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| Gedichtsammlung |
| Wenn die Börsenkurse fallen |
| Wenn die Börsenkurse fallen, |
| regt sich Kummer fast bei allen, |
| aber manche blühen auf; |
| ihr Rezept heißt Leerverkauf. |
| Keck verhökern diese Knaben |
| Dinge, die sie gar nicht haben; |
| treten selbst den Absturz los, |
| den sie brauchen - echt famos! |
| Leichter noch bei solchen Taten |
| tun sie sich bei Derivaten: |
| wenn Papier den Wert frisiert, |
| wird die Wirkung potenziert. |
| Wenn in Folge Banken krachen, |
| haben Sparer nichts zu lachen; |
| und die Hypothek aufs Haus |
| heißt: Bewohner müssen raus. |
| Trifft's hingegen große Banken, |
| kommt die ganze Welt ins Wanken - |
| auch die Spekulantenbrut |
| zittert jetzt um Hab und Gut! |
| Soll man das System gefährden? |
| Da muß eingeschritten werden: |
| der Gewinn, der bleibt privat, |
| die Verluste kauft der Staat. |
| Dazu braucht der Staat Kredite, |
| und das bringt erneut Profite, |
| hat man doch in jedem Land |
| die Regierung in der Hand. |
| Für die Zechen dieser Frechen |
| hat der „Kleine Mann” zu blechen, |
| und - das ist das Feinste ja - |
| nicht nur in Amerika! |
| Und wenn Kurse wieder steigen, |
| fängt von vorne an der Reigen - |
| ist halt Umverteilung pur |
| stets in einer Richtung nur. |
| Aber sollten sich die Massen |
| das mal nimmer bieten lassen, |
| ist der Ausweg längst bedacht: |
| dann wird ein bißchen Krieg gemacht. |
| Kurt Tucholsky |
| in »Die Weltbühne« 1930 |
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| revid.201301 |
| https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWged00066.htm |