|
zur Übersicht |
Gedichtsammlung |
Der Reiter und der Bodensee |
Der Reiter reitet durchs helle Tal, |
auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl. |
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee, |
er will noch heut an den Bodensee; |
Noch heut mit dem Pferd in den sichern Kahn, |
will drüben landen vor Nacht noch an. |
Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein, |
er braust auf rüstigem Roß feldein. |
Aus den Bergen heraus, ins ebene Land, |
da sieht er den Schnee sich dehnen, wie Sand. |
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt, |
der Weg wird eben, die Bahn wird glatt. |
In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus, |
die Bäume gingen, die Felsen aus; |
So flieget er hin eine Meil, und zwei, |
er hört in den Lüften der Schneegans Schrei; |
Es flattert das Wasserhuhn empor, |
nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr; |
Keinen Wandersmann sein Auge schaut, |
der ihm den rechten Pfad vertraut. |
Fort gehts, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee, |
wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See? |
Da bricht der Abend, der frühe, herein: |
von Lichtern blinket ein ferner Schein. |
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum, |
und Hügel schließen den weiten Raum. |
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn, |
dem Rosse gibt er den scharfen Sporn. |
Und Hunde bellen empor am Pferd, |
und es winkt im Dorf ihm der warme Herd. |
„Willkommen am Fenster, Mägdelein, |
an den See, an den See, wie weit mags seyn?” |
Die Maid sie staunet den Reiter an: |
„Der See liegt hinter dir und der Kahn. |
Und deckt ihn die Rinde von Eis nicht zu, |
ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.” |
Der Fremde schaudert, er atmet schwer: |
„Dort hinten die Ebne, die ritt ich her!” |
Da recket die Magd die Arm in die Höh: |
„Herr Gott! so rittest du über den See: |
In den Schlund, an die Tiefe bodenlos, |
hat gepocht des rasenden Hufes Stoß! |
Und unter dir zürnten die Wasser nicht? |
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht? |
Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut? |
der hungrigen Hecht in der kalten Fluth?” |
Sie rufet das Dorf herbei zu der Mähr, |
es stellen die Knaben sich um ihn her; |
Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich: |
„Glückseliger Mann, ja, segne du dich! |
Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch, |
brich mit uns das Brot und iß vom Fisch!” |
Der Reiter erstarret auf seinem Pferd, |
er hat nur das erste Wort gehört. |
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar, |
dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr. |
Es siehet sein Blick nur den gräßlichen
Schlund, |
sein Geist versinkt in den schwarzen Grund. |
Im Ohr ihm donnerts, wie krachend Eis, |
wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß. |
Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab, |
da ward ihm am Ufer ein trocken Grab. |
|
Gustav Schwab |
nach oben oder zur Übersicht |
revid.202209 |
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWged00172.htm |