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Zitatensammlung
Teil 1
Zitat von Rudolf STEINER zu
CHRISTUS-ERLEBEN und PANSLAWISMUS-ANMASSUNG
1 Versuchen Sie einmal nur irgendwie zu suchen - wenn es nicht äußerlich von der westeuropäischen Kultur übernommen ist -, in dem russischen Geistesleben diese Idee, den Christus oder einen Gott im Inneren zu erleben. Sie können es nicht finden. Da wird überall erwartet, daß dasjenige, was hereintritt in die Geschichte, wirklich so hereintritt, daß es, wie Solowjow sagt, wie ein «Wunder» hereintritt. Das russische Geistesleben ist sehr geneigt, im Übersinnlichen die Auferstehung des Christus anzuschauen, äußerlich das Hineinspielen einer inspirierenden Macht zu verehren, aber diese spricht so, wie wenn der Mensch darunter wäre, wie wenn sich das Inspirierende wie eine Wolke über die Menschheit hinbewegte, nicht wie wenn es hineinginge in das menschliche Ich. Dieses intime Beisammensein des Ich mit seinem Gott, oder auch, wenn es sich um Christus handelt, mit dem Christus, dieses Verlangen, daß der Christus im eigenen Gemüt geboren werde, das ist nur in Mitteleuropa zu finden. Und wenn einmal die ost-europäische Kultur zu der Entwickelung, die ihr angemessen ist, kommen wird, so wird sich das dann dadurch zeigen, daß jene Kultur begründet werden wird, die wie über den Menschen schwebt, die wiederum eine Art von Gruppenseelenhaftigkeit darstellt, nur auf einer höheren Stufe, als die alte Gruppenseelenhaftigkeit war. Vorläufig müssen wir es ganz naturgemäß finden, daß in der Art und Weise, wie selbst der russische Philosoph spricht, überall gesprochen wird von etwas, was wie die geistige Welt über der Menschenwelt schwebt, dem man aber nie so intim nahen kann, wie der mitteleuropäische Mensch mit seinem Ich sich dem nähern will, was das Göttliche ist, dem, was als Göttliches durch die Welt wallt und webt.
2 Und wenn ich oftmals davon sprach, daß die Gottheit durch die Welt wallt und webt und wogt, so ist das aus der Empfindungswelt des mitteleuropäischen Menschen heraus und würde gar nicht verstanden werden können in derselben Weise, wie es vom mitteleuropäischen Gemüt aufgenommen werden kann, von irgendeinem andern Volkstum in Europa. Das ist das Charakteristische, das Eigentümliche des mitteleuropäischen Volkes.
3 Das sind die Kräfte, die da leben in den einzelnen Völkern, und die sich gegenüberstehen, die daher immer wieder und wiederum in Wettstreit treten müssen, die sich gewaltsam entladen müssen, wie Wolken sich entladen und Blitze und Gewitter bewirken.
4 Aber sehen wir denn nicht, so könnte man jetzt sagen, wie im Osten von Europa ein Wort ertönt hat, das gewissermaßen wie ein Losungsruf war und so wirken sollte, wie wenn die Kultur von Osteuropa etwa jetzt beginnen sollte, sich über das wenig wertvolle Westeuropa auszudehnen, es zu überströmen? Sehen wir denn nicht, wie die Slawophilen, die Panslawisten, der Panslawismus auftrat, besonders auch in Geistern wie Dostojewskij und ähnlichen, wie er auftrat mit den besonderen Punkten seines Programms, wie da gesagt wurde: Ihr Westeuropäer allzusammen, ihr habt eine faulgewordene Kultur, die muß ersetzt werden von Osteuropa. - Dann wurde eine ganze Theorie aufgebaut, eine Theorie, die vor allen Dingen gipfelte darin, daß gesagt wurde: Im Westen ist alles faul geworden, das muß ersetzt werden durch die frischen Kräfte des Ostens. Wir haben die gut orthodoxe Religion, die wir nicht bekämpfen, sondern die wir hingenommen haben eben wie die über den Menschen schwebende Wolke des Volksgeistes und so weiter. Und da wurden dann geistvolle Theorien aufgebaut, ganz geistvolle Theorien, was jetzt schon die Grundsätze, die Intentionen des alten Slawentums sein könnten, wie vom Osten jetzt schon die Wahrheit sich über Mittel- und Westeuropa ausbreiten müsse.
5 Ich sagte, der einzelne kann sich über sein Volkstum erheben. Solch ein einzelner war auf einem bestimmten Gebiet auch Solowjow, der große russische Philosoph. Obwohl man auch bei ihm in jeder Zeile merkt, daß er als russischer Mensch schreibt, so steht er doch über seinem Volkstum. In der ersten Zeit seines Lebens war Solowjow Panslawist. Aber er hat sich genauer befaßt mit dem, was die Panslawisten und Slawophilen als eine Art Völkerphilosophie, Völkerweltanschauung aufgestellt haben. Und was hat Solowjow, der Russe, gefunden? Er hat sich gefragt: Ist denn wirklich dasjenige, was das Russentum ist, schon in der Gegenwart da? Ist das vielleicht schon enthalten bei denjenigen, die den Panslawismus vertreten, die das Slawophilentum vertreten? - Und siehe da, er ruhte nicht, bis er auf das Richtige kam. Was hat er gefunden? Er hat die Behauptung der Slawophilen, zu denen er vorher gehört hatte, nachgeprüft, er ist ihnen zu Leibe gerückt, und da hat er gefunden, daß ein großer Teil der Denkformen, der Behauptungen, der Intentionen, hergenommen ist von dem jesuitenfreundlichen französischen Philosophen de Maistre, daß er der große Lehrer der Slawophilen auf dem Gebiete der Weltanschauung ist. Solowjow hat selbst bewiesen, daß das nicht auf eigenem Boden gewachsen ist, was Slawophilismus ist, sondern von de Maistre herstammt. Und er hat noch mehr bewiesen. Er hat aufgestöbert ein längst vergessenes deutsches Buch [a] aus dem 19. Jahrhundert, das in Deutschland kein Mensch kennt. Ganze Partien desselben haben die Slawophilen abgeschrieben in ihrer Literatur. Was ist da für eine eigentümliche Erscheinung eingetreten? Man glaubt, vom Osten komme etwas, was im Osten entstammt sein soll, und es ist rein westlicher Import. Es ist herübergekommen aus dem Westen und dann den westlichen Menschen wieder entgegengeschickt. Die westlichen Menschen werden mit ihren eigenen Gedankenformen bekanntgemacht, weil die eigenen Gedankenformen im Osten noch nicht vorhanden sind.
Wien, 9.Mai 1915 ☉ (aus «GA 159»; S.189ff)
a] RÜCKERT, Heinrich: «Lehrbuch der Weltgeschichte in organischer Entwicklung»; 1857
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit115900189.htm