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Nachdenken:
DNS [a] und Information
Im Jahre 1991 erklärte der bekannte Genetiker Walter Gilbert, durch das Human Genome-Projekt [b] werde «in fünf bis sieben Jahren die Hälfte und bis zum Ende dieses Jahrhunderts das gesamte Wissen über den menschlichen Organismus zur Verfügung stehen». (Gilbert, 1991)¹ Woher soll dieses Wissen kommen? Von nichts anderem als von den Genen, oder genauer gesagt, von der Kenntnis der Nukleotidsequenz der DNA in den menschlichen Zellen. Deutlicher lässt sich der Glaube, ein Organismus könne auf seine Gene reduziert werden, kaum ausdrücken. Das Wissen von den Genen wird als Wissen vom Organismus genommen.[c] Ich möchte nicht allen Genetikern unterstellen, daß sie diese extreme Sicht teilen, doch ist sie weit verbreitet und hat große Suggestivkraft.
Sehen wir uns diese Auffassung vor dem Hintergrund neuerer Entdeckungen genauer an. Aus genetischer Sicht ist Hefe (Saccharomyces cerevisiae) einer der bekanntesten Organismen. Im Frühjahr 1992 wurde in der Genetik mit Hefe ein Durchbruch erzielt: Zum ersten Mal wurde die DNA-Sequenz eines Chromosoms vollständig bestimmt. Es war das Chromosom III der Hefe. 35 verschiedene Laboratorien in 17 europäischen Ländern waren an dem Projekt beteiligt, und der Artikel, in dem diese Arbeit vorgestellt wurde, hatte 147 Verfasser. (Oliver et al., 1992)² Bis dahin waren auf dem Chromosom III 34 Gene bekannt gewesen, die vollständige Sequenzbestimmung der DNA ließ auf weitere 148 Gene schließen.
Da ein Gen nicht allein durch seine Molekularstruktur definiert ist, sondern zuallererst durch seinen Wirkungszusammenhang [d] im Organismus, stellt sich die Frage, ob die neu entdeckten DNA-Sequenzen wirklich Gene sind oder nur «bedeutungslose» DNA-Stücke. Das kann man nur herausfinden, indem man die Gene verändert («gene disruption») und dann beobachtet, ob in den Organismen mit verändertem Gen andersartige Merkmale auftreten. Dies wurde bei der Hefe mit 55 der neu entdeckten «Gene» versucht. In 14 Fällen ließen sich physiologische Veränderungen wie Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Stoffen, Sterilität sowie veränderte Wärme- oder Kälteempfindlichkeit feststellen. In den anderen Fällen konnten bisher keine Veränderungen beobachtet werden, was nicht heißt, daß das in zukünftigen Versuchen nicht noch geschehen kann.
Die Autoren schließen daraus, daß «unsere Kenntnisse von der Hefe im Hinblick auf ihre Physiologie und Zellbiologie hinter der molekulargenetischen Analyse hinterherhinken». Anders betrachtet könnte man sagen: Ein über die bloße Sequenzbestimmung hinausgehendes Wissen von den Genen kann nur durch die Erkenntnis des Organismus als Ganzem erworben werden. Je mehr wir den Organismus als Ganzes erkennen, desto mehr «Information» haben wir. Diese Information liegt nicht in den Genen; sie ist der begriffliche Faden, durch den die Einzelheiten zu einem sinnvollen Ganzen zusammengewoben werden.[e]
Eine Entdeckung aus der Hefeforschung belegt diese Tatsache. Man fand ein Gen, dessen Basensequenz jenem des Gens zur Fixierung von Stickstoff bei stickstoffbindenden Bakterien entspricht. Da Hefe aber keinen Stickstoff bindet, wird daraus klar, daß das «gleiche» Gen in jedem Organismus neu verstanden werden muß. Die Nukleotidsequenz eines Gens selbst gibt uns also keinen Aufschluß über die Bedeutung dieses Gens im Organismus.
Häufig werden zur Forschung Mäuse herangezogen.[f] Als Säugetiere stehen sie dem menschlichen Organismus näher als die meisten anderen Versuchstiere. Sie dienen daher oft als Modellorganismen zur Erforschung menschlicher Krankheiten. Doch auch hier wird die Annahme, daß «gleiche» Gene bei Mensch und Maus Gleiches bedeuten, durch die experimentellen Ergebnisse oft widerlegt.
«Natürliche oder künstlich mutierte Stämme von Mäusen haben große Bedeutung in der Erforschung von Entwicklung und Krankheit, doch zeigen sie oft größere Abweichungen, als man erwartet ... Durch Genveränderungen wurden Mausmodelle für das Lesch-Nyhan-Syndrom und die Gauchersche Krankheit geschaffen. Doch während erstere keine Krankheitssymptome zeigten, starben letztere innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt. So sind weitere Manipulationen erforderlich, bevor die allgemeinen Krankheitserscheinungen beim Menschen nachgeahmt werden können.» (Davies, 1992)³
Derartige Beispiele sind keineswegs vereinzelt. So kann etwa - um auf den Menschen zurückzukommen - im Auge des Kindes in der sich entwickelnden Retina ein Tumor auftreten,[g] der mit einer Veränderung im sogenannten Retinoblastom-Gen zusammenhängt. Erhält ein Kind von seinen Eltern ein solches mutiertes Gen, wird sich mit 85prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Tumor entwickeln. Bei Mäusen entwickelt sich der Tumor unter denselben Begebenheiten jedoch nicht. Er tritt natürlicherweise bei Mäusen und anderen Wirbeltieren gar nicht auf; es gibt ihn nur beim Menschen. Wenn bei Mäusen von beiden Elterntieren ein Retinoblastom-Gen vererbt wird, stirbt der Fötus. Demgemäß führt die Mutation desselben Gens zu völlig unterschiedlichen Konsequenzen. Wenn nun die Auswirkungen so verschieden sind, was berechtigt uns dann, von den gleichen Genen zu sprechen? (Harlow, 1992)⁴
Im Jahre 1990 wurde erstmals ein Gen identifiziert (genannt DCC), das in Tumorzellen bei vielen Patienten mit Dickdarmkrebs fehlt. Seitdem entdeckten verschiedene Forschergruppen dieses Gen (d.h. ähnliche Basensequenz von DNA) bei Ratten und Mäusen. Mäuse wurden gentechnisch erzeugt, so daß auch ihnen dieses Gen DCC fehlt. Diese Mäuse wiesen unerwarteterweise keinen Dickdarmkrebs auf, aber Gehirn- und Rückenmarksschäden. Ist das Gen vielleicht vielmehr ein Entwicklungsgen? Der Forscher Ian Summerhayes meint, daß das Fehlen dieses Gens zwar die Veranlagung zur Tumorbildung anzeigen kann, aber vielleicht «nichts mit Krebsentstehung zu tun hat.» (zitiert in Rousch, 1997)⁵
Seit langem vermutet man, daß das Muskeleiweiß Myoglobin in Zeiten starker körperlicher Beanspruchung eine wesentliche Rolle beim Sauerstofftranspoprt innerhalb der Muskelzellen spielt. Doch bei gentechnisch erzeugten Mäusen ohne Myoglobin findet man normale Muskelfunktion auch bei körperlicher Anstrengung. (Garry et al., 1998)⁶
Diese Beispiele zeigen deutlich, wie schwierig es ist, etwas über die Funktion eines Gens auszusagen. Weder im kranken noch im gesunden Organismus ist die Rolle des spezifischen DNA-Abschnittes eindeutig.[h] Genetiker, die nicht von vornherein von einer besonderen Mission der genetischen Forschung überzeugt sind und die Tatsachen sprechen lassen, stehen solchen Vereinfachungstendenzen kritisch gegenüber. So schrieb D.Pritchard in einer Entgegnung auf den bereits zitierten Aufsatz von Gilbert: «Es ist ein moderner Mythos, daß die DNA all die Informationen enthalte, die notwendig sind, um einen Organismus hervorzubringen. Das ist nicht der Fall.» (Pritchard, 1991)⁷
S.78ff
1 Gilbert, W. 1991. Towards a paradigm shift in biology. Nature 349, p.99.
2 Oliver, S.G. et al. 1992. The complete DANN sequence of yeast chromosome III. Nature 357, p.38-46.
3 Davies, K. 1992. Mulling over mouse models. Nature 359, p.86.
4 Harlow, E. 1992. For our eyes only. Nature 359, p.270-271.
5 Roush, W. 1997. Putative cancer gene shows up in development instead. Science 276, p.534-535.
6 Garry, D. et al. 1998. Mice without myoglobin. Nature 395, p.905-908.
7 Pritchard, D. 1991. Modern myth. Nature 354, p.179.
S.187ff
Craig Holdrege
aus «Der vergessene Kontext»
Unsere Anmerkungen
a] DesoxyriboNukleinSäure (engl. DNA), der als Doppelhelix auftretende Träger der Erbsubstanz - vgl. »TzN Dez.2002«
b] ein mittlerweile abgeschlossener Versuch, in internationaler (dh. westlicher) Zusammenarbeit alle menschlichen Gene (rund 100.000) zu bestimmen und zu kartieren
c] ein klassisches Beispiel dafür, wie eine Fehlinterpretation zu irreführenden Ansichten führt, die dann als wissenschaftliche Ergebnisse verkauft werden
d] Aus dem Wirkungszusammenhang erschließt sich die Wirksamkeit der Bildekräfte und damit die Wirklichkeit des Lebendigen.
e] Also nicht in der analytisch erfassbaren Einzelheit liegt der Informationsgehalt, sondern in der möglichen Synthese (Zusammenschau); Informationseinheiten wie Engramme (neurophysiologisch) oder Bytes (informatisch) sind ohne Kontext (Zusammenhang) unbrauchbar.
f] Wie häufig wird vor Tierversuchen eigentlich nach der Verantwortung gegenüber dem Tierreich gefragt? Billige Hinweise auf „rettbare” Menschenleben werden uns kaum entschuldigen. - vgl. »TzN Sep.2003«
g] „Vor zwei Jahren berichteten Ärzte von der Hadassah-Universitätsklinik in Israel, dass schwere Augenleiden vermehrt bei Kleinkindern nach künstlicher Befruchtung entdeckt wurden, darunter auch Retinablastome - [...] Annette Moll von der Universität Amsterdam fand heraus, dass dieser Krebs bei Retortenkindern unverhältnismäßig oft vorkommt.” aus »Spektrum der Wissenschaft« 12/2003; S.37
h] Woher kommt dann die Eindeutigkeit eines tierischen oder gar die Individualität des menschlichen Organismus'?
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200312.htm