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Nachdenken:
G.W.Werner (GWW) [a] im Gespräch
mit Frank Berger (FB) und Jean-Claude Lin (JCL)
JCL: Herr Werner, bei Ihrer Antrittsvorlesung im Mai als neuer Lehrstuhlinhaber für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe haben Sie die Kardinalfrage eines Unternehmers formuliert. Er müsse sich fragen: „Womit kann ich dienen?” Ist das in unserer heutigen Zeit nicht eine sehr idealistische Auffassung?
GWW: Ganz im Gegenteil, es ist das Faktum. Jedes erfolgreiche Unternehmen, das bestehen will, generiert Leistung, sonst findet es keine Kunden, und wenn es keine Kunden findet, dann hat das Unternehmen seinen Sinn verloren und wird keinen Erfolg haben. Also, es geht immer darum, sich zu fragen: Was brauchen Kunden und was können wir tun, um den Kunden ein entsprechendes Angebot zu geben? Das ist die Grundlage jedes Unternehmens, daraus kommt seine Existenzberechtigung.
FB: Sie definieren Leistung mit einer besonderen Nuance, mit „dienen”. Dienen ist mehr als Leisten.
GWW: Dienen drückt aus, dass das Leisten kein Selbstzweck ist, sondern eben, dass das Leisten einem anderen [b] dient. Man muss sich im Unternehmen, in dieser Arbeitsgemeinschaft, immer klarmachen, für wen diese Leistung eigentlich ist. Man muss so dienen, dass die Kunden nicht nur einmal kommen, sondern immer wieder. Die Arbeitsziele, die man hat, müssen von den Bedürfnissen der Kunden abgeleitet werden.
Das darf allerdings nicht mit Gewinnzielen verwechselt werden. Gewinn kann nie ein Ziel sein, sondern Gewinn ist eine Bedingung. Dass ein Unternehmen Überschuss erwirtschaftet, also finanziellen Gewinn macht, ist eine Lebensnotwendigkeit, so wie wir Menschen Luft zum Atmen brauchen. Ohne diese Grundbedingung, Überschuss zu erwirtschaften, kann es seine Leistung gar nicht wiederholen und kann auf Dauer auch nicht „zu Diensten” sein.[c]
[...]
JCL: Sie würden auch die Wahrnehmung teilen, dass Presse und Fernsehen im Moment eine pessimistische Stimmung verbreiten?
GWW: Nur bedingt. Wir leben eben in einer Zeit, in der die Menschen immer bewusster werden. Und je bewusster ich mich ins Leben stelle, desto mehr sehe ich natürlich auch die Gefahren und die Risiken im Leben. Die Frage, ob in Zukunft die Verhältnisse so bleiben, wie sie jetzt sind, führt natürlich dazu, dass man auch mehr zweifelt. Ein Beispiel: Je bewusster ich mir das Geschehen im Straßenverkehr mache, desto deutlicher werden die Gefahren des Autofahrens. - Die Frage ist dann, wie ich als Individuum damit umgehe, wie weit ich mich von außen beeinflussen lasse, wie weit ich mein eigenes Urteil bilde. Sehen wir das Glas halb voll oder halb leer?
JCL: Bisher war das Glas sehr voll in Deutschland.
GWW: Nein, es war nicht voll. Vor zwanzig Jahren ging es uns ja besser als heute. Und es ging vor allem aufwärts! Und dieses Aufwärts gibt einem natürlich das Gefühl, es wird besser. Heute geht es eben nicht mehr im selben Maße aufwärts, weil sich auch eine gewisse Sättigung ergeben hat. Das schärft das Bewusstsein und lässt fragen: Wie geht es weiter? Als ich vor 42 Jahren noch Lehrling war, da war es immer so, dass sich die älteren Kollegen gefragt haben: Was können wir uns leisten? Das hat sich in den vergangenen 25 Jahren dramatisch geändert. Heute fragen sich viele Menschen: Was wollen wir uns nicht leisten? Worauf können wir verzichten? Eine solche Veränderung im Bewusstsein der Menschen hat es noch nie gegeben!
FB: Man sieht ja jetzt gerade in Ihrer Branche, dass bei Ihren Mitbewerbern eine rückläufige Entwicklung eingetreten ist. Sie haben jedoch Zuwächse. Was machen Sie denn anders als andere - gerade in einer solchen Phase wie heute?
GWW: Es kommt darauf an, beim Wachstum des Unternehmens so vorzugehen, dass man zu einer Ausgewogenheit kommt zwischen dem, wie man wächst, und wie sich der Zuspruch der Kunden entwickelt. Auch wir haben unter unseren über 700 Filialen solche, die rückläufig sind. Das ist ganz normal. Die Frage ist nur, ob man das Wachsen und Schrumpfen in eine Ausgewogenheit bringt. Wir müssen zugleich auf die demographische Entwicklung blicken, die nicht spurlos an uns vorübergeht. In verschiedenen Regionen haben wir schon einen ganz deutlichen Bevölkerungsrückgang, der sich in den nächsten Jahrzehnten verstärkt. Die rückläufige Geburtenrate kann sich z.B. in unserem Babysortiment auswirken.
Leider wird oft nur das Managen von Wachstum gelehrt, das Schrumpfen wird mehr als „Unfall” betrachtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir zuerst ein Wiederaufbaumanagement gehabt, da gab es gar nichts anderes. Dann kam das Wachstumsmanagement, die Expansion in den 60er- und 70er-Jahren. Dann begann eine Phase, die ich als Regenerationsmanagement charakterisieren würde. Da ging es weniger um Wachsen als darum, das Bestehende zu erneuern. Wir betreiben heute immer noch Wachstumsmanagement, bei vielen Firmenkrisen kann man sehen, dass dort eigentlich das Wachstum zu sehr betont wurde und die Regeneration zu kurz kam. Im Moment sind wir - und das hängt in erster Linie mit der demographischen Entwicklung zusammen - in einer neuen Phase des Managements, das Redimensionierungsmanagement.
JCL: Wenn in Deutschland in vielen Unternehmen redimensioniert wird, werden viele Menschen arbeitslos werden. Wo führt das hin?
GWW: Um das Äußerliche mache ich mir keine Sorgen. Dass Arbeitsplätze wegfallen werden, liegt ja daran, dass wir so einen enormen Produktivitätsfortschritt haben. Es wird ja nicht weniger produziert, sondern wir haben eine enorme Produktivitätssteigerung. Jetzt muss man aber fragen: Von was leben denn die Menschen? Leben sie von der Arbeit oder leben sie von den Gütern? Wenn es um die Lebensmöglichkeiten der Menschen geht, haben wir einen Überfluss. Die Frage ist nur: Wie schaffen wir es, dass die Menschen auch zu Einkommen kommen? Wenn die Menschen den Verlust ihres Arbeitsplatzes beklagen, dann beklagen sie in erster Linie den Verlust der Einkommensgewinnung. Das ist die zweite Aufgabe der Wirtschaft. Die eine ist, die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, die andere, die Menschen mit Einkommen zu versorgen.
JCL: Gerade im Produktionsbereich wird aber heute ins Ausland verlagert.
GWW: Das ist eigentlich eine positive Sache. Indem wir Arbeitsplätze im Produktionsbereich auslagern, geben wir anderen Menschen Einkommen. Das erlebt man ja nur negativ, wenn man es auf Deutschland oder auf den Staat begrenzt sieht. Wenn etwas woanders produziert wird, geht es den Menschen dort besser. Wir müssen uns in der Arbeit andere Ziele suchen. Die Frage: „Was arbeite ich, wo kann ich meine Fähigkeiten einbringen?” ist zu trennen von der Tatsache: „Was bekomme ich für ein Einkommen?” Das Problem ist die Verkopplung von Arbeit und Einkommen. Die Tatsache, dass wir mehr als vier Millionen Arbeitslose haben, heißt ja nicht, dass die nicht arbeiten würden. Denken Sie an die großen Bereiche ehrenamtlicher Tätigkeit, an die enormen Dienstleistungen, die heute erbracht werden an anderen Menschen - was es da noch an freier Arbeit gibt, die nicht befriedigt wird![d] Es kann sein, dass jemand, der arbeitslos geworden ist und vorher irgendwo in der Produktion tätig war, anschließend in einer anderen Tätigkeit viel, viel segensreicher tätig ist und auch viel mehr Sinnerfüllung findet. Wir haben das nur noch nicht politisch bewältigt. Das ist eine große Herausforderung für die Sozialwissenschaft und auch für die Politik.
JCL: Stichwort Hartz IV [e] - geht diese Reform in eine solche Richtung?
GWW: Ich denke nicht. Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden und wirklich umgedacht werden. Hartz IV versucht in den Bahnen des bestehenden Paradigmas die Probleme zu lindern. Das ist eine symptomatische Behandlung, aber keine ursächliche. Was kommen muss, ist eine andere Art von Besteuerung: wir dürfen nicht unsere Einkommen besteuern, sondern den Konsum. Der ist ja ein Ausdruck unserer Leistungsfähigkeit. Wir müssen den Menschen ein Grundeinkommen, ein Bürgereinkommen geben, sodass die Menschen eigentlich nicht mehr darauf angewiesen sind, arbeiten zu müssen, sondern dann arbeiten können mit dem, was sie als sinnvoll erachten. Wir praktizieren das bereits in manchen Bereichen, die Rentner zum Beispiel beziehen im Grunde Arbeitsloseneinkommen. Darüber wird schon lange nachgedacht, aber es braucht seine Zeit. Doch Entwicklung ist ja diskontinuierlich, es kann plötzlich sehr schnell gehen. Der Mensch lernt durch Einsicht oder Katastrophen, und Einsichten und Katastrophen kommen auch plötzlich.
FB: Da sagt natürlich der Staat, das ist nicht mehr zu finanzieren. Woraus müssten diese Grundeinkommen finanziert werden?
GWW: Das Problem ist, dass man die Frage primär durch den „Geldschleier” sieht. Aber das verfügbare Geld orientiert sich an dem, was produziert wird. Als Rentner hätte ich keine Sorgen um mein Leben in der Zukunft, weil dermaßen viele Güter und Dienstleistungen da sind. Es ist nur die Frage: Wie habe ich Zugang dazu? Die Menschen leben von Gütern und Dienstleistungen, nicht von Geld. Das ist der Denkfehler, der fatale Folgen hat. Man denkt, man lebt von seiner Rente; man meint, man lebt von seinem Einkommen. Aber ich habe noch keinen gesehen, der nicht, um leben zu können, die Leistung anderer bräuchte.
JCL: Was können wir unmittelbar tun, um der Beantwortung dieser Frage ein Stück näher zu kommen?
GWW: Wir können ein Problembewusstsein entwickeln und uns bestreben, die entsprechenden Gedanken zu bilden. Das hat dann seine Wirkung.
[...]
in »a tempo« 12/2004
Unsere Anmerkungen
a] Götz W. Werner gründete 1973 die Drogeriemarkt-Kette „dm” - vgl. Mbl-B.14a.
b] vgl. LÉVINAS, E.: «Zwischen uns»
c] zur Preisbildung vgl. Mbl-B.13: „Preis
d] Deshalb sollte die Bezeichnung „arbeitslos” als Etikettenschwindel durchschaut werden - wirklichkeitsgemäss wäre „einkommens-” oder „erwerbslos” (siehe auch »TzN Jun.2012«).
e] umstrittenes deutsches Beschäftigungsprogramm, benannt nach dem damaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz
https://wfgw.diemorgengab.at/tzn200502.htm