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Merkblatt-
Beilage 9:
Soziale Prozesse - Geldbewegungen
Fragment 1448
Geld = absolutes Vermögen = absolute Ware.
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Dritter Band»; S.203
Bewegungen wie Geldfluß oder Geldstau sind Ausdruck von sozialen Prozessen und ohne diese undenkbar. Das moderne Geldwesen in seiner Unüberschaubarkeit suggeriert hingegen eine vom Menschen unabhängige Objektivität. Verfällt der Mensch diesem falschen Schein, so nimmt er seine Verantwortung gegenüber dem Geld nicht mehr wahr. Deshalb ist es für ein Individuum, das mit Geld umgeht, daseinsentscheidend, sich über die soziologischen und sozialen Umstände, in denen es sich entfaltet, klar zu werden.
1a Das soziologische Grundgesetz zwischenmenschlicher Entwicklung drückt Rudolf STEINER folgendermaßen aus: „Die Menschheit strebt im Anfange der Kulturzustände nach Entstehung sozialer Verbände; dem Interesse dieser Verbände wird zunächst das Interesse des Individuums geopfert; die weitere Entwicklung führt zur Befreiung des Individuums von dem Interesse der Verbände und zur freien Entfaltung der Bedürfnisse und Kräfte des Einzelnen.”[a]
1b Das soziale Hauptgesetz formuliert er dann so: „Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der Einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.”[b]
Das obige Grundgesetz bezieht sich auf das Kulturleben im allgemeinen, das Hauptgesetz im besonderen auf das Wirtschaftsleben. Diese beiden Säulen sozialen Verständnisses drücken gegenläufige Bewegungen aus. Das Mit- oder Gegeneinander der Menschen läßt sich statisch nicht verstehen, wohl aber als Weg des Individuums zu Freiheit und Verantwortung, Weg über Hindernisse, bei deren Überwindung das Individuum immer mehr Mensch wird.[c]
Wieder geht es darum, bewegliches Denken einzusetzen. Das gilt gerade auch für den Umgang mit Geld, weil das Geldwesen nur im Geschehen des Wertausdrückens zu erfassen ist. Ein wirtschaftlicher Wert° wird ja durch Tätigwerden des Menschen an und mit der Natur geschaffen, welche für sich genommen wertfrei ist und ihren eigenen Gesetzen folgt. Indem Geld Werte ausdrückt, eigentlich ein Recht auf Arbeitsergebnisse, steht es in unmittelbarer Beziehung zu menschlichen Fähigkeiten und menschlicher Leistung.
2 Ein Ansatz, das Wesen des Geldes zu begreifen, liegt daher in der Anregung Steiners, die sozialen Gesten im Umgang mit dem Geld zu betrachten. Die drei Grundfunktionen des Geldes lassen sich zum Beispiel in folgender Form darstellen:
Fluß(Tausch-)mittel

G E L D

Wertmesser(-maßstab) ................... Wertbewahrung


Wird Geld bewahrt, so wird Bedürfnisbefriedigung verhindert - das wirkt antisozial [d]. Dient Geld als Wertmesser, so spielt Bedürfnisbefriedigung keine Rolle - das wirkt asozial [d]. Nur indem Geld fließt, werden Bedürfnisse befriedigt und Menschen zueinander in Beziehung gebracht - das wirkt sozial [d]. Steiner unterscheidet drei wesentliche Prozesse bei fließendem Geld: Kaufen, Leihen und Schenken. Die unterschiedliche Färbung der jeweiligen Geldbewegung sollte so organisiert werden, daß sich ein gesunder Wirkungszusammenhang des Geldes ergibt, wie dies etwa dank Assoziationen° möglich sein könnte.
3 KAUFEN
Geschaffene Werte werden ausgetauscht - Kauf-Verkauf-Prozeß
Kauf: Geld gegen Ware°, Verkauf: Ware gegen Geld - Kaufgeld
Dem zirkulierenden Kaufgeld fließt der Warenstrom entgegen, welcher sowohl Güter°, als auch Dienstleistungen umfaßt. Beide Ströme bewegen sich im Wirtschaftsraum [e], der den Menschen umgibt. Waren entstehen bei der Produktion und gelangen über die Distribution zur Konsumption, während Geld vom Verbrauch über den Handel zur Erzeugung fließt, was sich stark vereinfacht so darstellen läßt:
w e r t f r e i e . N a t u r
\ /
potentieller Wert (durch Menschenbedürfnis)
\/
reeller Wert (durch Menschenfähigkeit/Kapital°)
v
geschaffener Wert (durch Menschenarbeit/-einsatz)

> > > W a r e n s t r o m > > >
Erzeugung - Transport - Großhandel - Transport - Einzelhandel - (Transport) - Verbrauch
< < < G e l d f l u ß < < <


Bei einem Warenüberschuß regelt vorwiegend die Nachfrage den Gesamtprozeß, bei einem Geldüberschuß das Angebot (Marktwirtschaft). In dem Maße wie nicht die wirtschaftstreibenden Kräfte den Gesamtprozeß regeln, wird dieser dem Wirtschaftsleben entfremdet (Planwirtschaft). In der Marktwirtschaft signalisieren steigende Preise Gewinne, was die Illusion eines Wachstums nährt, jedoch die Lebenshaltung verteuert, weil die Kaufkraft des Geldes sinkt - Inflation°. Verschiedene Formen sozialer Marktwirtschaften bemühen sich um Symptombekämpfung durch Umverteilung. Jeder Kauf und Verkauf werde Scheinhandlung, wenn der Mensch nicht innerlich nachvollziehe, was wirklich geschieht, gibt Steiner zu bedenken. Dazu helfe das Begreifen der merkwürdigen Erscheinung, daß beide an einem Austausch Beteiligten gewinnen müssen, wenn dabei ein Gleichgewicht erhalten bleiben soll.
Durch Vermittlung des Handels bildet sich zwischen Konsument und Produzent der Preis°. Dabei stellt sich die Frage nach dessen Gerechtigkeit. Junge, darum bemühte Organisationen wie zB. Fair Trade scheuen diesen Ausdruck, sprechen lieber von „fairem” Preis. Sie meinen, daß ein solcher Rohmaterialien, Produktionskosten und Energieaufwände berücksichtigen und den Produzenten einen angemessenen Lebensstandard ohne Ausbeutung von Kindern ermöglichen sowie seinen Anspruch auf Vorfinanzierung und fachliche Weiterbildung befriedigen solle. Dazu müsse die Ware möglichst direkt vom Erzeuger zum Verbraucher gelangen und eine langfristige Zusammenarbeit mit Unterstützung und Beratung bei der Produktentwicklung angestrebt werden. Diese Orientierung erklärt sich aus dem Willen, den vielen Kleinbauern und -händlern der Dritten Welt gerecht zu werden. Die Preisformel Rudolf Steiners bejaht dies, geht allerdings noch darüber hinaus (siehe Glossar).
4 LEIHEN
Gestauter Wert wird befristet aus der Hand gegeben - Leihprozeß
Kredit
[f]gabe: Geld sucht Intention, Kreditnahme: Intention sucht Geld - Leihgeld
Staugeld kann unwillentlich durch Brachliegenlassen entstehen, willentlich ungezielt durch Horten, gezielt durch Sparen. In jedem Fall bildet es Handlungspotential und ist daher Kapital°. Leihgeld als ein „entstautes” Geld ist potentielles Kaufgeld.
Kreditgeber [g] sind am Abgeben von unbenötigtem Geld für einem bestimmten Zeitraum interessiert, wobei die Rückgabe gesichert und ein Ertrag aus dem Geldfluß gewährleistet sein soll. Kreditnehmer [h] benötigen Geld für einen möglichst langen Zeitraum bei geringer Festlegung und Rückzahlung. Der Gläubiger tendiert zum Kaufgeld, der Schuldner zum Schenkgeld. Dieser Interessenskonflikt wird mit dem Kredit zu bestimmten Bedingungen ausgeglichen. Hier taucht die Problematik rund um den Zins° auf.
Im Laufe der Geschichte entwickelt sich die vermittelnde Institution Bank°. Diese bietet beiden Parteien Sicherheit, indem sie gegen Gebühren die Risken abfedert. Allerdings kann Leihgeld nie sicherer sein als der Wirtschaftsprozeß, in welchem es fließt.
5 SCHENKEN
Gestauter Wert wird endgültig aus der Hand gegeben - Schenkprozeß
Schenkung: Intention entläßt Geld, Annahme: Intention ergreift Geld - Schenkgeld
Der handfeste wirtschaftliche Wertträger Geld wird gegen einen ungreifbaren seelisch-geistigen eingetauscht. Schenken kann als Verzicht auf Eigengebrauch zugunsten von Fremdgebrauch verstanden werden. Schenkgeld ist ebenfalls potentielles Kaufgeld. Im wirtschaftlichen Prozeß hat Schenkgeld keine ethische Dimension, vielmehr ist es in erster Linie eine „monetäre Recycling-Technik” (D.SUHR): Staugeld wird in den Geldkreislauf zurückgeleitet.
Freiwilliges Schenken kann mit oder ohne Bedingungen erfolgen. Erzwungenes Schenken [i] geschieht stets in Abhängigkeit. Meist gehen Zwangsschenkungen in Form von Steuern an den Staat,[k] der Geld auf diese Weise umverteilt. - Erziehungsgeld zum Beispiel ist Schenkgeld.
Geistesleben ist auf Schenkgeld angewiesen, freies Geistesleben auf bedingungsloses Schenkgeld. Steiner verweist darauf, daß dieses im volkswirtschaftlichen [l] Prozeß die denkbar größte Rolle spielt, weil es die höchste Aufgabe erfüllt, die sich dem Geld stellen kann: Ermöglichen der produktiven (konstruktiven und kreativen) Fähigkeiten des Menschen auf allen Gebieten des Lebens, der Fähigkeiten, mit denen er seine Zukunft gestaltet.
6 ASSOZIATION°
„Das Wirtschaftsleben strebt darnach, sich aus seinen eigenen Kräften heraus unabhängig von Staatseinrichtungen, aber auch von staatlicher Denkweise zu gestalten. Es wird dies nur können, wenn sich nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten Assoziationen bilden, die aus Kreisen von Konsumenten, von Handeltreibenden und Produzenten sich zusammenschließen. Durch die Verhältnisse des Lebens wird der Umfang solcher Assoziationen sich von selbst regeln. Zu kleine Assoziationen würden zu kostspielig, zu große wirtschaftlich zu unübersichtlich arbeiten. Jede Assoziation wird zu der andern aus den Lebensbedürfnissen heraus den Weg zum geregelten Verkehr finden. [...]
[...] Nicht Gesetze regeln die Erzeugung, die Zirkulation und den Verbrauch der Güter, sondern die Menschen aus ihrer unmittelbaren Einsicht und ihrem Interesse heraus.”[m]
für die Arbeitsgruppe Geld des
Columban-Zweiges, Bregenz
Unsere Anmerkungen
a] im 1898 geschriebenen Aufsatz „Freiheit und Gesellschaft” (in «GA 31»)
b] im 1905 geschriebenen Aufsatz „Geisteswissenschaft und soziale Frage” (in «GA 34») - vgl. mit der altägyptischen Sozialethik in Mbl-B.31
c] vgl. Mbl.27: Anm.3
d] vgl. Mbl.3 - „antisozial”, „asozial” und „sozial” werden hier wertfrei verstanden.
e] Naturraum mit den die Natur bearbeitenden und aus ihr Wert schöpfenden Menschen; umfasst heute Bio- und Lithosphäre, jedoch noch nicht das Weltall
f] von lat. credo: ich glaube, vertraue
g] Gläubiger (Kreditor) mit der Geste des Gebens in Erwartung künftigen Nehmens
h] Schuldner (Debitor) mit der Geste des Nehmens bei Versprechen künftigen Gebens
i] radikal gedacht auch bei Diebstahl, Erpressung, Plünderung oder Raub (lat. privare ~ berauben; befreien)
k] vgl. Mbl-B.14
l] makroökonomischen
m] R.STEINER in «Die Kernpunkte der sozialen Frage»; S.16
Literatur
STEINER, R.: «Die Kernpunkte der sozialen Frage»
STEINER, R.: «GA 340»
STEINER, R.: «GA 341»
BARKHOFF, W.E.: «Wir können lieben wen wir wollen»
CASPAR, A.: «Wirtschaften in der Zukunft»
DE WECK, R.: «Nach der Krise»
HERRMANNSTORFER, U.: «Scheinmarktwirtschaft»
LATRILLE, W.: «Assoziative Wirtschaft»
MEES, R.: «Geld - was ist das eigentlich?»
NORTH, M.: «Von Aktie bis Zoll»
SCHILY, O.: «Flora, Fauna und Finanzen»
STIGLITZ, J.: «Im freien Fall»
STRAWE, Ch.: «Marxismus und Anthroposophie»
SUHR, D.: «Alterndes Geld»
W.WEIRAUCH: «Mehr als Geld»
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB09.htm