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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Emil BOCK zu
DAVID und GOLIATH
1 Der biblische Bericht mutet wirklich wie ein Märchen an. Vierzig Tage lang tritt morgens und abends - ist er ein Mensch von Fleisch und Blut oder ein Schreckgespenst, das sich in der Dämmerung vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang zeigt? - ein von Waffen starrender Riese° aus den Reihen der Philister° vor die Scharen Saul°s hin und fordert zum Zweikampf heraus. Ein angstvolles Grausen geht jedesmal durch Israels Reihen, als ob sich in dieser Gestalt die ganze unberechenbare, dunkel-unheimliche Größe der heranbrandenden Feind-Welt zusammenfaßte. Kein Israelit° wagt den Kampf, obwohl dem Sieger großer Reichtum und die Hand der Königstochter verheißen wird. Es scheint, als würden die Philister allein schon durch den Schrecken, der von ihnen ausgeht, ohne zu den äußeren Waffen zu greifen, mit dem Heere Sauls fertig und Herren des Berglandes werden.
2 Da führt das Schicksal den Hirtenknaben von Bethlehem, den sein Vater schickt, um seinen im Heer stehenden Brüdern Gaben des Feldes zu bringen, in der Morgenfrühe an das Heerlager, so daß auch er die herausfordernde Erscheinung des Riesen wahrnimmt. Über ihn hat die Philister-Suggestion keine Macht, ihn schreckt das Bild des Riesen nicht. Er fühlt sich spontan zum Kampfe aufgerufen. Saul muß den Knaben schließlich gewähren lassen, der ihm sagt: »Habe ich den Löwen° und Bären° überwunden, so werde ich auch den Kampf mit dem Riesen bestehen.« Saul will David° die eigne Rüstung° anlegen; aber David verschmäht sie. Er kann und will sich nicht selbst den Anschein eines Riesen geben. Nicht mit Kräften, die denen des Riesen ähnlich sind, will er kämpfen. Er hat eine neue Menschheitskraft, die klarzielende denkerische Bewußtheit und Klugheit, gegen die dumpfe Naturgewalt der Philister ins Feld zu führen.
3 Der Knabe tritt dem Gegner ungewappnet entgegen und trifft ihn mit dem wohlgezielten Stein der Schleuder mitten auf die Stirn. Dort haben, wie die homerische Polyphem-Sage zeigt, die Riesen ihr Auge, das Organ des alten dämmerhaften Schauens; an derselben Stelle wohnt aber dem erwachenden Ich-Menschen der klare Gedanke. Und wie Odysseus, der Kluge, den Riesen Polyphem überwand, indem er ihm das Zyklopen-Auge* raubte, so siegt David über Goliath°, indem er ihn in die Stirn trifft. Der Hirt und Sänger wird zum Helden, indem sich in ihm die Kraft, durch die er seine Herden schützte und den tobenden Saul beschwichtigte, nunmehr bewährt als ichhafte Sicherheit, als wache Helligkeit und als Fähigkeit des deutlichen Zielens und Treffens. Mit des Riesen eignem Schwert trennt er ihm den Kopf vom Rumpf ab und tritt mit der grausigen Trophäe vor den König° hin.
* »Zyklop« heißt: der im Kreis Schauende.
4 Will uns die Bibel hier nichts als einen grotesken äußeren Zweikampf schildern? Sie weist uns selber auf den imaginativen Charakter ihrer Schilderung hin, indem sie erzählt, gegen Ende der Königsjahre Davids seien in neu aufflackernden Philisterkämpfen eine ganze Reihe von Riesen überwunden worden (2.Sam. 21,15-22). Unter diesen ist noch einmal Goliath; er wird genau so geschildert wie in den Geschichten aus Davids Jugend; und wieder ist es ein Bethlehemit, der ihn besiegt: »Elchanan, ein Mann aus Bethlehem, schlug Goliath, den Gathiter, der einen Spieß trug mit einem Schaft gleich einem Weberbaum« (21,19) Wir sollen erkennen, daß David der erste Träger einer neuen siegreichen Kraft war, die, nachdem er das Volk als König geführt hat, nun bereits auf viele andere übergangen ist.
5 Gleichviel, ob einzelne Züge in der Erzählung vom Kampfe Davids gegen Goliath auch physisch real gemeint sind oder nicht, auf jeden Fall haben wir darin ein Bild vom Aufeinanderprallen zweier Seelenarten: die eine gehört der Vergangenheit an, die andere tritt eben erst auf den Plan der Geschichte. Vielleicht war auch in der Folge der äußeren Geschehnisse das Wesentliche dies, daß sich an der klaren Gedankenkraft Davids die magische Schrecksuggestion brach, mit der die Philister die Israeliten zu überwinden trachteten, und daß - was sich in dem Bild von der Enthauptung Goliaths mit dem eignen Schwert ausdrücken würde - durch Davids Klugheit das feindliche Heer dazu gebracht wurde, sich selbst zu vernichten.
aus «Könige und Propheten»; S.50ff
° zu den entsprechenden hebräischen Begriffen siehe Deutsch-Hebräisch
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit002580050.htm