zum IMPRESSUM
Text
zum
Neudenken:
Fragment 121
Ein blühendes Land ist doch wohl ein königlicheres Kunstwerk als ein Park. Ein geschmackvoller Park ist eine englische Erfindung. Ein Land, das Herz und Geist befriedigt, dürfte eine deutsche Erfindung werden; und der Erfinder wäre doch wohl der König aller Erfinder.
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Zweiter Band»; S.51
Im Negew
1 Bé'er Sheva' [a] wird als das Tor zur Wüste bezeichnet. Und wirklich, fährt man von dieser Stadt südwärts, so beherrschen bald flach gewellte, fast vegetationslose, meist schuttbedeckte Hügel die Landschaft. Wo durch den Straßenbau ein Einschnitt in die Hügel entstand, werden eozäne [b], verfestigte Schotterlagen, wechsellagernd mit gelblichen Kalkschichten, sichtbar. Beachtet man die Raumlage dieser Schichten, so wird klar, daß die Hügelbildungen vorwiegend den Abdruck der Wellenform dieser Sedimentschichten darstellen. Die Kämme dieser Hügel und Mulden erstrecken sich generell von Südwest nach Nordost. Mit zunehmender Entfernung von der Stadt wird an Höhe gewonnen; Kalke und Dolomite der Kreidezeit [c] prägen das Gesteinsbild. Nach der Durchfahrt von Yeroham [d] werden die Schichten etwas steiler, sie fallen nach Nordwest. Nach einigen weiteren Kilometern wechselt die Landschaft auf imponierende Weise: man steht unvermittelt an der Kante eines 300 m mächtigen, sehr steilen Felsabsturzes. In der Tiefe liegt eine Wüstenlandschaft, aus grobklotzigem Schutt und aus anstehendem Fels gebildet. Diese rund fünf mal fünfzehn Kilometer messende Tiefebene ist umgeben von einem Kranz von bis zu 300 m hohen Felswänden; man hat den Krater des Makhtésh Hagadol vor sich.
2 Durch eine Wanderung im Kraterinnern wird der Eindruck der hier herrschenden Lebensfeindlichkeit noch verstärkt. Abbau- und Mineralisierungsprozesse dominieren weitherum das Geschehen. Die umliegenden Kratersteilwände können jetzt von unten betrachtet werden. Sie sind stark der Erosion ausgesetzt. Die Sandstein- und Konglomerat-Lagen bilden steile Schuttbänder, die Kalkschichten formen fast senkrechte, mit rückschreitender Erosion sich abbauende Felswände. Der Kraterboden ist teilweise ein in momentaner Ruhe erstarrter Block-Schuttstrom, teilweise eine dunkel herauswitternde sanfte Hügellandschaft, aus Kalken der Jurazeit [e] aufgebaut. Die herumliegenden Kalkbrocken sind mit fast schwarzem Wüstenlack überzogen, einer für Wüsten typischen Anwitterung, hervorgerufen durch die extremen Temperatureinflüsse und die Sandstürme. Einige der Brocken haben eine nierenförmige Oberflächenstruktur. Schlägt man diese mit dem Hammer entzwei, so entdeckt man die schönsten Quarzdrusen oder Chalzedon-Hohlraumausfüllungen [f]. Dieses Erlebnis verborgener Kostbarkeiten wird sich für den aufmerksamen Beobachter immer wieder einstellen.
3 Der erste Eindruck des Abgestorbenen, Monotonen, weicht bei einer Hinwendung zu diesem Stück Erde einer Fülle von überraschenden Naturerscheinungen. Steigt man etwa auf einen der Jura-Kalkhügel, so ist man plötzlich gezwungen, den Schritt anzuhalten. Dies nicht nur wegen einer davoneilenden Wüsten-Viper, sondern weil man vor einer Kalkplatte steht, auf welcher durch die Verwitterung auf schönste Weise Korallenstöcke mit Muscheln, Schnecken und Seeigeln als Fossilformen herauspräpariert sind. Die Erinnerung steigt auf: all diese Kalkformationen von der Jura- bis in die Kreidezeit sind einmal durch die Lebensprozesse der Wassertierwelt durchgegangen! In einem seichten, warmen Meer, welches damals den Negev überflutete, herrschte eine Vitalität ohnegleichen. Korallen und Schalentiere bevölkerten die Riffe. Sie bildeten Kalk aus dem Meerwasser und übergaben ihn nach ihrem Absterben dem geologischen Geschehen. Das heute mineralisierte und sich weiter zersetzende Material entstammt ehemaligen Lebensprozessen; diese Erkenntnis schlägt in dieser Wüstengegend besonders stark ins Bewußtsein. Aber auch die heutige Landschaft beherbergt neu hervorgebrachte Lebensformen, seien es die lichtscheuen Skorpione oder die wunderbar ausgeformten Jochblattgewächse.
Hans-Ulrich Schmutz
aus «Mitte der Erde»; S.274f
Unsere Anmerkungen
a] Be'er Schewa ist die Hauptstadt Südisraels.
b] Das Eozän, Teilepoche der Erdneuzeit (Känozoikum), wird von vor etwa 56 bis 33,9 Millionen Jahren angesetzt.
c] Die Kreide (das Kretazeum), Teilepoche des Erdmittelalters (Mesozoikum), wird von vor etwa 145 bis 66 Millionen Jahren angesetzt.
d] Jerocham ist ein Lokalverband im Norden des Negev.
e] Der Jura, Teilepoche des Erdmittelalters, wird von vor etwa 201,3 bis 145 Millionen Jahren angesetzt.
f] Quarz (SiO2) ist aus Silizium und Sauerstoff zusammengesetzt und Chalzedon eine mikro- bis kryptokristalline Gefügevarietät davon.
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn202206.htm