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Merkblatt-
Beilage 52:
Szenarien zur nächsten Zukunft
1 Die Wissenschaft stellt immer wieder reduzierte Modelle auf, um die Interpretation (Hypothesen und Theorien) ihrer Forschungsdaten und -ergebnisse vorstellbar zu machen. Das gegen Ende 2019 bewusst gewordene Corona-Syndrom [a] sowie der spätestens seit den 1970er Jahren allgemein bekannte Klimawandel, die sowohl alle Gesellschaftsschichten als auch ganze Staatssysteme und deren Grenzen aufrütteln und erschüttern, machen die Überholung bisher von Klimaforschern entworfener Entwicklungsszenarien unumgänglich.[b] Welche Wege könnte die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten einschlagen? Ein sogenannter Gemeinsamer Sozioökonomischer Pfad (GSP)[c] erzählt dazu einen denkbaren Entwicklungsstrang. Fünf solcher grundlegenden Pfade werden neuerdings dargestellt.[d] Allerdings ergänzen wir sie um ein paar geisteswissenschaftliche Ansätze, denn sonst bliebe es beim aktuellen abendländischen, vulgo westlichen Blickwinkel, der eben ein reduktionistischer, oft nur materialistischer ist.
2 GSP1, der Nachhaltige (optimistische Variante)
Die Menschen versteifen sich nicht mehr aufs angeblich notwendige Wirtschaftswachstum, sondern richten ihr Augenmerk auf ein Wohlergehen aller und allens, woraus ua. eine ressourcenschonende Produktion und entsprechender Verzicht auf überbordenden Konsum folgt. Investitionen werden ins Geistesleben, also in Bildung, Gesundheit und Kultur, verlagert, was ein demographisches Absinken der Weltbevölkerung auf ein erdverträgliches Niveau nach sich zieht. Dadurch werden Ungerechtigkeiten innerhalb von Rechts- und Wirtschaftsleben abgemildert, auch zwischen unterschiedlichen Staatswesen oder innerhalb eines solchen. Ein möglicher Ansatz, um dies dem sozialen Organismus zu ermöglichen, ist übrigens dessen Dreigliederung.[e]
3 GSP2, der Bestehende
Die gewohnten Denk- und Handlungsmuster bleiben in etwa bestehen. Ungleichmässig unter den Menschengruppen verteilter Fortschritt samt Wohlstand beschleunigt Umweltveränderungen wie auch soziale Fehlgewichtungen, die trotz gelegentlicher Eingrenzungs- und Umverteilungsmassnahmen kaum abgemildert werden. Ökologische, ökonomische und damit soziale Schwachstellen öffnen sich weiter, und sie zu schliessen erfordert einen immer grösseren Aufwand. Manche Gebiete werden unbewohnbar, was schwer kontrollierbare Migrationsschübe auslöst.
4 GSP3, der Rivalisierende
Nationalismen verschiedener Ausprägungen lassen den Ruf nach einer regionalen Verlässlichkeit der Kultur- und Lebensumstände lauter werden, zu Lasten globaler Problemstellungen. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit wird durch den dringenden Wunsch nach lokaler oder wenigstens regionaler Eigenständigkeit in Sachen allgemeinen Verbrauchs, Energie und Rechtssicherheit gestört. Notwendige Fortschritte erweisen sich als einfältiger, kostspieliger und langsamer, wenn nicht gar irreführend. Geheimniskrämerei und protektionistische Eingriffe behindern den weltweiten Austausch und gemeinsames Anpacken. Das Bevölkerungswachstum steigt in den wohlstandsfernen Gebieten unverhältnismässig an, ebenso politische Instabilität und Umweltzerstörung, was wiederum Migrationsschübe auslöst.
5 GSP4, der Ungleiche
Politische und wirtschaftliche Macht verteilen sich immer einseitiger. Gut gebildete, miteinander verbundene wie international handelnde Gesellschaftsschichten treiben den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwung voran, während davon abgehängte mit weniger Bildung und Einkommen vom Aufschwung nach und nach ausgeschlossen werden. Das Dogma vom Wirtschaftswachstum kann nur noch durch massive Ausbeutung und Unterdrückung aufrecht erhalten werden. Der zwischenmenschliche Zusammenhalt schwindet, ebenso ein makrosozial ausgleichender Mittelstand. Bestenfalls fühlt man sich der eigenen Gruppe (Clique) verpflichtet. Umweltschutz wird zum Thema der Eliten, die ihn lediglich in ihrer Umgebung umsetzen. Die Folgen steigern sich von Unzufriedenheit über Unruhen hin zu Kriegen.
6 GSP5, der Fossile (pessimistische Variante)
In gemeinsamen Wirtschaftsräumen wird auf Innovation und allgemeine Teilhabe gesetzt, um zügig voranzuschreiten, sodass sich jene einigermassen nachhaltig entwickeln. Das befördert zwar die Weltwirtschaft, nicht jedoch die weltpolitischen Strukturen hin zur Pflege der Menschenwürde und der aus ihr abgeleiteten Menschenrechte. Die intensive Lebensführung greift verstärkt auf fossile Energiequellen zurück und auf solche, die eine unabsehbare Belastung in ferne Zeiten tragen. Lokale, manchmal auch regionale Umweltbelastungen (Abfall, Emissionen, Störung natürlicher Abläufe usw.) lassen sich weniger und weniger bewältigen. Der menschengemachte (anthropogene) Anteil am Klimawandel bringt zunehmend Unwägbarkeiten, denen zu begegnen mithilfe von Technologie versucht wird. Das keine Million Jahre alte Anthropozän [f] droht zu kippen.
7 Beim Erstellen der GSPfade wurden keine konkreten (klima)politischen Bestimmungen einbezogen. Das sollte Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, die Auswirkungen von unterschiedlichen Entscheidungen einer Gesellschaft oder Verwaltung mit eigenen rechnergestützten Simulationen zu prüfen. So können heutzutage epidemiologische Vorteile verschiedener Klimaschutzmassnahmen verglichen werden. - Fast von selbst versteht sich, dass weder den einzelnen Erzählsträngen, noch den darauf beruhenden Modellen ein konkret benanntes Menschenbild innewohnt, schon gar nicht irgendwelchen Algorithmen. Doch gerade der individuelle Mensch setzt sich seine Handlungsvorschriften selbst. An passender Stelle zu gegebener Zeit wird er jeweils frei entscheiden, zunächst im persönlichen Bereich, dann vielleicht für eine Gruppe oder, sozialhomöopathisch unspektakulär, für die ganze Menschheit. Auf diese Weise werden Möglichkeiten aus der unmess-, unzähl- und unwägbaren, weil geistigen Zukunft ergriffen, also vergegenwärtigt.[g] Generation um Generation wird so neue Wirklichkeit geschaffen.
frei nach »Spektrum der Wissenschaft« 2.2021; S.52
Anmerkungen
a] vgl. Mbl-B.50
b] Dazu vermerkte der Atmosphärenforscher Donald Wuebbles 2017: „Wir versuchen, Risiken zu verstehen, nicht die Zukunft vorauszusehen”.
c] anglo-amerikan. SSP für Shared Socioeconomic Pathway
d] Die fünf Szenarien wurden 2015 erstellt und im 6.Sachstandsbericht des Weltklimarats von 2021 u. 2022 veröffentlicht. Das Verfahren, verschiedene mögliche „Drehbücher” des Klimawandels zu modellieren, kam im April 1989 in Bilthoven auf.
e] vgl. Mbl-B.31
f] ein vom Atmosphärenforscher Paul Crutzen eingeführter Begriff, um die geochronologische Epoche des Auftretens der Menschheit auf der Erde und deren Eingreifens in die Natur zu fassen
g] vgl.Mbl.5: Anm.>G>
https://wfgw.diemorgengab.at/WfGWmblB52.htm