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Zitatensammlung
Teil 2
Zitate zu
ZEITUNGSSPRACHE und MEDIENMACHT
Fragment 1239
Journale sind eigentlich schon gemeinschaftliche Bücher. Das Schreiben in Gesellschaft ist ein interessantes Symptom, das noch eine große Ausbildung der Schriftstellerei ahnden läßt. Man wird vielleicht einmal in Masse schreiben, denken und handeln. Ganze Gemeinden, selbst Nationen werden ein Werk unternehmen.
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Dritter Band»; S.138f
1a [...] Auch gegenüber den tiefsten Geschehnissen wird ironisch Distanz genommen. Kein einziges Bild ist echt empfunden, man genießt nur die Formulierung als solche. Und es liest sich auch recht süffig. Diese Art des Sprachgebrauchs finden wir auch in dem folgenden «Spiegel»-Artikel:
1b Die Wüstenmetropole Phoenix im US-Staat Arizona zählt knapp eine Million Einwohner. Zu ihnen gehören auch 28 Personen, deren Leben «suspendiert» ist. In einem Tiefkühl-Bad aus flüssigem Stickstoff treiben sie - teils in voller Größe, teils nur als Köpfe ohne Körper - der erhofften Wiedererweckung entgegen.
1c Das Lager der Untoten liegt versteckt im rückwärtigen Teil des «Acoma»-Bürokomplexes in der Nähe des Flughafens. Behälter, die großen Spaghetti-Töpfen gleichen, bergen die 17 Tiefkühl-Köpfe (Fachterminus: Neuro-Patienten). 11 Komplettmenschen schwimmen paarweise in «Bigfoot Dewars», knapp drei Meter hohen Thermosflaschen auf Rollen. Mit den Eingeschlossenen frieren ein paar Hunde und Katzen, auf die ihre Besitzer auch in Zukunft nicht verzichten mögen ...¹⁵
1d Dieser Stil mag Heiterkeit erzeugen, aber eine Heiterkeit im Stil der Menschenverachtung, wo nichts, was man sagt, ernst genommen, wo alles mit spöttischer, ironischer Distanz formuliert wird. Es ist keine Verbindlichkeit in dieser Sprache. Sie vergiftet das Kulturleben. Es ist die intellektuelle Sprachverfremdung, das ironisch Distanzierte, oft in den Formen der Poesie. Wenn wir so infiltriert einen Eichendorff lesen, dann empfinden wir vieles als Kitsch, weil wir nicht mehr unbefangen lesen können. Wir sind bereits Opfer des verspottenden Sprachbildes geworden.
S.63f
15 Phönix aus dem Eis, in: «Der Spiegel» 9/1995, S.170
S.105
Heinz Zimmermann
aus «Vom Sprachverlust zur neuen Bilderwelt des Wortes»
2a Seit ich einigermaßen politisch denken kann, begleitet mich der Streit um Sprachregelungen, der Streit, wer welche »Begriffe besetzt«. Natürlich ist mir als Jugendlicher aufgefallen, dass die Springer-Presse die DDR in Gänsefüßchen setzte, die meisten anderen Zeitungen aber nicht. Wer im Sozialkundeunterricht von »Baader-Meinhof-Gruppe« sprach (statt von »Baader-Meinhof-Bande«), konnte sich einen Rüffel des Lehrers einhandeln.[a] Wer »Atomkraftwerk« sagte, outete sich als Gegner der Atomenergie, wer »Kernkraftwerk« sagte, gab sich als Befürworter der Kernenergie zu erkennen. Zeitweise sprach man von »Klimakatastrophe«, inzwischen ist der eher neutrale Begriff »Klimawandel« Usus. So geht es fort und fort. Obama ist »US-Präsident«, Putin hingegen »Kreml-Chef«, Milliardäre in den USA heißen »Großinvestoren«, in Rußland »Oligarchen«.
2b Die Kämpfer im Osten der Ukraine nennt man »prorussische Separatisten«. Warum nennt man sie nicht - zum Beispiel - »moderate Rebellen« [wie in Syrien]? Warum hat sich der Begriff »prorussische Separatisten« nicht nur in Deutschland durchgesetzt, sondern auch in Frankreich, Spanien, der englischsprachigen Welt? Warum nennt man ihre Gegner, die meist rechtsradikalen Milizen, beschönigend »Freiwilligen-Bataillone«? Man könnte auch von »Freikorps« sprechen, was Assoziationen zu jenen rechtsnationalistischen Verbänden wecken würde, die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ihr Unwesen trieben.[b]
2c Medienkritik ist nicht zuletzt Sprachkritik. [...]
Ulrich Teusch
aus «Lückenpresse»; S.131
3a Gerade die Freiheit der Presse kann dazu führen, dass die »öffentliche Meinung« zum Instrument derer wird, die das Medienwesen beherrschen. Sie können sich dabei eine Eigenschaft zunutze machen, die Treitschke so formulierte:
Der Mittelstand haßt jede offene gewalttätige Tyrannei, doch er ist sehr geneigt, durch den Bannstrahl der öffentlichen Meinung alles zu ächten, was sich über ein gewisses Durchschnittsmaß der Bildung, des Seelenadels, der Kühnheit emporhebt. Die Friedensliebe, welche ihn auszeichnet und ihn an sich zu dem politisch fähigsten Stande macht, kann nur zu leicht ausarten in träges Behagen, in das gedankenlose, schläfrige Bestreben, alle Gegensätze des geistigen Lebens zu vertuschen und zu bemänteln, nur im Bereiche des materiellen Wirkens (des improvement!) ein reges Schaffen zu dulden.⁷
3b Aus diesem Grunde sah Treitschke die Notwendigkeit, die Gedanken Wilhelm von Humboldts zur Begrenzung des Staates zu ergänzen. Denn nicht allein der Staat kann eine Gefahr für die persönliche Freiheit werden, sondern auch eine »tyrannische öffentliche Meinung«⁸. Mit Humboldt war ihm klar, dass es verheerende Auswirkungen für die gesamte Gemeinschaft hat, wenn der »Gleichheitstrieb, der auf dem Gebiete des gemeinen Rechtes die köstlichsten Früchte gezeitigt hat, sich verirrt auf das Gebiet der individuellen Bildung«⁹. Denn sie nimmt sich den Zufluss dessen, was nur in individueller Freiheit errungen werden kann. Aber er spürte, dass diese Gefahr nicht bloß vom politischen Staat ausgeht, sondern aus einer tieferen Schicht kommt. Er stellte den Staat gewissermaßen zwischen die »freie Geselligkeit schöner und vornehmer Geister«, aus der die aufbauenden Impulse hervorgehen, und den Bereich der »tyrannischen öffentlichen Meinung«, die sowohl den Staat als auch die Gesellschaft bedroht.

7 Heinrich von Treitschke: ›Die Freiheit‹, in ders.: ›Ausgewählte Schriften. Erster Band‹, Leipzig 1920, S. 13.
8 A.a.O., S. 14: »Humboldt sah die Gefahr für die persönliche Freiheit nur im Staate, er dachte kaum daran, daß die Gesellschaft schöner und vornehmer Geister, welche mit ihm verkehrte, den einzelnen je an der allseitigen Ausbildung seiner Persönlichkeit hindern könnte. Wir aber wissen nunmehr, daß es nicht bloß eine ›freie Geselligkeit‹, sondern auch eine tyrannische öffentliche Meinung geben kann.«
9 Siehe Anm. 7.
Stephan Eisenhut
in »die Drei« 6/2020; S.33f
4 [...] ich habe mir nie die Fähigkeit erwerben können [...], mittels eines bestimmten, fachterminologisch verbrämten Allerweltsjargons Unwissenheit und Unverantwortlichkeit in eindrucksvolle Suada umzusetzen. Ich will nicht behaupten, Journalismus müsse so sein. Doch wage ich zu mutmaßen, daß die gutgläubigen Leser doch manchmal staunen würden, wenn sie wüßten, aus wie berufener Quelle ihnen gelegentlich die Wahrheit vom Tage zufließt. [...]
Walter Abendroth
aus «Ich warne Neugierige»; S.195
5a Hastiness and superficiality are the psychic disease of the 20th century and more than anywhere else this disease is reflected in the press. Such as it is, however, the press has become the greatest power within the Western countries, more powerful than the legislative power, the executive, and the judiciary. And one would then like to ask: By what law has it been elected and to whom is it responsible? In the communist East a journalist is frankly appointed as a state official. But who has granted Western journalists their power, for how long a time, and with what prerogatives? Hastigkeit und Oberflächlichkeit sind das seelische Unheil des XX.Jahrhunderts, und mehr als sonstwo wird dieses Unheil in der Presse gespiegelt. Wie auch immer, es ist so, dass die Presse zur grössten Macht in den westlichen Staaten geworden ist, gewaltiger als die gesetzgebende Gewalt, die ausführende und die richtende. Und man möchte dann fragen: Aufgrund welchen Gesetzes ist sie gewählt worden und wem gegenüber ist sie verantwortlich? Im kommunistischen Osten ist ein Journalist offen zum Staatsfunktionär bestimmt. Aber wer hat westlichen Journalisten ihre Macht verliehen, für wie lange und mit welchen Vorrechten?
5b There is yet another surprise for someone coming from the East, where the press is rigorously unified. One gradually discovers a common trend of preferences within the Western press as a whole. It is a fashion; there are generally accepted patterns of judgment; there may be common corporate interests, the sum effect being not competition but unification. Enormous freedom exists for the press, but not for the readership because newspaper[s] mostly develop stress and emphasis to those opinions which do not too openly contradict their own and the general trend. Da ist noch eine andre Überraschung für jemanden, der aus dem Osten kommt, wo die Presse streng vereinheitlicht ist. Man entdeckt schrittweise einen gemeinsamen Zug an Vorlieben in der westlichen Presse als Ganzes. Eine Vorgehensweise ist es. Da sind allgemein akzeptierte Urteilsmuster; da mögen gemeinsame körperschaftliche Interessen sein; die Gesamtwirkung ist nicht Wettbewerb, sondern Vereinheitlichung. Enorme Freiheit gibt es für die Presse, doch nicht für die Leserschaft, da die Zeitung[en] Nachdruck und Betonung zumeist für die Meinungen entfalten, die nicht allzu offen ihrem eigenen und dem allgemeinen Trend widersprechen.
5c Without any censorship, in the West fashionable trends of thought and ideas are carefully separated from those which are not fashionable; nothing is forbidden, but what is not fashionable will hardly ever find its way into periodicals or books or be heard in colleges. Legally your researchers are free, but they are conditioned by the fashion of the day. There is no open violence such as in the East; however, a selection dictated by fashion and the need to match mass standards frequently prevent independent-minded people giving their contribution to public life. There is a dangerous tendency to flock together and shut off successful development. I have received letters in America from highly intelligent persons, maybe a teacher in a faraway small college who could do much for the renewal and salvation of his country, but his country cannot hear him because the media are not interested in him. This gives birth to strong mass prejudices, to blindness, which is most dangerous in our dynamic era. There is, for instance, a self-deluding interpretation of the contemporary world situation. It works as a sort of a petrified armor around people's minds. Human voices from 17 countries of Eastern Europe and Eastern Asia cannot pierce it. It will only be broken by the pitiless crowbar of events. Ohne jede Zensur werden im Westen modische Gedanken- und Ideenneigungen sorgfältig von denen abgetrennt, die nicht modisch sind. Nichts ist verboten, aber was nicht modisch ist, wird kaum seinen Weg in die Zeitschriften oder Bücher finden oder in die Lehrsäle. Rechtlich sind Ihre Nachforscher frei, doch sind sie von der Tagesmode bestimmt. Da gibt es keine offene Gewalt wie im Osten. Gleichwohl hindert eine von der Mode und der Notwendigkeit, Massenstandards zu genügen, diktierte Auswahl häufig unabhängg gesinnte Leute, ihren Beirag zum öffentlichen Leben zu leisten. Da gibt es eine gefährliche Neigung, zusammenzuströmen und erfolgreiche Entwicklungen zu unterbinden. Ich habe in Amerika Briefe von hochintelligenten Personen erhalten, vielleicht ein Lehrer in einem abgelegenen kleinen College, der viel für die Erneuerung und das Heil seines Landes tun könnte, doch sein Land kann ihn nicht hören, weil die Medien nicht an ihm interessiert sind. Das bringt starke Massenvorurteile hervor, Blindheit, was in unsrer bewegten Ära äusserst gefährlich ist. Da gibt es zum Beispiel eine sich selbst täuschende Interpretation der zeitgenössischen Weltlage. Sie wirkt wie eine Art versteinerter Rüstung um die Haltung der Leute. Hundert Stimmen aus 17 Ländern Osteuropas und Ostasiens können sie nicht durchbohren. Sie wird lediglich durch die erbarmungslose Brechstange der Ereignisse gebrochen werden.
Aleksandr Issajewitsch Solschenizyn
in "Harvard Address" 8.VI.1978
 
a] vgl. BÖLL, H.: «Die verlorene Ehre der Katharina Blum»
b] vgl. H.ARENDT über image making
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit008930063.htm