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Gedichtsammlung |
Ringparabel |
NATHAN. |
Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, |
Der einen Ring von unschätzbarem Werth' |
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein |
Opal, der hundert schöne Farben spielte, |
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott |
Und Menschen angenehm zu machen, wer |
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, |
Daß ihn der Mann in Osten darum nie |
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf, |
Auf ewig ihn bey seinem Hause zu |
Erhalten? Nehmlich so. Er ließ den Ring |
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten; |
Und setzte fest, daß dieser wiederum |
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, |
Der ihm der liebste sey; und stets der Liebste |
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein |
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.
- |
Versteh mich, Sultan. |
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SALADIN. |
Ich versteh' dich. Weiter! |
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NATHAN. |
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, |
Auf einen Vater endlich von drey Söhnen; |
Die alle drey ihm gleich gehorsam waren, |
Die alle drey er folglich gleich zu lieben |
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit |
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald |
Der dritte, - so wie jeder sich mit ihm |
Allein befand, und sein ergiessend Herz |
Die andern zwey nicht theilten, - würdiger |
Des Ringes; den er denn auch einem jeden |
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. |
Das ging nun so, so lang es ging. - Allein |
Es kam zum Sterben, und der gute Vater |
Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwey |
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort |
Verlassen, so zu kränken. - Was zu thun? - |
Er sendet in geheim zu einem Künstler, |
Bey dem er, nach dem Muster seines Ringes, |
Zwey andere bestellt, und weder Kosten |
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, |
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt |
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, |
Kann selbst der Vater seinen Musterring |
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft |
Er seine Söhne, jeden ins besondre; |
Giebt jedem ins besondre seinen Seegen, - |
Und seinen Ring, - und stirbt. - Du hörst doch,
Sultan? |
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SALADIN. (der sich betroffen von
ihm gewandt) |
Ich hör, ich höre! - Komm mit deinem Mährchen |
Nur bald zu Ende. - Wirds? |
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NATHAN. |
Ich bin zu Ende. |
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. - |
Kaum war der Vater todt, so kömmt ein jeder |
Mit seinem Ring', und jeder will der Fürst |
Des Hauses seyn. Man untersucht, man zankt, |
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht |
Erweislich; - |
(nach einer Pause, in welcher er
des Sultans Antwort erwartet) |
Fast so unerweislich, als |
Uns itzt - der rechte Glaube. |
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SALADIN. |
Wie? das soll |
Die Antwort seyn auf meine Frage?.. |
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NATHAN. |
Soll |
Mich blos entschuldigen, wenn ich die Ringe |
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die |
Der Vater in der Absicht machen ließ, |
Damit sie nicht zu unterscheiden wären. |
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SALADIN. |
Die Ringe! - Spiele nicht mit mir! - Ich dächte, |
Daß die Religionen, die ich dir |
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. |
Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank! |
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NATHAN. |
Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. - |
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? |
Geschrieben oder überliefert! - Und |
Geschichte muß doch wohl allein auf Treu |
Und Glauben angenommen werden? - Nicht? - |
Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn |
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? |
Doch deren Blut wir sind? doch deren, die |
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe |
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo |
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? - |
Wie kann ich meinen Vätern weniger, |
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. - |
Kann ich von dir verlangen, daß du deine |
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht |
Zu widersprechen? Oder umgekehrt. |
Das nehmliche gilt von den Christen. Nicht? - |
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SALADIN. |
(Bey dem Lebendigen! Der Mann hat Recht. |
Ich muß verstummen.) |
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NATHAN. |
Laß uns auf unsre Ring' |
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne |
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, |
Unmittelbar aus seines Vaters Hand |
Den Ring zu haben. - Wie auch wahr! - Nachdem |
Er von ihm lange das Versprechen schon |
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu |
Geniessen. - Wie nicht minder wahr! - Der Vater, |
Betheu'rte jeder, könne gegen ihn |
Nicht falsch gewesen seyn; und eh' er dieses |
Von ihm, von einem solchen lieben Vater, |
Argwohnen laß': eh' müß' er seine
Brüder, |
So gern er sonst von ihnen nur das Beste |
Bereit zu glauben sey, des falschen Spiels |
Bezeihen; und er wolle die Verräther |
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen. |
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SALADIN. |
Und nun, der Richter? - Mich verlangt zu hören, |
Was du den Richter sagen lässest. Sprich! |
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NATHAN. |
Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater |
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch |
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Räthsel |
Zu lösen da bin? Oder harret ihr, |
Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne?
- |
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring |
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; |
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß |
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden |
Doch das nicht können! - Nun; wen lieben zwey |
Von euch am meisten? - Macht, sagt an! Ihr schweigt? |
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht |
Nach aussen? Jeder liebt sich selber nur |
Am meisten? - O so seyd ihre alle drey |
Betrogene Betrieger! Eure Ringe |
Sind alle drey nicht echt. Der echte Ring |
Vermuthlich ging verloren. Den Verlust |
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater |
Die drey für einen machen. |
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SALADIN. |
Herrlich! herrlich! |
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NATHAN. |
Und also; fuhr der Richter fort, wenn ihr |
Nicht meinen Rath, statt meines Spruches, wollt: |
Geht nur! - Mein Rath ist aber der: ihr nehmt |
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von |
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: |
So glaube jeder sicher seinen Ring |
Den echten. - Möglich; daß der Vater nun |
Die Tyranney des Einen Rings nicht länger |
In seinem Hause dulden wollen! - Und gewiß; |
Daß er euch alle drey geliebt, und gleich |
Geliebt: indem er zwey nicht drücken mögen, |
Um einen zu begünstigen. - Wohlan! |
Es eifre jeder seiner unbestochnen |
Von Vorurtheilen freyen Liebe nach! |
Es strebe von euch jeder um die Wette, |
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag |
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmuth, |
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, |
Mit innigster Ergebenheit in Gott, |
Zu Hülf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte |
Bey euern Kindes-Kindeskindern äussern: |
So lad' ich über tausend tausend Jahre, |
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird |
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen, |
Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der |
Bescheidne Richter. |
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SALADIN. |
Gott! Gott! |
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NATHAN. |
Saladin, |
Wenn du dich fühlest, dieser weisere |
Versprochne Mann zu seyn: ... |
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SALADIN. (der auf ihn zustürzt,
und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren läßt) |
Ich Staub? Ich Nichts? |
O Gott! |
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NATHAN. |
Was ist dir, Sultan? |
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SALADIN. |
Nathan, lieber Nathan! - |
Die tausend tausend Jahre deines Richters |
Sind noch nicht um. - Sein Richterstuhl ist nicht |
Der meine. - Geh! - Geh! - Aber sey mein Freund. |
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Gotthold Ephraim Lessing |
aus «Nathan
der Weise»; S.135-141 |
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revid.201212 |
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWged00064.htm |