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Neudenken:
Landschaft wahrnehmen
Allein außer dem Forschen und Wissen gab es noch eine andere Art, der Natur nahe zu treten, und zwar zunächst in einem besondern Sinne. Die Italiener sind die frühesten unter den Modernen, welche die Gestalt der Landschaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenommen und genossen haben¹.
Diese Fähigkeit ist immer das Resultat langer, komplizierter Kulturprozesse, und ihr Entstehen läßt sich schwer verfolgen, indem ein verhülltes Gefühl dieser Art lange vorhanden sein kann, ehe es sich in Dichtung [a] und Malerei verraten und damit seiner selbst bewußt werden wird.
Bei den Alten z. B. waren Kunst und Poesie mit dem ganzen Menschenleben gewissermaßen fertig, ehe sie an die landschaftliche Darstellung gingen, und diese blieb immer nur eine beschränkte Gattung, während doch von Homer [b] an der starke Eindruck der Natur auf den Menschen aus zahllosen einzelnen Worten und Versen hervorleuchtet. Sodann waren die germanischen Stämme, welche auf dem Boden des römischen Reiches ihre Herrschaften gründeten, von Hause aus im höchsten Sinne ausgerüstet zur Erkenntnis des Geistes in der landschaftlichen Natur, und wenn sie auch das Christentum [c] eine Zeitlang nötigte, in den bisher verehrten Quellen und Bergen, in See und Wald das Antlitz falscher Dämonen zu ahnen, so war doch dieses Durchgangsstadium ohne Zweifel bald überwunden.
Auf der Höhe des Mittelalters, um das Jahr 1200, existiert wieder ein völlig naiver Genuß der äußern Welt und gibt sich lebendig zu erkennen bei den Minnedichtern der verschiedenen Nationen². Dieselben verraten das stärkste Mitleben in den einfachsten Erscheinungen, als da sind der Frühling und seine Blumen, die grüne Heide und der Wald. Aber es ist lauter Vordergrund ohne Ferne, selbst noch in dem besondern Sinne, daß die weitgereisten Kreuzfahrer sich in ihren Liedern kaum als solche verraten. Auch die epische Poesie, welche z. B. Trachten und Waffen so genau bezeichnet, bleibt in der Schilderung der Örtlichkeit skizzenhaft und der große Wolfram von Eschenbach [d] erweckt kaum irgendein genügendes Bild von der Szene, auf welcher seine handelnden Personen sich bewegen. Aus den Gesängen würde vollends niemand erraten, daß dieser dichtende Adel aller Länder tausend hochgelegene, weitschauende Schlösser bewohnte oder besuchte und kannte. Auch in jenen lateinischen Dichtungen der fahrenden Kleriker [e] fehlt noch der Blick in die Ferne, die eigentliche Landschaft, aber die Nähe wird bisweilen mit einer so glühenden Farbenpracht geschildert, wie sie vielleicht kein ritterlicher Minnedichter wiedergibt. Oder existiert noch eine Schilderung vom Haine des Amor wie bei jenem, wie wir annehmen, italienischen Dichter des 12. Jahrhundert?
Immortalis fieret
Ibi manens homo;
Arbor ibi quaelibet
Suo gaudet pomo;
Viae myrrha, cinnamo
Flagrant et amomo -
Conjectari poterat
Dominus ex domo³ etc.[f]
Für die Italiener jedenfalls ist die Natur längst entsündigt und von jeder dämonischen Einwirkung befreit. S. Francesco von Assisi preist in seinem Sonnenhymnus den Herrn ganz harmlos um der Schöpfung der Himmelslichter und der vier Elemente willen.
Jacob Burckhardt
¹ Es ist kaum nötig, auf die berühmte Darstellung dieses Gegenstandes im zweiten Bande von Humboldts Kosmos zu verweisen.
² Hierher gehören bei Humboldt a.a.O. die Mitteilungen von Wilhelm Grimm.
³ Carmina Burana S. 176, de Phyllide et Flora Str. 66.
aus «Die Kultur der Renaissance in Italien»; S.274ff
Unsere Anmerkungen
a] vgl. R.Schrott zur Dichtung
b] etwa ab 800v
c] allerdings nicht das Christentum als solches, sondern der Konfessionalismus innerhalb desselben, der - wie er das in allen Religionen tut - dem Anderen vorzuschreiben trachtet, was zu glauben sei
d] der Dichter des mittelhochdeutschen «Parzival»
e] „Es ist der, welchem die besten Stücke der sogenannten Carmina Burana angehören. Eine ungehemmte Freude an der Welt und ihren Genüssen, als deren Schutzgenien die alten Heidengötter wieder erscheinen, während Catonen und Scipionen die Stelle der Heiligen und christlichen Helden vertreten, strömt in prachtvollem Fluß durch die gereimten Strophen.” (J.Burckhardt: op.cit.; S.163f)
f] Der Mensch, der dort zu weilen kommt,
bliebe unbegraben,
der Baum will dort mit seinem Obst
alle freudig laben,
dank Myrrhenduft und Zimtgeschmack
brennen Balsamgaben -
Der Herr wird wohl imstande sein,
sich aus dem Heim zu wagen usw.
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201310.htm