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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Herman GRIMM zur
KUNSTKRITIK
1 Was soll Kritik? Ein Künstler, der sein Werk der Öffentlichkeit preisgibt, tut damit eine Frage an das Publikum: die Kritik ist die Antwort darauf. Ein einzelner, dem niemand Aufrag gab, scheint sie zu erteilen, und trotzdem ist in seiner Stimme die vieler vereinigt. Man fühlt dem Tone eines Kritikers an, ob er Massen hinter sich habe, die sich seiner Leitung hingeben. Seine Aufgabe ist, diesen Leuten aus der Seele zu reden. Sie verlassen sich auf ihn. Sie sagen, ehe sie selber urteilen: wir wollen erst sehen, was X in der Zeitung sagt. Und X, wenn er einmal gesprochen hat, bleibt bei seinem Urteil. In einem anderen Blatte führt Y das große Wort und hat wiederum seine Gläubigen hinter sich. Die Zahl der Zeitungen jedoch, welche Berichte über Kunstwerke bringen, ist groß, und die für sie arbeitenden Kräfte stehen nicht im Einverständnis untereinander. Urteile in verschiedener Richtung kommen über dasselbe Werk heraus, und wo eine Ungerechtigkeit begangen ist, läßt sie sich leicht wieder aufheben. Mir ist kein Werk und kein Künstler bekannt, dessen Beurteilung im ganzen von den Kritikern abhängig gewesen wäre. Viel gefährlicher liegen hier die Dinge bei der Literatur; aber auch hier gleicht die Zeit den Schaden wieder aus. Bücher bestehen, Kritiken gehen vorüber. Ein Buch, selbst ein nicht gutes, hat immer eine gewisse Schwere; es umschließt ein gewisses Quantum von konzentrierter Arbeit, die die Kritik nicht zur Seite schieben kann. Wir sehen, daß geistreiche, vernichtende Kritiken Büchern von nur mittlerem Werte gegenüber im Laufe der Jahre sich nicht halten. Ein Buch taucht immer wieder auf, eine Kritik sicher zuletzt unter, falls nicht ganz exzeptionelle Umstände eingreifen. Dasselbe Verhältnis obwaltet bei Kunstwerken. Steht ein Kunstwerk eine Reihe von Jahren vor den Augen der Welt offen da, so bildet sich ein allgemeines Urteil, das über den Einfluß einzelner Lober wie Tadler erhaben ist. Künstler, die das Zeug in sich fühlen, Werke von einiger Dauerhaftigkeit hervorzubringen, werden sich über die momentane Wirkung der Kritik gern hinwegsetzen. Malt ein Maler Bilder, deren geistiger Gehalt gleich Null ist, so wird keine anerkennende Kritik sie von dieser Nullität erlösen; bringt er dagegen etwas zustande, das mit Lebenskraft begabt ist, so wird kein Kritiker ihm dauernd Schaden tun. Böswillige Kritik, Geklatsch und Lügen von Cliquen und Parteien haben die Florentinische, Römische und Venetianische Kunst großgezogen; da wurden Künstler geärgert und heruntergerissen, da wurde um große Aufträge gekämpft und jedes Mittel angewandt, sie aus einer Hand in die andere zu bringen. Wo sonst aber wollten die großen Künstler anerkannt werden als gerade dort? [...] Tadelnde Kritik ist die Stimme der Welt, die dem großen Künstler zuruft: was du auch geleistet haben magst, wir erwarten noch Höheres von dir! Beleidigender als der härteste Tadel würde immer für ihn sein, gar nicht erwähnt zu werden. [...] Man vergleiche einmal die, mit denen die Kritik lobend oder tadelnd sich beschäftigt, mit der großen Masse derer, über die ein Kritiker überhaupt nichts zu sagen weiß.[a] Lob ist oft auch nichts weiter als mitleidiges, stilles Bedauern, daß die Grenze eines bedeutenden Talentes denn doch offenbar zu erkennen sei. [...] Tadel ärgert, beschämt, regt auf, läßt einen Strahl von Weltverachtung uns durch die Seele schießen, kann auf Momente sogar das elende Gefühl, sich rächen zu mögen, uns einflößen; dann aber erfrischt er, bekräftigt, spornt an zu höherer Anstrengung, nötigt, sich zusammenzunehmen. Goethes Meinung war: man muß die Menschen reizen, bei unseren Lebzeiten alles auszusprechen, was sie gegen uns auf dem Herzen haben, damit sie es nicht nach unserem Tode tun. [... Goethe an Schiller am 7.XII.1796:] »Wenn ich aufrichtig sein soll, so ist das Betragen des [schimpfenden] Volkes ganz nach meinem Wunsche; denn es ist eine nicht genug gekannte und geübte Politik, daß jeder, der auf einigen Nachruhm Anspruch macht, seine Zeitgenossen zwingen soll, alles, was sie gegen ihn in petto haben, von sich zu geben. Den Eindruck davon vertilgt er durch Gegenwart, Leben und Wirken jederzeit wieder.« Goethe hat sicherlich Recht. Eine wahrhaft schöpferische Natur wird immer zum Publikum im Gegensatz stehen, weil sie es stets überrascht, neu also überwältigt: denn jede neue Leistung wird durchaus etwas anderes sein, als man erwartete. Ein schaffender Meister wird vor seinem allerletzten Werke nie das letzte Wort gesprochen haben. [...] Früher oder später bildet sich das bleibende richtige Urteil. Die Kritik mag dann sagen, was sie will, sie ändert nichts mehr daran.
2 Nicht wieder gut zu machenden Schaden hat öffentliche Kritik kaum jemals angerichtet. [...] Dagegen, wenn von dem Segen die Rede sein soll, den öffentliche Kritik, sowohl wo sie Verwerfliches niederschlug, als wo sie Schutz- und Pflegebedürftigen zu Hilfe kam, gehabt hat, so erfreut mich die Erinnerung an manche wohlgelungene Unternehmung. [...] Es würde unmöglich sein, dieses Glück zu gewähren, wenn unserer deutschen Kritik auch der geringste Teil ihrer Freiheit verloren ginge. Jeder darf mitreden, wenn es sich darum handelt, ob eine Tat oder ein Werk schön und gut oder häßlich und verwerflich sei, [...] : einem solchen Kritiker damit zu kommen, nur diejenigen, welche selber Gedichte oder Gemälde herzustellen im Stande seien, hätten das Recht, über den Wert von Gedichten oder Kunstwerken zu sprechen, würde wenig Erfolg haben. Künstler und Nichtkünstler haben, wo es sich um Beurteilung von Kunstwerken handelt, das Recht selbständigen freien Urteils. Lassen sie etwas Albernes drucken, so wird das hier wie überall böse Folgen für sie selber haben; verleumden sie, so wird das hier wie überall bald zutage treten; geraten sie vor gleichgültigen Dingen in Begeisterung, so wird ihnen auch dies nicht hingehen. Nach seinem Passe wird aber weder dieser noch jener gefragt. [...] Ob ein Gemälde durch Schönheit, Wahrheit und Kraft uns zu einer höheren Anschauung der Natur erhebe, oder ob es als geschickte Wiedergabe des äußeren Scheines der Menschen und Dinge uns höchstens in Erstaunen setze: diesen Unterscheid herauszufühlen, braucht man weder selbst geschrieben noch gemalt zu haben, sondern es genügt ausgebildetes Gefühl und ein gewisses Maß von Erfahrung. Die Aufgabe des gelehrten Kunsthistorikers ist, die Wirkung der bildenden Künste innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Völker festzustellen: dazu gehört Studium und eine Fülle von Kenntnissen; die des Kunstkritikers ist, den Wert eines Kunstwerkes für die Mitlebenden zu empfinden und zu Vorteil und Nutzen des Publikums das auszusprechen: dazu braucht es feines Gefühl und die Gabe, sich mitzuteilen.
in „Wert und Wirkung der Kunstkritik”
aus «Essays»; S.145ff
a] Hermann Hesse war sogar dafür bekannt, nur Werke zu besprechen, an denen er irgendetwas zu loben fand.
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit006090145.htm