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Gedichtsammlung |
An den Äther |
Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter
und Menschen |
Keiner, o Vater Äther! mich auf; noch ehe die
Mutter |
In die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten, |
Faßtest du zärtlich mich an, und gossest
himmlischen Trank mir, |
Mir den heiligen Odem zuerst in den keimenden Busen. |
Nicht von irdischer Kost gedeihen einzig die Wesen,
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Aber du nährest sie all mit deinem Nektar, o Vater! |
Und es drängt sich und ringt aus deiner ewigen
Fülle |
Die beseelende Luft durch alle Röhren des Lebens. |
Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und streben |
Unaufhörlich hinauf nach dir in freudigem Wachstum. |
Himmlischer, sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze, |
Streckt nach dir die schüchternen Arme der niedrige
Strauch nicht? |
Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same
die Hülse; |
Daß er belebt von dir in deiner Welle sich bade, |
Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlästig
Gewand ab. |
Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend |
Über die glänzende Fläche des Stroms,
als begehrten auch diese |
Aus der Wiege zu dir; auch den edeln Tieren der Erde |
Wie zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen, |
Die geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht. |
Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener
Stahl strebt |
In die Höhe sein Hals, mit der Hufe berührt
es den Sand kaum. |
Wie zum Scherze berührt der Fuß der Hirsche
den Grashalm, |
Hüpft, wie ein Zephyr, über den Bach, der
reißend hinabschäumt, |
Hin und wieder und schweift, kaum sichtbar durch die
Gebüsche. |
Aber des Äthers Lieblinge, sie, die glücklichen
Vögel |
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle
des Vaters! |
Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem
bezeichnet, |
Und es regen sich frei im Hause die Großen und
Kleinen. |
Über dem Haupte frohlocken sie mir und es sehnt
sich auch mein Herz |
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat |
Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen |
Möcht' ich wandern und rufen von da dem eilenden
Adler, |
Daß er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen
Knaben, |
Aus der Gefangenschaft in des Äthers Halle mich
trage. |
Töricht treiben wir uns umher; wie die irrende
Rebe, |
Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel sie aufwächst, |
Breiten wir über dem Boden uns aus und suchen
und wandern |
Durch die Zonen der Erd', o Vater Äther! vergebens; |
Denn es treibt uns die Lust, in deinen Gärten
zu wohnen. |
In die Meeresflut werfen wir uns, in den freieren Ebnen |
Uns zu sättigen, und es umspielt die unendliche
Woge |
Unsern Kiel, es freut sich das Herz an den Kräften
des Meergotts. |
Dennoch genügt ihm nicht! denn der tiefere Ozean
reizt uns, |
Wo die leichtere Welle sich regt - o wer dort an jene |
Goldnen Küsten das wandernde Schiff zu treiben
vermöchte! |
Aber indes ich hinauf in die dämmernde Ferne mich
sehne, |
Wo du fremde Gestad' umfängst mit der bläulichen
Woge, |
Kömmst du säuselnd herab von des Fruchtbaums
blühenden Wipfeln, |
Vater Äther! und sänftigst selbst das strebende
Herz mir, |
Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der
Erde. |
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Johann Christoph Friedrich Hölderlin |
aus «Hölderlins
Werke»; S.37f |
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revid.202211 |
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWged00175.htm |