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Zitatensammlung
Teil 2
Zitate zum
ICH
Fragment 331
Philosophie, wie alles im Ich, ist ein Wirkliches, mithin Bedingtes, mittelst eines Möglichen, bezogen auf ein Notwendiges.
Ich soll immer Ich sein.
Ich schlechthin aufs Objekt bezogen ist ein Müssen - aufs Objekt mittelst des Subjekts ein Sollen.
Fragment 332
(Das Ich schlechthin ist eine Idee. Das analytische Ich ein Begriff, das synthetische Ich ein Gefühl.)
Fragment 333
Das Unbedingte müssen wir aus dem Bedingten, das Bedingte aus dem Unbedingten erklären.
Fragment 334
Der analytische Gang muß ein synthetischer sein et vice versa - es kommt nur darauf an, an welches Ende man sich stellt.
Der analytische ist durch eine Synthese, der synthetische durch eine Analyse bedingt. Die Wirkung hier ist die Ursache dort.
Der Raum ist so groß als die Zeit, id est sie stehn in Wechseleinheit. Ewigkeit a parte post und a parte ante. Jenes analytischer, dies synthetischer Gang. Daß Synthese und Analyse in diesem Verhältnisse stehn - das ist Ich schlechthin.
(Ich ist bloß der höchstmögliche Ausdruck für die Entstehung der Analyse und Synthese im Unbekannten.)
Das Unbekannte ist das heilige Nichts [Nirwana] für uns.
(Entäußerung unserer Ichheit - Nichtsein durch Sein ist unser theoretisches Ziel, Vergrößerung unsrer Ichheit - oder Sein durch Nichtsein - unser praktisches Ziel. Sie müssen im Widerspruch stehn, um im Ich zu sein.)
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Zweiter Band»; S.165f
Fragment 1055
Im Ich, im Freiheitspunkte sind wir alle in der Tat völlig identisch - von da aus trennt sich erst jedes Individuum. Ich ist der absolute Gesamtplatz, der Zentralpunkt.
Novalis
aus «Gesammelte Werke - Dritter Band»; S.96
1 Das Ich lebt in der Form, nicht im Inhalt, und sei er noch so spirituell bedeutsam. Die Ich-Linie, die zwei Inkarnationen verbindet, die Ich-Linie, die die irdische und die geistige Existenz integriert, sie zeigt sich nicht in der Besonderheit des Lebens, denn das endet mit dem Tod. Sie zeigt sich auch nicht in der Besonderheit des geistigen Inhalts, denn der unterliegt der geistesgeschichtlichen Entwicklung. Die Individualitätslinie zeigt sich in der geistig-individuellen Form, in derjenigen Signatur, die identifizierbar bzw. reidentifizierbar ist, auch wenn sie nachtodlich oder in einer neuen Inkarnation völlig neue Gestalt angenommen hat.
Wolf Ulrich Klünker
in »das Goetheanum« 11·2013; S.8
2a [...] Wenn Sie sich selbst ernst und eindringlich fragen: wer bin ich - nicht: was bin ich?, sondern: wer ist dieser Ich, von dem ich in jedem Augenblick meines täglichen Lebens spreche? -, werden Sie sich des Irrweges bewußt werden, auf dem die Philosophie sich immer befunden hat, wenn sie unter „ich” die abgelegensten Dinge, aber niemals eben das verstand, was Sie in ihrem täglichen Leben „ich” nennen. Dieses Ich, das Sie sind, mein Freund, ist nicht Ihr Körper, aber auch nicht Ihre Seele, Ihr Bewußtsein oder Ihr Charakter. Sie finden sich selbst im Besitz eines bestimmten Körpers, einer bestimmten Seele, eines bestimmten Charakters vor, nicht anders als Sie sich im Besitz eines von Ihren Eltern ererbten Vermögens vorfinden, in einem Land, in dem Sie geboren sind, und in der menschlichen Gesellschaft, in welcher Sie sich bewegen. Ebenso wie Sie nicht identisch sind mit Ihrer gesunden oder kranken Leber, sind Sie es auch nicht mit Ihrem guten oder schlechten Gedächtnis, Ihrem festen oder schwachen Willen, Ihrem scharfen oder stumpfen Verstand. Das Ich, das Sie sind, fand an sich diese körperlichen und psychischen Dinge [eher Verhältnisse] vor, als es sich lebend vorfand. Sie sind es, der mit diesen Dingen, vermittels ihrer leben soll; und vielleicht hadern Sie Ihr Leben lang mit der Seele, die Ihnen zugeteilt ist - mit Ihrer Willensschwäche etwa -, ganz ähnlich wie Sie mit Ihrem schlechten Magen oder dem rauhen Klima Ihres Landes hadern mögen. Die Seele bleibt also genau so außerhalb des Ich, das Sie sind, wie die Welt um ihren Körper her. Wenn Sie darauf bestehen, will ich zugeben, daß die Seele zu den Dingen gehört, die Ihrem Ich am nächsten sind; aber sie ist nicht Sie selbst. Wir müssen uns von der Suggestion der Überlieferung frei zu machen suchen, nach welcher das Wirkliche immer aus irgendeinem Ding, sei es nun körperlich oder geistig, bestehen soll.[a] Sie sind kein Ding - Sie sind ganz einfach derjenige, der mit den Dingen, unter den Dingen zu leben hat, und nicht irgendein beliebiges, sondern ein ganz bestimmtes Leben. Es gibt kein abstraktes Leben. Leben bedeutet die unerbittliche Notwendigkeit, den Daseinsentwurf, den ein jedes Individuum darstellt, zu verwirklichen. Dieser Entwurf, aus dem das Ich besteht, ist keine Idee und kein von dem betreffenden Menschen erdachter und frei gewählter Plan. Er geht allen Ideen, welche die Vernunft sich bilden mag, und allen Willensentscheidungen voraus. Mehr noch: wir haben gewöhnlich von ihm nur eine undeutliche Kenntnis. Dennoch ist er unser echtes Sein, unser Schicksal. Mein Wille ist frei, diesen Lebensentwurf, der ich eigentlich bin, zu verwirklichen oder nicht; aber ihn verbessern, verändern, von ihm absehen oder ihn ersetzen kann er nicht. Ich bin unausweichlich diese einmalige geplante Person, die sich realisieren muß. Die Welt umher und unser eigener Charakter erleichtern oder erschweren uns die Realisierung mehr oder weniger. Das Leben ist seiner innersten Beschaffenheit nach ein Drama, denn es besteht aus einem leidenschaftlichen Kampf mit den Dingen und überdies mit unserer Anlage, dem Kampf, durch den wir in Wirklichkeit zu werden suchen, was wir im Entwurf sind.
S.272f
2b Nichts verdient mehr, im eigentlichen Sinn „ich” genannt zu werden, als diese entworfene Persönlichkeit, denn von ihrer Eigenart hängt der Wertcharakter ab, den alle unsere Dinge - unser Körper, unsere Seele, unserer Charakter, unsere Umstände - in unserem Leben empfangen. Sie sind unser vermöge ihrer förderlichen oder hinderlichen Beziehung zu jener Person, die sich verwirklichen soll. Darum können sich zwei verschiedene Menschen nie in der gleichen Lage befinden. Die Anordnung der Welt um beide her, die abstrakt genommen die gleiche sein mag, antwortet in verschiedener Weise auf das verschiedene innere Schicksal, das jeder von ihnen darstellt. Ich bin ein gewisser äußerst individueller Druck auf die Welt: die Welt ist der nicht weniger bestimmte und individuelle Widerstand gegen diesen Druck.
Der Mensch - das heißt seine Seele, seine Gaben, sein Charakter, sein Körper - ist der Inbegriff der Mittel, mit denen er lebt, er gleicht darum einem Schauspieler; seine Aufgabe besteht in der Darstellung jener Person, die sein wahrhaftes Ich ist. Und hier enthüllt sich uns die überraschendste Seite des Lebensdramas: der Mensch besitzt in bezug auf sein Ich und sein Schicksal einen weiten Spielraum der Freiheit. Er kann sich seiner Verwirklichung entziehen, er kann sich selbst untreu sein. Dann ist sein Leben unecht. Wenn man nicht, wie es gewöhnlich geschieht, unter „Berufung” nur die Eignung für eine generelle Form beruflicher Beschäftigung und des bürgerlichen Curriculum verstünde, wenn sie sich vielmehr auf ein integrales und individuelles Programm des Lebens bezöge, wäre es das klarste, wenn wir sagten, daß unser Ich unsere Berufung ist. Nun wohl, wir können unserer Berufung mehr oder weniger treu, und es kann infolgedessen unser Leben mehr oder weniger echt sein.
S.274f
José Ortega y Gasset
in „Um einen Goethe von innen bittend”, 1932
aus «Gesammelte Werke III»
3a Dein Ich ist das, was dich organisiert, nicht das, was in dir organisiert oder geformt wird. Du hast gerade gesagt, daß du über die Möglichkeit nachdenkst, ein Meister des Spiels [b] zu werden. Diese neue Synthese wird dir durch die selbst-organisierende Aktivität angeboten, die du selber bist. Das Ich läßt sich niemals vollständig in Worten, Ideen, Bildern oder kreativen Werken erfassen. Im Gegenteil, es ist das Ich, das dies alles macht; das Ich ist die Kraft, die alle diese Dinge formt.
3b Wir müssen in diesem Zusammenhang das Universum als Ganzes ansehen und das Ich im Kontext des sich entfaltenden Universums untersuchen. Unser Gespräch dreht sich nun um eine weitere kosmische Dynamik, die sich am besten angesichts des FEUERS [c] offenbart.
Brian Swimme
in »Das Universum ist ein grüner Drache«; S.124
4a In seiner Minimalform ist das Ich eine Aktivität der Negation jeder positiv gegebenen Bestimmung der Identität. Mit ‹Bestimmung› meine ich jedes Merkmal, das zur Definition der menschlichen Identität verwendet wird, wie Ethnizität, Geschlecht, Nationalität, soziale Klasse, sexuelle Orientierung, Abstammung, Familie, religiöses Bekenntnis oder sogar die persönliche Biografie. Das Selbstbewusstsein konstituiert sich durch die Negation aller ihm fremden Bestimmungen - und alles ist ihm fremd. Keine Bestimmung ist dem Selbst eigen; alle sind aus der Perspektive des wahren Selbstbewusstseins extern. Auch wenn es einige notwendige materielle Bedingungen für das Menschsein geben mag, müssen sie abgelegt werden, wenn wir ‹ich› sagen. In diesem Akt entsteht das Selbstbewusstsein als das Bewusstsein seiner Unabhängigkeit von Bestimmungen und bekräftigt seine Identität genau durch die Behauptung seiner Differenz zu diesen. In diesem Sinne ist das Ich eine Aktivität der Negation.
4b Über das Ich können wir nichts vorhersagen. Man kann einen Tisch, einen Baum, ein anderes Objekt oder einen psychologischen Zustand definieren und mit substanziellen Begriffen beschreiben. Das Ich entzieht sich dagegen jeglicher Vorhersage. Wir können Aussagen treffen wie «John ist Schweizer» oder «Martha ist ein weiblicher Homo sapiens sapiens, geboren 1981». Doch beziehen sich diese Aussagen nicht auf das Ich solcher Individuen - sie beschreiben lediglich Bestimmungen. Das Ich existiert nicht als Ding. Die Aussagesprache - vielleicht ist es in der poetischen oder imaginativen Sprache anders - zeigt diese Einschränkung: Jedes Prädikat, das wir dem Ich zuschreiben wollen, verfehlt sein Wesen. Dennoch können wir bestätigen, dass das Ich existiert, denn es ist die negative Aktivität, die das Selbstbewusstsein ausmacht, und es setzt sich selbst durch Handlung.
4c Jemand könnte ‹ich› sagen, aber in Wirklichkeit etwas anderes meinen. Man denke zum Beispiel an zeitgenössische Ideologien, die in ihrem Versuch, unterdrückend empfundene gesellschaftliche Konventionen infrage zu stellen oder kulturelle Vorurteile zu bekämpfen, die individuelle Identität auf allgemeine Bestimmungen reduzieren. Dies zeigt sich besonders deutlich in aktivistischen Bewegungen, die sich auf sexuelle Orientierung, Geschlecht und Rasse konzentrieren und paradoxerweise genau die Individualität derer verschleiern, die sie stärken wollen. In solchen Ansichten werden Individuen überwiegend durch ihre Bestimmungen definiert und beurteilt. Es heißt nicht «Ich bin ich», sondern «Ich bin (Rasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Nationalität usw.)»; persönliche Identitätsansprüche nehmen daher die Form an: «Ich bin nicht ich.» Aber jeder Anspruch dieser Art interpretiert die Natur des Ich falsch. Wahres Selbstbewusstsein drückt sich minimal als «Ich bin nicht nicht ich» aus - ich bin nicht durch meine Rasse, mein Geschlecht, meine Nationalität oder eine andere Bestimmung definiert. Meine Identität kann nicht auf diese Bestimmungen reduziert werden; vielmehr wurzelt sie in der Freiheit des Selbst, Bestimmungen zu transzendieren und über sie hinaus zu handeln.
Nicolás Criblez
in »das Goetheanum« 9·2025; S.7
a] vgl. »TzN Jän.2004: Anm.b
b] vgl. H.Hesse zum Glasperlenspiel
c] vgl. Heraklit zum Feuer
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit660000005.htm