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Zitatensammlung Teil 2 |
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oser la rose |
Zitat von Johann Valentin ANDREAE zur |
WEGBESTIMMUNG |
1a Sobald ich diese Schrift gelesen hatte, war mir schon wieder alle Freude dahin, und, der ich zuvor so fröhlich gesungen, fing nun an bitterlich zu weinen. Ich sah sehr wohl alle Wege vor mir und wußte auch, daß mir zu seiner Zeit erlaubt sein werde, einen davon auszuwählen. Aber ich befürchtete, daß ich auf den steinigen und felsigen Weg geraten und jämmerlich zutod fallen könnte. Oder, wenn mir der lange Weg zuteil würde, so könnte ich durch Verirren oder anderswie auf der weiten Reise zugrunde gehen. Auch durfte ich nicht hoffen, daß ich unter Tausenden eben derjenige sei, der den königlichen Weg wählte. Den vierten Pfad sah ich ebenfalls vor mir, aber er war mit Feuer und Dampf dermaßen verhüllt, daß ich nicht einmal in seine Nähe zu gelangen wagte. So überlegte ich denn hin und her, ob ich wieder umkehren oder einen der Wege für mich erwählen solle. Meiner Unwürdigkeit war ich mir wohl bewußt; aber ich tröstete mich allzeit mit dem Traum, worin ich aus dem Turm erlöst worden war, durfte mich aber dennoch nicht dreist darauf verlassen. |
1b So sann ich lange hin und her, bis mir vor großer Mattigkeit Hunger und Durst in den Leib fuhren. Deshalb zog ich mein Brot hervor und schnitt es auf. Da gewahrte ich eine schneeweiße Taube, die auf dem Baum gesessen, ohne daß ich sie beachtet hatte; diese schwebte wie gewohnt herab und nahte sich mir zutraulich. So teilte ich meine Speise gerne mit ihr, und sie nahm sie auch an und erquickte sich daran. Sobald ihrer aber ein schwarzer Rabe, der ihr feind war, gewahr wurde, schoß er sogleich auf die Taube nieder und wollte sie töten, so daß sie sich nur durch Flucht seiner erwehren konnte. So flogen die beiden miteinander gen Süden, was mich dermaßen erzürnte und betrübte, daß ich voll Unbedacht dem bösen Raben nacheilte und so wider meinen Willen fast eine Ackerlänge weit in den vorgezeichneten Weg einlief, den Raben vertrieb und die Taube erlöste. |
1c Sogleich merkte ich, wie unbesonnen ich gehandelt hatte und, daß ich bereits auf einen Weg gelangt war, von dem ich bei Gefahr großer Strafe nicht wieder abweichen durfte. Und obschon ich mich noch einigermaßen hätte trösten können, so bekümmerte mich doch am meisten, daß ich mein Säcklein mit Brot bei dem Baum hatte liegen lassen und es nicht mehr holen konnte. Denn sobald ich mich umdrehte, wehte mir ein so starker Wind entgegen, daß er mich beinahe umwarf; ging ich aber des Weges weiter, so spürte ich ganz und gar nichts davon. Daraus konnte ich ohne weiteres ersehen, daß es mir das Leben kosten würde, wenn ich mich gegen den Wind versteifen wollte. So nahm ich denn mein Schicksal geduldig auf mich, machte mich auf die Füße und entschloß mich, nun es eben sein mußte, mein Möglichstes zu tun, um noch vor Nacht ans Ziel zu gelangen. |
aus «Die chymische Hochzeit»: „2.Tag”; S.27f |
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Kommentare |
2 Das Bild der Natur, welches sich dem gewöhnlichen Bewußtsein offenbart, ist sehr verschieden von demjenigen einer sozialen Menschenordnung. Die übersinnlichen Naturkräfte, welche das geistige Bewußtsein kennenlernt, sind aber verwandt den übersinnlichen Kräften dieser sozialen Menschenordnung. Der Alchimist strebt nach einem Naturwissen, das für ihn Grundlage wahrhaftiger Menschenkenntnis werden soll. Den Weg zu einem solchen Wissen muß der Wanderer zur «Chymischen Hochzeit» suchen. Doch nicht ein solcher Weg, sondern mehrere werden ihm gezeigt. Der erste führt in ein Gebiet, in welchem die in der Sinneswahrnehmung gewonnenen verstandesmäßigen Vorstellungen des gewöhnlichen Bewußtseins in den Gang der übersinnlichen Erfahrung einwirken, so daß durch das Zusammenwirken der beiden Erfahrungskreise die Einsicht in die Wirklichkeit ertötet wird. Der zweite stellt in Aussicht, daß der Seele die Geduld verloren gehen kann, wenn sie nach geistigen Offenbarungen sich langen Wartezeiten unterwerfen muß, um stets ausreifen zu lassen, was zunächst nur als unverstandene Offenbarung hingenommen werden darf. Der dritte fordert Menschen, welche durch ihre bereits unbewußt erlangte Entwickelungsreife in kurzer Zeit schauen dürfen, was andere in langem Ringen erwerben müssen. Der vierte bringt den Menschen zur Begegnung mit all den Kräften, die aus der übersinnlichen Welt heraus sein Bewußtsein umnebeln und verängstigen, wenn dieses sich der Sinneserfahrung entreißen will. - Welcher Weg für die eine oder die andere Menschenseele zu nehmen ist, das hängt ab von der Verfassung, in welche sie durch die Erfahrungen des gewöhnlichen Bewußtseins gebracht ist, bevor sie die geistige Wanderung antritt. «Wählen» im gewöhnlichen Sinne kann sie nicht, denn ihre Wahl würde aus dem sinnlichen Bewußtsein hervorgehen, dem eine Entscheidung in übersinnlichen Dingen nicht zusteht. Die Unmöglichkeit einer solchen Wahl sieht der Wanderer nach der «Chymischen Hochzeit» ein. Er weiß aber auch, daß seine Seele für ein Verhalten in einer übersinnlichen Welt genügend erstarkt ist, um zum Rechten veranlaßt zu werden, wenn eine solche Veranlassung aus der geistigen Welt selbst kommt. Die Imagination seiner Befreiung «aus dem Turm» gibt ihm dieses Wissen. Die Imagination des «schwarzen Raben», welcher der «weißen Taube» die ihr geschenkte Speise entreißt, ruft in der Seele des Wanderers ein gewisses Gefühl hervor; und dieses aus übersinnlichem, imaginativem Wahrnehmen erzeugte Gefühl führt auf den Weg, auf den die Wahl des gewöhnlichen Bewußtseins nicht hätte leiten dürfen. |
Rudolf Steiner aus „Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz” in «GA 35»; S.350f |
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3 Der alte Pilger macht sich auf den Weg und gelangt nicht zufällig an eine Kreuzung mit drei Zedern, die eine Marginalie als Bäume des Merkur bezeichnet. Diese Identität mit dem spiritus vegetativus deutet auf den Wandlungsprozeß der Wiedergeburt hin, der auf dem Königsschloß stattfinden wird. Und die drei Zedern weisen zugleich auf die Trinität und auf die hellenistische Auffassung des Hermes als „omnia solus et ter unus” hin. Eine Tabella Mercurialis ist an einen der Bäume geheftet und beschreibt in lateinischer Sprache die vier möglichen Wege, die zum Schloß führen, von denen aber einer nur corporibus incorruptibilibus [~ unverdorbenen Leibes] zugänglich ist. Der begeisterte Rosenkreuzer Michael Maier nennt Hermes οδηγός [hodegós], den Wegweisenden, denn er ist herkömmlich bei den Alchemisten der psychopompos, der die Seele auf ihrer peregrinatio führt, aber auch manchmal verführt. Deshalb erscheint Mercurius hier zugleich in der Form einer schwachen, weißen Taube und eines bösen, schwarzen Raben, so daß Christian, um die Taube zu retten, einen bestimmten Weg einschlägt und dann nicht zurückgehen kann, denn Hermes als Windgott hindert ihn daran (man denke an die Tabula smaragdina: „Der Wind hat es in seinem Bauch getragen”). [...] |
Roland Edighoffer aus «Die Rosenkreuzer»; S.37f |
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revid.201607 |
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit001250027.htm |