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| Gedichtsammlung | 
| Patmos | 
| Dem Landgrafen von Homburg | 
| 1 Nah ist | 
| Und schwer zu fassen der Gott. | 
| Wo aber Gefahr ist, wächst | 
| Das Rettende auch. | 
| Im Finstern wohnen | 
| Die Adler und furchtlos gehn | 
| Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg | 
| Auf leicht gebaueten Brücken. | 
| Drum, da gehäuft sind rings | 
| Die Gipfel der Zeit, | 
| Und die Liebsten nahe wohnen, ermattend auf | 
| Getrenntesten Bergen, | 
| So gib unschuldig Wasser, | 
| O Fittiche gib uns, treuesten Sinns | 
| Hinüberzugehn und wiederzukehren. | 
| 2 So sprach ich, da entführte | 
| Mich schneller, denn ich vermutet, | 
| Und weit, wohin ich nimmer | 
| Zu kommen gedacht, ein Genius mich | 
| Vom eigenen Haus. Es dämmerten | 
| Im Zwielicht, da ich ging, | 
| Der schattige Wald | 
| Und die sehnsüchtigen Bäche | 
| Der Heimat; nimmer kannt' ich die Länder; | 
| Doch bald, in frischem Glanze, | 
| Geheimnisvoll | 
| Im goldenen Rauche blühte, | 
| Schnellaufgewachsen, | 
| Mit Schritten der Sonne, | 
| Mit tausend Gipfeln duftend | 
| Mir Asia auf, und geblendet sucht' | 
| Ich eines, das ich kennete, denn ungewohnt | 
| War ich der breiten Gassen, wo herab | 
| Vom Tmolus fährt | 
| Der goldgeschmückte Paktol | 
| Und Taurus stehet und Messogis, | 
| Und voll von Blumen der Garten, | 
| Ein stilles Feuer. Aber im Lichte | 
| Blüht hoch der silberne Schnee; | 
| Und, Zeug' unsterblichen Lebens, | 
| An unzugangbaren Wänden | 
| Uralt der Efeu wächst, und getragen sind | 
| Von lebenden Säulen, Zedern und Lorbeern | 
| Die feierlichen, | 
| Die göttlichgebauten Paläste. | 
| 3 Es rauschen aber um Asias Tore | 
| Hinziehend da und dort | 
| In ungewisser Meeresebene | 
| Der schattenlosen Straßen genug, | 
| Doch kennt die Inseln der Schiffer. | 
| Und da ich hörte | 
| Der nahegelegenen eine | 
| Sei Patmos, | 
| Verlangte mich sehr | 
| Dort einzukehren und dort | 
| Der dunkeln Grotte zu nahn. | 
| Denn nicht, wie Cypros, | 
| Die quellenreiche, oder | 
| Der anderen eine, | 
| Wohnt herrlich Patmos. | 
| 4 Gastfreundlich aber ist | 
| Im ärmeren Hause | 
| Sie dennoch, | 
| Und wenn vom Schiffbruch oder klagend | 
| Um die Heimat oder | 
| Den abgeschiedenen Freund, | 
| Ihr nahet einer | 
| Der Fremden, hört sie es gern; und ihre Kinder | 
| Die Stimmen des heißen Hains, | 
| Und wo der Sand fällt und sich spaltet | 
| Des Feldes Fläche, die Laute, | 
| Sie hören ihn, und liebend tönt | 
| Es wider von den Klagen des Manns. So pflegte | 
| Sie einst des gottgeliebten, | 
| Des Sehers, der in seliger Jugend war | 
| 5 gegangen mit | 
| Dem Sohne des Höchsten, unzertrennlich, denn | 
| Es liebte der Gewittertragende die Einfalt | 
| Des Jüngers und es sahe der achtsame Mann | 
| Das Angesicht des Gottes genau, | 
| Da, beim Geheimnisse des Weinstocks, sie | 
| Zusammensaßen, zu der Stunde des Gastmahls | 
| Und in der großen Seele, ruhigahnend, den Tod | 
| Ansprach der Herr, und die letzte Liebe, denn nie genug | 
| Hatt' er von Güte zu sagen | 
| Der Worte, damals, und zu erheitern, da | 
| Er's sahe, das Zürnen der Welt. | 
| Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre | 
| Zu sagen davon. Und es sahn ihn, wie er siegend blickte, | 
| Den Freudigsten, die Freunde noch zuletzt. | 
| 6 Doch furchtbar ist, wie da und dort | 
| Unendlich hin zerstreut das Lebende Gott. | 
| Denn schon das Angesicht | 
| Der teuern Freunde zu lassen | 
| Und fernhin über die Berge zu gehn | 
| Allein, wo zweifach | 
| Erkannt, einstimmig | 
| War himmlischer Geist; und nicht geweissagt war es, sondern | 
| Die Locken ergriff es, gegenwärtig, | 
| Wenn ihnen plötzlich | 
| Ferneilend zurückblickte | 
| Der Gott und schwörend | 
| Damit er halte, wie an Seilen golden | 
| Gebunden hinfort, | 
| Das Böse nennend, sie die Hände sich reichten - | 
| 7 Wenn aber stirbt alsdenn, | 
| An dem am meisten | 
| Die Schönheit hing, daß an der Gestalt | 
| Ein Wunder war und die Himmlischen gedeutet | 
| Auf ihn, und wenn, ein Rätsel ewig füreinander | 
| Sie sich nicht fassen können | 
| Einander, die zusammenlebten | 
| Im Gedächtnis, und nicht den Sand nur oder | 
| Die Weiden es hinwegnimmt und die Tempel | 
| Ergreift, wenn die Ehre | 
| Des Halbgotts und der Seinen | 
| Verweht und selber sein Angesicht | 
| Der Höchste wendet, | 
| Darob, daß nirgend ein | 
| Unsterbliches am Himmel zu sehn ist oder | 
| Auf grüner Erde, was ist dies? | 
| 8 So ist der Wurf des Säemanns, wenn er faßt | 
| Mit der Schaufel den Weizen, | 
| Und wirft, dem Klaren zu, ihn schwingend über die Tenne. | 
| Ihm fällt die Schale vor den Füßen, aber | 
| Ans Ende kommt das Korn. | 
| Und nicht ein Übel ist's, wenn einiges | 
| Verloren gehet und von der Rede | 
| Verhallet der lebendige Laut: | 
| Denn göttliches Werk auch gleicht dem unsern. | 
| Nicht alles will der Höchste zumal. | 
| Zwar Eisen träget der Schacht, | 
| Und glühende Harze der Ätna, | 
| So hätt' ich Reichtum, | 
| Ein Bild zu bilden und ähnlich | 
| Zu schaun, wie er gewesen, den Christ, | 
| 9 Wenn aber einer spornte sich selbst, | 
| Und traurig redend, unterweges, da ich wehrlos wäre, | 
| Mich überfiele, daß ich staunt' und vor dem Gotte | 
| Das Bild nachahmen möcht' ein Knecht - | 
| Im Zorne sichtbar sah ich einmal | 
| Des Himmels Herrn, nicht, daß ich sein sollt' etwas, sondern | 
| Zu lernen. Gütig sind sie, ihr Verhaßtestes aber ist, | 
| Solange sie herrschen, das Falsche, und es gilt | 
| Dann Menschliches unter Menschen nicht mehr. | 
| Denn sie nicht walten, es waltet aber | 
| Unsterblicher Schicksal und es wandelt ihr Werk | 
| Von selbst und eilend geht es zu Ende. | 
| Wenn nämlich höher gehet himmlischer | 
| Triumphgang, wird genennet, der Sonne gleich, | 
| Von Starken der frohlockende Sohn des Höchsten, | 
| 10 Ein Losungszeichen und hier ist der Stab | 
| Des Gesanges, niederwinkend, | 
| Denn nichts ist gemein. Die Toten wecket | 
| Er auf, die noch gefangen nicht | 
| Vom Rohen sind. Es warten aber | 
| Der scheuen Augen viele | 
| Zu schauen das Licht. Nicht gerne wollen | 
| Am scharfen Strahle sie blühn, | 
| Wiewohl den Mut der goldene Zaum hält. | 
| Wenn aber, als | 
| Von schwellenden Augenbrauen | 
| Der Welt vergessen | 
| Stilleuchtende Kraft aus heiliger Schrift fällt, mögen | 
| Der Gnade sich freuend, sie | 
| Am stillen Blicke sich üben. | 
| 11 Und wenn die Himmlischen jetzt | 
| So, wie ich glaube, mich lieben, | 
| Wie viel mehr dich, | 
| Denn eines weiß ich, | 
| Daß nämlich der Wille | 
| Des ewigen Vaters viel | 
| Dir gilt. Still ist sein Zeichen | 
| Am donnernden Himmel. Und einer steht darunter | 
| Sein Leben lang. Denn noch lebt Christus. | 
| Es sind aber die Helden, seine Söhne | 
| Gekommen all und heilige Schriften | 
| Von ihm, und den Blitz erklären | 
| Die Taten der Erde bis itzt, | 
| Ein Wettlauf unaufhaltsam. Er ist aber dabei. Denn seine Werke sind | 
| Ihm alle bewußt von jeher. | 
| 12 Zu lang, zu lang schon ist | 
| Die Ehre der Himmlischen unsichtbar. | 
| Denn fast die Finger müssen sie | 
| Uns führen und schmählich | 
| Entreißt das Herz uns eine Gewalt. | 
| Denn Opfer will der Himmlischen jedes, | 
| Wenn aber eines versäumt ward, | 
| Nie hat es Gutes gebracht. | 
| Wir haben gedienet der Mutter Erd' | 
| Und haben jüngst dem Sonnenlichte gedient, | 
| Unwissend, der Vater aber liebt, | 
| Der über allen waltet, | 
| Am meisten, daß gepfleget werde | 
| Der feste Buchstab', und Bestehendes gut | 
| Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang. | 
| Johann Christoph Friedrich Hölderlin | 
| aus «Hölderlins Werke»; S.146ff | 
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| revid.202211 | 
| https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWged00177.htm |