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Neudenken:
Glaubenspsychologie
1 Auf der streng psychologischen Ebene, auf der diese Seiten bleiben wollen, verstehe ich unter «Glauben» jede Bejahung einer allgemeinen Perspektive des Universums durch unsere Intelligenz. Man kann versuchen, diese Bejahung durch gewisse Aspekte der Freiheit («Wahl») oder der Aktivität («Anziehung») zu definieren, die mit ihr einhergehen. Diese Merkmale scheinen mir abgeleitet oder sekundär zu sein. Das wesentliche Merkmal des psychologischen Glaubensaktes besteht meines Ermessens darin, eine Schlußfolgerung als möglich zu erkennen und als wahrscheinlicher anzunehmen, die aufgrund ihrer räumlichen Weite oder ihrer zeitlichen Entfernung alle analytischen Prämissen übergreift. Glauben heißt eine intellektuelle Synthese vollziehen.[a]
2 Unter dieser Voraussetzung scheint es mir, daß die erste von unserer Erfahrung jeglichem Gegenstand, sofern er wirklich sein soll, gesetzte Bedingung für diesen Gegenstand nicht darin besteht, immer sich selbst identisch zu bleiben oder im Gegenteil unaufhörlich sich zu wandeln - sondern zu wachsen, indem er gewisse eigene Dimensionen bewahrt, die ihn kontinuierlich sich selbst homogen machen.[b] In unserer Umgebung entsteht alles Leben aus einem anderen Leben oder einem «Vorleben», jede Freiheit aus einer anderen Freiheit oder einer «Vorfreiheit». In gleicher Weise würde ich im Bereich des Glaubens sagen, jeder Glaube entsteht aus einem Glauben. Dieses Entstehen schließt gewiß nicht den Gebrauch der Vernunft aus. Ebenso wie sich die Freiheit in der Natur bekundet, indem sie Determinismen [c] einfängt und einander zuordnet, so schreitet der Glaube in unserem Geist voran, indem er um uns herum ein kohärentes Netz von Denken und Tun webt. Doch letzten Endes nur unter dem organisierenden Einfluß des Anfangsglaubens hält und steigt dieses Netz auf. So verlangt es, in die Religionspsychologie übertragen, das Prinzip der Homogenität, das die synthetischen Transformationen [d] der Natur beherrscht.
3 Glauben heißt einen Akt der Synthese entwickeln, dessen erster Ursprung nicht faßbar ist.
4 Aus diesen beiden Sätzen folgt, daß ich, um mir selbst meinen christlichen [e] Glauben zu beweisen, keine andere Methode zu haben vermöchte (und auch tatsächlich niemals gefunden habe), als in mir die Legitimität einer psychologischen Evolution zu verifizieren. In einem ersten Schritt fühle ich das Bedürfnis, Stufe um Stufe zu immer elementareren Glaubensvorstellungen hinabzusteigen bis zu einer gewissen Grund-Intuition, unterhalb deren ich nichts mehr erkenne. In einem zweiten Schritt versuche ich, die natürliche Reihe (beinahe hätte ich gesagt das «Phylum»[f]) meiner aufeinanderfolgenden Glaubensakte in Richtung einer Gesamtschau wiederaufzusteigen, die sich schließlich mit dem Christentum deckt. - Zunächst die Festigkeit eines unvermeidlichen Anfangsglaubens verifizieren. Dann die organische Kontinuität der durch das Wachstum dieses Glaubens durchquerten aufeinanderfolgenden Stadien verifizieren. Für mich selbst kenne ich keine andere Apologetik [g]. Und folglich vermag ich jenen keine andere vorzuschlagen, für die ich das höchste Glück ersehne, eines Tages von Angesicht zu Angesicht vor einer einsgewordenen Welt zu stehen.
Pierre Teilhard de Chardin
aus «Mein Glaube»; S.118f
Unsere Anmerkungen
a] also das „Grosse Ganze” zu überschauen, und zwar nicht mit dem Intellekt sondern mit der Intelligenz
b] fortlaufend (mehr) seinem Wesen zu entsprechen
c] vgl. G.Kühlewind zu Determination und Freiheit
d] R.Steiner spricht von Metamorphosen (~ Formverwandlungen; vgl. E.Marti zum Gestaltwandel).
e] Teilhard war letztlich gehorsamer Priester der Societas Jesu (Jesuit).
f] der Stamm (eine Rangstufe der Taxonomie in der biologischen Systematik)
g] ~ Rechtfertigung
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202401.htm