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Neudenken:
Was Licht offenbart
Im Sonnengleichnis (46) versinnbildlicht Platon durch das Licht das bedingungslose Sich-Schenken des höchsten Guten als Substanz des Seins.(47) Für ihn offenbart das sichtbare Licht, als Bild, das Wesen des Guten; so wird das Licht zu einer Imagination [a] des Guten.
Genau wie die Sonne vom eigenen Licht, so kann auch das Gute von der eigenen Offenbarung als Substanz des Seins nicht getrennt werden: Bedingungslos verströmt sich das Gute wie das Licht, sich als vollkommene Unverborgenheit/Wahrheit offen-barend,(48) obwohl es stets bei sich bleibt. Deswegen kann Platon das Gute einerseits als jenseits von allem Seienden,(49) andererseits als das Leuchtendste/Offenbarste im Bereich des Seins charakterisieren.(50) Das Gute ist also dem Sein bzw. der Welt gegenüber zugleich tiefste Innerlichkeit und höchste Äußerlichkeit bzw. klarste Wahrnehmbarkeit.
Ergänzen wir jetzt Platons Imagination durch einige Bemerkungen zum Licht, die von Robertus Grosseteste stammen: Das Licht ist seinem Wesen nach Selbstvervielfältigung bzw. generative Kraft, die sich selbst aus der eigenen Substanz generiert. Sein Sein ist unmittelbar Selbstgeneration. Deswegen kann ein Lichtpunkt in einem Augenblick die Welt mit Licht erfüllen (51) bzw. zu einer beliebig großen Sphäre werden; das heißt, das Licht offen-bart sich bis ins Unendliche.(52)
Was kann sich durch diese Bilder in Bezug auf das Gute manifestieren?
· Aufgrund seiner Bedingungslosigkeit verströmt sich das Gute unmittelbar, augenblicklich ins Un-endliche.
· Dieses Verströmen ist absolute, unmittelbare Unverborgenheit (Sichtbarkeit) des sich Verströmenden.
· Das Gute wird also unmittelbar und unbedingt vollkommen äußerlich. Es ist also die absolute Evidenz, das offenbarste Phänomen.
· Da diese Evidenz sich aus der Unendlichkeit her offenbart, impliziert sie die unmittelbare Umstülpung der absoluten Veräußerlichung in die absolute Verinnerlichung: Ins Unendliche wird das äußere zu einem inneren Licht. Das offenbarste Phänomen, in dem sich das Gute bedingungslos manifestiert, ist also ein von sich selbst bewusstes Ich. In diesem Phänomen fallen Äußeres und Inneres zusammen: Der Licht/Ich-Punkt [b] des Guten offenbart sich ins Unendliche als Lichtpunkt eines anderen freien Ich.
· Das freie Ich-Bewusstsein kommt also aus der Unendlichkeit her bzw. zeitlos als wahrhaftiges Bild, als Imagination des Guten der bedingungslosen Offenbarung des Guten entgegen: Dem äußerlichen Licht, das sich als bedingungslose Wahrnehmbarkeit/Durchsichtigkeit offen-baren will, kommt das innerliche Licht entgegen, das jene Durchsichtigkeit als den eigenen Un-Grund [c] bzw. als sich selbst ergreifen kann.[d]
· Die Begegnung von äußerem und innerem Licht im Sich-Ergreifen des Ich bildet die lebendige Substanz des Denkens. Die bewusste Tätigkeit des Denkens ist also wesenhaft mit einer imaginativen Kraft verbunden: mit der Kraft des Guten, von dem das Ich imaginiert wurde.
· Das Denken, das seiner eigenen Natur bewusst geworden ist, wird fähig sein, in den Offenbarungen des äußeren Lichts, die den Sinneswahrnehmungen Gestalt und Wesen schenken, die lebendige, imaginative Kraft des eigenen Un-Grunds nachklingen zu hören. Bewusste Sinneswahrnehmung bzw. ichhaftes Verhältnis zur Welt offenbaren sich dann in der schöpferisch empfänglichen Stille des Denkens als wahrheitsgemäße Imagination.
Salvatore Lavecchia
46) Politeia 506d6-509c.
47) Ebd., 508d4-6.
48) Das griechische alétheia - Wahrheit - heißt wortwörtlich Unverborgenheit.
49) Ebd., 509b8-10.
50) Ebd., 518c9.
51) Robertus Grosseteste: Hexameron, hrsg. von R.C.Dales/S.Gieben, Oxford 1982, S.97.26-98.5.
52) Robertus Grosseteste: De luce, hrsg. von C.Panti, Pisa 2011, S.76.2-4 und 77.28-30.
aus ‹Philosophie und Imagination oder Die notwendige Wende zum Guten›
in »die Drei« 7/8 2012; S.36f
Unsere Anmerkungen
a] vgl. Mbl-B.33a
b] vgl. mit dem Gedicht Punkt bin ich
c] vgl. Mbl.15: Anm.1
d] vgl. ZAJONC, A.: «Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein»
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201210.htm