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Zitatensammlung
Teil 1
Zitate von Rudolf STEINER zu den
KÜNSTEN
1 Versuchen wir noch einmal, wichtige Momente dieser dreifach künstlerischen Anschauung der Welt vor uns hinzustellen. Wenn wir auf die architektonischen Formen sehen, so müssen wir in ihnen im Sinne der gestrigen Ausführungen etwas erblicken, was die Menschenseele gewissermaßen erwartet, wenn sie in irgendeiner Weise, insbesondere durch den Tod, den physischen Leib verläßt. Sie ist, so sagte ich, während des physischen Erdenlebens gewöhnt, durch den physischen Leib in räumliche Beziehung zur Umgebung zu treten. Sie erlebt die Raumesformen, aber diese Raumesformen sind eigentlich nur Formen der äußeren physischen Welt. Indem nun die Menschenseele zum Beispiel mit dem Tode die physische Welt verläßt, sucht sie gewissermaßen dem Raum ihre eigene Form aufzudrücken. Sie sucht jene Linien, jene Flächen, überhaupt alle jene Formen, durch die sie aus dem Räume herauswachsen und in die geistige Welt hineinwachsen kann. Und dies sind im wesentlichen die architektonischen Formen, insofern die architektonischen Formen als künstlerische in Betracht kommen,so daß wir eigentlich immer blicken müssen auf das Verlassen des menschlichen Leibes durch die Seele und ihre Bedürfnisse nach ihrem Verlassen in bezug auf den Raum, wenn wir das eigentlich Künstlerische der Architektur verstehen wollen.
2 Um das eigentlich Künstlerische der Bekleidung zu verstehen, habe ich auf die Bekleidungsfreudigkeit primitiver Völker hingewiesen, die noch wenigstens eine allgemeine Empfindung davon haben, daß sie aus der geistigen in die physische Welt heruntergestiegen sind, in den physischen Leib untergetaucht sind, aber sich sagen als Seele: In diesem physischen Leibe finden wir etwas anderes als Umhüllung, als wir empfinden können gemäß unserem Aufenthalte in der geistigen Welt. - Da entsteht das instinktive, empfindungsgemäße Bedürfnis, in solchen Farben und in solchen, wenn ich mich so ausdrücken darf, Schnitten eine Umhüllung zu suchen, die der Erinnerung aus dem vorirdischen Dasein entspricht. Bei primitiven Völkern sehen wir also in der Bekleidung gewissermaßen die ungeschickte Formung, ungeschickte Gestaltung des astralischen Menschenwesens, das der Mensch an sich gehabt hat, bevor er ins irdische Dasein heruntergestiegen ist. So sehen wir gewissermaßen in der Architektur immer einen Bezug auf das, was die Menschenseele erstrebt, wenn sie den physischen Körper verläßt. Wir sehen in der Bekleidungskunst, soweit diese als Kunst empfunden wird, dasjenige, was die menschliche Seele erstrebt, nachdem sie aus der geistigen Welt in die physische untertaucht.
3 Wenn man dann so recht empfindet, was ich gestern zuletzt dargestellt habe, wie der Mensch in seiner Hauptesbildung ist, die eine Metamorphose seiner Leibesbildung - außer dem Haupte - aus dem vorigen Erdenleben ist, wenn man empfindet, wie das eigentliche Ergebnis dessen, was sozusagen in der Himmelsheimat, in der geistigen Heimat durch die Wesen der höheren Hierarchien aus dem Kräftezusammenhang des vorigen Erdenlebens gemacht worden ist, dann hat man die mannigfaltigste Umwandelung des menschlichen Hauptes, den oberen Teil des menschlichen Hauptes sich zum Verständnis gebracht. Wenn man dagegen alles das, was dem Mittelhaupte angehört, Nasenbildung, untere Augenbildung, richtig versteht, so hat man dasjenige, was aus der geistigen Welt in der Formung des Hauptes herüberkommt, schon angepaßt der Brustbildung des Menschen. Die Form der Nase steht in Beziehung zur Atmung, also zu dem, was eigentlich dem Brustmenschen angehört. Und wenn wir den unteren Teil des Hauptes, Mundbildung, Kinnbildung richtig verstehen, so haben wir schon auch in dem Haupte einen Hinweis auf die Anpassung ans Irdische. So kann man aber den ganzen Menschen verstehen. Man kann in jeder Wölbung des Oberhauptes, im Vorspringen oder Zurücktreten der unteren Schädel-, das heißt der Gesichtspartien, in alledem fühlen, wie in der Formung das übersinnliche Menschenwesen sich unmittelbar für das Auge darlebt. Und man kann dann jenes intime Verhältnis fühlen, welches das menschliche Oberhaupt, die Wölbung überhaupt, zu den Himmeln hat, dasjenige, welches die mittlere Partie des Gesichtes zu dem Umkreis der Erde hat, gewissermaßen zu alledem, was die Erde als Luft und als Ätherbildung umkreist, und man kann empfinden, wie in der Mund- und Kinnbildung, die einen inneren Bezug zu dem ganzen Gliedmaßensystem des Menschen haben, zum Verdauungssystem, schon das an die Erde Gefesseltsein des Menschen sich ausdrückt. Man kann so rein künstlerisch den ganzen Menschen verstehen und stellt ihn als einen Abdruck des Geistigen in die unmittelbare Gegenwart hinein.
4 So kann man sagen: In der Plastik, in der Bildhauerkunst schaut man den Menschen geistig an, wie er in die Gegenwart hineingestellt ist, während die Architektur auf das Verlassen des Leibes durch die Seele hinweist und die Bekleidungskunst auf das Hineinziehen der Seele in den Leib. - Es weist gewissermaßen die Bekleidungskunst auf ein Vorzeitliches in bezug auf das Erdenleben, die Architektur auf ein Nachzeitliches in bezug auf das Erdenleben. Daher geht die Architektur, wie ich gestern ausgeführt habe, von Grabbauten aus. Dagegen die Plastik weist auf die Art und Weise, wie der Mensch in seiner Erdenform unmittelbar am Geistigen teilnimmt, wie er das Irdisch-Naturalistische fortwährend überwindet, wie er in jeder seiner einzelnen Formen und in seiner ganzen Gestaltung der Ausdruck des Geistigen ist. Damit sind aber diejenigen Künste angeschaut, welche etwas mit Raumesformen zu tun haben, welche also hinweisen müssen auf die Verteilung des Verhältnisses der menschlichen Seele zur Welt durch den physischen Raumesleib.
5 Steigen wir noch um eine Stufe näher in das Raumlose herab, dann kommen wir von der Plastik, von der Bildhauerei in die Malerei hinein. Die Malerei wird nur richtig empfunden, wenn man mit dem Material der Malerei rechnen kann. Heute im fünften nachatlantischen Zeitalter hat die Malerei im gewissen Sinne gerade am klarsten, am stärksten den Charakter angenommen, der ins Naturalistische hineinführt. Das zeigt sich am allermeisten dadurch, daß ein tieferes Verständnis für das Farbige eigentlich in der Malerei verlorengegangen ist und das malerische Verständnis in der neueren Zeit so geworden ist, daß es, ich möchte sagen eigentlich ein verfälschtes plastisches Verständnis ist. Wir möchten heute den plastisch, den bildhauerisch empfundenen Menschen auf die Leinwand malen. Dazu ist auch die Raumesperspektive gekommen, die eigentlich erst im fünften nachatlantischen Zeitraum heraufgekommen ist, die durch die perspektivische Linie ausdrückt, irgend etwas ist hinten, etwas anderes ist vorne, das heißt sie will auf die Leinwand das räumlich Gestaltete zaubern. Damit wird von vornherein das erste, was zum Material des Malers gehört, verleugnet, denn der Maler schafft nicht im Räume, der Maler schafft auf der Fläche, und es ist eigentlich ein Unsinn, räumlich empfinden zu wollen, wenn man als erstes in seinem Material die Fläche hat.
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6 Denn Farbenperspektive, nicht eine Linienperspektive ist dasjenige, was wir uns wieder erobern müssen: Empfindung der Fläche, des Fernen und des Nahen nicht bloß mit der Linienperspektive, die eigentlich immer durch eine Verfälschung das Plastische auf die Fläche zaubern will, sondern das Farbige auf der Fläche sich intensiv, nicht extensiv fernend und nahend, so daß ich in der Tat gelb-rot male, wenn ich andeuten will, etwas ist aggressiv, etwas ist auf der Fläche, was mir gewissermaßen entgegenspringen will. Ist etwas in sich ruhig, fernt es sich von mir, geht es nach rückwärts - ich male es blau-violett. Intensive Farbenperspektive! Studieren Sie die alten Maler, Sie werden überall finden, es war selbst bei den Malern der frühen Renaissancezeit noch durchaus ein Empfinden für diese Farbenperspektive vorhanden. Sie ist aber überall vorhanden in der Vor-Renaissancezeit, denn erst mit dem fünften nachatlantischen Zeitraum ist die Linienperspektive an die Stelle der Farbenperspektive, der intensiven Perspektive getreten.
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7 Dagegen kommen wir völlig in dasjenige hinein, was die Seele als Geistiges, als Geistig-Seelisches erlebt, wenn wir ins Musikalische kommen. Da müssen wir aus dem Raum vollständig heraus. Das Musikalische ist linienhaft, eindimensional. Es wird auch eindimensional in der Zeitenlinie erlebt. Aber es wird so erlebt, daß der Mensch dabei zugleich die Welt als seine Welt erlebt. Die Seele will weder etwas geltend machen, was sie braucht, wenn sie untertaucht ins Physische oder wenn sie das Physische verläßt, die Seele will dasjenige erleben im Musikalischen, was in ihr jetzt auf Erden seelisch-geistig lebt und vibriert. Studiert man die Geheimnisse der Musik, so kommt man darauf, ich habe das schon einmal hier ausgesprochen, was eigentlich die Griechen, die sich auf solche Dinge wunderbar verstanden, mit der Leier des Apollo meinten. Dasjenige, was musikalisch erlebt wird, ist die verborgene, aber dem Menschen gerade eigene Anpassung an die inneren harmonisch-melodischen Verhältnisse des Weltendaseins, aus denen er herausgestaltet ist. Wunderbare Saiten im Grunde genommen, die nur eine metamorphosierte Wirksamkeit haben, sind seine Nervenstränge, die von dem Rückenmark auslaufen. Das ist die Leier des Apollo, dieses Rückenmark, oben im Gehirn endigend, die einzelnen Nervenstränge nach dem ganzen Körper ausdehnend. Auf diesen Nervensträngen wird der seelisch-geistige Mensch gespielt innerhalb der irdischen Welt. Das vollkommenste Instrument dieser Welt ist der Mensch selber, und ein Musikinstrument außen zaubert die Töne in dem Maße für den Menschen als künstlerische hervor, wie der Mensch in dem Erklingen der Saiten eines neuen Instrumentes zum Beispiel etwas fühlt, was mit seiner eigenen, durch Nervenstränge und Blutbahnen erfolgten Konstitution, seinem Aufbau, zusammenhängt. Der Mensch, insofern er ein Nervenmensch ist, ist innerlich aus Musik aufgebaut, und er empfindet die Musik künstlerisch, insofern irgend etwas, was musikalisch auftritt, mit dem Geheimnis seines eigenen musikalischen Aufbaues zusammenstimmt.
8 Da also appelliert der Mensch an sein auf der Erde lebendes Seelisch-Geistiges, wenn er sich dem Musikalischen hingibt. In demselben Maße, in dem anthroposophische Anschauung die Geheimnisse der inneren geistig-seelischen Menschennatur entdeckt, werden sie gerade auf das Musikalische befruchtend wirken können, nicht theoretisch, sondern auf das musikalische Schaffen. Denn bedenken Sie, daß es wirklich nicht ein Theoretisieren ist, wenn ich sage: Schauen wir hinaus auf die leblose stoffliche Welt. Indem wir sie farbig sehen, ist das Farbigsehen die kosmische Erinnerung an vorzeitlich wirkende Götter. Lernen wir verstehen durch richtiges anthroposophisches Anschauen, wie in den Edelsteinen, in den farbigen äußeren Gegenständen, überhaupt durch die Farben, sich die Götter in ihrem Urschaffen in Erinnerung rufen, werden wir gewahr, daß die Dinge deshalb farbig sind, weil Götter sich durch die Dinge aussprechen, dann ruft das jenen Enthusiasmus hervor, der aus dem Erleben in dem Geistigen hervorgeht. Das ist kein Theoretisieren, das ist etwas, was die Seele unmittelbar mit innerer Kraft durchziehen kann. Nicht ein Theoretisieren über die Kunst geht daraus hervor. Künstlerisches Schaffen und künstlerisches Genießen selber kann dadurch angeregt werden. So ist die wahre Kunst überall ein Beziehungsuchen des Menschen zum Geistigen, sei es zu dem Geistigen, das er erhofft, wenn er mit der Seele aus dem Leibe geht; sei es mit dem Geistigen, das er sich erinnernd bewahren möchte, wenn er in den Leib untertaucht; sei es zu dem Geistigen, mit dem er sich verwandt fühlt, da er sich nicht verwandt fühlt mit dem bloßen Natürlichen seiner Umgebung; sei es, daß er sich fühlt in dem Geistigen, ich möchte sagen mehr in der Welt im Farbigen, wo das Innen und Außen aufhören, wo die Seele gewissermaßen durch den Kosmos schwimmend, schwebend sich bewegt, im Farbigen ihr eigenes Leben im Kosmos fühlt, wo sie überall sein kann durch das Farbige. Oder es fühlt die Seele auch noch innerhalb des Irdischen ihre Verwandtschaft mit dem Kosmisch-Seelisch-Geistigen wie im Musikalischen.
9 Nun kommen wir herauf zum Dichterischen. Manches, was ich in bezug auf alte Zeiten dichterischer Empfindungen, wo das Dichterische noch ganz künstlerisch war, gesagt habe, kann uns darauf aufmerksam machen, wie dieses Dichterische empfunden worden ist, als man noch lebendige Beziehungen zu der geistig-seelischen Welt hatte. [...]
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Dornach, 2.Jun.1923 ♄ (aus «GA 276»)
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit127600042.htm