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Nachdenken:
Licht und Finsternis
Letztlich ist es der Manichäismus [a], der in seiner Urform die Möglichkeit bietet, auch dem Dualismus Recht widerfahren zu lassen. Denn der Manichäismus geht von Anfang an von zwei Prinzipien aus, vom Reich des Lichtes und vom Reich der Finsternis.[b] Als beide Reiche wirksam wurden, das heißt, als die Schöpfung sich entfaltete, lieferte sich das Licht unter Druck der angreifenden Mächte des Bösen der Finsternis [c] freiwillig aus, wodurch eine vollständige Vermischung der Wesenssubstanzen von Licht und Finsternis in Gang kam. Eine neue Substanz entstand, eine Mischsubstanz, die den ‹Stoff› erzeugt, um die Schöpfung bis in die Materie zu verwirklichen.[d] Auch der Mensch wurde aus dieser Mischsubstanz geschaffen, das bedeutet, die Wesensnatur des Menschen ist aus Licht und Dunkelheit [c] geschaffen.
Nicht jede Form des Dualismus beginnt so radikal wie der Manichäismus. Viele gnostische Lehren [e] setzen bei einem einzigen Prinzip an, nämlich beim Lichtreich, aus dem sich die Schöpfung bildete und durch einen ‹Sündenfall› ein Reich der Finsternis entstand, das nie Teil der göttlichen Intention war. Damit die Lichtwesen in Zukunft von den Mächten der Finsternis sicher sind, bauen sie eine undurchlässige Barriere um ihr Reich. In anderen Worten: Sie halten sich innerhalb der Mauern ihres eigenen Reiches auf und gehen der Spannung, die durch die Konfrontation mit dem absolut Anderen entsteht, aus dem Weg!
In der manichäischen Schöpfungsgeschichte spielt sich ein entgegengesetztes Ereignis ab. Statt dass sich die Lichtwesen ‹schützen›, begeben sie sich - der Anfangsopfertat des Lichtnous [f] oder des Urmenschen folgend - in das Spannungsfeld, das durch die ganze Schöpfung hindurch aufrechterhalten wird, um von innen heraus Teil des Kerns menschlicher Natur zu werden. Der Mensch ist nicht nur ein Wesen, das in ein Spannungsfeld hineingestellt ist, sondern er ist derjenige, dessen Wesen selbst der Ausdruck einer immerwährenden Spannung ist. Sinn dieser Spannung ist: Im und durch das Aushalten der gegensätzlichen Wirkungen der beiden Pole etwas Neues entstehen zu lassen. In der manichäischen Kosmogonie ist dieses Neue eine Substanz, die dadurch entsteht, dass das Licht die Finsternis erlösen kann! Beide werden dadurch neu!
Sich aus dem Spannungsfeld zurückzuziehen und sich zu einem der beiden Pole zu bekennen, führt dazu, dass zwar dasjenige bewahrt und festgehalten wird, was bereits existiert, aber etwas Neues dadurch nicht entstehen kann. Wenn wirklich etwas Neues entstehen will, besteht die erste und einzige Bedingung darin, die Spannung, die man bis in die eigene Wesenheit durchlebt, auszuhalten.
[...]
Es gibt keinen Weg zur Trinität [g] und zum trinitarischen Denken, ohne sich nicht bewusst in diese Spannung begeben zu wollen.
Christine Gruwez
in »Das Goetheanum« 16/2008; S.5
Unsere Anmerkungen
a] persisch-hellenistische Strömung im Christentum, die von Mani im III.Jahrhundert begründet worden war
b] Damit zeigt er sich als Enkelströmung der urpersischen Kulturepoche (vgl. Mbl.7), deren Auswirkung übrigens bis in den Islam reicht (vgl. Sur.33,43).
c] Die Begriffe „Finsternis” (für das aktive Anti-Licht) und „Dunkelheit” (für das passive Nichtlicht) werden hier nicht unterschieden (siehe auch «E+E»: Abs.89).
d] Heutzutage fällt es oft schwer, die Begriffe „Substanz”, „Stoff” und „Materie” auseinanderzuhalten. Es kann helfen, Materie auf der atomaren Ebene (Unterwelt der physikalischen Teilchenbeziehungen aufgrund von Drehimpulsen, auch im Sinne von E=mc²) anzuwenden, Stoff auf der molekularen Ebene (Welt der chemischen Atomverbindungen, welche sinnlich erfahrbare Eigenschaften hervorrufen - vgl. zB. »Formelsammlung«: F13) und Substanz (wörtl. das „Unterlegte”) auf der nonmateriellen Wirklichkeits-Ebene (Welt der von bestimmten Wesen offenbarten, dh. hervorgerufenen Wirkungen - vgl »TzN Jän.2004«: Anm.b).
e] sich auf η γνϖσις (he gnõsis ~ geistige Erkenntnis) berufende Denkschulen, die von den drei etablierten monotheistischen Bekenntnissen als Ketzerei bekämpft wurden und werden
f] ο νοũς (ho noũs) von ο νόος (ho nóos ~ Sinn, Vernunft, Gedanke; in der Gnosis: Geistwesenheit)
g] vgl. Mbl.15
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200805.htm