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Neudenken:
Boehmes Menschenbild
1 Wo immer man Böhmes [a] Werk aufschlägt, fällt einem diese universelle, auf Ganzheitserkenntnis hinzielende Betrachtungsweise auf. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang Böhmes Feststellung: Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen sei Ausfluß der Liebe [b] Gottes. Gottes Liebe und das Erkenntnisvermögen des Menschen sind somit aufeinander bezogen. Einen oberflächlichen Erkenntnisoptimismus lehnt Böhme freilich ab. Er weiß, in welche grausame erschreckliche Finsternis wir geraten, vor allem, wenn wir meinen, jener Tiefenschau des Selbst nicht bedürftig zu sein. Denn es kann sich kein Mensch entschuldigen seiner Unwissenheit, sintemal Gottes Wille ist in unser Gemüte geschrieben.¹⁵⁶
2 Böhme rechnet demnach mit beidem: einmal damit, daß der Mensch makellos und von engelhafter Vollkommenheit aus der Schöpferhand [c] hervorgegangen ist; zum anderen, daß der Fall Luzifers, der jene kosmische Katastrophe ausgelöst hat, auch den Menschen in die Finsternis stieß.[d] Der Gottebenbildlichkeit (imago dei) ist er deswegen nicht verlustig gegangen. Es gibt eine Hoffnung für den Menschen. Sie stützt sich auf den Christus und die Christustatsache von gesamtmenschheitlichen und kosmischen Ausmaßen.[e] Dieser Christus ist - um mit Paulus zu reden - auch für Böhme der «neue Adam». Vom Menschenbild reden heißt für Böhme, mit dem kosmischen Christus rechnen.
3 Mit gleichem Recht kann man sagen: Alle Theosophie und Kosmosophie zielt bei Jakob Böhme auf eine Anthroposophie,[f] auf Weisheit vom Menschen hin. Zunächst teilt der «Philosophus teutonicus» die naturphilosophischen Grundanschauungen seiner Zeit, die uns auch von Paracelsus [g] her bekannt sind, wenn er den Menschen als einen Mikrokosmos, als eine kleine Welt ansieht. Das besagt: Der Mensch ist eingeordnet in das große Ganze des Kosmos, der gemäß der offiziellen Kirchenlehre aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen ist. Und so wie es im Universum Stufen des Seins, das Pulsieren geistig-physischer Kräfte, Prozesse des Werdens gibt, so ist auch der Mensch ein Geschöpf von geistlicher und leiblicher Beschaffenheit. Er kommt aus einem Zustand der Ganzheit. Durch einen tragischen Fall ist dieses Bild des Urstands korrumpiert. Der Mensch verlangt danach, neuer Vollkommenheit entgegengebracht zu werden. Dazu ist der Weg zu weisen.
4 Böhmes Menschen-Weisheit beschreibt demnach nicht ein statisches Faktum, sondern die Dynamik eines dramatischen Prozesses. Der Mensch ist im Werden. Er ist noch nicht vollendet, aber doch vollendbar. Der Mensch ist ein Prozeß. Der Mensch ist eine kleine Welt aus der großen und hat der ganzen großen Welt Eigenschaft in sich: Also hat er auch der Erden und Steine Eigenschaft in sich, denn Gott sprach zu ihm nach dem Falle: Du bist Erde und sollst zu Erde werden. Das ist Sulphur, Mercurius und Sal;[h] darinnen steht alles in dieser Welt, es sei geistlich oder leiblich.¹⁵⁷
S.97f
Gerhard Wehr
156 Ebd. [Beschreibungen der drei Prinzipien; 1730], Vorrede 7
157 Theos[ophische] Sendbriefe [Ausgabe 1730], 22, 7
S.136
aus «Jakob Böhme»
Unsere Anmerkungen
a] der von Hegel als erster deutscher Philosoph bezeichnete Schuster und spätere Garnhändler Jakob Boehme
b] des liebevollen Willens (vgl. „Du willst”)
c] vgl. G.Wehr zu Ungrund u. Sophia
d] vgl. R.Steiner zum Streit am Himmel
e] vgl. Mbl.23-27
f] vgl. Mbl.3
g] Theophrastus Bombastus v.HOHENHEIM, genannt Paracelsus
h] vgl. R.Steiner zu Salz-, Phosphor- u. Merkurprozess
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202303.htm