Herta Jansa
Vom Wissen und von den letzten Dingen
aus einem Brief an Oskar Edlbacher um 1970
Habe ich auf meinem Weg durch die Universitäten die letzten Dinge erforscht?
Die erforscht wohl niemand. Aber der Weg war nicht umsonst, wenn man nur eines gelernt hat: Wissen kann nicht zu den letzten Dingen führen. Diese gehören in den Bereich des Glaubens; und in dem Bereich des Glaubens, wie in jedem Bereich der personalen Beziehung, ist Wissen nur ein unzureichendes Werkzeug der Erkenntnis.
Wissen führt letztlich zur Kenntnis der eigenen Unwissenheit: zum Ausblick auf die unendliche Landschaft des Seins, die wir mit unseren schwachen Mitteln doch niemals fassen können; dieser Ausblick ist das Schönste, was uns die Wissenschaft schenken kann, und die Mathematik schöner als jede andere.
Niemals aber führt Wissen in den Bereich der letzten Dinge, die jenseits unserer Welt und jenseits des Todes liegen. Ihre Unendlichkeit ist eine andere als die der Forschung, und die Mittel der Erkenntnis sind hier andere. - Wie in der menschlichen Ich-Du-Begegnung kommt auch die Stimme aus dem Jenseits plötzlich und unmittelbar, als Intuition, Erlebnis, spontane Erkenntnis, die uns das andere Wesen ahnen und vielleicht erschauen läßt. Wir können sie mit unserer Vernunft weder erklären noch weiterreichen. Sei es die Stimme des geliebten Toten, sei es die Stimme Gottes, sei es die Antwort auf den Ruf der Verzweiflung, auf die Frage nach dem Sinn, oder die Kraft, die uns wieder zuströmt, wenn wir uns willen- und wehrlos haben kreuzigen lassen. Immer ist es auch hier Begegnung von Person zu Person und gehorcht ihren Gesetzen, die nicht jene des Wissens sind, nicht jene der Logik. Und auch Kinder sind dieser Begegnung mit der Transzendenz fähig, wenn sie den ersten geliebten Menschen verlieren, in einer Unmittelbarkeit, Stärke und Selbstverständlichkeit, die ich früher nicht für möglich gehalten hätte.
Vor dieser Begegnung bleibt uns nur: sie aufzunehmen und zu bejahen, das heißt: zu glauben, oder sie abzuweisen und zu verleugnen, weil unser Verstand, einer anderen Kategorie angehörend, sie nicht bestätigen kann. Hier hat der Mensch die Freiheit zur Entscheidung, und diese folgt seinem Willen.
Und vielleicht hören wir die Stimme nur dann, wenn wir den Einsamkeiten und Nächten des Lebens nicht ausweichen, nicht davonlaufen, sondern sie aushalten in Stille, auch wenn es weh tut.
Und wie jeder Mensch sich nur im Spiegelbild des anderen selbst findet, wie er sich dem einen anders offenbart als dem anderen, je nach dem Klang der Saite, die man bei ihm anschlägt, so kann ich mir auch vorstellen, daß Gott verschiedene Gesichter hat, wenn er sich verschiedenen Menschen, Rassen oder Völkern offenbart.
Was ist also geblieben von allem Studieren: das Wissen um die Notwendigkeit einer scharfen Trennung von Wissenschaft und Transzendenz. Am schönsten haben diese Grenzziehung Max Planck und Karl Jaspers formuliert.
Alle Versuche des Übergangs von Einem zum Anderen, alle philosophischen Gottesbeweise, sind von Übel. Die Grenzziehung haben die meisten Naturwissenschaftler sauberer getroffen als die meisten Philosophen. ... dafür ist der Weg über die Mathematik gut.
https://jan.diemorgengab.at/heja01.htm