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Neudenken:
Wohlstand für alle
Das war die Parole der fünfziger Jahre. Die soziale Marktwirtschaft [a] hielt im großen und ganzen, was sie versprochen hatte. Das Ergebnis war »Wohlstand für die meisten«; für die wenigen, die im Nachkriegswestdeutschland zu kurz kamen, blieb der Trost, daß sie nicht verhungern mußten.
Das Elend außerhalb - der Hunger in Afrika, Asien und Südamerika - war kein Bilanzposten in der heimischen Wohlstandsrechnung und ist es auch heute nicht. Spaßverderber und Moraltheologen behaupten hartnäckig, unser Wohlstand sei zu einem nicht geringen Teil Frucht der Ausbeutung der sogenannten Entwicklungsländer. Für diese Behauptung gibt es einige oder viele Gründe von Fall zu Fall, verallgemeinern läßt sie sich nicht. Notleidend sind die Völker der Dritten und Vierten Welt mindestens auch deshalb, weil ihre politische Führung nicht selten korrupt oder unfähig oder beides ist; und weil sich der traditionelle Tribalismus [b] in vielen Regionen als unerwartet zählebig erweist. Wieviel blanke Ausbeutung von seiten der Industriestaaten einschließlich der Bundesrepublik [c] immer im Spiel gewesen sein mag, viele sogenannte Entwicklungsländer sind von Hause aus begütert und könnten aus eigener Kraft eine ertragreiche Wirtschaft aufbauen, wenn ihre Regierungen weniger Geld für persönlichen Luxus der Führungsschicht und sonstigen Unsinn, für Rüstung und Militär bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen, ausgäben. [...] Zur Exkulpation für die Versäumnisse und Fehler der Industriestaaten [d] in ihren Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern der Dritten und Vierten Welt taugt das alles dennoch nicht.
Mittlerweile werden wir den Begriff des Wohlstandes auffrischen müssen. Der ökologische Aspekt darf nicht länger nur eine Verzierung sein. Ebenso muß die soziale Dimension dem wirtschaftlichen Handeln eine andere Richtung geben.
[...]
Die Grundform der Wirtschaft ist die Kooperation. Sie verbindet Sachverstand und Erfahrungswissen der Wirtschaftssubjekte in so effizienter Weise, daß Dynamik und Flexibilität der Wirtschaft Wohlstand und Wohlbefinden zu erzeugen vermögen. Wer in die Gesichter der Menschen schaut, die in den Großstädten, in den Wirtschaftszentren unterwegs sind, wird kaum ein Zeichen von ausgeprägtem Wohlbefinden entdecken. Die Emsigkeit, die Hast, der Streß und die Depressionen in der Fertigwarenwelt [e] hinterlassen Spuren, die im Gehen, wenn der Mensch sich nicht verstellt, deutlich sichtbar werden. Viele Menschen sind innerlich auf der Flucht, vor sich selbst, vor der Alltagsöde, vor der inneren Leere und der Zivilisationswüste. Das klingt scheußlich kulturpessimistisch, ist aber die bittere Wahrheit.
Worin die Menschen ihr Vergnügen und den Sinn ihres Lebens finden, kann weder Staat noch Wirtschaft verordnen, planen oder vorausbestimmen. Schaffen aber Wirtschaft und Staat nicht inhumane Zwänge, die die Menschen daran hindern, nach ihrer wahren Bestimmung oder nach dem, was sie dafür halten, zu leben?
Wirtschaft besteht in Wertschöpfung und Werteverzehr, beides vermittelt durch Geld.[f] Der Begriff der Wertschöpfung ist unterdessen prekär geworden. Wenn bei der Wertschöpfung mehr Werte - ohne daß es innerhalb der einzel- oder gesamt-wirtschaftlichen Abrechnung bemerkt wird - zerstört als geschaffen werden, dann stimmt das Gefüge unserer ökonomischen Denk- und Handlungsweise nicht mehr. [...]
Die Wirtschaft kann sich somit nicht allein auf sich selbst beziehen, sondern sie erhält ihr Profil aus der Kultur, genauso wie sie sich in die Rahmenbedingungen des Rechts einordnen muß. Sonst gerät die Wirtschaft außer Rand und Band. Dann wird ihr oberstes Gesetz, es muß mehr konsumiert werden, damit mehr produziert werden kann: Es muß mehr produziert werden, damit mehr Einkommen erzielt wird; es muß mehr Einkommen erzielt werden, damit mehr Steuern gezahlt werden können; es müssen mehr Steuern gezahlt werden, damit mehr konsumiert wird und produziert werden kann, und so weiter.[g]
Otto Schily
aus «Flora, Fauna und Finanzen»; S.236ff
Unsere Anmerkungen
a] Die soziale Marktwirtschaft wurde in Deutschland unter Adenauer und Erhard eingeführt, in Österreich unter Figl und Raab.
b] doch nicht nur dieses enge Stammesdenken, sondern auch veraltete religiöse Gebräuche
c] leider auch von seiten der „Neutralen” (Österreich und Schweiz)
d] die ja oft genug auch Kolonialstaaten gewesen sind
e] heutzutage zudem noch in der Kommunikationswelt ständiger Erreichbarkeit
f] ursprünglich durch Tauschen, später durch Tauschsubstitute (vgl. Mbl-B.8)
g] die Tretmühle „Wirtschaftswachstum” aus der pseudorationalen Hamstermentalität heraus
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201203.htm