Die
zum IMPRESSUM
bietet hier eine poetische Studienhilfe an:
Eamsyne und Earasyn
VI
Vom Reisen
351} _ Wovon soll ich anfangen? Von meiner Kindheit, von meinen Studien oder von meiner langen Reise?
352} ¯ Fang' doch hier und jetzt an, hic et nunc, und geh' zurück, möchtest du? Dann kann ich dir besser folgen.
353} _ Also gut. Am besten beginn'ich mit einem Spruch, den ich auf dem Rückflug gefunden habe:
Nicht im Gewinnen,
im Verlust des Gewinns (158) ruht
beim Wandern der Sinn.
354} ¯ Wie warm du das sagst! Deine Laute lassen das Leben tanzen, die Seele schwingen. Nur der Inhalt ist dunkel. Verstehst du ihn?
355} _ Dunkel ja, doch mir ist seine Wahrheit immer wieder vor Augen geführt worden. Denn noch jedesmal, wenn ich etwas ausschliesslich für mich gewinnen wollte, ist es schiefgegangen! Meist war ich hinterher sogar froh. Mein Sack war ohnehin recht spärlich gepackt, aber immer wieder ist Unnötiges drin gewesen, von dem ich zunächst gemeint hatte, ich würd's brauchen. Das hab'ich dann verschenkt. Sogar Geld beschwert beim Reisen, obwohl man öfter mal welches benötigt. Tatsächlich hab'ich auch ganz wenig mitgebracht.
356} ¯ Das glaub'ich dir! Was hast du eigentlich mitgebracht?
357} _ Viele bunte Erfahrungen, Eamsyne oder? Und zwei hübsche Steine, die ich geschenkt bekommen habe. Sie liegen auf dem Küchentisch.
358} ¯ Habe ich bemerkt, Earasyn, kein oder. Sie sind seltsam fremd und doch so vertraut - haben wohl deine Fahrt begleitet. Womöglich haben sie dich vor finsteren Winkeln geschützt, die's an jedem Weg gibt. Nichteinmal die vertraute Strasse nach Hause ist frei von schwarzen Fangnetzen. Ich bin froh, dass du die Kristalle nicht verloren hast! Aber jetzt sag', von wo bist du heute hergeflogen?
Von Wegen und Umwegen
359} _ Von Dschiddah, dem Hafen am Roten Meer, über dieses hinweg, den Nil entlang zum Delta hoch und übers Mittelmeer. In den vergangenen zwei Tagen bin ich nämlich in der heiligen Meteorsteinstadt gewesen, bin durch ihren Basar gelaufen und vorm Tor der Grossen Moschee gestanden. Eine knappe Million Menschen lebt dort zwischen den kahlen Bergen. Und in einem stillen Gartenteich zieht eine schwarze Schwänin unter Entengeschnatter ihre Kreise.
360} ¯ Hej, wie das klingt! Ich seh's vor mir: eine ziselierte Mauer, zwei schlanke Minarette, drei gezackte Torbögen, auch den Garten mit der nasswelligen Fläche, die Wasservögel drauf, fast als wäre ich dabei gewesen. Mein Herz hört dir zu!
361} _ Hört mir zu, hm, bin ich nicht gewohnt. Bisher hab' meistens ich zugehört. Tja, ich war also in Mekkah. Das hat mir der Rabbi geraten, den ich auf der Busfahrt nach Delhi getroffen hatte. Das war vielleicht eine Holperei! Ich war todmüde, und er hat geredet wie ein Buch. War ja wirklich spannend, was er alles gesagt hat, nur eben, wenn einem ständig die Augen zufallen ... Eigentlich wollt'ich nach Jerusalem, aber der gute Rebbe meinte, ich solle erst die Stadt des letzten Propheten besuchen, weil ich dann die vorigen besser begreifen könne, wenn's denn der letzte gewesen wäre. Dabei glitzerten seine freundlichen Augen unter den buschigen Brauen.
362} ¯ Ich verstehe deinen Rabbi gut! Wie hat er geheissen?
363} _ Suesskuch, Reb Suesskuch. Ein eigentümlicher Mensch, kennt weissnichtwen. Reist da in Nordindien herum, um seinen Freund zu besuchen, einen Lama aus Tibet! Der hat mich übrigens durch die Gassen geführt, elf schwindelerregende Gassen von Tor zu Tor, fuuh, eine Erfahrung für sich! Deswegen war ich ja derart müde. Ich hab' ihn am Flussufer getroffen, oder besser er mich. Zwar war ich vorher schon in der Stadt gewesen, wo mir die Frau begegnet war mit dem braunen Gesicht im tiefblauen Schleier. Sie hat mir die beiden Steine geschenkt, die später den Rabbi in höchstes Erstaunen versetzt haben. Das Ganze erscheint mir heute, so beim Erzählen, als durchgängige Geschichte, obschon ich sie als getrennte Episoden erlebt habe.
364} ¯ Es ist nicht immer leicht, den Zusammenhang zu erkennen, oft nichteinmal hinterher. Das weiss ich ganz gut. Vor Jahren zum Beispiel, als Vater gestorben war, glaubte ich, es gäbe keine Geschichte mehr für mich. Dann ging ich studieren und beschäftigte mich mit Geschichten von andren Leuten. Gestern, nachdem ich den Abschiedsbrief von Mutter gelesen hatte, ist mir klargeworden, dass sich mein Leben - wie soll ich sagen - auf eine andre Ebene verlagert hat. Alles Bisherige war notwendig, um den nächsten Schritt machen zu können, verstehst du das?
365} _ Ja, so ist das wohl. Auch ich habe manchen Umweg gebraucht. Imgrunde hätt'ich seit dem Olivenbaum (161) wissen können, wo's langgeht.
366} ¯ Olivenbaum?
367} _ Das war in Thessalien. Am Rand des staubigen Weges nach Larissa (159) steht ein richtig knorriger Ölbaum. Als ich eines Abends vorbeikam, sass eine Alte unter ihm in schwarz oder blau schimmerndem Gewand. Ohne was zu sagen, lud sie mich ein, neben ihr Platz zu nehmen. Bis in die Morgenstunden bin ich dort gesessen und habe geträumt, nein, nicht geträumt, vielmehr gesehen, Eamsyne, über die Mondsichel in den Nordhimmel geschaut, dann hab'ich Vater und Tochter singen gehört, bis sie verhallten. Als ich bei Tagesanbruch aufgeblickt habe, war die Alte verschwunden, sodass ich sie nicht nach meinem Weg fragen konnte.
368} ¯ Und jetzt bist du hier, Earasyn!
369} _ Jetzt bin ich hier. Doch damals hat das offenbar nicht gereicht. Ich bin an die Ganga gezogen worden, wo Unheilige wie ich baden, suchen und unterrichtet werden. Auf dem Rückweg musste mir noch der Rebbe ein Loch in den Bauch reden und mich schliesslich in die Zauberstadt am Rand der Wüste schicken, werweisswozu.
370} ¯ Weil du sonst vor lauter Enten die Trauerschwänin nicht bemerkt hättest! Aber bist du ersteinmal angekommen, spielen die gemachten Umwege keine Rolle mehr für dich; für mich auch nicht. - Hast du mir noch etwas zu trinken? Und wenn du schon aufstehst, könntest du nicht das Juwelenpaar herüberbringen?
Von mildem Licht und Schlagschatten
371} _ Was für ein Tag! Früh morgens noch am Roten Meer und abends servier'ich einer Unbekannten süssen Ribiselsaft (160). Bitte, wohl bekomm's! Und hier sind die Funkelsteine; jetzt blitzen sie grad nicht. Sie haben mich wirklich durch Himmel und Hölle begleitet, und bisher hat nur der Rabbi sie gesehen.
372} ¯ Danke dir! Die „Unbekannte” will ich überhört haben. Das sind also deine Helfer aus der Stadt der berühmten Rede (86)! Jetzt glänzen die Zwillinge wie der volle Mond überm Boddhibaum,(161) in ihrem milden Schein wird die Seele ganz ruhig. Ja, was zählt noch an Leiden, wenn man sie betrachtet, an Verletzung, Krankheit, Tod? Ach, gestern Abend hätte ich die wahrhaftig gut brauchen können!
373} _ Just gestern Abend?
374} ¯ Wie sollst du das wissen! Es fällt mir schwer, davon zu sprechen ... nur, irgendwann wirst du's gewiss erfahren. Sag', was glaubst du, warum ich überhaupt an dieser Wohnungstür geläutet habe? Wunderbar, dich angetroffen zu haben - du in dieser Wohnung, das hätte ich mir nicht träumen lassen! Dennoch habe ich mich nicht deinetwegen herbemüht, und wenn, wäre ich weissgott ohne den Herrn Z. gekommen.
375} _ Ist jener graublaue Herr dein „Rebbe”? Meiner hat schwarze Sachen an. Aber worauf spielst du an, was ist denn passiert?
376} ¯ Weisst du, ich komm' oft spät abends von den Sprachkundlern heim. Und gestern bin ich vor meinem Haustor abgepasst und überfallen worden. Der Kerl wollte kein Geld, ha, der wollte mich! Gestunken hat der, puh! Zuerst wollte der glatt mit auf mein Zimmer, doch weil ich das Tor gar nicht erst aufgesperrt habe, hat er's einfach auf der Strasse probiert, auf der Strasse! Fast hätte er's geschafft, ich bin schon auf dem Pflaster gelegen unter der grossen Eiche,(161) stell' dir das vor! Gewürgt wurde ich, mein Hemd war aufgerissen, seine eklige Hand suchte den Hosenverschluss! Sieht so das Ende aus, kehre ich derart elend zu den Sternen? Da ist mir eingeschossen, einfach reglos liegenzubleiben. Prompt hat der Held meinen Hals losgelassen und ist wie von der Tarantel gestochen hochgefahren. Ich habe mich weiter totgestellt, worauf der nur noch davongelaufen ist. Glaube mir, beim Aufstehen habe ich jeden Knochen einzeln gespürt!
377} _ Umgotteswillen, du Liebe, das ist entsetzlich! Das darf doch nicht wahr sein! Du zitterst. Gib mir deine Hände! Wer hat das getan?
378} ¯ Ist das jetzt noch wichtig, Lieber? Du bist dem Flüchtigen ja am Vormittag begegnet, hast du gesagt, auf einer Treppenplattform.
379} _ Erwin? Das fass'ich nicht! Erwin! Der ist doch so ein unscheinbarer Hochschulheini. Wie konnte der bloss?
380} ¯ Pass auf, du wirst den roten Saft verschütten, dann kleben Tisch und Teppich! Wie der konnte? Meingott, jedes Licht wirft den Schatten, der ihm eigen ist, sogar das milde, erst recht das unscheinbare. Als ich dann ins Haus trat, wund und leer, fand ich Mutters Brief vor. Ist doch klar! Klar wie der Nachthimmel danach. - Verzeih mir mein Weinen, es ist, weil sich endlich alles löst. Erzähle du inzwischen weiter.
Von Müttern und Vätern
381} _ Die Tränen lassen deine Schönheit leuchten. Wein' ruhig und halt' meine Hände! Ich will dir noch etwas von früher berichten. Mein Zimmer liegt ja nicht in dieser Stadt, sonst hätt'ich jenen hilflosen Sauaffen nicht um die Wohnung gebeten. Das tat ich nur, um bequemer anzukommen. Ich habe einen Raum mit Dusche in einem einstöckigen Haus gemietet, das in einer langen Gasse am Rand der Metropole steht, von wo ich in einer Viertelstunde zu Fuss im Grünen bin. Dort wohn'ich, seit ich die Klosterschule verlassen habe. Meine Mutter hatte mich nämlich ins Eccehomo gesteckt, wo ich erzogen worden bin. An zwei Patres erinner'ich mich besonders warm, an Pater Viktor und Pater Simon.(42) Sie haben mir den Weg gewiesen, indem sie mir Gerechtigkeit nahe- und Beten beigebracht haben. Das hat mir oft geholfen, denn danach bin ich auf viele verschiedene Menschen gestossen, und beileibe nicht immer auf einen Rabbiner oder Lama.
382} ¯ Sind der Rabbi und der Lama auf ihre Weise nicht auch Patres?
383} _ Väter, ja. Die Inder würden sie vielleicht Pitris nennen oder Gurus.(162) Jedenfalls ist es ein Segen, wenn sie einen ansprechen. Auf der andren Seite sind es die Mütter, von den unfassbaren (163) bis zu den irdischen, die uns weiterbringen. Ihnen verdank'ich die Bilderfolgen, die mich bis an den Gartenteich geführt haben und letztlich zu dir.
384} ¯ Mütter, Väter, ohne sie geht es nicht. Sie sind wie Waagrechte und Senkrechte, ohne die kein Kreuz gebildet werden kann. Was sind das für Wesen, wer gibt sich dafür her?
385} _ Solche wohl, die sich der Kinder annehmen, weil sie mit ihnen verbunden sind, sei's nur durchs Blut, oder aber übers Lebendige, oder im Innersten der Seele. Sie geben ihren Schutzbefohlenen, was sie vermögen, auch wenn's manchmal wenig scheint, gelegentlich gar lästig. Wo das nicht geschieht, red'ich nicht von Mutter oder Vater; denn Zeugen und Gebären allein bedeuten nicht eben viel.
386} ¯ Wie du das sagst! Beim Zeugen stimme ich dir gerne zu. Aber's Gebären verlangt doch ein bisschen mehr Beteiligung, meinst du nicht? Von den gepriesenen neun Monaten ganz zu schweigen. Derlei freudige Betätigungen berufen zwar zu Vater- und Mutterschaft, doch denke ich auch, dass weit mehr dazugehört. Vor allem ist mir wichtig, das Kind in dem Licht zu sehen, das mich den werdenden Menschen stets neu bejahen lässt, warmes Leuchten, welches mit ihm gedeiht und sich verwandeln kann, Abglanz des von Anfang an strahlenden Lichtes, das jedem Stern entströmt.
387} _ Eamsyne, kluge Frau, beschreibst du nicht die Liebe? Deine Augen strömen sie aus! Wir blühen auf, wenn sie zu uns spricht. Das Bejahen, das du betonst, hat's nicht mit Sprechen und Zuhören zu tun? Mit Zeugen und Gebären auf hoher Ebene?
388} ¯ Nun stimmen wir restlos überein, mein wach gereister, müder, liebenswerter Earasyn.
Von Eindrücken und Wirklichkeit
389} _ Müde war ich, jetzt bin ich's nicht mehr. War erschöpft von den vielen Eindrücken, teils heftigen, teils tiefen. Sie sind jetzt einem einzigen gewichen. Da sitzt du in deinem dunklen Kostüm mit dem Tuch, das mich an einen Sonnenuntergang überm Meer erinnert! In der Dämmerung sieht's so aus, als ob dir Sterne im Haar leuchten würden. Deine Stirne, wie Mondstein schimmert sie. Darunter glühn zwei, sagen wir, Achate. Deine Nase weist in elegantem Elfenbeinbogen zum geschwungenen Mund, der mich an indischen Karneol erinnert. Dein Hals könnte vielleicht aus Opal sein wie deine ...(164) Warum stehst du auf?
390} ¯ Ich möchte ans Fenster, um hinauszuschauen. Das Abendlicht über den Dächern muss bezaubernd sein.
391} _ Bezaubernd, vorausgesetzt du stehst am Fenster! Stört's dich, wenn ich deine Gestalt noch weiter beschreibe? Vom aquamarinen Rechteck hebt sie sich nämlich ab, eine Formkomposition in Schwarz. Man könnte es lichtlose Vielfalt nennen, die nur als Einheit zu begreifen ist,(165) Einheit aus zusammenwirkender Bewegung.(166) Eine Skulptur aus Porphyr könnte kaum gelungener sein! Haben nicht die alten Ägypter ihre Götterfiguren daraus geschnitten?
392} ¯ Du liebst Steine, edle wie gewöhnliche wie magmatische. Doch was sehen deine Augen eigentlich, und was denkst du dir dazu?(167) Was ist wirklich?
393} _ Wirklich ist die aufblühende Liebe! Mit ihr schau'ich das Dunkel licht, erfahr'ich alle Wunder deiner Schönheit.
394} ¯ Das tönt wie Harfenrollen vor feinem Zimbelklang. Aus tiefen Schluchten gleitet dieses Rollen über helle Hänge zu blitzenden Gipfeln, löst sich aus der Schwere, kehrt den Raum um. Als ob König und Königin dem hohen Lied des Chormeisters lauschten! Töne weben Farbenbilder, säumen unsren Weg, erinnern an die Himmelslichter. Ich kenne sie so gut! Und samten wie ein Cello trägt deine Stimme die Laute durchs Dämmern.
395} _ Hallo, was hören deine Ohren eigentlich, und was denkst du dir dazu?
396} ¯ Oh, ein Echo! Darf ich dir aus dem Stegreif etwas vorsingen? Höre:
Only hearts of stone will freeze
In a gentle evening breeze.
If my heart were clotted tin,
Warmly amber chamber warming would drop in -
Is that, my Lord, what with a sneeze
They call a sin,
An unchained sin?(168)
397} _ Eine Sünde? Was denn? Deine Wirklichkeit ist ein Gesang, jetzt versteh'ich, meine Freundin, nardengleiche, wie einst gesungen wurde!(169) Dein reizendes Lächeln spricht es aus.
398} ¯ Spricht es aus, mein über die Berge gesprungener Freund, über die Hügel gehüpfter!(170) Wundert's dich? Von klein auf habe ich gesungen, mit Vater und allein, in verschiedenen Sprachen und Tonlagen. Abends hat Mutter oft Spinett dazu gespielt. In Liedern habe ich die Welt am besten begriffen, ihre Widersprüche aufgelöst.
399} _ Aus Widersprüchen glänzt Wahrheit ...
400} ¯ Woher hast du denn diesen Satz?
401} _ Der stammt vom Lama Löntschen,(91) nur kann ich mich nicht entsinnen, wann er mir den mitgeteilt hat. Das muss in einer der Gassen gewesen sein.
402} ¯ In einer der Gassen? Du hast so gut wie nichts von diesen Gassen erzählt.
403} _ Ist auch schwierig, davon zu erzählen. Es gibt Wirklichkeiten, auf die unsre Worte schlecht passen. Da hilft auch kein Lied. In jenen Gassen kann man richtig erleben, wie einem die Sprache versagt. Wir Menschen schweigen dort besser!
Vom Lieben
404} ¯ Du, mir brennt trotzdem eine Frage: Hast du dort etwas über uns beide erfahren?
405} _ Über dich und mich? Ich habe etwas über die Liebe erfahren.
406} ¯ Erzähl doch!
407} _ Das war in der fünften Gasse, glaub'ich, oder sechsten, jedenfalls in der heissen.(171) Die Liebe wird nämlich in loderndem Feuer besungen. Wenn dir das flammende Licht nicht die Sinne raubt, vernimmst du den unfassbaren Chor aller Wesen, Eamsyne.
408} ¯ Das flammende Licht, Earasyn? Hört sich nach Sonne an.
409} _ Oder wenigstens nach sonnennaher Umlaufbahn.(172) So hab'ich's auch erlebt.
410} ¯ „Das Liebende wirkt nicht an sich und bringt Leben, ja allein ist es kraftlos und dunkel; denn erst wenn sich Regung bewegt zum Geliebten, dann erglimmt Ihnen Glut, und im Rückspiel erhebt sich die Liebe.”(173)
411} _ Was murmelst du für Worte?
412} ¯ Das ist aus einer Dichtung, die ich auswendig gelernt habe. Darin heisst es weiter: „Der Liebe entströmt das Entwickeln und Werden, sie ist Mittlerin, Urkraft der Weisheit; der vielfachen Wut, der man Hass ruft, entgegen, trotz bedrängender Anstürme übt sie beständiges Walten.”(174)
413} _ „Übt sie beständiges Walten.” Grossartig wie, wie ... Janus!(175) Und das hast du auswendig gelernt?
414} ¯ Vater hat's mir in vielen Schritten beigebracht. Jeden habe ich hernach im Wald auszutanzen versucht. Weisst du, als ich klein war, habe ich oft getanzt, so für mich allein. Das hat mir geholfen, die Welt zu begreifen.
415} _ Phantastisch! Die Welt im Tanzen zu begreifen, ist mir wirklich noch nie eingefallen.
416} ¯ Der Erde schon! Sie tut nichts andres. Ich hab mir damals gedacht, dass es auf meiner Kieslichtung besser geht als zuhause, weil dort nur die Tiere zugeschaut haben, die Bäume und eben die Kieselsteine. Die haben mein Tun und Lassen nicht kommentiert, schon gar nicht kritisiert.(176) Im Morgentau vorm späten Sonnenaufgang ging's immer am besten, danach war's mir zu, wie soll ich sagen, ausgeleuchtet.
417} _ Die Sonne ist längst untergegangen. Keine Ausleuchtung mehr, meine wunderschöne Tänzerin.
418} ¯ Komm zu mir ans Fenster, lieber Mensch du! Niemand kann uns sehen. Komm, bevor irgendein kleiner Stern uns auslacht!
419} _ Der lacht uns höchstens an! Gern komm'ich! Wie wurde mir im stickigen Bus prophezeit? Ob Sie sie kennen oder nicht, Sie lieben sie schon - hat der Rebbe gesagt.
420} ¯ Und? Hat er's getroffen?
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