zum IMPRESSUM
Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Gerhard WEHR zu
UNGRUND und SOPHIA
1 Daß Böhme alles andere als ein naiver Bibelleser ist, zeigen die einleitenden Abschnitte, die auf die Spannungsgeladenheit alttestamentlicher Aussagen über Gott hindeuten. Das Bekenntnis zum »einen Gott« und zum »ewigen Einen« (1,3) duldet keine Annäherung, etwa an platonisch-neuplatonische Vorstellungen. Der Böhmesche Zentralbegriff des »Ungrundes«[a], der Gegensätze von Licht und Finsternis, von Liebe und Zorn usw. übersteigt, ist »unergründlicher, unfaßlicher, unnatürlicher und unkreatürlicher Wille« (1,4). Von diesem Ungrund heißt es in dem umfänglichen Genesis-Kommentar »Mysterium Magnum« (1,4) einmal, es sei »das Chaos,[b] da alles innen lieget«.
2 Das Gottes- und Schöpfungsgeheimnis liegt für Böhme darin, daß dieser Ungrund als ein mit allen schöpferischen Potenzen gefülltes »Nichts« zu einem »Etwas« findet (1,5).[c] Das Mysterium einer einzigen großen Selbstentäußerung Gottes wird Ereignis. Das erste Kapitel der »Gnadenwahl« möchte nun in der Weise den Schleier, der darüberliegt, lüften, daß der verborgene Gott [deus absconditus] als der vorgestellt wird, der sich in seiner Dreigestalt entbirgt (1,6 f,; 1,22 ff.), und zwar - anscheinend - über das trinitarische Bild des christlichen Dogmas hinaus. Eine vierte Manifestation kommt in den Blick, nämlich »Gottes Weisheit und Beschaulichkeit«. Damit ist die kosmologische Seite des Sophien-Geheimnisses berührt. Wir wissen von der göttlichen Sophia [ἡ σοφία] aus der althebräischen Weisheitsliteratur und nicht zuletzt aus der kabbalistischen Tradition. Jakob Böhme ist nun derjenige, der der göttlichen Sophia im Raum der nachreformatorischen Mystik Heimatrecht verschafft hat. Zu den ersten großen Dokumenten gehört das bedeutsame Werk »Das Geheimnis der göttlichen Sophia«, das der unter dem Einfluß Böhmes stehende Gottfried Arnold im Jahre 1700 hinausgehen ließ. [...]
3 Hier möchte Böhme die göttliche Sophia offensichtlich nicht als Teil einer Quaternität (Vierheit) sehen, weshalb er nach der Nennung der vier Manifestationsweisen der Gottheit (1,7) ausdrücklich fortfährt: »Dieses dreifältige Wesen ...« Von Manifestationsweisen zu sprechen kann übrigens nur einen recht vorläufigen, uneigentlichen Sinn haben, denn Vater, Sohn und Geist im Spiegel der Weisheit sind »vor« aller, jenseits aller Schöpfung; sie sind jenseits aller Kategorien (1,8) Inbegriff des »einigen Willens«. Es ist im besonderen der Wille und die Lust zur Selbstoffenbarung des im Status des Ungrundes befindlichen Gottes.
4 Um inhaltlich-theosophische Aussagen handelt es sich hier und in den folgenden Abschnitten insofern, als Böhme den Blick des Lesers (1,18 ff.) auf den »Gott außer der Natur und Kreatur« richtet, wobei Jehova (1,16) - Böhme schreibt diesen Gottesnamen meist in großen Lettern![d] - jenen kraftenden Willen meint, der der Trinität und der göttlichen Weisheit zugrunde liegt, jenseits von Gut und Böse (1,20 ff.), jenseits aller Differenzierung (1,23) und nicht lokalisierbar (1,27). Böhmes Aufforderung, in einem meditativen Akt die Vorstellung vom »ausgesprochenen, geformten Wort« wegzunehmen, um des »ewigsprechenden Wortes« der puren Gottheit inne zu werden, unterstreicht die Vorläufigkeit und Uneigentlichkeit der Gottesbilder überhaupt (1,29). Da überrascht der Hinweis (1,29), daß es trotz allem einen Weg zu Gott gebe und daß der nicht lokalisierbare Gott nirgends anders ist als im Menschen selbst. [...]
S.17ff
5 Der »Schluß«, das Resultat, zu dem Böhme gelangt, ist spätestens im 11. Kapitel deutlich ausgesprochen: »Darum ist das unser wahrer Schluß, daß über keinem Menschen ein vorsätzlicher Schluß zur Verdammnis sei gemacht,[e] daß es nicht möglich sei, daß er könne bekehrt werden. Denn ob wohl der Mensch sich selber nicht kann bekehren, so hat aber seine Seele Macht, von ihrem Urstande, aus der ewigen Scienz [f] des Ungrundes her sich in den Abgrund zu schwingen und in den Grund, darinnen Gott sein Wort gebieret ...[g] Daß aber einer sagen wollte, die Seele könne sich nicht in den Abgrund schwingen, der redet als einer, der noch lange nichts vom Geheimnis Gottes versteht ...«. - Und gerade darin besteht die Absicht des Görlitzer Geisteslehrers und Seelenführers, bei seinen Lesern spirituelles Verstehen in Gang zu bringen und den Weg zum Mysterium zu zeigen.
S.39
aus «Von der Gnadenwahl»
a] vgl. Mbl.15: Anm.1
b] vgl. Mbl-B.48
c] vgl. G.Scholem zum Weltprozess
d] in Anlehnung an das unaussprechliche JHWH (יהוה) der Israeliten
e] wie etwa der französische Reformextremist Calvin behauptet hatte
f] der willentliche Bewegungsimpuls des (An-)Ziehens, der Attraktion, somit auch des Strebens oder Tendierens - Newton hat später die Böhmesche Anziehungslehre zu Gravitationstheorie umgestaltet.
g] vgl. Hinabflug in die Urstille
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit012900017.htm