| zur Übersicht |
| Text Zum Nachdenken: |
| A n h a n g |
| Die Leiden der Südslawen |
| Vom Schatten der Volksgeister |
| Erweiterung eines Briefes an die Freunde in Dubrovnik |
| vom 18. Juni 1992 |
| 1 Über ein Jahr währt nun schon der zunehmend brutal um sich greifende Bürgerkrieg im einstigen Jugoslawien. Den Südslawen war es nicht gegeben, die schweren Differenzen unter ihnen im Gespräch, in Verhandlungen aufzuarbeiten. Zum einen wollten viele gar kein Gespräch, zum anderen erstickte der seit 1989 wieder voll aufbrechende Nationalismus rasch viele Regungen zu vernünftigem Urteilen. Insbesondere in Kroatien und Serbien sind im Zuge der neuesten europäischen Entwicklung Pseudo-Demokratien entstanden, die bald ihr wahres, diktatorisches Gesicht zeigten. Politische Figuren wie zunächst Miloević und später Tudjman¹ haben die Völker aufgewiegelt und betrogen - sie tun es noch -, und die Völker haben sich aufwiegeln und betrügen lassen, etwa durch die Medien, die skrupellos wie in übelsten sozialistischen Tagen zur Aufhetzung und Einnebelung missbraucht wurden und werden. Von Beograd und Zagreb aus, aber auch von Ljubljana, wurden Europa und die übrige Welt mit zweifelhaften Nachrichten überschwemmt, die dann teils aus Bequemlichkeit, teils aus Unwissenheit zu furchtbaren Fehleinschätzungen und -handlungen führten. Ein Ende der daraus folgenden Geschehnisse ist noch nicht abzusehen. |
| 2 Die heutige Lage wurde bereits seit langem vorbereitet, tatsächlich weit vor Titos Zeit. Er hatte dank einer den Slawen fremden Ideologie und entsprechenden Gesetzen die Südslawen 35 Jahre lang zusammengezwungen. Herr Broz und seine Helfer, die sich um ihn aus den verschiedenen Gebieten und Völkerschaften der Südslawen geschart hatten, waren nicht Verursacher des Konfliktes, sondern dessen zunächst unbekümmerte Förderer, dann jedoch harte Verdränger. Romgläubige Kroaten und Slowenen, orthodoxe Serben und Montenegriner, muslimische Bosnier, Makedonier, Albaner, sie alle wurden zwar in einer atheistischen Gesellschaft geknebelt und niedergedrückt; der alte Hass zwischen ihnen war allerdings in Schach gehalten durch ein ausgeklügeltes politisches System. Das ging freilich bald nach Titos elendem Dahinsterben (1980) in Auflösung über. |
| 3 „Ich vermisse bei der Bosnienhilfe die grosse Tasche und das Guttun der Amerikaner und Franzosen. Denn das, was da unten passiert, ist die Rechnung für den Frieden von Saint-Germain. Denn nur damit Österreich-Ungarn zerfällt, wurde da ein Kunstgebilde geschaffen, wurden Menschen und Völker in Sackerln gestopft.” So drückte sich vor kurzem der Wiener Bürgermeister aus.² Das „Kunstgebilde” war das Königreich SHS (der Serben, Kroaten und Slowenen), das erste Jugoslawien (1918-41). Dieser Staat ging aus den Wirren des I.Weltkrieges hervor, die ihrerseits von der Unfähigkeit der Europäer hervorgerufen waren, den Zeiterfordernissen gerecht zu werden. Statt nun auf den Trümmern die europäischen Wege zu überprüfen und zu ändern, importierte man oberflächliches, amerikanisches Gedankengut (Wilsons 14 Punkte), wonach jedem Volk ein Staat zukommen müsse. So entstand den Südslawen ein Staatsgebilde, mit dem keines der verschiedenen Völker froh wurde. Von Anfang an herrschte Streit, wobei vorwiegend Kroaten und Serben aneinandergerieten. Nach einer parlamentarischen Phase bis 1928 und einer serbisch-autoritären wurde der Staat 1941 aufgeteilt in das faschistische Ustascha-Kroatien, wo es zu Greueltaten wie im Nazireich kam (zB. KZ Jasenovac), und Restjugoslawien, in dem sich königstreue Tschetniks hervortaten; zuletzt ertränkten die panjugoslawischen, kommunistischen Partisanen jede andere Regung in Blut (Massaker von Bleiburg und anschliessende Todesmärsche der Überlebenden).³ So einschneidend diese Ereignisse waren, findet man dennoch auch in ihnen nicht die Ursachen der verheerenden Kämpfe unserer Tage, wenngleich deren Vorläufer. |
| 4 Auf dem Kosovo polje (Amselfeld), wo 1389 Serben und Kroaten gemeinsam gegen die Türken angetreten und vernichtend geschlagen worden waren, suche man schon gar nicht die Wurzeln ihrer entsetzlichen Zwietracht, obwohl diese Schlacht die Serben offenbar nachhaltig traumatisierte. Vielmehr suche ich suche jene Wurzeln im Beginn des XVIII.Jahrhunderts während des 3.Türkenkrieges (1716-18), als Belgrad erobert wurde (1717), und vor allem im Frieden zu Belgrad (1739) nach dem 4., dem österreichisch-russischen Türkenkrieg (1737-39). Damals begann die Rivalität zwischen Österreich und Russland, die auch auf den Balkan übergriff und den Unfrieden zwischen Kroaten und Serben anfachte. Dieser scheint eine Art Stellvertreter-Rivalität zu sein, die sich allmählich verselbständigte und auswuchs. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang die Stellung der Bevölkerung Bosniens, insofern diese sich als eigenständige, muslimische Volksgruppe behauptet; ethnisch stellen sie eine Mischung aus Kroaten, Serben und Türken dar. |
| 5 Anthroposophisch gesprochen, war der geistige Hintergrund um 1739 ganz und gar gabrielisch, herrschte ja Gabriel als Zeitgeist von 1510 bis 1879. Er lässt sich als Ausgestalter von Gegensätzen oder Verdeutlicher erleben. Die Volksgeister der Kroaten und Serben - und ich glaube mit Nazor⁴, dass sie „Brüder” sind -, die ihre Herrschaft seit dem Frühmittelalter ohne grosse Rücksicht aufeinander ausübten, besser: nebeneinander, begannen jetzt gegeneinander zu wirken, stark beeinflusst vom Habsburg-österreichischen Geist auf kroatischer Seite, vom russischen auf serbischer. Dazwischen lebten die Bosnier gleichsam als Puffer. Als 140 Jahre später Michael⁵ als Zeitgeist antrat, waren die zwei Volksgeister bereits voll im Spalten begriffen und dadurch im Verdichten ihrer Schatten. Kroaten und Serben wurden mehr und mehr getrennt, einander fremd, dann feind. Die Bilder, die sie voneinander bekamen, wurden immer dunkler. Und 1908 wurde Bosnien von Österreich-Ungarn annektiert, das heisst: unter dessen Schatten geborgen. |
| 6 Was ist nun ein Schatten? Wenn eine geistige Einheit ihr arteigenes Licht nicht in dem ihr gemässen Sinn verstrahlt, dann lässt sie eine Art spirituellen Vakuums entstehen, Hohlräume, in die andere Einheiten, dämonische, einfliessen können. Geschieht das, so wächst ein Schatten heran, ein Nicht-Licht. Füllt zum Beispiel ein Menschen-Ich die ihm zukommenden Bereiche nicht aus, so wirft sein Bewusstsein entsprechende Schatten, welche als bedrohlich erlebt werden. In ihrer Gesamtheit sprechen wir vom Doppelgänger, einer ahrimanischen Gestalt, welche einen Aspekt des Hüters der Schwelle gibt, wie Rudolf Steiner ausführt.⁶ |
| 7 In ähnlicher Weise können wir von einem Volksgeist-Doppelgänger sprechen. Solch eine Schattengestalt zeigt oft ungeheure Wirkungen und typische Erscheinungen. Man kann sie in den Karikaturen von Volkseigenschaften beobachten, in den Fratzen, unter denen ein Volk wie zwanghaft zu handeln scheint. Heimattreue wird da zu Vaterlandssucht, Nachbarschaftlichkeit zu Menschenverachtung, Gerechtigkeitsempfinden zu Kriegslüsternheit, vor allem aber wird Liebe zu Hass. Frauen und Männer, die dem Volk besonders dienen können, weil sie ein Naheverhältnis zum betreffenden Volksgeist pflegen, werden dann zu Verführern, oder es treten nichtige Kreaturen an ihre Stelle, die nichteinmal sich selbst auf menschenwürdige Weise entwickeln können. |
| 8 Der Konflikt zwischen Serben und Kroaten, der in seiner Polarität heute so entsetzlich zum Tragen kommt, erhält vor diesem Hintergrund eine tiefere Dimension. Diese können wir mit folgendem Beispiel symptomatisch beleuchten. |
| 9 Als ein Merkmal kroatischen Wesens kann der Zweifel betrachtet werden, das immer wieder neue Sich-Besinnen, woraus sich eine zaudernde Grundhaltung ergibt. Die Kroaten leben im Sowohl-als-auch. Seit dem Beginn der kroatischen Ansiedlung ab 628 teilt sich das Volk im wesentlichen in ein seefahrendes Dalmatiertum und ein ackerbauendes Pannoniertum. Von 1102 bis 1918 war Kroatien in Personalunion mit Ungarn verbunden, also unselbständig. Um 680 begann bereits ihre Christianisierung vom Vatikan aus - obwohl die international ausgerichtete römische Kirche ansonsten überall das Lateinische als Kultsprache vorgab, erwirkten sich die Kroaten die Erlaubnis, die Messe in altslawischer Volkssprache zu lesen. Besonders in der jüngeren Geschichte tauchte oft das Bestreben auf, sich mit den Serben zusammen als ein Volk zu begreifen, was wiederum die Rufer nach kroatischer Eigenständigkeit heraufbeschwor, welche im Brudervolk zuweilen nur einen Haufen unkultivierter Schweinehirten sehen mochten. Bis in die Zeit des seltsamen slowenischen Krieges vom Frühsommer vergangenen Jahres lässt sich ihre unentschlossene Haltung verfolgen. Erst als sie unmittelbar selbst angegriffen wurden, entbrannte der jetzt weder Zerstörung, noch Tod bedenkende Mut, der dieses Volk ebenfalls auszeichnet. |
| 10 Als ein Merkmal serbischen Wesens wird dagegen die rücksichtslose Kühnheit gelten können und das entschlossene Durchführen dessen, was für recht oder billig gehalten wird. Von Byzanz aus wurden sie christianisiert, sodass ihre Kirche von Anfang an orthodox und damit national war. Von den Türken jahrhundertelang bedrängt, hielten sie unbeugsam an ihrer nationalen und religiösen Identität fest, probten immer wieder den Aufstand, und die ungezähmtesten unter ihnen, die Montenegriner, schüttelten als erste das osmanische Joch ab. Ihre Kultur trotzten sie der malerischen, aber harten Bergwelt ab, in der sie vorwiegend lebten, aufopfernd treu dem Freund, unerbittlich gegenüber dem Feind. Es erstaunt nicht weiter, dass dieses Volk der Krieger und Sänger schon im Zwischenkriegs-Jugoslawien, dann massiv unter dem Titoregime in die Armee drängte. |
| cm.jansa |
| 1 Manche sehen im kroatischen Präsidenten den Schüler
des serbischen. In gewissem Sinn kann man Tudjman als ein Karma von Miloević
bezeichnen. 2 Helmut Zilk in »Der Standard«, Wien, 27./28.V.1992, S.4 3 zu alledem H.Sundhaussen: «Geschichte Jugoslawiens 1928-1980» 4 Vladimir Nazor (1876-1949), kroat. Dichter; vgl. sein Gedicht „Auf den Pfaden des Schicksals” in »Mitarbeiter-Briefe«, Salzburg, Nr.13/1992 5 siehe Mbl.13 6 siehe Mbl-B.45 |
| nach oben oder zur Übersicht |
| red.31.X.2025 - WfGW, 1090 Wien / AT |
| https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200803a.htm |