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Gedichtsammlung |
Poesie |
Frägst du mich im Rätselspiele, |
Wer die zarte lichte Fei, |
Die sich drei Kleinodien gleiche |
Und ein Strahl doch selber sei? |
Ob ich's rate? ob ich's fehle? |
Liebchen, pfiffig war ich nie, |
Doch in meiner tiefsten Seele |
Hallt es: das ist Poesie! |
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Jener Strahl, der, Licht und Flamme, |
Keiner Farbe zugetan, |
Und doch, über alles gleitend, |
Tausend Farben zündet an, |
Jedes Recht und keines Eigen. - |
Die Kleinode nenn' ich dir: |
Den Türkis, den Amethysten |
Und der Perle edle Zier. |
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Poesie gleicht dem Türkise, |
Dessen frommes Auge bricht, |
Wenn verborgner Säure Brodem |
Nahte seinem reinen Licht; |
Dessen Ursprung keiner kündet, |
Der wie Himmelsgabe kam |
Und des Himmels milde Bläue |
Sich zum milden Zeichen nahm. |
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Und sie gleicht dem Amethysten, |
Der sein veilchenblau Gewand |
Läßt zu schnödem Grau erblassen |
An des Ungetreuen Hand; |
Der, gemeinen Götzen frönend, |
Sinkt zu niedren Steines Art, |
Und nur Einer Flamme dienend |
Seinen edlen Glanz bewahrt; |
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Gleicht der Perle auch, der zarten, |
Am Gesunden tauig klar, |
Aber saugend, was da Krankes |
In geheimsten Adern war; |
Sahst du niemals ihren Schimmer |
Grünlich wie ein modernd Tuch? |
Eine Perle bleibt es immer, |
Aber die ein Siecher trug. |
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Und du lächelst meiner Lösung, |
Flüsterst wie ein Widerhall: |
Poesie gleicht dem Pokale |
Aus venedischem Kristall! |
Gift hinein - und schwirrend singt er |
Schwanenliedes Melodie, |
Dann in tausend Trümmer klirrend, |
Und hin ist die Poesie! |
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Annette v.Droste-Hülshoff |
aus «Werke
II»; S.150f |
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revid.201308 |
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWged00052.htm |