WfGW-Schriftzug
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Neudenken:
Geschlecht und Denken
Durch die in Urzeiten [a] erfolgte Trennung der Geschlechter geschieht die Befruchtung von außen. Dadurch werden aber auch leiblich gebundene Kräfte frei, die nun die Möglichkeit für eine höhere Art der »Befruchtung« durch den Geist bieten, die erst das individuelle, selbständige Denken ermöglicht. Gleichzeitig mit der Trennung in einzelne Geschlechter und der Bildung der unteren Konzeptionsorgane entstand somit das Gehirn als oberes »Empfängnisorgan« für das Geistige. Die Kraft, durch die der Mensch sich ein denkendes Gehirn geformt hat, ist also dieselbe, durch die sich in vergangenen Zeiten der noch doppelgeschlechtliche Mensch selbst befruchtet hat. Das Denken ist somit durch die Eingeschlechtlichkeit erkauft worden. Durch das entgegengesetzte Geschlecht wird uns eine organische Tätigkeit, die sich bisher einst auf den Menschen selbst gerichtet hatte, abgenommen und kann sich nun in höhere Produktivkräfte sublimieren beziehungsweise umbilden. Was im Leiblichen einseitig geworden ist, wird durch den Geist nun wieder vollständig und damit vollmenschlich gemacht.[b]
Der Zusammenhang der Fortpflanzung, also der organischen Produktivkräfte mit den höheren Erkenntnisfähigkeiten ist aufschlußreich. Wir wissen aus den alten asiatischen aber auch europäischen Kulturen - zum Beispiel von bestimmten Mönchsorden -, wie man dort versucht hat, durch Umwandlung der Sexualkraft höhere Erkenntniskräfte zu erlangen. Fortpflanzungskräfte und höheres visionäres Denken gehören also zusammen. Man kann daher immer wieder erleben, wie das erotische Element [c] das künstlerisch-produktive Schaffen anregt - der Zusammenhang des Verliebtseins mit poetischen Produktionen ist allgemein bekannt. Man kann aber auch - besonders an Künstlerbiographien - das Umgekehrte beobachten. Das Verlangen, sich mit dem getrennten Geschlecht, das heißt aber auch mit dem Geistigen durch Erkenntnis zu vereinigen, wird als »Liebe« bezeichnet.[d] Deshalb sind der Erkenntnis- und der erotische Trieb auffallend aufeinander bezogen. Sie befinden sich stets in der Gefahr, miteinander vermischt und mißbraucht zu werden. Der höhere Erkenntnistrieb und der »niedere« erotische Trieb sind Begleiterscheinungen des Wirkens der Seele in einem eingeschlechtlichen Leib.
Wie wir schon sahen, bedingen sich sinnliche und geistige Liebe. Die eine geht mehr nach außen, die andere, die geistige Form von Weisheit und Erkenntnis, mehr nach innen. Im Leiblich-Seelischen erleben wir also immer eine gewisse Einseitigkeit. Erst in den höheren Seelenbereichen [e] haben wir bei Mann und Frau wieder die »Doppelgeschlechtlichkeit«: Der Geist befruchtet die weibliche Seele des Mannes und macht sie »männlich-weiblich«, auf die männliche Seele der Frau wirkt der Geist weiblich und macht sie »weiblich-männlich«. Im höheren Sinn haben wir dadurch wieder eine Ganzheit, in der die Geschlechterunterschiede trotz unterschiedlicher Nuancen aufgehoben sind. Gleichheit oder Gleichwertigkeit heißt also noch nicht Gleichartigkeit.
Olaf Koob
aus «Das Ich und sein Doppelgänger»; S.170ff
Unsere Anmerkungen
a] in der lemurischen Epoche (vgl. Mbl.7)
b] Diesen Prozess nennt C.G.Jung Individuation.
c] vgl. «E+E»: Anm.155
d] vgl. »TzN Okt.2006«
e] vgl. Mbl.5
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200810.htm