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Neudenken:
Beten heute
1 Religion wird weithin als etwas empfunden, was mit dem »eigentlichen« Leben nichts zun tun hat; sie erscheint als eine Art »Überbau«[a] über den harten Realitäten des Daseins, einem subjektiven »religiösen Bedürfnis« entspringend, ohne Bedeutung für die Wirklichkeit.[b]
2 Es ist bei Vernunft und gutem Willen leicht einzusehen, daß gerade das Gegenteil richtig ist - wenn wir die oben genannten Voraussetzungen im Auge behalten. Mit allem, was der Mensch heute zu tun hat, ist er in Gefahr, sich selbst zu verlieren, sich selbst fremd zu werden. Das Leben in der heutigen Arbeitswelt und Zivilisation führt den Menschen in extremer Weise nach außen, von dem Zentrum seines eigenen Wesens ab. Auch das hat seinen Sinn; die Menschheit ist reif, in die Spannung zwischen außen und innen immer stärker hineingeleitet zu werden und daran zu erstarken. Dieses Leben in einer sich immer mehr veräußerlichenden Welt darf jedoch nicht zum »Verlust der Mitte«[c] führen. Daraus erwächst dem religiösen Leben heute seine neue, bedeutende Aufgabe: Es darf heute nicht nur keine Abkehr predigen von der Außenwelt; es muß dem Menschen vielmehr die Stärke verleihen, ohne Verlust der Mitte in dieser Außenwelt leben zu können.
3 Hier kommt dem Gebet eine wachsende Bedeutung zu. Es ist - recht geübt [...] - der Kraftquell, aus dem alle Stärke für die Erdenaufgabe des Menschen erfließen kann. Richtiges [d] Leben im Gebet führt zu richtigem Leben in der Erdenaufgabe. Was zunächst als »Überbau« erscheinen mag, ist in Wahrheit der Quellgrund für alle tätigen Seelenkräfte; ohne diesen Quellgrund wird alles Dasein sinnlos, öde, leer, und die Seele erlahmt schließlich trotz aller äußeren Aktivität. Es kommt darauf an, ob die Seele den Ursprung ihres eigenen Wesens, ihre Mitte zu finden vermag; und zwar dort, wo sie gleichzeitig über sich selbst hinaus - und in ein höheres Dasein, in das Dasein des Göttlichen, hineinwächst: im Gebet. Im wahren Gebet steht der Mensch mit all' seinen Seelenkräften, mit Denken Fühlen, Wollen,[e] in der Mitte seines eigenen Wesens. Und in Wahrheit ist das Gebet - verstehen wir uns nur selbst recht - nie etwas unserem Ich fremdes, sondern gerade das allerinnerste und -nächste: innerste Mitte unseres Daseins, weil wir nicht einem Äußerlichen zugewendet, sondern dem Innerlichsten unseres Wesens hingegeben sind: dem Göttlichen.[f]
4 Es ist heute viel davon die Rede, wie schwer es sei zu beten.[g] Diese Klage ist berechtigt. Demgegenüber darf aber auch gesagt werden: Hier ist das Einfache schwer; denn Gebet wird doch endlich wieder das Einfachste, Vertrauteste, das sich denken läßt. Wir meinen, es sei eine besondere Anstrengung, - dürfen wir sagen: Verkrampfung? - der Seele dazu notwendig? Im Gegenteil: ein Ablegen alles der Seele Äußerlichen, aller Verkrampfung - das ruhige, stille, »ein-fache« »Zu-sich-kommen« ist es gerade: »Zu-sich-kommen«? Ja, eben: das »zu uns selbst Kommen«, das Eingehen in die Mitte unseres Lebens, in den Quellgrund unseres Seins und des göttlichen Seins in uns. Denn was wollten wir Menschen sehnlicher, als immer wieder die tiefe Übereinstimmung zu fühlen mit uns selbst und - mit Gott?
Hans-Werner Schroeder
aus «Das Gebet»; S.9ff
Unsere Anmerkungen
a] Der Ausdruck geht auf Karl Marx zurück, der die Ökonomie als Unterbau allen sozialen Geschehens betrachtete.
b] Die oft nur eingebildete Tatsächlichkeit (Realität) physischer Überlebensnotwendigkeiten verdeckt häufig die Wirklichkeit eines wirksamen Seelenlebens.
c] Titel eines 1948 erschienenen kulturkritischen Buches von Hans Sedlmayr
d] „richtig” im Sinne von „eingerichtet” und „ausgerichtet”
e] vgl. in Mbl.17 dieselben in Zusammenhang mit dem Schulungsweg
f] Im Unterschied zum Meditieren (wörtl. „Einmitten”, siehe Mbl-B.33) geht es beim Beten darum, ein zuallermeist höheres Wesen anzusprechen, meist den eigenen Engel.
g] weniger, wenn sich der Mensch in einer ihm ausweglosen Notlage befindet
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn201102.htm