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Merkblatt-
Beilage 33:
Zur Meditation
Rudolf Steiner
1 Solches Leben der Seele in Gedanken, das sich immer mehr erweitert zu einem Leben in geistiger Wesenheit, nennt die Gnosis, die Geisteswissenschaft Meditation (beschauliches Nachdenken) [a]. Diese Meditation ist das Mittel übersinnlicher Erkenntnis. - Aber nicht schwelgen in Gefühlen soll der Geheimschüler in solchen Augenblicken. Er soll nicht unbestimmte Empfindungen in seiner Seele haben. Das würde ihn nur hindern, zu wahrer geistiger Erkenntnis zu kommen. Klar, scharf, bestimmt sollen sich seine Gedanken gestalten.[b] Dazu wird er einen Anhalt finden, wenn er sich nicht blind an die Gedanken hält, die ihm aufsteigen. Er soll sich vielmehr mit den hohen Gedanken durchdringen, welche vorgeschrittene, schon vom Geist erfaßte Menschen in solchen Augenblicken gedacht haben. Er soll zum Ausgangspunkte die Schriften nehmen, die selbst solcher Offenbarung in der Meditation entsprossen sind. In der mystischen, in der gnostischen, in der geisteswissenschaftlichen Literatur von heute findet der Geheimschüler solche Schriften. Da ergeben sich ihm die Stoffe zu seiner Meditation. Die Geistsucher haben selbst in solchen Schriften die Gedanken der göttlichen Wissenschaft niedergelegt; der Geist hat durch seine Boten sie der Welt verkündigen lassen.
Durch solche Meditation geht eine völlige Verwandlung mit dem Geheimschüler vor. Er fängt an, über die Wirklichkeit ganz neue Vorstellungen sich zu bilden. Alle Dinge erhalten für ihn einen anderen Wert. Immer wieder muß es gesagt werden: nicht weltfremd wird der Geheimschüler durch solche Wandlung. Er wird auf keinen Fall seinem alltäglichen Pflichtenkreis entfremdet. Denn er lernt einsehen, daß die geringste Handlung, die er zu vollbringen hat, das geringste Erlebnis, das sich ihm darbietet, im Zusammenhang stehen mit den großen Weltwesenheiten und Weltereignissen. Wird ihm dieser Zusammenhang durch seine beschaulichen Augenblicke erst klar, dann geht er mit neuer vollerer Kraft an seinen täglichen Wirkungskreis. Denn jetzt weiß er: was er arbeitet, was er leidet, das arbeitet, leidet er um eines großen, geistigen Weltzusammenhanges willen. Kraft zum Leben, nicht Lässigkeit quillt aus der Meditation.
[...]
Wer sich durch die Meditation erhebt zu dem, was den Menschen mit dem Geist verbindet, der beginnt in sich das zu beleben, was ewig in ihm ist, was nicht durch Geburt und Tod begrenzt ist. Nur diejenigen können zweifeln an einem solchen Ewigen, die es nicht selbst erlebt haben.[c] So ist die Meditation der Weg, der den Menschen auch zur Erkenntnis, zur Anschauung seines ewigen, unzerstörbaren Wesenskernes führt. Und nur durch sie kann der Mensch zu solcher Anschauung kommen. [...]
aus «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten»; S.38ff
2 Meditation und Konzentration sind die sicheren Mittel, um zu dieser Stufe, ebenso wie zu den früheren [d] hinanzusteigen. Allerdings müssen sie in stiller, geduldiger Art geübt werden. Wer da glaubt, daß er tumultuarisch, mit Gewaltmitteln zu den höheren Welten steigen kann, der irrt sich. Und einem solchen Glauben würde sich derjenige hingeben, welcher erwartete, daß ihm die Wirklichkeit auf höheren Gebieten in ebensolcher Art entgegentritt wie in der Sinnenwelt. So lebhaft und reich auch die Welten sind, zu denen man hinansteigt, sie sind fein und subtil, während die Sinnenwelt grob und derb ist. Das Wichtigste, was man lernen muß, ist gerade die Gewöhnung daran, etwas ganz anderes «wirklich» zu nennen, als was man im Bereich der Sinne so bezeichnet.
aus «Die Stufen der höheren Erkenntnis»; S.23f
3 Wer meditiert, und sei es in der einfachsten Art, durch irgendeine der von den geistigen Führern der Menschheit stammenden Meditationsformeln, wer meditiert und sich also im Geiste irgendeine der Formeln, irgendeinen der bedeutenden Gedankeninhalte [e] gegenwärtig sein läßt [...], in seinem Herzen leben läßt, der durchlebt ein Zusammenfließen mit der höheren Geistigkeit, es durchströmt ihn eine höhere Kraft. Er lebt in ihr. Er schafft zunächst Kraft, um seine gewöhnlichen Geisteskräfte daran zu stärken, zu heben, zu beleben, und wenn er genügend Geduld und Ausdauer hat und diese Kraft vielleicht bis zur moralischen und intellektuellen Stärkung in sich hat einfließen lassen, dann kommt auch der Zeitpunkt, wo tiefere, in jeder Menschenseele schlummernden Kräfte geweckt werden können durch einen solchen Meditationsinhalt. Von der einfachsten moralischen Stärkung und Kräftigung bis zu den höchsten Gebieten des hellseherischen Vermögens gibt es alle möglichen Stufen, welche durch ein solches Meditieren erreicht werden können.
Berlin, 28.I.1907 ☽ (in «GA 96»; S.202f)
4 Etwas anderes ist es aber, wenn der Mensch durch Meditation, Konzentration und durch andere Übungen, welche zum Behufe der höheren Erkenntnis gemacht werden, während seines Tageslebens starke Wirkungen auf seine Seele, das heißt auf seinen astralen Leib und Ich erlebt, wenn er also gewisse Zeiten hat, die er sich aussondert vom gewöhnlichen Tagesleben, in denen er etwas ganz anderes tut als im gewöhnlichen Tagesleben; wenn er sich in besonderen Zeiten nicht hingibt demjenigen, was ihm die äußere Welt für die Sinne, für den Verstand sagen kann, sondern wenn er sich hingibt demjenigen, was eine Kunde und ein Ergebnis der geistigen Welten ist. Wenn er also in Meditation, Konzentration und anderen Übungen einen, wenn auch noch so kurzen Teil des tagwachen Lebens hinbringt, dann wirkt das auf seine Seele so, daß der astralische Leib in der Nacht, wenn er aus dem physischen Leib heraustritt, die Wirkungen dieser Meditation, Konzentration und so weiter erfährt und dadurch anderen Elastizitäten folgt als jenen des physischen Leibes.
München, 24.VIII.1909 ♂ (in «GA 113»; S.31)
5a Wie ist es in der Geisteswelt? Wenn man erleben will das, wovon ich gesagt habe, daß es so flüchtig, so leicht fluktuierend und leicht beweglich ist gegenüber den Vorgängen und Dingen der physischen Welt, daß wir zwar auch drinnen leben wie in den groben Dingen der physischen Welt, aber sie nicht erleben, weil sie zu fein sind - wenn man dieses fluktuierende Feine erleben will, so kann man es zunächst nur dadurch erleben, daß man das, was unser gewöhnliches Ich ist, was der Träger unserer Individualität, unserer Egoität ist, herabstimmt, richtig herabstimmt. In einer richtigen Meditation tun wir das. Worin besteht diese Meditation? Wir nehmen uns irgendeinen Vorstellungsinhalt [e] und überlassen uns ganz diesem Vorstellungsinhalt. Wir vergessen uns selber und leben, indem wir die Egoität des gewöhnlichen Tagesbewußtseins unterdrücken. Wir schalten aus alles, was mit der Egoität des Tagesbewußtseins zusammenhängt. Und da wir als Menschen nur gewöhnt sind, für den physischen Plan die Egoität anzuwenden, haben wir zunächst überhaupt die Egoität unterdrückt. Statt daß wir im physischen und Ätherleib leben, gelingt es uns allmählich, daß wir durch Unterdrücken der Egoität nur im Astralleib leben.[f]
5b Merken Sie wohl: das ist es, worauf es ankommt. Wenn wir meditieren, uns konzentrieren, haben wir immer zunächst das Ziel, das Bestreben, nicht in der Egoität zu leben. Die darf dann nicht physische Erfahrungen vermitteln, sondern wir haben das Bestreben, sie herunterzudrücken in den Astralleib. Wenn sie im Astralleib ist, spiegelt sie sich zunächst nicht im physischen Leib. Wenn Sie das Bukettchen [g] sehen, sind Sie in Wahrheit in dem Bukettchen drinnen. Der physische Leib ist ein Spiegelapparat, und Sie sehen das Bukettchen, weil er es Ihnen spiegelt. Wenn Sie das Ich mit der Egoität unterdrücken, dann werden Sie im Astralleib drinnen sein. Und der ist jetzt so fein, daß Sie die feinen fluktuierenden Dinge der Außenwelt bewußt wahrnehmen können, aber - die müssen nun auch erst gespiegelt werden, wenn Sie sie wirklich wahrnehmen sollen. [...] Und gerade wie man im gewöhnlichen Leben durch den physischen Leib das, was man erlebt, gespiegelt erhält, so muß man, wenn man in der geistigen Welt bewußt wahrnehmen will, durch den Ätherleib die Erlebnisse des astralischen Leibes zunächst gespiegelt erhalten.
Dornach, 3.X.1914 ♄ (in «GA 156»; S.19f)
6a Geistesforschung kann nicht beim Denken bloß stehenbleiben. Geisteswissenschaft muß das Denken verstärken, erkraften, muß auf das Denken eine seelische Tätigkeit anwenden, die man bezeichnen kann mit dem Worte Meditation.[b]
6b Worin besteht diese Meditation? Sie besteht nicht so sehr in einem Vertiefen des Denkens, sondern in einem Verstärken des Denkens. Gewisse Gedanken, die man sich vorsetzt, die man immer wiederum in das Bewußtsein bringt, bis sie dem Denken so viel innere Dichtigkeit gegeben haben, daß das Denken nicht bloß Denken ist, sondern Erlebnis wird wie ein anderes Erlebnis, das eben ein stärkeres Erlebnis ist als das bloße abstrakte Denken: das ist Meditieren. Das Meditieren macht manchem viel Mühe. Je nach den verschiedenen Anlagen muß man sich mehr oder weniger monate-, jahrelang oder noch länger dabei anstrengen; allein es kann bei jedem Menschen dasjenige Erleben herbeigeführt werden, das hier gemeint ist. Es ist dasjenige, was der Geistesforschung zugrunde gelegt werden soll, [c] nicht irgend etwas, was nur aus Erlebnissen erlesener einzelner Menschen zustande kommt, sondern dasjenige, wozu jeder Mensch gelangen kann.
Zürich, 8.X.1918 ♂ (in «GA 73»; S.227f)
7 Es ist bequemer, das oder jenes einzunehmen, statt zu meditieren. Es richtet sich der Mensch dadurch in einer gewissen Weise gerade moralisch zugrunde. Aber die Leute würden doch heute mit der gegenwärtigen moralischen Menschenverfassung nicht nachgeben [...] und würden, statt zu meditieren, lieber irgendein äußeres Mittel einnehmen wollen, das ihnen zunächst auf den ersten Schritten des Weges zu einem ähnlichen Resultate verhelfen würde wie das Meditieren. Es ist tatsächlich so, daß so etwas sein kann.[h] Denn sehen Sie, Sie merken nämlich, wenn Sie eine Zeitlang Ihr Meditieren wirklich fortführen und Neigung haben, sich über solche Dinge Rechenschaft abzugeben, daß Sie geradeso, wie Sie sonst bewußt wissen, Sie haben Hände, mit denen Sie greifen, Füße, mit denen Sie gehen, so zum Bewußtsein der strahlenden Eisenwirkung kommen. [...] Das Bewußtsein, sich als eisernes Phantom zu fühlen, das ist dasjenige, was auftritt. Das, was ich meine, ist das, daß nun natürlich die Leute kommen und sagen würden: Na ja, man kann also äußerlich durch irgend etwas, was man einnimmt, die Eisenempfindlichkeit, die Sensitivität für das eigene in sich befindliche Eisen erhöhen, dann hat man dieselbe Wirkung. Das ist nämlich für gewisse Schritte durchaus richtig. Aber dann wäre das Gefährliche, die Leute würden anfangen, einfach in dieser Weise zu experimentieren, um auf eine leichte Art zum «Hellsehen», wie man sagt, zu kommen. Diese Dinge sind ja vielfach gemacht worden.[i] Wenn sie gemacht werden, ich möchte sagen als Opfer für die Menschheit, dann ist das was anderes; aber wenn sie gemacht werden aus Neugier, dann zerstören sie die moralische Verfassung der menschlichen Seele von Grund aus.
Dornach, 1.IIII.1920 ♃ (in «GA 312»; S.237f)
8 Über die Meditation soll man nicht «mystisch» denken, aber man soll auch nicht leicht über sie denken. Die Meditation muß etwas völlig Klares sein in unserem heutigen Sinne. Aber sie ist zugleich etwas, zu dem Geduld und innere Seelenenergie gehört. Und vor allen Dingen gehört dazu, was niemand einem anderen Menschen geben kann: daß man sich selber etwas versprechen und es dann halten kann. Wenn der Mensch einmal beginnt, Meditationen zu machen, so vollzieht er damit die einzig wirklich völlig freie Handlung in diesem menschlichen Leben. Wir haben in uns immer die Tendenz zur Freiheit, haben auch ein gut Teil der Freiheit verwirklicht. Aber wenn wir nachdenken, werden wir finden: Wir sind mit dem einen abhängig von unserer Vererbung, mit dem andren von unserer Erziehung, mit dem dritten von unserem Leben. Und fragen Sie sich, inwiefern wir imstande sind, das, was wir durch Vererbung, durch Erziehung und durch das Leben uns angeeignet haben, plötzlich zu lassen. Wir wären ziemlich dem Nichts gegenübergestellt, wenn wir das plötzlich lassen wollten. Wenn wir uns aber vornehmen, abends und morgens eine Meditation zu machen, damit wir allmählich lernen, in die übersinnliche Welt hineinzuschauen, dann können wir das jeden Tag tun oder lassen. Nichts steht dem entgegen. Und die Erfahrung lehrt auch, daß die meisten, die mit großen Vorsätzen an das meditative Leben herangehen, es sehr bald wiederum lassen. Wir sind darin vollständig frei. Es ist dieses Meditieren eine urfreie Handlung.
Oxford, 20.VIII.1922 ☉ (in «GA 214»; S.126)
Andere Stimmen
13a Wenn der Mensch sich auf den Weg einer inneren Entwicklung begibt, wandelt er sein Gedächtnis um. Es wird zu einer Erkenntnisfähigkeit. Und da tritt ihm der Saturn nun als diejenige Wesenheit entgegen, die ihn mit denjenigen Eigenschaften ausstattet, die ganz besonders der Geistesforscher braucht. Der Saturn lebt ja in der Vergangenheit, in der Geschichte unseres Sonnensystems darinnen. Die weiss er dem Menschen, der sich zu ihm erheben kann, in wunderbarer Weise zu schildern. Da ist er nicht mehr «das große Unglück» der überlieferten Astrologie, sondern er verleiht dem Menschen gerade diejenigen Eigenschaften, die das gewöhnliche Gedächtnis ersetzen. Durch immer wieder erneutes Erleben verschafft der Geistesforscher sich jene Kräfte, die anstelle des alten, mechanischen Gedächtnisses treten. Dieses Erleben, die nötige Konzentration und Meditation, müssen aber vom Menschen selber, von seiner freien Geistestat ausgehen! Dann kommen ihm die Saturnkräfte entgegen, die ihn geistig so stützen, wie er sich als Mensch im gewöhnlichen Leben auf das seelisch-leibliche Gedächtnis gestützt hat. Und dann kann Saturn ihm die kosmische Vergangenheit enthüllen, wie wir sie in der «Geheimwissenschaft» geschildert finden.
13b In alten Zeiten wußte man, daß der Saturn es ist, der das Seelische (den Astralleib) mit dem physischen Leib des Menschen verbindet und daß diese Verbindung eine richtige sein soll, will man einen Menschen zur Einweihung führen können. Daher wurde in den ägyptischen Mysterien nach der Geburtskonstellation des Saturn gesehen bei einem Menschen, der die Einweihung erleben sollte. War die Konstellation eine im Sinne der damaligen Zeit ungünstige, so wurde der Mensch abgewiesen. Keiner hätte das als eine besondere Härte, sondern eher als etwas wie ein Naturgesetz empfunden. Man fühlte sich ganz als Glied des Kosmos. Heute braucht es sich keiner, der ein seelisch gesunder Mensch ist, zu versagen, den Weg zu gehen, der in «Wie erlangt Erkenntnisse der höheren Welten» vorgezeichnet ist, wie auch sein Horoskop beschaffen sein mag. Schon an dieser Tatsache können wir den ganzen Umschwung in der Einstellung seit der vorchristlichen Zeit ermessen.
Elisabeth Vreede
aus «Astronomie und Anthroposophie»; S.158
14a Rudolf Steiner fordert uns auf, im Grunde genommen gegenüber der ganzen Welt der Wahrnehmung zu einem sinnlich-sittlichen [k] Erleben, zu sinnlich-sittlichen Gefühlen zu kommen. Das gelingt aber nur durch ein meditatives Verhalten. Der Weg geht nach innen. Die Naturwissenschaft steigert die Wahrnehmung durch Technizismen nach außen. Wir sind aber jetzt als abendländische Menschen, die so stark in der Wahrnehmung leben, aufgefordert, einen Prozeß der Verinnerlichung auszuüben und zu merken: aus den Sphären des Moralischen, also des Willenselementes, aus der Sphäre des Fühlens will ein Echo entstehen. Es ist eben etwas, wozu der heutige Mensch durch den Lärm der Großstadt, durch Fernsehen usw. überhaupt nicht mehr sich erziehen kann, weil er von Erlebnis zu Erlebnis, von Sensation zu Sensation eilt und sich nicht die Ruhe nimmt, ein Erlebnis in gemüthafter Konzentration nachklingen zu lassen. Steiner beschreibt, wie aus solchen nachklingenden sinn-sittlichen Gefühlen, weil sie aus den tiefen Schichten unseres objektiven Seelenlebens kommen, sich wiederum die Organe der geistigen Wahrnehmungen bilden. Das sinnlich-sittliche Fühlen als moralisches Naturerleben erspürt die Seite der Wahrnehmung, wo sie im Sinne Goethes zum Gleichnis für das Unvergängliche wird. Dieses wird uns langsam durch die geschilderte Beseelung der Wahrnehmung erschlossen.
14b Die Umschmelzung des Denkens zum Organ geistigen Schauens kann das Denken allein nicht bewältigen. Es muß der ganze Mensch in seinem Fühlen und Wollen aktiviert werden, in seiner Erlebnisfähigkeit, im Gefühlsgebiet, in der Ansprechbarkeit seines Willens. Die Frucht eines solchen vielfältigen, jahrelangen Schulungsweges kann ja nun sein, daß das Denken zu einem wirklichen Schauen innerlich erblüht, so daß von bestimmten Ideen etwas abfällt, wie das äußere Kleid der Idee, und das Wesenhafte der Idee selbst in Erscheinung tritt, allerdings wie durchstrahlt von dem Charakter des echten Willens. Das Denken wird zur ichdurchstrahlten Imagination emporgeführt. Betrachten wir so einmal das Urgeschehen der Taufe am Jordan als Beispiel einer echten Imagination. Subjektiv wird das Bild der Taube [l] zur erlebbaren Hülle für ein objektives Geistgeschehen. Dieses hätte sich nicht in das Bild eines Sperlings oder eines Geiers kleiden können. Der Organismus Johannes des Täufers ist aufgeschlossen genug, um dieses Geistgeschehen zwar nicht direkt, aber indirekt ins Bild gekleidet als objektive Wahrheit empfangen zu können. In diesem Sinne ist das erste Erleben der übersinnlichen Welt ein bildhaftes Schauen oder Hellsehen, wenn man so sagen will.
Walther Bühler
aus «Meditation als Erkenntnisweg»; S.22f
15a Der meditative Erkenntnisweg der Anthroposophie bildet eine direkte Fortsetzung der naturwissenschaftlichen Forschungsmethode. Mit der experimentellen, auf Sinnesbeobachtungen gestützten wissenschaftlichen Methode und der daran anschließenden Theoriebildung stößt man in bezug auf das Wesen des Menschen und der Welt an innere und äußere Grenzen, an denen keine befriedigenden Antworten mehr gefunden werden können. Die kritische Lage, in der die Menschen der Gegenwart sich in bezug auf das individuelle und soziale Leben und das Verhältnis zur Natur befinden, weist deutlich auf diese Aporie hin. Sie läßt sich nur dann überwinden, wenn an diesen Grenzen der Naturwissenschaft mit Hilfe neuer Fähigkeiten eine Bewußtseinserweiterung stattfindet. Dabei können sich den menschlichen Erkenntniskräften durch eine Umgestaltung des Denkens, Fühlens und Wollens neue Tatsachengebiete erschließen. Es geht also nicht um weitere «geniale» Theoriebildungen oder um subjektive, «mystische» Gefühlserlebnisse; entscheidend ist allein, ob ein Zugang zu den geistig-wesenhaften Tatsachen [m] der Welt und des Menschen gefunden werden kann.
15b Jeder Mensch der Gegenwart befindet sich zunächst in einer Kluft, einer Spaltung von Innenerlebnissen und Eindrücken der Außenwelt. Beide ergeben, in der Form, in der sie sich zunächst darbieten, für die eindringliche Erkenntnisfrage nach dem Wesen des Menschen keine Erkenntnisse. Die Innenerlebnisse stellen in allen ihren Einzelinhalten Einwirkungen von Außenerlebnissen dar. Wenn ein bestimmter Inhalt dieser Innenerlebnisse als «Wesenskern» festgehalten werden soll, löst er sich bei genauerer Betrachtung als «Illusion» auf, oder er erweist sich als Summe mehrerer Außeneinwirkungen. Werden dagegen die Inhalte der Außenerlebnisse genauer geprüft, so sind sie immer von verschiedenen subjektiven Elementen der Innenwelt gefärbt und beeinflußt. Nach beiden Seiten hin ergibt sich zunächst ein Labyrinth von Unsicherheiten, Zweideutigkeiten oder völlige Unklarheit. Mit der Frage nach dem wahren Wesen des Menschen blickt man deshalb [...] zunächst in eine Erkenntnis-Finsternis. Innerhalb dieser doppelten Finsternis ist freilich ein deutliches Gefühl der Existenz des eigenen Wesens vorhanden, aber keine zureichende Einsicht, was dieses Wesen wirklich ist, wie wenn man hinter einem Vorhang durch die Bewegungen des Vorhanges sicher weiß, daß da etwas vorhanden sein muß, ohne dieses Etwas direkt wahrnehmen und verstehen zu können.
15c Welches sind nun die Schritte eines Erkenntnisweges, der das Geistig-Wesenhafte im Inneren des Menschen mit dem Geistig-Wesenhaften der Außenwelt zusammenführt, so daß eine stufenweise Erhellung jener Finsternis und eine Überwindung der Kluft zwischen Innen und Außen erreicht werden können? Im folgenden sollen vier Hauptstufen auf diesem Erkenntnisweg charakterisiert werden:
1. Das Erleben des selbständigen Denkens durch Erhellung und Verstärkung der inneren Tätigkeit.
2. Entwicklung und Entfaltung einer lebendigen inneren Bildfähigkeit [Imagination].
3. Herstellung eines «leeren» Bewußtseins als geistiges Resonanz-Organ, Entwicklung der Fähigkeit das Geistige zu «hören» [Inspiration].
4. Wesenserfassung des menschlichen Inneren und der Umgebung, stufenweise Überwindung der Kluft zwischen dem Inneren und Äußeren in der Erkenntnis und im sozialen Leben [Intuition].
Jörgen Smit
aus «Freiheit erüben»; S.11f
16 Der Sinn des Meditierens ist, den Abgrund, der sich im Laufe der Bewußtseinsentwicklung zum Selbstbewußtsein hin zwischen dem leiblich gespiegelten Vergangenheitsbewußtsein und der Ebene der Lebendigkeit - die gespiegelt wird - aufgetan hat, zu überwinden. Die Brücke besteht aus der freien, konzentrierten Aufmerksamkeit. Diese geht vom höheren Ich aus, wird als intentionale Aufmerksamkeit durch und im Alltagsich gespiegelt und führt durch ihre Steigerung zur Selbstwahrnehmung, die dem höheren Ich, ihrer Quelle, immer näher rückt. Damit hebt die Aufmerksamkeit das Alltagsbewußtsein in das höhere Ich, dieses wird nun auf der eigenen Ebene selbstbewußt - nicht mehr bloß im Spiegelbild -, und die Aufmerksamkeit lernt dabei auch empfangend aktiv und konzentriert zu bleiben. Dazu bedarf sie besonderer Themen: die Themen der Meditation. [e]
Georg Kühlewind
aus «Freiheit erüben»; S.90
17a [Die Ich-Verachtung] trifft auch für die neueren asiatischen Geisteswege zu, die sich dem Menschen seit einigen Jahren als Heilsbringer empfehlen; auch sie knüpfen an die alten asiatischen Impulse an, ohne auf die - jedenfalls für unsere westlichen Verhältnisse wirksamen - Entwicklungen des Ich Rücksicht zu nehmen. Das zeigt sich deutlich bei genauerem Studium dieser Geisteswege, auch wenn sie sich modern geben (z.B. TM [n], Bhagwan, Ananda marga u.a.). Auf andere Art gilt es auch für die mit «Scientology» auftauchenden Übungen (im letzteren haben wir eine ahrimanische [o], in den anderen mehr eine luziferische [o] Nuance der okkulten Übungswege vor uns).
17b Solche Urteile können leicht dogmatisch und parteiisch erscheinen. Dem Verfasser ist dies sehr bewußt. Trotzdem geht es nicht an, bei Besprechung von Übungen, die Meditation und okkulte Übungen einschließen soll, die Gefährlichkeit solcher Übungen außer acht zu lassen. Jede echte Übung dieser Art hat Wirkungen. Damit muß man rechnen. [...] Wir wollen nicht verhehlen, daß auch anthroposophische Meditationen - unbedacht begonnen - schwierige Folgen haben können. Hier wird oft übersehen, wie dringend Rudolf Steiner auf die notwendigen Vorbereitungen und Vorübungen [p] hingewiesen hat.
Hans-Werner Schroeder
aus «Der Mensch und das Böse»; S.294f
18a In meiner Arbeit mit jungen Menschen nehme ich immer wieder wahr, dass in ihnen zwar eine Sehnsucht nach meditativer Arbeit lebt, sie aber nicht wissen, wie sie eine Brücke zur Praxis schlagen können. Ich ermutige sie, den Anfang bei sich selbst zu suchen, da, wo sie einmal berührt worden sind, vielleicht, wie bei mir, von einem Naturerlebnis im herbstlichen Wald. Mit solch einer Erinnerung schließt man an ein Erlebnis an, ist gleichsam aufgewärmt.
18b Wenn man nun ein Erlebnis gefunden hat, das man zum Ausgangspunkt nehmen möchte, kann man sich dazu einen Satz bilden, etwas Einfaches, Schlichtes genügt. Bei mir war es die Sonne und der Satz «Die Sonne scheint.» Indem ich mich nun mit solch einem Satz regelmäßig befasse, habe ich mir eine Aufgabe gestellt.
18c Und mit ihr kommt die Frage: Wie übe ich? Ich habe festgestellt, dass es da verschiedene Bedürfnisse gibt: rhythmisches Üben, von Anregungen Rudolf Steiners ausgehen oder von Übungen, die aus meinem Leben heraus entstehen. Und damit meine ich beispielsweise: Ich entdecke, dass mein Seelenleben ein sensibles Instrument ist, das ich entwickeln kann, etwa, wenn ich eine Entscheidung zu treffen habe und nun darauf achte, wie ich dazu komme. Ich kann meine Gefühle kultivieren und damit verstärken. Jeder hat da seinen eigenen Weg, und so müsste eigentlich jeder sein eigenes Buch schreiben: ‹Wie erlange ich Erkenntnisse der höheren Welten?›.
18d Wenn nun die Aufgabe des Meditierens ergriffen ist und man sie wie Hunger empfindet, man in seinen eigenen Rhythmus kommt, man sozusagen mitten drin ist und sich getragen fühlt, kann es passieren, dass man Widerstand erlebt: einen inneren (ich will nicht), einen äußeren (ich habe es vergessen) oder einen, der schwieriger zu beschreiben ist, weil er einem Bezirke der eigenen Seele erschließt, zu denen man erst ein Verhältnis finden muss. Mit ihnen werde ich bezüglich meiner eigenen Unfähigkeiten wach; sie bilden die Inhalte für meine Selbsterkenntnis. Rudolf Steiner betont ja, wie wichtig es ist, einen Schritt in der geistigen Entwicklung zu tun und drei in der moralischen. Diese drei Widerstände nun soll man achten und respektieren und nicht sagen: Ich bin gescheitert.
18e Wenn man solch einen Widerstand erfährt, kann man nun zurückblicken und sich fragen: Was habe ich bisher erlebt? Ist nicht bereits ein besonderer Raum entstanden, der schon Substanz hat? Man nimmt sich wieder etwas Schlichtes vor, geht scheinbar einen Schritt zurück. Doch ist es vielmehr wie bei einer Spirale: Man ist nur scheinbar am selben Punkt, man ist nämlich etwas weiter, hat sich entwickelt. Wenn man den Widerstand nicht akzeptiert, kann es passieren, dass der Schulungsweg abstrakt wird.
18f Ich habe wahrgenommen, dass es für viele eine Hilfe ist, mit anderen über ihre Erfahrungen sprechen zu können. Und das kann man in Übgruppen, mit einer guten Freundin oder einem guten Freund. Das muss nicht in einer ‹offiziellen› Studiengruppe geschehen. Ich habe erlebt, dass dabei die Fragen «Wo warst du besonders wach?» und «Wo warst du besonders berührt?» eine Hilfe sein können. Ich denke, es geht dabei vor allem darum, davon zu hören, wie etwas in einem anderen lebt, ohne dass man das selbst auch so erleben muss. Durch die Erfahrungen des anderen kann ich meinen anderen Weg besser verstehen, jeder regt den anderen an. Das ist wie in der Musik, wo der Einzelton im Kontext eines Intervalls oder eines Akkords seine Stellung bekommt. Diese Stimmung kann sehr inspirierend sein - ein Text oder ein Meditationsspruch kann so mit Licht und Wärme verbunden werden. Dabei ist wichtig, ‹berührt sein› nicht mit Gefühlen aus dem Alltag zu vermischen, denn es geht um ein ‹Es fühlt in mir›.
18g Außerdem kann man nun das Augenmerk darauf richten, welche Wirkungen durch das Meditieren entstehen. Dadurch, dass ich achtsamer werde, kann ich vielleicht jemand anderem besser zuhören. Und das löst womöglich beim Angehörten etwas aus, weil er ermutigt wird, etwas weiterzuverfolgen. Meditation hat Folgen für mein Leben und für das soziale Leben - sie zeitigt Konsequenzen für die Lebensgestaltung, auch wenn das erst einmal nur leise geschieht.
18h Wenn man den Boden erst einmal bereitet hat, kann man alles meditieren. Ich selbst brauche dafür einen Anfang, und der besteht darin, danach zu suchen, was mich berührt hat.
Elizabeth Wirsching
in »das Goetheanum« 42·2010; S.6f
19 Das Ziel der Meditation ist die Herbeiführung eines höheren Bewusstseinszustandes. Die Grenzen des Gegenstandsbewusstseins zu überschreiten setzt jedoch eine Erkraftung des Denkens voraus. Das Denken überschreitet dann den Bereich des Kopfes und bringt im Herzen neue Empfindungen hervor. Es wird im Herzen zur empfindungsweckenden Kraft. Dieses Geschehen betrifft nicht nur die Meditation im engeren Sinne, sondern bezieht die gesamte Lebensgestaltung des Menschen mit ein, [...]
Corinna Gleide
in »die Drei« 7-8/2012; S.125
20a [...] die im Kontext der Grundstruktur [der Meditation] praktizierten und entsprechend beobachtbaren Aktivitäts- und Erlebnisformen - Hervorbringen und Zurückhalten, Produzieren und Rezipieren, Öffnen und Fokussieren - lassen sich unschwer den typischen Meditationsformen Focused Attention und Open Monitoring zuordnen. Arthur Zajonc hat darauf hingewiesen, dass die Meditationsformen FA und OM in praktisch allen Meditationstraditionen - wenn auch in verschiedener Ausprägung und Gewichtung - nachweisbar sind.¹° Daher schlägt er vor, einen rhythmischen Wechsel von Focused Attention (FA) und Open Monitoring (OM) zur Basis einer transkulturellen Meditationspraxis zu machen. Vor dem Hintergrund der Grundstruktur erscheint dies plausibel, denn durch eine schwerpunktartige und immer wieder zum Ausgleich strebende Übung von FA und OM wird die Prozessualität unserer Bewusstseinsbildung schrittweise in eine neue Bewusstheit und Handhabbarkeit gehoben. OM entspricht unserer expansiven, auf universellen Zusammenhang ausgerichteten Aktivität und FA unserer kontraktiven, auf individuell Unterscheidbares oder Ausgesondertes gerichteten Aktivität.[q] Ferner zeigt die genauere Beobachtung, dass FA und OM gar nicht in völliger Isolation voneinander zu praktizieren sind. Sie stellen vielmehr füreinander wechselseitige Lebensbedingungen dar, die - je nach expliziter Übungsmaxime - athematisch im Hintergrund mitlaufen und insofern auch wirksam sind. Denn jede Ablenkung (und sei sie noch so kurz) von einem gewählten Aufmerksamkeitsfokus erfordert es, über den Umweg einer kontextualen Weitung und Begriffs(wieder)findung zu ihm zurückzukehren. Im zeitlichen Verlauf einer FA-Übung steckt also immer auch ein OM-Anteil. Und das sich öffnende Freihalten von allen verfestigten Vorstellungen in OM lässt sich kaum ohne eine implizite und reflexive Fokussierung unserer eigenen Aktivität bewerkstelligen. In OM steckt also immer auch ein auf den Meditierer selbst bezogener FA-Anteil.¹¹ Dass FA und OM auch für unser normales, nichtmeditatives Bewusstseinsleben konstitutiv sind, zeigen folgende Phänomene, die bereits der ungeschulten Introspektion zugänglich sind: einerseits unsere Fähigkeit, uns denkend auf einen einzelnen Begriff (z.B. »Baum«) zu konzentrieren (FA in OM), andererseits unsere Fähigkeit, beobachtend von einer Wahrnehmung zu einer anderen überzugehen (OM in FA).
10 Arthur Zajonc: Aufbruch ins Unerwartete. Meditation als Erkenntnisweg, Stuttgart 2010.
11 Vgl. Johannes Wagemann: Meditation - Untersuchungsgegenstand, Forschungsmittel und Entwicklungsweg, in: Research on Steiner Education 2/2 (2011), S. 50-65.
20b Anhand der hiermit angedeuteten prozessualen Durchdringung von FA und OM möchte ich Zajonc's Vorschlag nicht nur bekräftigen, sondern noch steigern: FA und OM sind nicht nur komplementäre mentale Aktivitätsformen, die gemeinsam meditativ kultiviert werden können, sondern sie begründen im Weiteren die Beschaffenheit einer jeden uns bewusst werdenden Struktur, sei es bezüglich alltagsbewusster Dinge oder meditativer Erlebnisse, sei es in Abwendung von oder Zuwendung zu unserer Leiblichkeit, sei es allein oder in sozialer Interaktion. Durch FA und OM können wir nicht nur einzelne Spezialtechniken oder Zustände kultivieren, sondern vor allem unsere generelle Wirklichkeits- bzw. Erkenntnisfähigkeit. Zwar betonen wir je nach Übungsform und individuellem Vermögen - bewusst oder unbewusst - jeweils nur einen bestimmten Aspekt unserer Miterzeugung von Wirklichkeit. Insgesamt ist es aber gerade die ausdrückliche Erkenntnisintention, spirituelle Übungen und Praktiken im strukturgenetischen bzw. realitätskonstitutiven Kontext auszuüben, die ein zentrales Strukturmerkmal anthroposophischer Meditation ausmacht. Eine Möglichkeit zur weiteren Differenzierung dieser Intention ergibt sich aus der Grundstruktur selbst, nämlich hinsichtlich 1. der (vorrangigen) Form der in einer meditativen Übung, Wahrnehmung oder Erkenntnisbewegung ausgeübten mentalen Aktivität; 2. der qualitativen Stufe bzw. Intensität eines meditativen Erlebnisses; 3. dem thematischen Inhalt meditativen Bewusstseins.
Johannes Wagemann
in »die Drei« 4/2013; S.29ff
21a Es ist mein Eindruck, dass man das Anliegen der Anthroposophie, reelle hellseherische Fähigkeiten zu entwickeln, nicht besonders ernst nimmt. Oben bezog ich mich darauf, dass man auf dem Weg in die geistige Welt zu einem Punkt kommt, wo man nicht mehr kontrollieren kann, was real ist und was Traum.[r] Dies ist ein Fingerzeig darauf, dass man verrückt ist. Die Ambition ist, dass man einen Zustand des Wahnsinns ertragen soll, ohne die Gelassenheit zu verlieren. Man möchte gern versuchen, ein wenig darüber nachzusinnen, was dies bedeutet. Es erfordert Kräfte, die man in der Regel nicht während des Alltags entwickelt. Durch Meditation ist es möglich, solche Kräfte zu entwickeln.
21b Ich wünsche mir, dass es mehrere Beschreibungen individueller Entwicklungspfade gibt. Man braucht freilich nicht alles teilen, aber ich denke, es ist wichtig, dass es zu mehr Klarheit darüber kommt, darüber wie Menschen tatsächlich meditieren, was funktioniert, wie lange man gearbeitet hat, bevor man begann, Ergebnisse zu sehen. Besonders interessant ist, was der Einzelne als seine Standards benutzt, wenn es etwa darum geht, herauszufinden, was von verschiedenen spirituellen Wesen kommt und wie man mit möglichen Illusionen umgeht. Es ist wichtig zu klären, was man als reale Gefahren betrachtet, was schlecht funktioniert oder überhaupt nicht. So gesehen, sind die Geschichten, wie die Dinge schiefgehen, genauso wichtig wie die Erfolgsgeschichten.
Terje Sparby
in »das Goetheanum« 21·2014; S.7
22 Spektrum: Haben Sie Ihren Lebensstil verändert, seit Sie wissen, was den Telomeren [s] schadet?
[Elizabeth] BLACKBURN: Ich habe schon immer versucht, mich halbwegs vernünftig zu verhalten. Motiviert von Studienergebnissen, wonach Meditation die Verkürzung von Telomeren bremst, habe ich damit angefangen, Meditationskurse zu besuchen.
Spektrum: Meditieren Sie regelmäßig?
BLACKBURN: Schon, aber meist nicht lang. Ich versuche kurze Einheiten in meinen Tagesablauf einzubauen, Mikromeditation sozusagen.[t]
in »Spektrum der Wissenschaft« 9/2014; S.34
23 Die Entwicklung eines meditativen Lebens stellt sich zunächst so dar, dass wir uns nach Innen wenden und etwas außen bleibt. Wenn ich aber in dieses Innenleben einsteige - wenn ich mich ganz zu mir selbst wende -, entdecke ich, dass sowohl Innerlichkeit als auch das Äußere in mir selbst sind. In der Hinwendung zu mir selbst komme ich nicht aus diesem Gegensatz von Innen und Außen heraus, ich finde ihn in meinem Inneren wieder - einerseits. Andererseits, wenn ich mich nach außen wende, zeigt sich, dass heute das ganze Leben so ist, dass die Übergänge zwischen dem, was im Inneren, was Außen, was persönlich, was öffentlich ist, sehr verschwommen sind. Was zu mir gehört, was zum Familienleben gehört, was ich nicht erzählen soll, was ich allen erzählen kann, das war früher ganz klar. Heute ist es überhaupt nicht klar und wird häufig nicht als bedeutsam angesehen. Hier haben wir im äußeren Leben die beiden Seiten: einerseits die Innerlichkeit, die oft an und mit einer Äußerlichkeit zusammen erscheint; andererseits ist das, was wir ‹äußerlich› nennen, oft genau da, wo wir das Innerliche erleben. So wird in der heutigen Zeit dieses Leben mit dem Inneren und dem Äußeren an sich selbst bereits eine meditative Herausforderung.
Durch die Jahrhunderte wurde [dazu] folgender Satz bewegt, gedacht und meditiert:
Deus est sphaera infinita cuius centrum est ubique, circumferentia nusquam.
Gott ist eine unendliche Sphäre, deren Zentrum überall und deren Umkreis nirgends ist.
Constanza Kaliks
in »das Goetheanum« 21-22·2015; S.10
24a Die östliche Meditationspraxis steht also in einem deutlichen Gegensatz zur anthroposophischen Praxis, insofern wir es bei letzterer mit einer Lockerung der Verbindung von Nerven und Blut im oberen Menschen bei gleichzeitiger Lockerung der oberen Wesensglieder [Ätherleib, dadurch Astralleib und ICh] vom Physischen des Kopfes zu tun haben. Die östliche Meditationspraxis, zum Beipsiel die Vipassana-Meditation, aber auch bestimmte Formen des Zen und des Yoga verbinden [nicht zuletzt dank einer bestimmten Sitzhaltung] Nerven und Blut im unteren Menschen stärker miteinander, die oberen Wesensglieder werden im Physischen des mittleren und unteren Menschen stärker verankert.
24b Generell gesprochen könnte man sagen, dass für den westlichen Menschen, der im Allgemeinen viel zu stark mit dem Nervensystem des Kopfes und viel zu wenig mit dem System des unteren und mittleren Menschen verbunden ist, nicht nur die anthroposophische Meditation ein weiterführendes und gesundendes Element ist. Gerade auch im Zusammenhang mit den heute üblichen zivilisatorischen Erkrankungen wie Stress und Born-Out kann zumindest die östliche Haltung der Achtsamkeit [nach innen] als eine wertvolle Ergänzung und als ein Ausgleich für krankmachende Einseitigkeiten erlebt werden, was wohl auch einer der Gründe für die starke Verbreitung dieser Mediationsformen sein dürfte.
Andreas Neider
in »die Drei« 7/2016; S.52
25a Für viele Menschen ist es heute sehr schwer, die Realität [m] einer inneren Ruhe zu erfahren,[c] denn die Hast des Tages und die hohen nervlichen Anforderungen durch die gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsbedingungen wie auch die Erschöpfungsphasen im individuellen Bewusstsein rauben die Einkehr in jene Welt, die einer ersten, geordneten, freien und übersichtlichen Bewusstheit entspricht. Innere Ruhe und eine daraus entstehende Konzentration führen mit dieser Einkehr zu einer Meditation. Nach dem Sanskrit ist samādhāna die innere Ruhe, dhāraṇā [u] die Konzentration und schließlich dhyāna die Meditation.
25b Dhyāna, die Meditation, lebt aber immerfort wie eine höhere Realität sowohl in dem einzelnen Menschen als auch im Universum. Dieses dhyāna bezeichnete Rudolf Steiner allgemein als die höhere, übersinnliche Wirklichkeit. Diese Meditation ist wie der sensibel ausstrahlende kosmische Seelenraum oder wie ein Zentrum, das sich selbst aus dem Kosmos offenbaren möchte, und sie ist wie ein aus sich selbst erstrahlendes Licht, das der Mensch dank seines Bewusstseins in sich organisieren und gestalten kann.
25c Die Meditation, wie sie hier gemeint ist, erfordert nach dieser anspruchsvollen geistigen Auffassung die Vorbereitung zu Entspannung und innerer Ruhe, schließlich zur Entwicklung der Konzentration und in der Folge zu einer wirklichen, objektiven Bewusstseinsgegenwärtigkeit. Das Ruhigwerden, sama, ist jedoch ebenfalls kein subjektiver, sondern ein höchst objektiver Prozess. Für diesen ersten Übungsbeginn bemerkt sich der Übende in der sogenannten Dualität, in der Welt des dvaita, in dem er einen Körper mit beispielsweise dem Atemvorgang beobachtet und darüber hinaus Emotionen, Gemütsreaktionen und Gedankenbewegungen wahrnimmt, und schließlich registriert er zuletzt eine ihn umgebende und von ihm erst einmal getrennt stehende Außenwelt. Sama, die Ruhe, und die erste friedvolle Einkehr in das Innere, śānti, sind das Ergebnis dieser bewussten grundlegenden Wahrnehmungsprozesse. Das sogenannte Ich,[f] das die Anthroposophie benennt, oder das Selbst, das die indische Philosophie in die Mitte stellt, das seinen Ausdruck in jīva, einem individuellen Selbst, nimmt, gründet sich in dieser beobachtenden und zugleich ruhevollen Wirklichkeit.
S.13
25b Das Ziel der Meditation liegt weder in beziehungsloser Weltenferne noch in einem zu forcierten willentlichen Ergreifen der äußeren Welt. Die Anthroposophie bezeichnet das weltenferne Hineinleben in den Kosmos, wie es häufig den Yogatendenzen entspricht, als luziferisch und das zu starke Ergreifen der Welt mit Abhängigkeiten und Verhaftungen als ahrimanische Versuchung.[o] Vielleicht kann man am leichtesten das Ziel der Meditation darin beschreiben, dass man sich am Bilde des Menschen vorstellt, dass eine intensivere, aber vollkommen freie Beziehung zu der Welt und deren Objekten, wie auch zu den Mitmenschen geknüpft wird. Dieses Ziel ist nur möglich, wenn ein Gedanke, eine Idee oder eine Vorstellung auf reale Weise in die Gestaltung der Meditation einbezogen wird.
S.15
Heinz Grill
aus «Der freie Atem»
26 [...] würde ich vorschlagen, Meditationsübungen nicht auf eine zu unermüdliche und ehrgeizige Weise zu machen. Das heißt nicht, dass man nicht regelmäßig üben sollte. Es kommt darauf an, zuerst einen Ort der inneren Sensibilisierung und des Interesses zu finden und von dort ausgehend eine Übung zu beginnen. Ich glaube, was ich sagen will, ist, dass meditative Verfahren interessant und angenehm sein sollen, dass man sich davon leiten lassen muss und Meditation nicht bloß durch den eigenen, vorgegebenen Willen geformt werden kann.
Fergus Anderson
in »das Goetheanum« 43·2017; S.11
27a Für diesen Typus meditativer Bemühung ist es wesentlich, dass wir ergebnisoffen vorgehen können. Zu der Notwendigkeit, sachlich an Grenzen unseres Erkennens heranzukommen, gehört, so Rudolf Steiner, wenn er die Argumentation¹° ganz ausführt, außerdem die Bereitschaft, zu prüfen, ob sich die herkömmlichen Bewusstseinsfunktionen entwickeln und in ihrem Vermögen steigern lassen. Es kann zunächst offenbleiben, wohin uns dieser Prozeß führt. Für diesen Weg des Entdeckens ist konstitutiv, keine abschließenden oder hochtrabenden Deutungen an die Erfahrung heranzutragen. An seinem Anfang stehen nicht »Ergebnisse«, sondern Fragen. »Denn wir sollen ja diese Dinge erst durch den okkulten Weg kennen lernen, dürfen sie also nicht von vornherein voraussetzen«¹¹, wie Steiner in einem für das Methodische und den Unterschied von freilassenden Wegen und solchen, die den Willen des Übenden einspannen, wichtigen Vortrag festhält. Man wird also für das, was in der Übung geschieht und wohin diese führt, »bewegliche Begriffe« nach der Art, wie man sie Waldorfschülern mitgibt, finden müssen.
10 Vorbemerkungen zur vierten Auflage in Rudolf Steiner: ›Die Geheimwissenschaft im Umriß‹ (GA 13), Dornach 1989, S. 16.
11 Die Ausführungen im Vortrag vom 6. Oktober 1911 sind hindsichtlich der Frage der Freiheit des Übungsweges besonders maßgeblich, vgl. ders.: ›Von Jeusus zu Christus‹ (GA 131), Dornach 1988, S. 67-69.
27b Ich skizziere kurz den positiven Ertrag dieses Ansatzes aus der Perspektive der Freiheitsfrage: Der Weg, der sich an einem wissenschaftlichen Paradigma orientiert, ist ein besonders sicherer, weil der Übende seine Motive einholen kann und methodisch die Vertrautheit mit Bewusstseinsfunktionen - mit denen er sich auch sonst in der Welt orientiert - nicht übersprungen, sondern intensiviert wird. Der so Übende wahrt hinsichtlich seines Beginnes seine reflexive Freiheit¹², um einen hier brauchbaren Begriff der Sozialphilosophie zu verwenden, indem die Beweggründe daraufhin geprüft werden können, ob sie meine sind und ob ich begreife, was ich tue. Die methodische Vielfältigkeit, die Anschlussfähigkeit an wissenschaftliche Perspektiven und die begriffliche Produktivität der Anthroposophie ist besonders geeignet, diesen Aspekt von Freiheit zu hüten und zu pflegen. Ein Blick auf die Praxis zeigt allerdings: Auf diese Weise üben nur sehr wenige Menschen. Wir konnten diesen Weg ja auch nur so weit skizzieren, weil wir als Motiv einer Grenzerfahrung so »unübersichtliche« Erkenntnisambitionen wie die Frage nach dem Sinn des Lebens, der Wirklichkeit des Guten, die Ahnung einer »verborgenen Welt«¹³ usw. ausgeklammert hatten. Wir müssen aber auch dieses Spektrum an existenziellen Motiven aus Sicht der Freiheitsfrage prüfen.
12 Nach einer dreifachen Differenzierung in negative, reflexive und soziale Freiheit, wie sie in Axel Honneth: ›Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit‹ (Berlin 2011) vorgenommen wird.
13 Rudolf Steiner verwendet diesen Begriff in einer sehr systematischen Darstellung der zwei Motive im ersten Kapitel der Geheimwissenschaft.
Wolfgang Tomaschitz
in »die Drei« 3/2019; S.14f
99 Das ist Meditation: Ich schaffe einen Moment in der Zeit und im Raum, auf dem Bett, auf dem Stuhl, in der Straßenbahn, eine Minute, zehn Minuten, einmal am Tag, einmal in der Woche, in meinem Inneren. Und da wir schon in der Ewigkeit sind,[v] brauchen wir dazu keinen besonderen Ort, das geht egal wo. Ein Moment im Raum, ein Moment in der Zeit und ein Moment des Innenlebens, den ich aus Freiheit schaffe. Ich vergegenwärtige mir eine oder alle drei Qualitäten. Und dann kann ich eintreten in einen meditativen Vorgang, der [...] von Rudolf Steiner so beschrieben wird: [siehe 1.Zitat].
Robin Schmidt
in »das Goetheanum« 21-22·2015; S.8
☞ auch Institut für anthroposophische Meditation
Unsere und weitere Anmerkungen
a] vgl. Mbl.19
b] und ohne Ablenkung - vgl. Denken und Meditieren und Die Schale der Selbstheit durchbrechen
c] Diese Evidenz(erfahrung) ist ein reproduzierbares Grundkriterium der Geisteswissenschaft.
d] nämlich zur Intuition (vgl. Mbl-B.33c) wie zur Inspiration (vgl. Mbl-B.33b) und zur Imagination (vgl. Mbl-B.33a)
e] Neben Textmantren (zB. Eurythmisten-Meditation oder Urselbst) können das auch Bilder (zB. Rosenkreuz-Meditation oder eine von Jawlenskys Farbfugen) oder Klänge (zB. maha mritjundschaja mantra) sein.
f] zu den Wesensgliedern siehe Mbl.5
g] Blumengebinde neben dem Rednerpult
h] wie das zB. in den berüchtigten Werken Castanedas beschrieben wird
i] Als Beispiel führt Steiner den Arzt van Helmont an. Für das XIX.Jahrhundert können zB. Baudelaire und Gautier (Cannabis sowie Opium) erwähnt werden, für das XX. Gelpke oder Lilly (LSD) - siehe auch BÜHLER, W.: «Bewußtseinserweiterung mit der Droge».
k] Gemeint ist die selbstbestimmte und damit -verantwortete Anwendung der Sinne, mit oder ohne Hilfe der Sinnesorgane.
l] vgl. Mbl-B.3a
m] eigentlich nicht Tatsachen, sondern Wirklichkeiten (vgl. »TzN Jän.2004«: Anm.b)
n] Diese guruzentrische Variante ist vor allem durch die Popgruppe "The Beatles" ab Mitte der 1960ger Jahre populär geworden (siehe zB. SCHULTE, Th.: «Transzendentale Meditation»).
o] vgl. Mbl.16
p] vgl. Mbl.21
q] vgl. Jin und Jang, aber auch fā-mū
r] Steiner führte am 29.II.1924 in der 3.Klassenstunde aus: „Aber so, wie Sie sich fühlen würden, wenn Ihnen das Leben auf Schritt und Tritt die genaue Kontrolle entzöge, ob Sie träumen oder ob Sie der Wirklichkeit gegenüberstehen, so ist es, wenn zunächst der Schüler an der Pforte, an der Schwelle der geistigen Welt steht. Das ist das allererste bedeutsame Erlebnis, daß er, wenn er an der Schwelle der geistigen Welt steht, merkt: jenseits dieser Schwelle ist die geistige Welt. Wir haben ja gesehen: zunächst strömt da nur Finsternis aus dieser geistigen Welt heraus. Aber dasjenige, was da oder dort herauswellend, herausleuchtend erscheint, das ist bei der ersten Erfahrung [...] so, daß Sie niemals zunächst mit all dem, was Sie sich errungen haben, niemals unterscheiden können, ob Sie ein wirkliches geistiges Wesen, eine wirkliche geistige Tatsache, oder aber vor sich haben ein Traumgebilde.”
s] „Endkappen” eines DNS-Strangs, die eine Mindestlänge nicht unterschreiten dürfen, wenn die zugehörige Zelle leben soll
t] Bei den Mikromeditationen kann es sich auch um eine einzige Meditation handeln, die in äusserst kurzen, über den Tag hin verteilten Abschnitten durchgeführt wird.
u] von dhri (~ halten, tragen, auch: unterstützen)
v] nämlich als Bürger zweier Welten, die aus der Unendlichkeit in die Endlichkeit inkarniert sind
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB33.htm