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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Dionysius Areopagita zum
GEBET
Zunächst laß uns die Bezeichnung Gottes betrachten, die ihn «den Guten [ὁ ἀγαϑός (ho agathós), bonus]» nennt, die alles andere in sich umschließt und alle aus Gott hervorgehenden (Wirkungen) in einem Worte ausdrückt. Darum rufen wir die alles Gute spendende, übergute Dreiheit an, (deren Namen) all das ausdrückt, was aus ihrer gütigen Vorsehung entspringt. Unsere Gebete müssen zuerst zu ihr, als dem Quell alles Guten, emporsteigen, wir müssen ihr immer näher kommen und so in das Geheimnis der Geschenke der Güte, die bei ihr aufbewahrt sind, immer mehr eingeweiht werden. Denn sie ist allem [Da]Seienden gegenwärtig und nahe - aber nicht jedes [Da]Seiende ist bei ihr. Wenn wir sie aber anrufen mit heiligen Gebeten, mit ungetrübtem Geiste, mit der Bereitschaft zur Einigung mit Gott, dann sind auch wir ihr nahe. Denn sie ist nicht irgendwo im Raume, daß sie einem Wesen fern sein könnte, oder von einem Orte zum anderen sich bewegte. Wer sagt, daß sie in jedem Wesen innerlichst zugegen ist, hat immer noch nicht ihre über allem stehende, alles in sich umfassende Unendlichkeit ausgedrückt. Streben wir also mit unseren Gebeten zu den sich zu uns herabneigenden Strahlen der göttlichen Güte empor - gleichsam wie wenn eine aus vielfachem Lichte gefügte Kette von den Höhen des Himmels bis in unsere Welt herabhinge¹, und wir sie mit wechselnd greifenden Händen zu uns herabziehen vermeinten; in Wirklichkeit zögen wir sie aber nicht herab, denn sie ist oben und unten zugleich, sondern zögen uns an ihr zu dem vielfältigen Glanze der Strahlen in der Höhe empor. Oder wie wenn einer in einem Boote fährt; von irgendeinem Felsen am Ufer wirft man ihm ein Seil zu, um ihm ans Land zu helfen, und er hält sich daran fest, ganz, als ob er den Felsen zu sich ins Meer ziehen wollte. In Wirklichkeit bringt er damit das Boot in der Nähe des Felsens ans Ufer. Und wenn er umgekehrt, im Boote stehend, den Felsen am Uferrande mit seinen Händen von sich stößt, so bewegt er nicht den unerschütterlich feststehenden Felsen, er stößt sich aber selbst von ihm ab, und je stärker er gestoßen hat, um so weiter wird er von ihm weg ins offene Meer hinausgeschleudert. Daher muß man vor allem, und insbesondere vor jeder theologischen Betrachtung, mit dem Gebete beginnen, nicht als ob wir damit die göttliche Kraft, die überall zugegen und doch nirgends örtlich gegenwärtig ist, zu uns herabziehen könnten, sondern weil wir uns, durch das Gedenken an das Göttliche und durch seine Anrufung, unsererseits ihm nahen und mit ihm uns vereinigen.
S.52f
1 Für die Neuplatoniker bedeutet «die goldene Kette [ἡ ἅλυσις ἡ χρυσεά (he hálysis he chryseá), catena aurea]» - in allegorischer Auslegung einer Homerstelle - die Stufenfolge des absteigenden Hervorgangs der Seinsordnungen [vgl. mit dem Sephiroth-Baum], in der Weise, daß aus dem einen, obersten Gott die Vielheit der Götter, aus den Göttern die Geistwesen, aus den Geistwesen die Seelen, aus den Seelen die sichtbare [physische] Leiblichkeit hervorgeht - und umgekehrt die Stufenfolge der Rückkehr jedes Wesens zu Gott, in der Weise, daß es sich zunächst der jeweils nächstfolgenden Seinsstufe über ihm angleicht, sich in dieses Höhere zurück verwandelt, so wie es aus ihm ausgestrahlt ist, und so schließlich in die anfängliche Ureinheit Gottes aufgeht. Sie lebt noch in den Worten des Goetheschen Faust (als äußerster, nicht mehr ganz verstandener Nachklang) weiter:
Wie Himmelskräfte auf und niedersteigen,
und sich die gold'nen Eimer reichen.
Die «gold'nen Eimer» [vgl. «E+E»: Abs.193}] sind die einzelnen Wesenheiten, als Gefäße (mehr oder minder fassungsfähige [vgl. Mbl.26: Anm.2]) des göttlichen Lichtes, und sie reichen einander (auch Dionysius sagt das in seinem Buch von den Engelshierarchien) das Licht weiter, nicht die Eimer. «Golden» hingegen ist die Kette, an der sie, mehr oder weniger dem Urquell des Lichtes sich nähernd, hinauf und hinuntersteigen. Es ist bemerkenswert, wie dieses jedem Neuplatoniker geläufige Bild hier von Dionysius verchristlicht - seiner emanationsmetaphysischen Bedeutung entkleidet und ganz auf das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und Gott reduziert worden ist.
S.105f
aus «Von den Namen zum Unnennbaren»
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit026760052.htm