gewirkt, wie in mir reine Gedanken wirken. Ich bete an hinter der Maja der Natur die Gedanken der Götter, der göttlich-geistigen Wesenheiten. - Das wußte der mittelalterliche Rosenkreuzer und er sagte sich: Wenn ich mich durch die Natur anregen lasse, solche Empfindungen zu hegen, so mache ich mich selber dem Makrokosmos ähnlich. Betrachte ich diesen Prozeß nur äußerlich, so scheide ich mich von dem Gotte, so falle ich vom Makrokosmos ab. - So empfand der mittelalterliche Theosoph oder Rosenkreuzer.
9 Ein anderes Erlebnis war der Prozeß der Auflösung: ein anderer Naturprozeß, der ebenfalls den mittelalterlichen Rosenkreuzer zum Gebet führen konnte. Alles dasjenige, was etwas anderes auflösen kann, nannte der mittelalterliche Rosenkreuzer: Quecksilber oder Merkur [mercurius]. Nun trat wieder für den mittelalterlichen Rosenkreuzer die Frage auf: Was ist die entsprechende Eigenschaft in der menschlichen Seele? Welche Seeleneigenschaft wirkt so, wie in der Natur draußen Quecksilber oder Merkur? Der mittelalterliche Rosenkreuzer wußte, daß das, was diesem Merkur in der Seele entspricht, alle Formen der Liebe in der Seele bedeutet. Er unterschied niedere und höhere Auflösungsprozesse, wie es niedere und höhere Liebeformen gibt. Und so wurde der Anblick des Auflösungsprozesses wieder zu einem frommen Gebete, und der mittelalterliche Theosoph sagte sich: Es hat die Liebe des Gottes draußen Jahrtausende lang so gewirkt, wie in meinem Innern die Liebe wirkt.
10 Der dritte wichtige Naturprozeß war für den mittelalterlichen Theosophen die Verbrennung, das, was eintritt, wenn ein äußerer Stoff in Flammen sich verzehrt. Und wiederum suchte der mittelalterliche Rosenkreuzer den inneren Vorgang, der dieser Verbrennung entspricht. Er sah diesen inneren Seelenvorgang in der inbrünstigen Hingabe an die Gottheit. Und er nannte alles, was in der Flamme aufgehen kann, Schwefel oder Sulphur. Er sah in den Entwickelungsstadien der Erde den Prozeß einer allmählichen Läuterung, ähnlich einem Verbrennungsprozeß oder Schwefelprozeß. So wie er wußte, daß einmal die Erde durch das Feuer gereinigt wird, so sah er in der inbrünstigen Hingabe an die Gottheit auch einen Verbrennungsprozeß. In den Erdenprozessen sah er die Arbeit der Götter, die zu noch höheren Göttern aufschauen. Und so durchdrungen von großer Frömmigkeit und tief religiösen Gefühlen sagte er sich beim Anblick des Verbrennungsprozesses: Jetzt opfern Götter den höheren Göttern. - Und wenn dann der mittelalterliche Theosoph selbst in seinem Laboratorium den Verbrennungsprozeß hervorbrachte, dann empfand er: Ich tue, was die Götter tun, wenn sie sich höheren Göttern opfern. - Sich selber hielt er nur dann für würdig, zu einem solchen Verbrennungsprozeß in seinem Laboratorium zu schreiten, wenn er sich von solcher Opfergesinnung durchdrungen fühlte, wenn er selber in sich fühlte den Wunsch, sich opfernd den Göttern hinzugeben. Die Macht der Flamme erfüllte den mittelalterlichen Theosophen mit großen, tiefreligiösen Gefühlen, und er sagte sich: Wenn ich draußen im Makrokosmos die Flamme sehe, so sehe ich die Gedanken, die Liebe, die Opfergesinnung der Götter.
11 Der mittelalterliche Rosenkreuzer nahm selber in seinem Laboratorium diese Prozesse vor, und dann ergab sich der Experimentierende der Betrachtung dieser Bildungen von Salz, der Auflösungen und der Verbrennungen, bei denen er sich stets tief religiösen Empfindungen hingab, und er fühlte den Zusammenhang mit allen Kräften im Makrokosmos. Diese Seelenvorgänge riefen bei ihm hervor: erstens Göttergedanken, zweitens Götterliebe, drittens Götteropferdienst. Und dann entdeckte dieser mittelalterliche Rosenkreuzer, daß, wenn er einen Salzbildungsprozeß vornahm, in ihm selber solche reinen, läuternden Gedanken aufstiegen. Bei einem Auflösungsprozeß fühlte er sich angeregt zur Liebe, wurde er von der göttlichen Liebe durchdrungen, im Verbrennungsprozeß fühlte er sich entfacht zum Opferdienst, dazu gedrängt, sich auf dem Altar der Welt zu opfern.
12 Das war, was der Experimentierende erlebte. Und wenn man selbst als Hellseher einem solchen Experiment beigewohnt hätte, so hätte man eine Veränderung der Aura des betreffenden Menschen, der das Experiment ausführte, wahrgenommen. Die Aura, die vor dem Experiment sehr gemischt war, die vielleicht erfüllt gewesen war von Begierden, Trieben, denen sich der Betreffende hingegeben hatte, wurde durch das Experiment einfarbiger. Zuerst, bei dem Experiment der Salzbildung: kupfern - reine Gottesgedanken -, dann, bei dem Experiment der Auflösung: silbern - Götterliebe -, und endlich goldglänzend - Götteropferliebe oder Götteropferdienst - bei der Verbrennung. Und die Alchimisten sagten dann, sie hätten aus der Aura das subjektive Kupfer, das subjektive Silber und das subjektive Gold gemacht. Und die Folge davon war, daß derjenige, der so etwas durchgemacht hatte, der ein solches Experiment wirklich innerlich erlebte, von göttlicher Liebe ganz durchdrungen wurde. Also ein von Reinheit, Liebe und Opferwillen durchdrungener Mensch kam dabei heraus, und durch diesen Opferdienst bereiteten die mittelalterlichen Theosophen ein gewisses Hellsehen vor. So konnte der mittelalterliche Theosoph hineinschauen in die Art, wie hinter der Maja geistige Wesen die Dinge entstehen und wieder vergehen ließen. Und dadurch sah er dann auch ein, welche Bestrebungskräfte in der Seele in uns fördernd sind und welche nicht. Er lernte unsere eigenen Entstehungs- und Verwesungskräfte kennen. Der mittelalterliche Theosoph Heinrich Khunrath°¹ nannte, in einem Augenblick der Aufklärung, diesen Prozeß das Gesetz der Entstehung und Verwesung.
13 Aus dem Naturanblick wurde dem mittelalterlichen Theosophen das Gesetz der Aufwärtsentwickelung und des Abstiegs klar. Die Wissenschaft, die er sich dadurch aneignete, drückte er in gewissen Zeichen, in imaginativen Bildern und Figuren aus. Es war eine Art imaginativer Erkenntnis. Was gestern charakterisiert worden ist als «Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer», ist ein Resultat von dem eben Besprochenen.
14 So arbeiteten die besten Alchimisten vom vierzehnten bis ins achtzehnte und noch bis an den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Über diese wirklich moralische, ethische, intellektuelle Arbeit ist nichts gedruckt worden. Was über Alchimie gedruckt ist, handelt nur von rein äußeren Experimenten, ist nur von denen geschrieben, welche die Alchimie als Selbstzweck betrieben. Der falsche Alchimist ging darauf aus, Stoffe zu formen. Er sah in den Experimenten bei der Verbrennung der Stoffe nur den Gewinn des materiellen Ergebnisses. Der rechte Alchimist aber gab auf den Stoff, den er zuletzt erhielt, gar nichts. Es kam ihm nur auf die inneren Seelenerlebnisse während der Stofformung an, auf die Gedanken, die in ihm waren, die Erlebnisse, die er in sich hatte. Daher war es ein strenges Gesetz, daß der mittelalterliche Theosoph, welcher bei den Experimenten Gold und Silber erzeugte, nie einen Gewinn für sich daraus machen durfte. Er durfte die produzierten Metalle nur verschenken. Der heutige Mensch hat nicht mehr die richtige Vorstellung von diesen Experimenten. Er hat keine Ahnung von dem, was der Experimentierende erleben konnte. Der mittelalterliche Theosoph konnte ganze Seelendramen in seinem Laboratorium erleben, zum Beispiel wenn das Antimon [Sb] gewonnen wurde, sahen die Experimentierenden sehr bedeutendes Moralisches in diesen Prozessen.
15 Wären damals diese Dinge nicht geschehen, so könnten wir heute nicht im geisteswissenschaftlichen Sinne Rosenkreuzerei treiben. Was der mittelalterliche Rosenkreuzer im Anblick der Naturprozesse erlebt hat, ist eine heilige Naturwissenschaft. Was er erlebte an geistigen Opfergesinnungen, an großen Freuden, großen Naturvorgängen, auch an Schmerzen und Traurigkeit, an erhebenden und erfreuenden Ereignissen während der Experimente, die er vornahm, das wirkte alles erlösend und befreiend auf ihn ein. Alles das aber ruht jetzt in den innersten Untergründen des Menschen, alles, was ihm damals dort hineingelegt wurde.
16 Wie finden wir nun diese verborgenen Kräfte, die damals zum Hellsehen führten, wieder? Wir finden sie dadurch, daß wir Geisteswissenschaft studieren und uns durch ernste Meditation und Konzentration ganz dem inneren Leben der Seele hingeben. Durch solche innere Entwickelung wird allmählich die Beschäftigung mit der Natur wieder ein Opferdienst. Dazu müssen die Menschen hindurchgehen durch das, was wir heute Geisteswissenschaft nennen. Tausende von Menschen müssen sich der Geisteswissenschaft hingeben, ein inneres Leben führen, damit in Zukunft wieder die geistige Wahrheit hinter der Natur wahrgenommen werden kann, damit man wieder das Geistige hinter der Maja verstehen lerne. Dann wird in Zukunft, wenn auch zunächst eine noch kleine Schar, das Ereignis des Paulus vor Damaskus erleben dürfen und wahrnehmen den ätherischen Christus, der übersinnlich unter die Menschen kommt. Es muß aber zuerst der Mensch wieder zu dem geistigen Anblick der Natur kommen. Wer den ganzen inneren Sinn der Rosenkreuzerarbeit nicht kennt, kann glauben, die Menschheit sei noch auf der gleichen Stufe wie vor zweitausend Jahren. Bevor nicht dieser Prozeß durchgemacht worden sein wird, der allein durch die Geisteswissenschaft möglich ist, wird der Mensch nicht zum geistigen Schauen kommen. Es gibt viele Menschen, die fromm und gut sind, die sich nicht zur Geisteswissenschaft bekennen, im Grunde aber doch Theosophen sind.
17 Durch das Ereignis bei der Taufe im Jordan, als der Christus in den Leib des Jesus von Nazareth herabstieg, und durch das Mysterium von Golgatha ist die Menschheit fähig geworden, den Christus später - in diesem Jahrtausend noch, von etwa 1930 an - im Ätherleib zu schauen und zu erleben. Christus ist nur einmal auf Erden in einem physischen Leibe gewandelt, und das muß man verstehen können. Die Wiederkunft des Christus bedeutet: den Christus übersinnlich im Ätherleibe zu schauen. Daher muß jeder, der den richtigen Gang der Entwickelung gehen will, sich die Fähigkeit erringen, mit dem geistigen Auge schauen zu können. Es wäre kein Fortschritt der Menschheit, wenn Christus noch einmal im physischen Leibe erscheinen müßte. Das nächste Mal wird er sich im Ätherleibe offenbaren.
18 Was die verschiedenen Religionsbekenntnisse geben konnten, das ist zusammengetragen worden durch Christian Rosenkreutz und das Kollegium der Zwölf. Die Wirkung davon wird sein, dasjenige, was die einzelnen Religionen gegeben haben, was ihre Bekenner erstrebt und ersehnt haben, im Christus-Impuls zu finden. Dieses wird die Entwickelung der nächsten drei Jahrtausende sein: das Verständnis für diesen Christus-Impuls zu schaffen und zu fördern. Vom zwanzigsten Jahrhundert an werden alle Religionen im Rosenkreuzermysterium vereinigt sein. Und das wird möglich sein in den nächsten drei Jahrtausenden, weil es nicht mehr nötig sein wird, aus dem, was die Dokumente enthalten, die Menschheit zu belehren, sondern durch den Anblick des Christus werden sie selbst verstehen lernen das Ereignis, welches Paulus vor Damaskus erlebte. Die Menschheit wird selbst durch das Paulus-Ereignis hindurchgehen.
19 Fünftausend Jahre nach der Erleuchtung des Buddha unter dem Bodhibaum wird der Maitreya-Buddha erscheinen, das ist ungefähr dreitausend Jahre von jetzt an gerechnet. Er wird der Nachfolger des Gautama Buddha sein. Unter wahren Okkultisten ist darüber gar keine Diskussion möglich. Westliche und östliche Okkultisten sind sich darüber einig. Zwei Dinge stehen also fest:
20 Erstens, daß der Christus nur einmal im physischen Leibe erscheinen konnte und daß er im zwanzigsten Jahrhundert im Ätherleibe erscheinen wird. Im zwanzigsten Jahrhundert werden zwar große Individualitäten auftauchen, zum Beispiel der Bodhisattva als Nachfolger des Gautama Buddha, der in etwa dreitausend Jahren der Maitreya-Buddha werden wird. Aber kein wahrer Okkultist wird irgendeinen physisch verkörperten Menschen im zwanzigsten Jahrhundert als Christus bezeichnen, kein wirklicher Okkultist wird den Christus im zwanzigsten Jahrhundert im physischen Leibe erwarten. Jeder wirkliche Okkultist wird ein Unrecht in einer solchen Behauptung finden. Der Bodhisattva wird aber gerade auf den Christus hinweisen.
21 Zweitens, der Bodhisattva, der in Jeshu ben Pandira erschienen ist, wird erst in dreitausend Jahren - von heute an gerechnet - als der Maitreya-Buddha erscheinen. Gerade die wirklichen Okkultisten Indiens würden sich entsetzen, wenn man behaupten wollte, der Maitreya-Buddha könne vorher erscheinen. Es mag allerdings in Indien auch solche Okkultisten geben, die nicht wirkliche Okkultisten sind, die aus Nebenzwecken, von einem schon jetzt inkarnierten Maitreya-Buddha sprechen. Ein richtiges Sichhingeben an die Rosenkreuzer-Theosophie und richtige Devotion gegenüber Christian Rosenkreutz kann jeden davor bewahren, in diese Irrtümer zu verfallen.
22 Alle diese Dinge werden so gesagt im Rosenkreuzertum, daß sie von der Vernunft nachgeprüft werden können. Durch den gesunden Menschenverstand können alle diese Sachen geprüft werden. Glauben Sie mir auf Autorität hin gar nichts, sondern betrachten Sie alles, was ich sage, nur als Anregung und prüfen Sie dann selbst. Ich bin ganz ruhig, je mehr Sie prüfen werden, umsomehr werden Sie Theosophie oder Geisteswissenschaft vernünftig finden. Je weniger Autoritätsglauben, desto mehr Verständnis für Christian Rosenkreutz. Wir erkennen Christian Rosenkreutz am besten, wenn wir uns so recht in seine Individualität vertiefen und uns bewußt werden, daß der Geist dieses Christian Rosenkreutz fort und fort besteht. Und je mehr wir uns diesem großen Geiste nähern, desto mehr Kraft wird uns zukommen. Von dem Ätherleib dieses großen Führers, der immer und immer da sein wird, können wir viel Kraft und Beistand erhoffen, wenn wir diesen großen Führer um seine Hilfe bitten.
23 Auch das seltsame Ereignis des Siechtums des Christian Rosenkreutz werden wir verstehen können, wenn wir uns richtig in die geisteswissenschaftliche Arbeit vertiefen. Es war im dreizehnten Jahrhundert, daß diese Individualität lebte in einem physischen Leibe, der bis zur Durchsichtigkeit entkräftet war, so daß er während einiger Tage wie tot dalag und daß er während dieser Zeit von den Zwölf die Weisheit dieser Zwölf aufnahm und auch das Ereignis von Damaskus erlebte.
24 Möge der Geist des richtigen Rosenkreuzertums gerade in diesem Zweige walten und inspirierend wirken, dann wird der große Ätherleib des Christian Rosenkreutz um so wirksamer hier sein.
25 Damit sei die Arbeit des Zweiges hier eingeleitet, und diejenigen, die hier versammelt sind, mögen nach Kräften ihren Mitbrüdern in Neuenburg beistehen und ihnen oft gute Gedanken hersenden, daß der Geist des hier gegründeten Zweiges fort und fort bestehen möge. Je mehr wir uns der hohen Sache nähern und die Arbeit in diesem Geiste fortführen, desto schneller werden wir zum Ziele gelangen. Ich möchte selber immer und immer an unsere große, verheißungsvolle Arbeit erinnern und bitte den großen Führer des Abendlandes um seine Hilfe. So möge denn der Zweig einer der Bausteine sein zu dem Tempel, den wir aufbauen möchten. Im Geiste des Christian Rosenkreutz haben wir diesen Zweig eröffnet, und im Geiste des Christian Rosenkreutz wollen wir versuchen, die Arbeit weiter zu führen.
S.69ff
°¹ Heinrich Khunrath, 1560-1605, praktischer Arzt und Verfasser zahlreicher alchimistischer Schriften. Das in einer Vortragsnachschrift vorkommende «Nashni Khuni» dürfte mit «Khuni» auf Khunrath deuten.
S.347
(aus «GA 130»)
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWvtr113000069.htm