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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Gerhard WEHR zum
WANDEL KABBALISTISCHER GOTTESBILDER
1 Was in geistig-religiös überaus bewegter Zeit [XIII.Jahrhundert] im Süden Frankreichs [Languedoc u. Provence] seinen Anfang genommen hatte, das überschritt die Grenzen der Völker und Religionen. Spanien wurde bereits genannt, ebenso Gerona, die [...] Stadt mit der damals zweitgrößten jüdischen Gemeinde Katalaniens. Infolge der engen Beziehung, die die Kabbalisten der Provence zu ihren transpyrenäischen Nachbarn im Süden hatten, lag es nahe, die dort gepflegte, kontemplativ ausgerichtete Spiritualität auch dahin zu verpflanzen. An der Spitze der Geroneser Kabbalisten, die so etwas wie ein »heiliges Konventikel« bildeten, stand Mose ben Nachman, genannt Nachmanides von Gerona. Zu seiner Zeit war die sefirotische, auf die Ausstrahlungen bzw. Abglänze bezogene Gottesvorstellung offenbar noch nicht ausgebildet. Zwar war hier die Lehre von den Erscheinungsweisen des Allheiligen längst vertraut. Aber der Name des Unnennbar-Ewigen, später genannt En-sof, war noch nicht gefunden. Immerhin ahnte Nachmanides, dass es ein Verborgenes geben müsse, das jenseits des Nennbaren, Bescheibbaren sein Wesen hat und als der verborgene Gott (deus absconditus) anzusehen sei. Von großer Tragweite aber sollte ein Ereignis werden, das eine sehr prinzipielle Erweiterung der kabbalistischen Gottesanschauung wurde. Denn in diesen Kreisen trat das ein, was vom orthodoxen Judentum mit Skepsis beobachtet wurde, nämlich die Verbindung der gnostisch-kontemplativen Kabbala samt der traditionellen jüdischen Frömmigkeit mit der neuplatonischen Philosophie Plotins. Zwei Geisteshaltungen bzw. Frömmigkeitsformen trafen aufeinander und verlangten nach einer Verhältnisbestimmung.
2 Mit der Übernahme der Emanationsvorstellung Plotins und seiner Schüler standen - für Juden wie für Christen - einander gegenüber der biblische Schöpfungsglaube, der auf den ersten Worten des Buches Genesis basiert »Gott schuf am Anfang« (bereschit bara Elohim), und die philosophische Anschauung der Neuplatoniker, wonach alles Gewordene aus dem urewigen Einen hervorgegangen ist. Konträr zueinander stehen somit der personale, ansprechbare Gott Israels als »der Eine« und auf der anderen Seite »das Eine«, das unpersönliche »Es«. Scholem hat diesen Gegensatz in einem gleichnamigen Aufsatz »Das Ringen zwischen dem biblischen Gott und dem Gott Plotins in der alten Kabbala« genannt⁴⁵; Göttliche Offenbarung gemäß der hebräischen Bibel hier, menschliche Spekulation aus dem Geist der [hellenistisch] griechischen Philosophie dort. Die daraus sich ergebende Aufgabe bestand für die Kabbalisten darin, beide Verstehungsweisen miteinander zu verbinden, wobei die Frage nach dem Uranfang aller Dinge und der Schöpfung Gottes im Mittelpunkt ihrer Betrachtung stand. »Der Prozeß, der sich zuerst bei den christlichen Neuplatonikern, dann im Islam und Judentum vollzogen hat, beruhte auf der Überzeugung, dass es eine Hierarchie der religiösen Erfahrung gibt, in der auf verschiedenen Ebenen Verschiedenes erfahren wird und in der der Fortschritt von einer Erfahrung zur anderen keinen Widerspruch bedingt.«⁴⁶
S.45ff
45. Gerschom Scholem: Über einige Grundbegriffe des Judentums. Frankfurt 1970, S. 7 ff.
46. Ders. a.a.O., S. 14.
S.87
aus «Kabbala»
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit780100045.htm