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Neudenken:
Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
(Jh.19,22)
Alphabet und Schrift
1 Vier bedeutende und grundlegende Entdeckungen kennzeichnen die großen Epochen der Menschheitsentwicklung: die Bändigung des Feuers, die Erfindung des Rades bzw. der Rolle, die Entstehung der Schrift und die Erfindung des Buchdrucks.[a] Den drei technischen Erfindungen steht die größte und genialste Leistung des Menschen überhaupt gegenüber: die Erfindung des Alphabets, d. h. die Sichtbarmachung des gesprochenen, flüchtigen Lautes und damit des Wortes.
2 Die Schrift ist Träger[in] des Geistes, Bewahrer[in] alles Erdachten und Erforschten und Grundlage alles Zukünftigen.[b] In der unendlichen Abfolge von Generationen ist die Schrift bleibender Mittler[in] über die Jahrtausende hinweg. Nur durch sie wird uns das Leben im Ägypten der Bronzezeit gegenwärtig, erfahren wir über Denken und Handeln der Griechen und Römer ebenso wie über das Geschehen im Mittelalter.
3 Die Phönizier waren es, denen es um 1300 v. Chr. gelang, aus der Fülle der »Bilderschriften« des Vorderen Orients und auf deren Grundlage Lautzeichen herauszubilden, welche die Basis des heutigen Alphabets geworden sind.[c] Von den Griechen wurden diese Zeichen übernommen und weiterentwickelt zu einer sogenannten »Lapidarschrift« (lat.: lapis = der Stein), deren Formen noch heute fast unverändert im griechischen und zum Teil auch im kyrillischen Alphabet (z. B. in Rußland, Bulgarien, Jugoslawien [heute Serbien, Nordmazedonien und Montenegro]) mit einigen Ergänzungen fortbestehen. Das klassische Griechenland der vorchristlichen Jahrhunderte wurde durch sein Alphabet zur Wiege der abendländischen Kultur, in der die Grundformen unserer Buchstaben entstanden sind. [...] Die Römer übernahmen teilweise das Alphabet von den Griechen, ergänzten [d] es im Sinne der lateinischen Sprache und brachten es auf der Grundlage des Goldenen Schnitts (siehe »Rhythmus und Proportion in der Schrift« von Walter Käch, Walter-Verlag, Olten/Freiburg) zu einer Vollkommenheit, die bis auf den heutigen Tag nur in Details überboten werden konnte, wenn man von einigen, unserem derzeitigen Empfinden näherliegenden stil- und technikbedingten Schriftformen der Neuzeit absieht. Basis aller späteren Schriften unseres Sprachraums aber ist und bleibt die Capitalis romana, die klassische Antiqua (aus dem Lateinischen: caput = das Haupt, antiqua = die alte [Schrift]). Dieses Alphabet bestand in seiner ursprünglichen Form nur aus Großbuchstaben, den Versalien, die sich erst in mehreren Jahrhunderten über Kurrentformen (lat.: currere = laufen), Unzialschriften und Karolingische Minuskel (minuskel = Kleinbuchstabe) zum heutigen vollständigen Alphabet mit Groß- und Kleinbuchstaben entwickelten. Generationen von Schreibmönchen und höfischen Schreibern [e] ließen durch ihren Fleiß und ihr Können die stilgebundenen formenreichen Schriften der Romanik, der Gotik und der Renaissance entstehen. Sie alle bauten wiederum auf der Karolingischen Minuskel [siehe unten] auf.
Ernst Reimann
aus «Der Schriftatlas»; S.12
Karolingische Minuskel
Unsere Anmerkungen
a] Vor dem Rad wäre vielleicht noch das Boot zu nennen. Ob das Nutzbarmachen des untersinnlichen Elektromagnetismus samt Digitalisierung als weitere „grundlegende Entdeckung” gelten kann, bleibe ersteinmal offen.
b] Neben der eigentlichen Schrift tragen und bewahren dies immer noch die Bilder und Zeichen, vor allem jedoch die Weitergabe von Mund zu Ohr sowie das angeleitete, dann selbständige Erüben von Fertigkeiten.
c] Eine andre Entwicklung hat etwa zur chinesischen Schrift geführt (vgl. R.Wilhelm zum Kreislauf des Geschehens).
d] eigtl. reduzierten - zum Goldenen Schnitt siehe F20
e] Auch Nonnen kopierten, schrieben und illuminierten (bebilderten) als Skriptorinnen seit dem Mittelalter. Aus den weltlichen Kanzleischreibern entstanden die Grafen (von griech. gráphein ~ schreiben).
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202506.htm