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Zitatensammlung
Teil 1
Zitat von Rudolf STEINER zu den
WELTANSCHAUUNGEN
1 Auf diese Weise kommen wir, indem wir den Gedanken einfach die richtige Richtung geben, zu etwas ganz anderem. Jetzt beginnen wir zu verstehen, warum so viele Weltanschauungsstreitigkeiten in der Welt existieren. Die Menschen sind im allgemeinen nicht geneigt, wenn sie eines begriffen haben, auch noch das andere zu begreifen. Wenn einer einmal auf einem Gebiete begriffen hat: Allgemeine Begriffe haben keine Existenz -, so verallgemeinert er das, was er erkannt hat, auf die ganze Welt und ihre Einrichtung. Dieser Satz: Allgemeine Begriffe haben keine Existenz - ist nicht falsch; denn er ist für das Gebiet, das der Betreffende angeschaut hat, richtig. Falsch ist nur die Verallgemeinerung. Es ist so wesentlich, wenn man überhaupt über das Denken sich eine Vorstellung machen will, daß man sich darüber klar wird, daß die Wahrheit eines Gedankens auf seinem Gebiete noch nichts aussagt über die allgemeine Gültigkeit eines Gedankens. Ein Gedanke kann durchaus auf seinem Gebiete richtig sein; aber nichts wird dadurch ausgemacht über die allgemeine Gültigkeit des Gedankens. Beweist man mir daher dieses oder jenes, und beweist man es mir noch so richtig, unmöglich kann es sein, dieses also Bewiesene auf ein Gebiet anzuwenden, auf das es nicht hingehört. Es ist daher notwendig, daß sich der, welcher sich ernsthaft mit den Wegen beschäftigen will, die zu einer Weltanschauung fuhren, vor allen Dingen damit bekannt macht, daß Einseitigkeit der größte Feind aller Weltanschauungen ist und daß es vor allen Dingen nötig ist, die Einseitigkeit zu meiden. Einseitigkeit müssen wir meiden. Das ist das, worauf ich insbesondere heute hindeuten will, wie wir nötig haben, Einseitigkeiten zu meiden.
2 Fassen wir zunächst heute das, was in den nächsten Vorträgen im einzelnen seine Erklärung finden soll, so ins Auge, daß wir uns zunächst einen Überblick darüber verschaffen.
3 [CNC] Es kann Menschen geben, welche einmal so veranlagt sind, daß es ihnen unmöglich ist, den Weg zum Geiste zu finden. Es wird schwer werden, solchen Menschen das Geistige jemals zu beweisen. Sie bleiben bei dem stehen, wovon sie etwas wissen, wovon etwas zu wissen sie veranlagt sind. Sie bleiben, sagen wir, bei dem stehen, was den grobklotzigsten Eindruck auf sie macht, beim Materiellen. Ein solcher Mensch ist ein Materialist, und seine Weltanschauung ist Materialismus. Man hat nicht nötig, das, was von den Materialisten zur Verteidigung, zum Beweise des Materialismus aufgebracht worden ist, immer töricht zu finden, denn es ist ungeheuer viel Scharfsinniges auf diesem Gebiete geschrieben worden. Was geschrieben worden ist, das gilt zunächst für das materielle Gebiet des Lebens, gilt für die Welt des Materiellen und ihre Gesetze.
4 [CAP] Andere Menschen kann es geben, die sind durch eine gewisse Innerlichkeit von vornherein dazu veranlagt, in allem Materiellen nur die Offenbarung des Geistigen zu sehen. Sie wissen natürlich so gut wie die Materialisten, daß äußerlich Materielles vorhanden ist; aber sie sagen: Das Materielle ist nur die Offenbarung, die Manifestation des zugrunde liegenden Geistigen. Solche Menschen interessieren sich vielleicht gar nicht besonders für die materielle Welt und ihre Gesetze. Sie gehen vielleicht, indem sie in sich alles bewegen, was ihnen Vorstellungen vom Geistigen geben kann, mit dem Bewußtsein durch die Welt: Das Wahre, das Hohe, das, womit man sich beschäftigen soll, was wirklich Realität hat, ist doch nur der Geist; die Materie ist doch nur Täuschung, ist nur eine äußere Phantasmagorie. Es wäre das ein extremer Standpunkt, aber es kann ihn geben, und er kann bis zu einer völligen Leugnung des materiellen Lebens führen. Wir würden von solchen Menschen sagen müssen: Sie erkennen voll an, was allerdings das Realste ist, den Geist; aber sie sind einseitig, sie leugnen die Bedeutung des Materiellen und seiner Gesetze. Viel Scharfsinn wird sich aufbringen lassen, um die Weltanschauung solcher Menschen zu vertreten. Nennen wir die Weltanschauung solcher Menschen Spiritualismus. Kann man sagen, daß die Spiritualisten recht haben? Für den Geist werden ihre Behauptungen außerordentlich Richtiges zutage fördern können, doch über das Materielle und seine Gesetze werden sie vielleicht wenig Bedeutsames zutage fördern können. Kann man sagen, daß die Materialisten mit ihren Behauptungen recht haben? Ja, über die Materie und ihre Gesetze werden sie vielleicht außerordentlich Nützliches und Wertvolles zutage fördern können; wenn sie aber über den Geist sprechen, dann werden sie vielleicht nur Torheiten herausbringen. Wir müssen also sagen: Für ihre Gebiete haben die Bekenner dieser Weltanschauungen recht.
5 [LIB] Es kann Menschen geben, die sagen: Ja, ob es nun in der Welt der Wahrheit nur Materie oder nur Geist gibt, darüber kann ich nichts Besonderes wissen; darauf kann sich das menschliche Erkenntnisvermögen überhaupt nicht beziehen. Klar ist nur das eine, daß eine Welt um uns ist, die sich ausbreitet. Ob ihr das zugrunde liegt, was die Chemiker, die Physiker, wenn sie Materialisten werden, die Atome der Materie nennen, das weiß ich nicht. Ich erkenne aber die Welt an, die um mich herum ausgebreitet ist; die sehe ich, über die kann ich denken. Ob ihr noch ein Geist zugrunde liegt oder nicht, darüber etwas anzunehmen, habe ich keine besondere Veranlassung. Ich halte mich an das, was um mich herum ausgebreitet ist. - Solche Menschen kann man mit etwas anderer Wortbedeutung, als ich das Wort vorher brauchte, Realisten nennen und ihre Weltanschauung Realismus. Genau ebenso, wie man unendlichen Scharfsinn aufbringen kann für den Materialismus wie für den Spiritualismus und wie man daneben auch sehr Scharfsinniges über den Spiritualismus und die größten Torheiten über das Materielle sagen kann, wie man sehr scharfsinnig über die Materie und sehr töricht über das Spirituelle sprechen kann, so kann man die scharfsinnigsten Gründe für den Realismus aufbringen, der weder Spiritualismus noch Materialismus ist, sondern das, was ich eben jetzt charakterisiert habe.
6 [ARI] Es kann aber noch andere Menschen geben, die etwa folgendes sagen. Um uns herum ist die Materie und die Welt der materiellen Erscheinungen. Aber die Welt der materiellen Erscheinungen ist eigentlich in sich sinnleer. Sie hat keinen rechten Sinn, wenn nicht in ihr jene Tendenz liegt, die sich eben bewegt nach vorwärts, wenn nicht aus dieser Welt, die da um uns herum ausgebreitet ist, das geboren werden kann, wonach die Menschenseele sich richten kann als nicht in der Welt enthalten, die um uns herum ausgebreitet ist. Es muß nach der Anschauung solcher Menschen das Ideelle und das Ideale im Weltprozesse drinnen sein. Solche Menschen geben den realen Weltprozessen ihr Recht. Sie sind nicht Realisten, trotzdem sie dem realen Leben recht geben, sondern sie sind der Anschauung, das reale Leben muß durchtränkt werden von dem Ideellen, nur dann bekommt es einen Sinn. - In einem Anfluge von solcher Stimmung hat Fichte einmal gesagt:°¹ Alle Welt, die sich um uns herum ausbreitet, ist das versinnlichte Material für die Pflichterfüllung. - Die Vertreter solcher Weltanschauung, die alles nur Mittel sein läßt für Ideen, die den Weltprozeß durchdringen, kann man Idealisten nennen und ihre Weltanschauung Idealismus. Schönes und Großes und Herrliches ist für diesen Idealismus vorgebracht worden. Und auf dem Gebiete, das ich eben charakterisiert habe, wo es darauf ankommt, zu zeigen, wie die Welt zweck- und sinnlos wäre, wenn die Ideen nur menschliche Phantasiegebilde wären und nicht im Weltprozesse drinnen wirklich begründet wären, auf diesem Gebiete hat der Idealismus seine volle Bedeutung. Aber mit diesem Idealismus kann man zum Beispiel die äußere Wirklichkeit, die äußere Realität des Realisten nicht erklären. Daher hat man zu unterscheiden von den anderen eine Weltanschauung, die Idealismus genannt werden kann.
7 [GEM] Wir haben jetzt schon vier nebeneinander berechtigte Weltanschauungen, von denen jede ihre Bedeutung hat für ihr besonderes Gebiet. Zwischen dem Materialismus und dem Idealismus ist ein gewisser Übergang. Der ganz grobe Materialismus - man kann ihn ja besonders in unserer Zeit, obwohl er heute schon im Abfluten ist, gut beobachten - wird darin bestehen, daß man bis zum Extrem ausbildet das Kantische Diktum°² - Kant selber hat es nicht getan! -, daß in den einzelnen Wissenschaften nur so viel wirkliche Wissenschaft ist, als darin Mathematik ist.[a] Das heißt, man kann vom Materialisten zum Rechenknecht des Universums werden, indem man nichts anderes gelten läßt als die Welt, angefüllt mit materiellen Atomen. Sie stoßen sich, wirbeln durcheinander, und man rechnet dann aus, wie die Atome durcheinanderwirbeln. Da bekommt man sehr schöne Resultate heraus, was bezeugen mag, daß diese Weltanschauung ihre volle Berechtigung hat. So bekommt man zum Beispiel die Schwingungszahlen für Blau, für Rot und so weiter; man bekommt die ganze Welt wie eine Art von mechanischem Apparat und kann diesen fein berechnen. Man kann aber etwas irre werden an dieser Sache. Man kann sich zum Beispiel sagen: Ja, aber wenn man eine noch so komplizierte Maschine hat, so kann doch aus dieser Maschine niemals, selbst wenn sie noch so kompliziert sich bewegt, hervorgehen, wie man etwa Blau, Rot und so weiter empfindet. Wenn also das Gehirn nur eine komplizierte Maschine ist, so kann doch aus dem Gehirn nicht das hervorgehen, was man als Seelenerlebnisse hat. Aber man kann dann sagen, wie einstmals Du Bois-Reymond gesagt hat:°³ Man wird, wenn man die Welt nur mathematisch erklären will, zwar die einfachste Empfindung nicht erklären können; will man aber bei der mathematischen Erklärung nicht stehenbleiben, so wird man unwissenschaftlich. - Der grobe Materialist würde sagen: Nein, ich rechne auch nicht; denn das setzt schon einen Aberglauben voraus, den Aberglauben, daß ich annehme, daß die Dinge nach Maß und Zahl geordnet sind. Und wer nun über diesen groben Materialismus sich erhebt, wird ein mathematischer Kopf und läßt nur das als wirklich gelten, was eben in Rechenformeln gebracht werden kann. Das ergibt eine Weltanschauung, die eigentlich nichts gelten läßt als die mathematische Formel. Man kann sie Mathematizismus nennen.
8 [TAU] Es kann sich aber einer nun überlegen und dann, nachdem er Mathematizist gewesen ist, sich sagen: Das kann kein Aberglaube sein, daß die blaue Farbe soundso viele Schwingungen hat. Mathematisch ist nun einmal doch die Welt angeordnet. Warum sollten, wenn mathematische Ideen in der Welt verwirklicht sind, nicht auch andere Ideen in der Welt verwirklicht sein? Ein solcher nimmt an: Es leben doch Ideen in der Welt. Aber er läßt nur diejenigen Ideen gelten, die er findet, nicht solche Ideen, die er von innen heraus etwa durch irgendeine Intuition oder Inspiration erfassen würde, sondern nur die, welche er von den äußerlich sinnlich-realen Dingen abliest. Ein solcher Mensch wird Rationalist, und seine Weltanschauung ist Rationalismus. - Läßt man zu den Ideen, die man findet, auch noch diejenigen gelten, die man aus dem Moralischen, aus dem Intellektuellen heraus gewinnt, dann ist man schon Idealist. So geht ein Weg von dem grobklotzigen Materialismus über den Mathematismus und Rationalismus zum Idealismus.
9 [PSC] Der Idealismus kann aber nun gesteigert werden. In unserer Zeit finden sich einige Menschen, welche den Idealismus zu steigern versuchen. Sie finden ja Ideen in der Welt. Wenn man Ideen findet, dann muß auch solche Wesensart in der Welt vorhanden sein, in der Ideen leben könnten. In irgendeinem äußeren Dinge könnten doch nicht so ohne weiteres Ideen leben. Ideen können auch nicht gleichsam in der Luft hängen. Es hat zwar im 19. Jahrhundert den Glauben gegeben, daß Ideen die Geschichte beherrschen. Es war dies aber nur eine Unklarheit; denn Ideen als solche haben keine Kraft zum Wirken. Daher kann man von Ideen in der Geschichte nicht sprechen. Wer da einsieht, daß Ideen, wenn sie überhaupt da sein sollen, an ein Wesen gebunden sind, das Ideen eben haben kann, der wird nicht mehr bloßer Idealist sein, sondern er schreitet vor zu der Annahme, daß die Ideen an Wesen gebunden sind. Er wird Psychist, und seine Weltanschauung ist Psychismus. Der Psychist, der wieder ungeheuer viel Scharfsinn für seine Weltanschauung aufbringen kann, kommt zu dieser Weltanschauung auch nur durch eine Einseitigkeit, die er eventuell bemerken kann.
10 Ich muß hier gleich einfügen: Für alle die Weltanschauungen, die ich über den horizontalen Strich schreiben werde, gibt es Anhänger [A-h], und diese Anhänger sind zumeist Starrköpfe, die diese oder jene Weltanschauung durch irgendwelche Grundbedingungen, die sie in sich haben, nehmen und dabei stehenbleiben. Alles, was unter diesem Strich liegt (siehe Skizze), hat Bekenner [B-k], die leichter zugänglich sind der Erkenntnis, daß die einzelnen Weltanschauungen immer nur von einem bestimmten Gesichtspunkte aus die Dinge ansehen, und die daher leichter dazu kommen, von der einen in die andere Weltanschauung überzugehen.
ergänzte Gesamtskizze der Tafelzeichnungen © 1980 by R.Steiner Verlag
11 [AQR] Wenn jemand Psychist ist und geneigt, weil er Erkenntnismensch ist, die Welt kontemplativ zu betrachten, so kommt er dazu, sich zu sagen, er muß in der Welt Psychisches voraussetzen. In dem Augenblicke aber, wo er nicht nur Erkenntnismensch ist, sondern wo er in ebensolcher Weise eine Sympathie für das Aktive, für das Tätige, für das Willensartige in der Menschennatur hat, da sagt er sich: Es genügt nicht, daß Wesen da sind, die nur Ideen haben können; diese Wesen müssen auch etwas Aktives haben, müssen auch handeln können. Das ist aber nicht zu denken, ohne daß diese Wesen individuelle Wesen sind. Das heißt, ein solcher steigt auf von der Annahme der Beseeltheit der Welt zu der Annahme des Geistes oder der Geister in der Welt. Es ist sich noch nicht klar, ob er einen oder mehrere Geistwesen annehmen soll, aber er steigt auf vom Psychismus zum Pneumatismus, zur Geistlehre.
12 Ist einer in Wirklichkeit Pneumatist geworden, so kann es durchaus vorkommen, daß er das einsieht, was ich heute über die Zahl gesagt habe, daß es in bezug auf die Zahlen in der Tat etwas Bedenkliches hat, von einer Einheit zu sprechen. Dann kommt er dazu, sich zu sagen: Dann wird es also eine Verworrenheit sein, von einem einheitlichen Geist, von einem einheitlichen Pneuma zu reden. Und er kommt dann allmählich dazu, von den Geistern der verschiedenen Hierarchien sich eine Vorstellung bilden zu können. Er wird dann im echten Sinne Spiritualist, so daß also auf dieser Seite ein unmittelbarer Übergang vom Pneumatismus zum Spiritualismus ist.
13 Alles, was ich auf die Tafel geschrieben habe, sind Weltanschauungen, die für ihre Gebiete ihre Berechtigung haben. Denn es gibt Gebiete, für die der Psychismus erklärend wirkt, es gibt Gebiete, für die der Pneumatismus erklärend wirkt. Will man allerdings so gründlich mit der Welterklärung zu Rate gehen, wie wir es versucht haben, dann muß man zum Spiritualismus kommen, zu der Annahme der Geister der Hierarchien. Dann kann man nicht beim Pneumatismus stehenbleiben; denn beim Pneumatismus stehenbleiben würde in diesem Falle das Folgende heißen. Wenn wir Spiritualisten sind, kann es uns begegnen, daß die Menschen sagen: Warum da so viele Geister? Warum da die Zahl anwenden? Es gibt einen einheitlichen Allgeist! - Wer sich tiefer auf die Sache einläßt, der weiß, daß es mit diesem Einwande ebenso ist, wie wenn jemand sagt: Da sagst du mir, dort waren zweihundert Mücken. Ich sehe aber keine zweihundert Mücken, ich sehe nur einen einzigen Mückenschwarm. - Genau so würde sich der Anhänger des Pneumatismus, des Pantheismus und so weiter gegenüber dem Spiritualisten verhalten. Der Spiritualist sieht die Welt erfüllt mit den Geistern der Hierarchien; der Pantheist sieht nur den einen Schwärm, sieht nur den einheitlichen Allgeist. Aber das beruht nur auf einer Ungenauigkeit des Anschauens.
14 [SGR] Nun gibt es noch eine andere Möglichkeit: die, daß jemand nicht auf den Wegen, die wir zu gehen versucht haben, zu dem Wirken geistiger Wesenheiten kommt, daß er aber doch zu der Annahme gewisser geistiger Grundwesen der Welt kommt. Ein solcher Mensch war zum Beispiel Leibniz, der berühmte deutsche Philosoph. Leibniz war hinaus über das Vorurteil, daß irgend etwas bloß materiell in der Welt existieren könne. Er fand das Reale, suchte das Reale. Das Genauere habe ich in meinem Buche «Die Rätsel der Philosophie» dargestellt. Er war der Anschauung, daß es ein Wesen gibt, das in sich die Existenz erbilden kann, wie zum Beispiel die Menschenseele. Aber er machte sich nicht weitere Begriffe darüber. Er sagte sich nur, daß es ein solches Wesen gibt, das in sich die Existenz erbilden kann, das Vorstellungen aus sich heraustreibt. Das ist für Leibniz eine Monade. Und er sagte sich: Es muß viele Monaden geben und Monaden von der verschiedensten Klarheit. Wenn ich hier eine Glocke habe, so sind dort viele Monaden drinnen - wie in einem Mückenschwarm -, aber Monaden, die nicht einmal bis zum Schlafbewußtsein kommen, Monaden, die fast unbewußt sind, die aber doch dunkelste Vorstellungen in sich entwickeln. Es gibt Monaden, die träumen, es gibt Monaden, die wache Vorstellungen in sich entwickeln, kurz, Monaden der verschiedensten Grade. - Ein solcher Mensch kommt nicht dazu, sich das Konkrete der einzelnen geistigen Wesenheiten so vorzustellen wie der Spiritualist; aber er reflektiert in der Welt auf das Geistige, das er nur unbestimmt sein läßt. Er nennt es Monade, das heißt, er kümmert sich nur um den Vorstellungscharakter, als wenn man sagen würde: Ja, Geist, Geister sind in der Welt; aber ich beschreibe sie nur so, daß ich sage, sie sind verschiedenartig vorstellende Wesen. Eine abstrakte Eigenschaft nehme ich aus ihnen heraus. Da bilde ich mir diese einseitige Weltanschauung aus, für die vor allem so viel vorgebracht werden kann, als der geistvolle Leibniz für sie vorgebracht hat. So bilde ich den Monadismus aus. - Der Monadismus ist ein abstrakter Spiritualismus.
15 [SCO] Es kann aber Menschen geben, die sich nicht bis zur Monade erheben, die nicht zugeben können, daß dasjenige, was existiert, Wesen sind von verschiedenem Grade des Vorstellungsvermögens, die aber auch nicht etwa damit zufrieden sind, daß sie nur zugeben, was sich in der äußeren Realität ausbreitet, sondern sie lassen das, was sich in der äußeren Realität ausbreitet, überall von Kräften beherrscht sein. Wenn zum Beispiel ein Stein zur Erde fällt, so sagen sie: Da ist die Schwerkraft. Wenn ein Magnet Eisenspäne anzieht, so sagen sie: Da ist die magnetische Kraft. Sie begnügen sich nicht bloß damit zu sagen: Da ist der Magnet - sondern sie sagen: Der Magnet setzt voraus, daß übersinnlich, unsichtbar die magnetische Kraft vorhanden ist, die sich überall ausbreitet. Man kann eine solche Weltanschauung bilden, die überall die Kräfte zu dem sucht, was in der Welt vorgeht, und kann sie Dynamismus nennen.
16 Dann kann man auch sagen: Nein, an Kräfte zu glauben, das ist Aberglaube! Ein Beispiel dafür, wie einer ausführlicher darstellt, wie an Kräfte zu glauben Aberglaube ist, haben Sie in Fritz Mauthners «Kritik der Sprache». In diesem Falle bleibt man bei dem stehen, was sich real um uns herum ausbreitet. Wir kommen also auf diesem Wege vom Spiritualismus über den Monadismus und Dynamismus wiederum zum Realismus.
17 [VIR] Nun kann man aber auch noch etwas anderes machen. Man kann sagen: Gewiß, ich halte mich an die Welt, die mich ringsherum umgibt. Aber ich behaupte nicht, daß ich ein Recht habe zu sagen, diese Welt sei die wirkliche. Ich weiß nur von ihr zu sagen, daß sie mir erscheint. Und zu mehr habe ich überhaupt nicht Recht, als zu sagen: Diese Welt erscheint mir. Ich habe kein Recht, von ihr mehr zu sagen. - Das ist also ein Unterschied. Man kann von dieser Welt, die sich um uns herum ausbreitet, sagen, sie ist die reale Welt. Aber man kann auch sagen: Von einer anderen Welt kann ich nicht reden; aber ich bin mir klar, daß es die Welt ist, die mir erscheint. Ich rede nicht davon, daß diese Welt von Farben und Tönen, die doch nur dadurch entsteht, daß sich in meinem Auge gewisse Prozesse abspielen, die sich mir als Farben zeigen, daß sich in meinem Ohr Prozesse abspielen, die sich mir als Töne zeigen und so weiter, daß diese Welt die wahre ist. Sie ist die Welt der Phänomene. - Phänomenalismus ist die Weltanschauung, um die es sich hier handeln würde.
18 [LEO] Man kann aber weiter gehen und kann sagen: Die Welt der Phänomene haben wir zwar um uns herum. Aber alles, was wir in diesen Phänomenen zu haben glauben so, daß wir es selber hinzugegeben haben, daß wir es selber hinzugedacht haben - das haben wir eben hinzugedacht zu den Phänomenen. Berechtigt ist aber nur das, was uns die Sinne sagen. - Merken Sie wohl, ein solcher Mensch, der dieses sagt, ist nicht ein Anhänger des Phänomenalismus, sondern er schält von dem Phänomen das los, wovon er glaubt, daß es nur aus dem Verstande und aus der Vernunft kommt, und er läßt gelten, als irgendwie von der Realität angekündigt, was die Sinne als Eindrücke geben. Diese Weltanschauung kann man Sensualismus nennen.
19 Greift man dazu, zu sagen: Mögt ihr nachdenken darüber, daß das die Sinne sagen, und mögt ihr noch so scharfsinnige Gründe dafür anführen - man kann scharfsinnige Gründe dafür anfuhren -, ich stelle mich auf den Standpunkt, es gibt nur das, was so aussieht wie das, was die Sinne sagen; das lasse ich als Materielles gelten - wie etwa der Atomist, der da sagt: Ich nehme an, es existieren nur Atome, und wenn sie noch so klein sind, sie haben die Eigenschaften, die man in der physischen Welt kennt -, dann ist man wieder Materialist. Wir sind also auf dem anderen Wege wieder beim Materialismus angekommen.
20 Was ich Ihnen hier als Weltanschauungen aufgeschrieben und charakterisiert habe, das gibt es, das kann verteidigt werden. Und es ist möglich, für jede einzelne der Weltanschauungen die scharfsinnigsten Gründe vorzubringen, es ist möglich, sich auf den Standpunkt jeder dieser Weltanschauungen zu stellen und mit scharfsinnigen Gründen die anderen Weltanschauungen zu widerlegen. Man kann zwischen diesen Weltanschauungen noch andere ausdenken; die sind aber nur gradweise von den angeführten verschieden und lassen sich auf die Haupttypen zurückführen. Will man das Gewebe der Welt kennenlernen, dann muß man wissen, daß man es durch diese zwölf Eingangstore kennenlernt. Es gibt nicht eine Weltanschauung, die sich verteidigen läßt, die berechtigt ist, sondern es gibt zwölf Weltanschauungen. Und man muß zugeben: Gerade so viele gute Gründe wie für die eine Weltanschauung, so viele gute Gründe lassen sich für jede andere der zwölf Weltanschauungen vorbringen. Die Welt läßt sich nicht von dem einseitigen Standpunkte einer Weltanschauung, eines Gedankens aus betrachten, sondern die Welt enthüllt sich nur dem, der weiß, daß man um sie herumgehen muß. Genau ebenso, wie die Sonne, auch wenn wir die kopernikanische Weltanschauung zugrunde legen, durch die Tierkreiszeichen geht, um von zwölf verschiedenen Punkten aus die Erde zu beleuchten, ebenso muß man nicht auf einen Standpunkt - auf den Standpunkt des Idealismus, des Sensualismus, des Phänomenalismus oder irgendeiner Weltanschauung, die einen solchen Namen tragen kann - sich stellen, sondern man muß in der Lage sein, um die Welt herumgehen zu können und sich einleben zu können in die zwölf verschiedenen Standpunkte, von denen aus man die Welt betrachten kann. Denkerisch sind alle zwölf verschiedenen Standpunkte voll berechtigt. Nicht eine Weltanschauung gibt es für den Denker, der in die Natur des Denkens eindringen kann, sondern zwölf gleichberechtigte, insofern gleichberechtigte, als sich gleich gute Gründe vom Denken aus für jede vorbringen lassen. Zwölf solche gleichberechtigte Weltanschauungen gibt es. Von diesem dadurch gewonnenen Gesichtspunkte aus wollen wir morgen weiter reden, damit wir uns von der denkerischen Betrachtung des Menschen zu der Betrachtung des Kosmischen hinaufschwingen.
S.34ff
Berlin, 21.Jän.1914 ☿
°¹ hat Fichte einmal gesagt: Wörtlich: «Unsere Welt ist das versinnlichte Materiale unserer Pflicht», in: «Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung» (1798) und in: «Appelation an das Publikum über die ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen » (1799), beides in: «Johann Gottlieb Fichtes sämtliche Werke», hg. von J. H. Fichte, 8 Bände, Berlin 1845-46, Bd. 5, S. 185, bzw. S. 211.
°² das Kantische Diktum: Siehe Kant: «Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft » (1786), Vorrede.
°³ wie einstmals Du Bois-Reymond gesagt hat: Der Satz bildet den Extrakt einer Grundüberzeugung Du Bois-Reymonds, wie er z. B. in der zweiten Hälfte seines Vortrages «Über die Grenzen des Naturerkennens», Leipzig 1872, zum Ausdruck kommt.
S.85f
(aus «GA 151»)
a] vgl. Galileis Ansicht zu Natur u.Mathematik
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit115100034.htm