Alfred Jansa
G e l e i t w o r t
Im Zusammenhang mit dem Thema „Krieg und Frieden” wurde in der Historischen Arbeitsgemeinschaft der Wiener Katholischen Akademie auch das folgende Thema diskutiert. Die Grundlage des Gespräches bildete das Referat des Herrn Feldmarschalleutnant i. R. Alfred J a n s a, des ehemaligen Generalstabschefs des österreichischen Bundesheeres, der den militärischen Standpunkt auseinandersetzte. Die Aktualität des Themas liegt auf der Hand. Wir sind dem Herrn Referenten zu Dank verpflichtet, daß er unserer Einladung Folge leistete, um uns mit seiner Auffassung bekanntzumachen, die er aus einem intensiven Studium der Materie und aus einem an praktischen Erfahrungen reichem Leben gewonnen hat.
P. Hugo H a n t s c h O. S. B.
ÜBER DIE EINHEIT DER HANDLUNG IN DER POLITIK
Referat, gehalten in der Historischen Arbeitsgemeinschaft der Wiener
Katholischen Akademie am 16. November und 21. Dezember 1955
Von Feldmarschalleutnant i. R. Alfred Jansa, Wien
V o r b e m e r k u n g
Die Anregung zu diesem Referat gab eine Unterredung des Autors mit Herrn Professor Hantsch, in welcher der Verfasser seine besondere Hochschätzung dafür hervorhob, daß Professor Hantsch in seiner „Geschichte Österreichs” der Tragik, die in der ewigen Diskordanz von Außen-, Innen- und Wehrpolitik liege, nicht ausgewichen war, sondern diesen leidvollen Zwiespalt einsichtsvoll erörtert habe. Leider befaßten sich die Historiker nur ausnahmsweise, wie Delbrück, Friedjung und in neuester Zeit Regele und Jedlicka, mit diesen Zusammenhängen. Auf Grund dieses Gespräches lud Professor Hantsch den Verfasser ein, über diesen Problemkreis einmal in der Historischen Arbeitsgemeinschaft der Wiener Katholischen Akademie zu sprechen.
I. T e i l
Als Leitlinie für alle meine Ausführungen bitte ich, die wohlbekannte Geschichte vom Rutenbündel anzusehen, das der Vater seinen Söhnen als unzerbrechlich vorführt, solange es eine verbundene Einheit bildet; jede Rute einzeln hingegen kann leicht zerbrochen und fortgeworfen werden.
Die Politik ist ein solches Rutenbündel, das als Welt- und Staatsklugheit die Wissenschaft von den Staatszwecken und den besten Mitteln zu deren Verwirklichung umfaßt. Innerhalb der vielen Zweige der Politik läßt mich die Historik an Grundsätzlichem unzweifelhaft erkennen:
1. daß der Kern jeder staatlichen oder nationalen Größe in der Wehrhaftigkeit des Volkes liegt ¹);
2. daß der Wehrstand eines Volkes oder Staatsverbandes nie größer sein kann als der Nährstand;
3. daß es die Aufgabe der alle politischen Zweige umschlingenden Finanzwirtschaft ist, die größte Prosperität und so auch die größte Wehrhaftigkeit zu ermöglichen und
4. daß die Außenpolitik in ihren Zielen das Maß zu halten hat, das ihr die Wehrhaftigkeit des Volkes vorschreibt, wobei ich hier den Begriff Wehrhaftigkeit im weitesten Sinne aller seiner Verzweigungen meine.
Es wird zum besseren Verständnis meiner folgenden Ausführungen vielleicht gut sein, gleich jetzt zu sagen, daß die Kriegsminister seit dem Auftreten der Volksheere am Ende des 18. Jahrhunderts nicht in dem gleichen Maße wie ihre anderen Ministerkollegen die volle und alleinige Verantwortung für ihr Ressort tragen. In den Chefs der Generalstäbe, denen als verantwortlichen geistigen Richtungsweisern die Gesamtplanung, Vorbereitung und Durchführung der Landesverteidigung obliegt, haben die Kriegsminister Organe erhalten, deren Bedeutung die Stellung der Kriegsminister überragt. Wenn besonders der Leiter der Außenpolitik Orientierung über die Wehrhaftigkeit sucht, so findet er diese erschöpfend nur beim Chef des Generalstabes.
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¹) Friedjung, Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, Band I, Seite 38.
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Feldmarschall Conrad erschien es „unerläßlich, daß Regent, Außenminister und Chef des Generalstabes in dauerndem Einvernehmen miteinander arbeiten, derart, daß jeder von ihnen stets Kenntnis aller einschlägigen Arbeiten der anderen habe” ²).
Ist auf solche Art das Grundsätzliche festgelegt, so möchte ich nun untersuchen, wie weit der Ablauf des historischen Geschehens diesen Erfordernissen gerechtgeworden ist.
Am 1. Oktober 1933 bekam das deutsche Heer in General Ludwig Beck einen geistigen Richtungsweiser, den die alte Reichswehr als ihren besten strategischen Kopf wertete. Er ähnelte sogar in seiner äußeren Erscheinung dem älteren Grafen Moltke. Er verlangte vom deutschen Generalstabe logisch-systematisches Denken, sorgfältige Erarbeitung aller politischen und militärischen Lagebeurteilungen, entschiedenes Handeln, aber Vermeidung aller Coups d'œil, wie sie gerade Hitler liebte ³).
General Beck betrachtete sich, trotz der beginnenden Dreiteilung der Wehrmacht, als Chef des Generalstabes des Landheeres verantwortlich für das Ganze. Seiner Auffassung nach konnte für die deutsche Kontinentalmacht immer nur das Landheer die Entscheidung bringen. Er verlangte darum seine Beiziehung zu den Beratungen des Reichskabinettes; aber ganz vergebens. Als Hitler am 5. Mai 1937 erstmalig seine außenpolitischen Ziele in der im sogenannten Hoßbach-Protokoll niedergelegten Form entwickelte, waren hierzu wohl der Reichswehr- und der Reichsaußenminister, die Befehlshaber der Wehrmachtsteile, nicht aber der Chef des Generalstabes des Heeres beigezogen, was um so bedeutungsvoller gewesen wäre, als es damals auch den späteren Wehrmachtgeneralstab unter General Jodl noch nicht gab.
Beck erfährt die Pläne Hitlers sowohl von General Fritsch, wie von Oberst Hoßbach und hört auch, daß Blomberg, Neurath und Fritsch sofort Einspruch erhoben hatten. Das genügte Beck nicht; er vollendet seine Denkschrift, in der er klar zum Ausdruck bringt, daß jedes präventive Vorgehen nicht nur in einen europäischen, sondern in einen Weltkrieg münden würde. Da aber jeder Mehrfrontenkrieg Deutschlands Kräfte bei weitem übersteige, ermahnt er die Politik zu größter Vorsicht und Vermeidung jeder auswärtigen Verwicklung.
Nach der Blomberg-Fritsch-Krise ist General Beck bemüht, eine Fronde der kommandierenden Generale gegen Hitlers aggressive Politik zustande zu bringen; es gelingt nicht, weil der neue Oberbefehlshaber des Heeres, General Brauchitsch, sich einem solchen Schritt entzieht. Beck - Deutschlands bester militärischer Mann - wird überhaupt nicht gehört.
General Hoßbach stellt in seinem Buche „Zwischen Wehrmacht und Hitler” ⁴) ausdrücklich fest, daß der deutsche Generalstab an dem Entschluß zum Einmarsch in Österreich nicht beteiligt gewesen sei, und sagt, daß diese Aktion die Unvollkommenheit des deutschen Machtinstrumentes in bedenklicher Weise gezeigt habe. Die großen Reibungen und Verwirrungen im unvorbereiteten Aufgebote gegen Österreich werden auch durch Burkhart-Mueller-Hillebrandt bestätigt ⁵).
General Beck hat gegen Hitlers Vorbereitungen zur militärischen Niederzwingung der Tschechoslowakei das schärfste mögliche Mittel der Ablehnung, seine Demission, eingesetzt, die angenommen wurde, aber nicht verlautbart werden durfte.
An die Spitze des Generalstabes in Österreich tritt Mitte 1935 ein Mann, der in jahrelanger Beobachtung die Überzeugung gewonnen hatte, daß es mit Hitler ein Kompromiß über die Aufrechterhaltung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs nie geben werde. Ein solches politisches Ziel bedeute Kampf, für den Österreich mit ganzer Kraft rüsten müsse. Der österreichische Bundeskanzler bejaht dies und die Rüstung schreitet durch Aufbietung aller Energien so vorwärts, daß Ende 1937 ein achtungsgebietendes Aufgebot von über 100.000 Männern mit 400 Geschützen, 300 Panzerabwehrkanonen und 70 Jagdfliegern nach Aufruf in kurzer Zeit abwehrbereit an und vorwärts der Traun versammelt werden kann. Bis zur Übernahme des Außenamtes durch Dr. Guido Schmidt ist der Akkord zwischen Außenpolitik und dem Chef des Generalstabes harmonisch gleichgerichtet. Nach diesem Zeitpunkte, der mit dem Abkommen vom 11. Juli 1936 zusammenfällt, geht die Außenpolitik neue Wege, ohne es der Mühe wert zu finden, den Chef des
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²) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band I.
³) Görlitz, Deutscher Generalstab.
⁴) Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, Seite 147.
⁵) Burkhart-Mueller-Hillebrand, Das Heer bis zum Kriegsbeginn.
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Generalstabes auch nur andeutungsweise zu informieren. Die Nacht- und Nebelreise nach Berchtesgaden erfolgt mit größter Geheimhaltung, und die dort zugesagte Ausscheidung des Chefs des Generalstabes ist - wie wir jetzt, nach dem Erscheinen der Druckwerke über den Nürnberger Prozeß wissen - nur mehr der letzte Akt einer schon viel früher begonnenen Entschärfung des eigenen Heeres durch Antrag und Zustimmung gegenseitigen Offiziersaustausches und Ausscheidung des Chefs des Generalstabes.
Man muß sich da wirklich fragen, ob die politisch leitenden Männer trotz ihrer Maturität nicht zu erkennen vermochten, daß nach dem Potsdamer Bekenntnis Hitlers zu Friedrich II., dem perfidesten Vertragsbrecher der Geschichte, eine gerade Linie von diesem über Bismarck zur Vernichtung Österreichs führen mußte, deren aus Minderwertigkeitskomplexen gewordener Haß schließlich sogar den Namen Österreich auszulöschen versuchte.
Die Folgen dieser politisch-militärischen Diskordanz, hüben wie drüben, stehen in ihrer grauenvollen Furchtbarkeit noch so lebhaft vor uns, daß sie keiner besonderen Erläuterung bedürfen.
Es stellt sich nur die Frage, ob diese Diskordanz eine einmalige Erscheinung ohne Vorläufer war.
In Österreich sehen wir unter dem Bundeskanzler Dollfuß, dem zweiten politischen Manne, der die Kraft der österreichischen Idee erkannte, eine scharfe Zusammenfassung von Innen-, Wehr- und Außenpolitik; er entkleidet das Bundesheer seiner artfremden politischen Koalitionsfreiheit, weitet mit Zustimmung des Genfer Völkerbundes das Söldnersystem durch kurz dienende Mannschaften aus, gibt dem Heer die traditionelle österreichische Uniform, stellt mit dem Fürsten Schönburg-Hartenstein einen alten, durch seine Tapferkeit legendär gewordenen Generalobersten an seine Spitze und erhöht seit 15 Jahren erstmalig das Heeresbudget. Er sucht finanzielle Hilfe in Genf und außenpolitisch Anlehnung bei Italien, als einzigem Interessenten und Freunde eines „unabhängigen” Österreich. Das Heer rettet durch sein Eingreifen gegen die Erhebung des Republikanischen Schutzbundes die Existenz des Staates. Und als Nationalsozialisten diesen Wiedererwecker des österreichischen Gedankens ermorden, zeigt die von Dollfuß geschaffene Einheit der politischen Handlung eine solche Kraft, daß der Nationalsozialismus in jähem Erschrecken seine Mordhandlung und Vergewaltigungsabsicht verleugnet. Unter dem Schutze des prompten Aufmarsches italienischer Divisionen an der Brennergrenze ringt das österreichische Bundesheer den nationalsozialistischen bewaffneten Aufstand nieder und rettet so innerhalb eines Jahres zum zweitenmal die Existenz des Staates.
Aber auch früher, unter dem Bundeskanzler Seipel, zeigt sich die Kraft einheitlicher politischer Handlung auf dem Außen-, Innen- und Wehrgebiete durch die Erringung der Völkerbundhilfe zur finanziellen Rettung Österreichs und durch den Einsatz des Bundesheeres im Oktober 1928 in Wiener Neustadt zur Durchsetzung der Staatsautorität.
Wie war das vor dem ersten Weltkriege?
Mit der Würde eines deutschen Kaisers war 1871 auch die Bürde der Verteidigung Mitteleuropas auf das preußische Königshaus übergegangen. Hätte dieses die fünfhundert Jahre Habsburgischen Wirkens in ihrer Größe erfaßt, so wäre ihm die Erkenntnis gekommen, daß hierzu ein Bündnis mit den Seemächten oder mindestens mit Rußland unumgänglich nötig war. Es wurde aber der Zweibund Deutschland-Österreich-Ungarn geschaffen, der im wesentlichen nicht stärker war als die Mitte unter Habsburgischer Führung, woran auch der unnatürliche Hinzutritt Italiens und die Annäherung Rumäniens nichts zu ändern vermochte. Da man sich Frankreich zum unversöhnlichen Feind gemacht hatte, glaubte man, auch auf England keine Rücksicht nehmen zu müssen. Und doch hätte jeder Kenner der englischen Geschichte wissen müssen, daß dieses Land als Feind nicht eher rasten würde, bis es die halbe Welt zum Schlage gegen seinen Widersacher aufgehetzt und zusammengebracht haben werde ⁶). Während Aehrenthal die gefahrvolle Lage nicht erkennen will, schreibt Feldmarschall Conrad am 18. Juli 1908 seherisch an diesen: „Ich kann mich nämlich des Eindrucks nicht erwehren, daß England” (in einem Waffengange mit Deutschland) „alles aufbieten wird, für diesen Fall die Monarchie lahmzulegen und daß es dies durch Verwicklungen am Balkan, dann
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⁶) GdI. Krauß, Die Ursachen unserer Niederlage.
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durch Engagierung Rußlands sowie besonders auch Italiens anstreben wird, ganz abgesehen von der Einsetzung Frankreichs und Dänemarks gegen Deutschland ⁷).”
Diese Diskordanz von Politik und Wehrvermögen schuf für die Chefs der Generalstäbe jenes unlösbare Problem, das diesen die Gedanken von Präventivmaßnahmen nahe brachte und so die Legende von den kriegslüsternen Generalen gebar.
Wir wissen, daß der ältere Moltke schon 1867 den Präventivkrieg gegen Frankreich ebenso erwog wie sein späterer Gehilfe und Nachfolger, Graf Waldersee. Wir wissen, daß Graf von Schlieffen in den 14 Jahren seiner Tätigkeit als Chef des Generalstabes von dem Gedanken an den Zweifrontenkrieg zermartert wurde. Die Ungewißheit über die Richtigkeit seines in die Geschichte eingegangenen Planes, wonach zum Angriff auf Frankreich der aus 35 Korps massierte rechte Flügel durch Belgien vordringen sollte, zerquälte den Grafen Schlieffen bis zum Tode ⁸).
Auf der Gegenseite sehen wir seit dem Regierungsantritt König Eduard VII. in England die Klarheit des Gedankens, daß der Krieg ein Mittel der Politik ist. Deswegen wird die Schlagfähigkeit der Heere planmäßig gesteigert; es werden Bündnisse geschlossen und eine Zersetzungspolitik gegen den Feind eingeleitet, die zusammen die Gewähr geben sollen, daß das Maximum eigener Kraft den höchsterreichbaren Schwächezustand des Feindes treffe.
Schon 1900 schreibt der belgische Chef des Generalstabes, General Ducarne, in einem Memoire, daß die Feindschaft gegen Deutschland der Hauptgrund für Englands Bemühungen um die Schaffung einer besseren und stärkeren Landarmee sei. Wir wissen aus dem Berichte des belgischen Gesandten in Berlin vom Juni 1906, daß man dort das Angebot König Eduards von 100.000 Mann an Delcassé wohl kennt und nicht vergessen kann. Wir wissen aus gleicher Quelle, wie Belgien damit rechnete, daß seine Neutralität angesichts der beiderseits zum Einsatz kommenden Heeresmassen nicht beachtet werden wird. Wir wissen schließlich, daß Belgien 1909 die allgemeine Wehrpflicht zur Stärkung seines Heeres einführte und sein Befestigungssystem gegen Deuitschland ausbaute ⁹).
Frankreich hatte seine Annäherung an Rußland frühzeitig angebahnt und nach der deutschen Kündigung des sogenannten Rückversicherungsvertrages das Bündnis mit Petersburg geschlossen. Daran reiht sich mit achtungswürdiger Konsequenz der Ausbau des französischen Befestigungssystems Deutschland gegenüber und die Gewährung sehr großer Kredite an Rußland zum forcierten Ausbau seines Eisenbahnnetzes zwecks Beschleunigung des russischen Westaufmarsches. Und im August 1913 steigert Frankreich seine eigene Kriegsbereitschaft durch die Wiedereinführung des dritten militärischen Dienstjahres zu der höchstmöglichen Grenze ¹°).
Rußland rüstet nach der Niederlage gegen Japan, von der panslawistischen Gewalt getrieben, mit zielklarer Entschlossenheit sein Heer mit den besten Waffen aus, schult es durch Probemobilisierungen in der Raschheit der Versammlung und nützt die großen französischen Kredite nicht nur zum Ausbau seiner nach Westen führenden Eisenbahnen, sondern auch zur Modernisierung seiner Befstigungen.
Rußland und Frankreich gemeinsam rüsten nach der Annexionskrise Serbien zu einer erstrangigen Militärmacht mit aggressiver politischen Zielgebung auf ¹¹), während Frankreich und England nach eigenem kolonialem Interessensausgleich sich bemühen, Italien durch Ermutigung seiner afrikanischen Ambitionen immer mehr vom Dreibund zu entfremden, so daß dieses - von zwei Seiten gedeckt - sein Tripolisunternehmen ebenso risikolos durchführen, wie seine aggressive Irrendenta gegen Österreich-Ungarn immer unverhüllter steigern kann.
Schließt man in diese erbarmungslose Zielstrebigkeit das ganze englische Empire und schließlich die amerikanische Union ein, so muß man gestehen, daß die Einheit der Handlung in der Politik auf Seite der Entente von bewundernswerter, weltweiter Vollkommenheit war, die in antiker Form die physische Vernichtung der Gegner zum Ziele nahm ¹²).
Wenn trotzdem mehr als vier Jahre nötig wurden, um die europäische Mitte mit ihren schwachen türkischen und bulgarischen Annexen niederzuringen, so zeigt dies mehr von deren wunderbarer militärischer Organisations- und Führungskunst, als von der außenpolitischen und innenpolitischen Befähigung, welche ganz beson-
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⁷) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band I, Seite 96.
⁸) Görlitz, Deutscher Generalstab
⁹) Schwertfeger, Der geistige Kampf um die Verletzung der belgischen Neutralität, Seiten 46, 47, 55.
¹°) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band III, Seite 225.
¹¹) Gruić, serbischer Gesandter in London, vom 8. September 1911 an Min. Pasić.
¹²) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band I, Seite 223.
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ders Österreichs Heer, aber auch Deutschlands Heer, in sträflichem Rüstungsrückstand hielt und trotzdem die kostbarsten Volkskräfte in einem aussichtslosen Weltkriege verbluten ließ.
Das Verhalten Österreich-Ungarns in dieser dramatischen Epoche ist wohl durch die auszugsweise, aber wörtliche Zitierung seines großen, seherischen Weisen, des Feldmarschalls Conrad, am besten zu charakterisieren. Der Marschall sagt: „Mein ganzes Wirken als Chef des Generalstabes war durchzogen von Konflikten, die sich daraus ergaben, daß meine grundsätzlichen Ansichten über die Politik und ihre Führung im Widerspruche standen mit jenen der entscheidenden Persönlichkeiten ¹³).” Und an anderer Stelle: „Immer wieder hob ich hervor, daß wir einem gleichzeitigen Kriege gegen Rußland, Serbien, Montenegro und Italien nicht gewachsen seien, da Deutschland durch Frankreich und Rußland ganz gebunden sein würde. Auf jeden Fall aber sei die rasche Behebung der vielen militärischen Rückständigkeiten, wie an Artillerie, technischer Ausstattung, Munition und Befestigung sowie ein hohes Rekrutenkontingent unbedingt notwendig.”
„Die große Differenz zwischen Aehrenthal und mir gipfelte darin, daß ich die Monarchie auf dem Wege zu vitalen schweren Komplikationen begriffen sah, für deren Überwindung sich die Verhältnisse von Jahr zu Jahr verschlechtern mußten, so, daß nur rechtzeitiges vorbeugendes Handeln Rettung erhoffen ließ. Aehrenthal neigte weder diesem Handeln zu, noch trat er mit der nötigen Entschiedenheit für die Entwicklung der Wehrmacht ein. Dazu kam sein Festhalten an der Dreibundpolitik im Gegensatz zu meinem tiefen Mißtrauen gegenüber Italien.”
Und wieder an anderer Stelle:
„In diplomatischen Kreisen bestand vielfach die Ansicht, daß die äußere Politik eine unantastbare Geheimkunst darstelle, darin die Diplomatie niemandem Einblick gewähre und die Armee nur ein Requisit sei, das man erst hervorhole, wenn ein Kriegsfall eintrete, ohne zu bedenken, daß die Mittel und Kräfte fehlen, um jederzeit allen Zwischenfällen gewachsen zu sein. Es gehören Jahre dazu, um alle Vorbereitungen für einen bestimmten Kriegsfall zu treffen.”
Und ist es schließlich nicht erschütternd, wenn der Marschall schreibt?:
„Mir blieben die offiziellen Texte sämtlicher Dreibundverträge bis zu deren 1919 erfolgten Veröffentlichung fremd.”
Nach fünfjähriger Tätigkeit wird Conrad am 29. November 1911 entlassen.
Aehrenthal stirbt zwei Monate später, am 12. Februar 1912, und schon im Dezember des gleichen Jahres wird General Conrad wieder zum Chef des Generalstabes für die gesamte bewaffnete Macht berufen. Er folgt dieser Berufung ebenso ungern, wie er sich das erstemal geweigert hatte, so eine zerfahrene Lage zu übernehmen. Er sagt nach seiner Wiederbestellung: „Nachdem die für initiatives Handeln geeigneten Momente ungenützt geblieben waren, treibt die Monarchie einer Lage entgegen, in der ihr Schicksal nur mehr der Wille ihrer Feinde entscheiden wird.”
Es dürfte jetzt am Platze sein, sich etwas mit dem Begriff und Worte „Präventivkrieg” auseinanderzusetzen. Dieses Wort bietet einerseits einer an der Oberfläche haftenden Journalistik den Stoff zu den bösartigen, von der wahren Verantwortung ablenkenden Märchen über die kriegstreiberischen Generale, wird aber auch in Kreisen gebildeter Laien oft nicht verstanden. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß es nicht in meiner Absicht liegt, besonders jetzt, da Regeles glänzendes Buch über Marschall Conrad erschienen ist, die von Feldmarschall Conrad dreimal beantragten Vorbeugungskriege gegen Italien und Serbien zu verteidigen, obwohl die früheren Zeitpunkte militärisch ganz wesentlich günstiger gewesen wären. Es ist mir dies bei meinem Thema über die Einheit der Handlung in der Poltik fern gelegen. Mein Bemühen, zu dem ich auch die Herren Historiker anregen will, liegt in der Suche nach den Gründen und Ursachen für die so häufige und immer von schwerwiegensten Folgen begleitete Diskordanz der politischen Handlungen an sich. Denn daß der Krieg nicht etwas Fremdes, in sich geschlossen Selbständiges und Unabhängiges, sondern nur ein Mittel im Kampfe um die Existenz ist, beweist die Historik durch das tatsächliche Geschehen seit Urzeiten.
Die Präventivmaßnahme an sich ist sicher nichts Übles:
der Fechter kennt sie als „Stoß ins Tempo”,
der Mediziner sagt, daß Vorbeugen besser als Heilen sei,
der kluge Finanz- und Handelsmann legt vorbeugend Geldmittel bereit
und der Volksmund spricht vom Sparen im Überfluß für die Zeiten der Not.
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¹³) ebda., Band I und II.
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Bei meiner Kenntnis der Geschichte will mir scheinen, daß der Gedanke vom Präventivkrieg nur lebendig wird, wenn die Außenpolitik - schuldhaft oder durch unbeherrschbare stärkere Verhältnisse - in eine mehr oder weniger ausweglose Lage geraten ist. Das Präventiv ist dann die Überlegung und öfter auch die Tathandlung, um der befürchteten Erdrosselung zuvorzukommen. Wir finden solche Präventivaktionen - wenn ich bloß auf die Geschichte der letzten 200 Jahre greife - bei Männern, deren Genie den Regenten, Staatsmann und Feldherrn in einer Person vereinigt ebenso, wie einmal bei den Leitern der Außenpolitik und dann wieder bei den durch die Dienstvorschriften für die Staatssicherheit verantwortlich gemachten Chefs der Generalstäbe. Ich denke hierbei an Friedrichs II. Einbruch in Böhmen als Beginn des siebenjährigen Krieges [1756]. Er schrieb später an den englischen Minister Pitt: „Ohne Zweifel wird jedermann, wenn er nur ein wenig vernünftig ist, seinen Feinden nicht Zeit lassen, ruhig alle Vorbereitungen zu treffen um ihn zu vernichten, und wird seinen Vorsprung benützen, um sich in den Vorteil zu setzen ¹⁴).” Ich denke an Napoleon I. Krieg von 1813 und an des älteren Moltkes Kriegsantrag 1867 gegen Frankreich. Auch Aehrenthals Annexion Bosniens und der Herzogowina ist eine Präventivmaßnahme gegen die möglichen Folgen der jungtürkischen Revolution gewesen, geboren aus dem vom Grafen Andrássy 1878 ungenützten Einverleibungsrecht. Graf Berchtold sagt im Ministerrat vom 7. Juli 1914, nachdem er der auf lange Sicht berechneten Politik Rußlands gedacht hatte, daß „durch eine rechtzeitige Abrechnung mit Serbien man den bereits im vollen Gange befindlichen Entwicklungsprozeß aufhalten müsse, was später zu tun nicht mehr möglich sein würde” ¹⁵).
Die Beurteilung vom Präventivmaßnahmen ist natürlich, gleich anderen Taten, von ihrem Erfolg oder Mißerfolg abhängig. Für uns ist hier jedenfalls interessant, was ein technisch so bedeutsamer Staatsmann wie Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen” dazu sagt: „Die Wünsche des Generalstabes nach einem Präventivkrieg” - schreibt er - „lägen begründet in dem notwendigen Geist dieser Institution, den ich nicht missen möchte. So ein Geist würde nur gefährlich unter einem Monarchen, dessen Politik das Augenmaß und die Fähigkeit des Widerstandes gegen einseitige und verfassungsmäßig unberechtigte Einflußnahmen fehlten”.
Professor Hantsch sagt in seiner Geschichte Österreichs ¹⁶), daß es stets schwer sei zu entscheiden, wo die Grenze liege, die einen Krieg unvermeidlich mache und zum Handeln dränge. Und an anderer Stelle sagt Professor Hantsch: „Wer den Krieg beginnt, setzt sich von vornherein ins Unrecht, zerstört jede Möglichkeit für Verhandlungen und lädt die Verantwortung auf seine Schultern.”
In diesen beiden Sätzen liegt nach meinem Dafürhalten des Wesens Kern. Ich möchte deshalb den Ausdruck „Präventivkrieg” als die Unfähigkeitserklärung der Außenpolitik definieren, den Ball der Kriegseröffnung dem Feinde zuzuspielen.
Und wenn wir nun wieder das Geschehen rückliegender Perioden weiter betrachten, so kommen wir zu den Kriegen von 1866 und 1870/71.
Ich glaube, angesichts der so zahlreichen Literatur und der durch den Historiker Friedjung auch in meinem Sinne aufgehellten Umstände, mich ganz kurz fassen zu können: Die österreichische Politik hatte es - ganz entgegen ihrem altbewährten Bündnissystem - zum zweitenmal fertig gebracht, den Staat in vollständiger Isolierung in einen Zweifrontenkrieg zu führen, ohne daß vorher die absolutistische Regierung oder später der Reichsrat das Nötige für die Wehrfähigkeit getan hätten. Professor Hantsch sagt hierzu in seiner Geschichte Österreichs, „daß der Reichsrat durch seine erregten Debatten Bismarck und aller Welt Einblick in den kritischen Zustand der österreichischen Finanzen schuf und statt durch eine positive Finanz- und Wirtschaftspolitik den Staatseinnahmen neue Quellen zu eröffnen, sich in lauter Kritik erging. Der Reichsrat wußte kein anderes Mittel zu finden, als die Ausgaben nach allen Richtungen hin zu beschneiden und insbesondere auch das Heeresbudget herabzusetzen, so daß es nahezu unmöglich war, dieses Instrument gebrauchsfähig zu erhalten”.
„Das beängstigende Bewußtsein der Unzulänglichkeit der Heeresorganisation” führte nach Friedjung zur vorzeitigen Mobilisierung gegen Italien. Es überging auch die Warnungen aus dem Hauptquartier der Nordarmee, das Zeit für die Versammlung und den Marsch nach Böhmen brauchte. Die Politik vermochte nicht
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¹⁴) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band I, Seite 169.
¹⁵) GdI. Krauß, Die Ursachen unserer Niederlage, Seite 46.
¹⁶) Hantsch, Geschichte Österreichs, Band II, Seiten 181 und 388.
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den Anschluß der süddeutschen Kontingente zu einheitlicher Operation mit der österreichischen Armee zu erzwingen.
Auf preußischer Seite ist die Einheit der politischen Handlung beispielgebend. Ich darf in Erinnerung bringen, daß Bismarck von seinem König 1862 nicht der Außenpolitik wegen berufen wurde, sondern um die von Moltke verlangte Heeresverstärkung im Landtag durchzubringen, was ihm auch gelang. Während in der Folge Roon und Moltke die höchste militärische Bereitschaft erarbeiteten, schuf Bismarck - allerdings unbekümmert um das Geschick Deutschlands in fernerer Zukunft - die momentan besten Bedingungen für den erfolgreichen Kampfeinsatz des preußischen Heeres.
Noch sinnfälliger aber ist die Einheit der Handlung in der Politik Italiens zu erkennen, deren Verankerung in Frankreich un d Preußen zum Gewinn Venetiens führte, obwohl das italienische Heer die Schlacht bei Custozza und die italienische Marine jene bei Lissa verloren hatten.
Die Uneinheitlichkeit der politischen Handlung Österreichs vermag die beiden Siege zu keiner Wendung der Lage zu nützen. Österreich verliert Land an Italien und die dem eigenen Heeresausbau versagten zwanzig Millionen Taler als Kriegsentschädigung an Preußen.
Die Jahre 1870 und 1871 zeigen Preußen - wenn man dessen unheilvolles Handeln für Deutschlands Zukunft beiseite zu schieben vermag und nur das Augenblickliche betrachtet - auf einem Höhepunkt einheitlicher politisch-militärischer Handlung, den es bis zu seinem Untergang nie wieder auch nur annähernd erreichte. Wie groß dabei Moltkes Vertrauen in Bismarcks politische Kunst war, illustriert seine Antwort auf des Kronprinzen Frage nach der Schlacht bei Sedan, ob Moltke die Schwierigkeiten der entstandenen politischen Lage kenne. „Nein”, antwortete Moltke gelassen, „ich habe mich nur um die militärischen Dinge zu kümmern ¹⁷).”
Zu dem vom Kabinett des Kaisers ausgelösten Krieg von 1859 möchte ich bloß sagen, daß nach Friedjung der schnelle Waffenstillstand von Villafranca geschlossen wurde, weil Österreich kein zweites Heer besaß, das - entsprechend dem früheren Angebot an Preußen - am Rhein hätte aufmarschieren können. Der vielgeschmähte Hofkriegsrat hatte es immer zuwege gebracht, ein Heer am Rhein, eines in Italien und oft noch ein drittes gegen die Osmanen aufzubringen ¹⁸). Der absolutistische Staat, der sein Weiterleben über die Sturmzeit von 1848 nur der Tat- und Schlagkraft seiner Generale und seiner Heere verdankte, hatte diese verkümmern lassen.
Dafür zeigt die außenpolitische Führung durch den Fürsten Metternich, der sich gern mit dem Chef des Generalquartiermeisterstabes, FML. Grafen Radetzky, besprach, zum Ausklang der Befreiungskriege einen wohltuenden Einklang in der Handlung: Metternich weiß die Besprechungen mit Kaiser Napoleon und Österreichs Eintritt in das Napoleon feindliche Bündnisgefüge solange hinauszuzögern, bis die Armee des Fürsten Schwarzenberg in Böhmen (die Radetzky anfangs „die reinste militärische Unschuld uniformierter Bauern” nennt) zu schlagkräftigem Einsatz bereit geworden ist. Die Schlacht bei Leipzig ist der sinnfällige Lohn für diese Einheit der Handlung in der Politik.
Für die weiter zurückliegenden historischen Ereignisse möchte ich einen dem Zeitgeschehen nahe gestandenen Mann sprechen lassen, dessen geniale, bis auf den heutigen Tag voll gültige Einstellung zu den Problemen von Politik und Generalstab vielleicht weniger bekannt ist als sein siegreiches Feldherrntum in Italien.
Als Kaiser Franz mit ungewohnter Hartnäckigkeit nach der Schlacht bei Wagram den Generalmajor Grafen Radetzky zum Generalquartiermeister der Armee bestellen wollte, lehnte dieser sowohl für den Krieg, wie besonders auch für den Frieden ab. Es bedurfte der bekannten Einwirkung des Kaisers auf den General, daß er seinem Charakter vertraue, daß Radetzky keine absichtlichen Dummheiten machen werde, und daß der Kaiser an gewöhnliche Dummheiten schon gewöhnt sei, um Radetzky zur Annahme des Amtes zu zwingen.
Die Hartnäckigkeit des Grafen Radetzky scheint den Kaiser aber so beeindruckt zu haben, daß dieser durch den Fürsten Johann Liechtenstein, den Nachfolger Erzherzogs Carl in der Führung der Armee, nach den Gründen sondieren ließ. Das Antwortschreiben des GM. Grafen Radetzky an den FM. Fürsten Liechtenstein vom Dezember 1809 besagt: „Ein Rückblick auf die Vergangenheit zeigt, daß alle Kriege Österreichs das gleiche, durch die rasche Aufeinanderfolge der Franzosenkrige nur
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¹⁷) Görlitz, Deutscher Generalstab
¹⁸) Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, Band I, Seiten 31 und 32.
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auffälliger in Erscheinung tretende Merkmal aufweisen: Zu Anfang des Krieges ein Mißverhältnis zwischen den aufgebotenen Mitteln und den Kriegszielen; die Armee entweder zahlenmäßig zu schwach oder ungenügend ausgerüstet; ihrem Heerführer fremd oder durch unmittelbar vor dem Krieg vorgenommene organisatorische Änderungen in sich ungefestigt. Nie wurde ein Krieg mit gleicher Kraft angefangen, weitergeführt und beendet. Nach jeder gewonnenen Schlacht fehlte die Kraft, um die Früchte des Sieges festzuhalten; nach jeder verlorenen Schlacht war es nötig im Rückzug oder im Waffenstillstand das Heil zu suchen. Jeder Friede ist durch die Zerstörung der Armee bedingt und doch im Angesicht eines während der Verhandlungen neu gebildeten Heeres abgeschlossen worden. Mit der gleichen Eile, mit der man am Anfang des Krieges das Heer erst zusammenraffen mußte, wurde am Ende desselben Alles entlassen, wessen das Heer beim nächsten Krieg wieder bedurfte.
Jeder Krieg hat alle Zweige der Staats- einschließlich der Militärverwaltung erschüttert, weil sie nur darnach geschaffen schienen, den Frieden zu genießen, nicht aber ihn zu erhalten. Der Feldherr kann nie des Erfolges sicher sein, wenn er nicht mit Gewißheit auf alle erforderlichen Mittel rechnen darf. Diese werden ihm aber mehr oder weniger immer fehlen, solange er nur als Werkzeug angesehen wird und nicht ein sehr geehrtes, mit vollstem Vertrauen ausgestattetes Mitglied der Staatsverwaltung ist. Wo diese Wahrheit nicht anerkannt werden will, da ist auch ein immerwährendes Sträuben der Friedensverwaltung gegen die Kriegsbedürfnisse unvermeidlich, die Sicherheit des Staates nicht begründet und durchaus von den äußeren Verhältnissen abhängig; alles ist auf glückliche Zufälle gestellt, entbehrt aber der inneren Kraft ¹⁹).”
Nach noch weiteren Ausführungen schließt die Schrift mit der nochmaligen Willensäußerung, daß Graf Radetzky „unter solchen Verhältnissen jede andere Anstellung jener eines Chefs vom Generalquartiermeisterstabe vorziehe”.
Der Kaiser beharrt wohl auf der Bestellung Radetzkys, ändert aber in der Folge nichts in dessen Sinn, sondern annulliert auch alle Verbesserungen seines kaiserlichen Bruders, des Erzherzogs Carl.
Einer rühmlichen Ausnahme muß ich der Vollständigkeit wegen aber doch noch gedenken. Das war in der glorreichen Regierungszeit der großen Kaiserin Maria Theresia. Da lag die hohe Führung, also die Festsetzung der großen tragenden Ideen für den Zweck und das Ziel des Krieges, der Hauptsache nach in den Händen des Staatskanzlers Grafen Kaunitz. Von dem Gedanken der Kaiserin geleitet, diese wunderbare Diplomatie, der die Bindung fast ganz Europas für ihre Ziele gelang, mit der Kriegsführung in engsten Kontakt zu bringen, erflossen die Reskripte an die im Felde stehenden Generale während der ganzen Dauer des siebenjährigen Krieges zunächst nicht vom Hofkriegsrat, sondern aus der Staatskanzlei, welche Graf Kaunitz leitete. Dieser war dabei groß genug, um seinen Weisungen eine solche Form zu geben, daß sie die Generale in ihren Entschließungen nicht einengten. Ja oft erschien Kaunitz selbst zu Beratungen auf dem Kriegsschauplatz, wie zum Beispiel an dem Tag von Kolin, und besprach sich mit dem Feldmarschall Grafen Daun, der gleich Kaunitz das grenzenlose Vertrauen seiner Kaiserin genoß ²°).
Und wenn wir jetzt einen Zeitzug von fast genau 200 Jahren in unsere Gegenwart zurückmachen, so finden wir, daß eine tragische Folge und Summierung von Fehlern den Hintergrund für die Rückschläge und Niederlagen der amerikanischen Streitkräfte in Korea bildet ²¹). Diese Fehler sind in erster Linie politischer und erst in zweiter Linie militärischer Natur. Eine abgrundtiefe Uneinigkeit der politischen und militärischen Führer der USA über die im fernen Westen einzuschlagende Richtung gab der geschichtlichen Entwicklung der vorangegangenen Jahre das Gepräge. Diese Unklarheit und Unsicherheit über das Ziel der amerikanischen Kraftentfaltung mußte sich bis zum letzten Soldaten auswirken. Die während des Krieges gegebenen Garantien für ein unabhängiges Korea wurden durch das Abkommen von Yalta wesentlich gefährdet, wo die Sowjetunion das Verfügungsrecht über die Mandschurei und nachher sogar das Recht zur Besetzung Nordkoreas erhielt. Dann aber konnte die Garantie an Südkorea infolge der allgemeinen Abrüstungstendenz militärisch überhaupt nicht unterstützt werden.
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¹⁹) Mitteilungen des Kriegsarchivs, Jahrgang 1887, Seiten 361 ff. „Ein Memoire Radetzkys”.
²°) Criste, Kriege unter Kaiser Josef II., Wien 1904, Seite 5.
²¹) Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift, 116. Jahrgang, Nr. 8, vom August 1950.
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Ein jahrelanger Kampf mit schwersten blutigen Verlusten und übergroßen finanziellen Aufwendungen war für die USA die schmerzliche Folge.
Ich glaube, daß die von der Vortragszeit erzwungene knappe Auswahl von Beispielen immerhin zu zeigen vermochte, wie Erfolg und einheitliches Handeln in der Politik untrennbar verbunden sind. Trotzdem findet man in historischen Darstellungen die Komponenten nur ausnahmsweise untersucht und bloßgelegt. Man muß die Unterlagen für eine Alles überblickende Schau mühevoll ebenso in ganz getrennten Abhandlungen suchen, wie die verschiedenen Archive den Urstoff getrennt verwahren.
Wenn Professor Hantsch im zweiten Band seiner Geschichte Österreichs ²²) sagt, daß Innenpolitik und Außenpolitik wie die beiden Ufer eines Stromes sind, zwischen denen die geschichtliche Entwicklung eines Staates dahinfließt, so möchte ich dieses Bild so ergänzen, daß die Wehrpolitik den Buhnen und Leitwerken der Stromregulierungsbauten gleicht,[a] die das Strombett von Verschotterung und Versandung frei und schiffbar halten. Deshalb muß der Lenker des Staatsschiffes zu glücklicher Fahrt nicht nur die Ufer sondern auch die Stromeinbauten gut kennen.
I I . T e i l
Sowie die Ursachen eines Krieges nicht von heute auf morgen entstehen, so sind auch Sieg und Niederlage um so weniger das Ergebnis kurzen Geschehens, als ein Krieg alle menschlichen und materiellen Kräfte des Staates in seinen unerbittlichen Bann zwingt. Die prägnante römische Fassung des Problems in si vis pacem para bellum hat ihre Gültigkeit durch Jahrtausende erwiesen.
Es ist doch eigentlich erstaunlich, daß ein so einfacher und klarer Lehrsatz im Ablauf der historischen Ereignisse nur selten eine befriedigende Lösung fand; ich denke, daß die historische Durchleuchtung dieses Problems nicht nur für den Forscher interessant, sondern auch für die Intensität des Geschichtsstudiums von Bedeutung sein müßte.
Ich habe versucht, mit objektiver Gewissenhaftigkeit diesen historischen Entwicklungen nachzugehen. Dabei habe ich die Binsenwahrheit des idealen Zustandes, bei dem sich Regent, Staatsmann und Feldherr in einer genialen Persönlichkeit vereinen, ebenso beiseitegelegt wie die mitunter erörterte Frage, ob der Primat dem Staatsmann oder dem Feldherrn zukomme. Ich tat dies bewußt, weil einerseits Gott den Völkern für unseren menschlichen Begriff nur in ganz großen Abständen einen Genius sendet und weil andererseits für mich unzweifelhaft klar ist, daß der Krieg und seine Vorbereitung nur ein Teil der großen Politik sind und der Teil nie größer sein kann als das Ganze. Wenn eine Rivalität zwischen Staatsmann und Feldherrn aufscheint, so sehe ich darin nur ein Zeichen für das Ungenügen des Staatsmannes. Zeigt der Feldherr neben seinem militärischen Können größere Staatsweisheit als der führende Minister, dann müßte der Regent oder Präsident auch die Führung der Politik in die Hände des Feldherrn legen. Diese hätte damit wieder den unbestrittenen Primat über das Kriegsgeschehen.
Meine Untersuchung soll also vornehmlich den zwischen den Genies liegenden Zeiten dienen, in denen mehr oder weniger begabte und unbegabte Menschen emsig bemüht sind, alles Große vom Genie Geschaffene zu vertun und einem möglichen neuen Genie so viel Hemmnisse und Schwierigkeiten, als nur denkbar sind, in den Weg zu legen. Da war es wohl naheliegend, die Frage zu stellen, woher die handelnden Menschen kommen und worauf sie die ihnen übertragene Verantwortung zu gründen vermögen? Ich habe mich bei der Untersuchung dieser Frage auf unsere österreichischen Verhältnisse beschränkt, weil mir die Beschaffung ausländischer Quellen ohne Gehilfen zu langwierig geworden wäre.
Es ist der umfassende Geist der großen Kaiserin Maria Theresia gewesen, der sie das vielfache Ungenügen leitender Männer in deren mangelnder Ausbildung erkennen ließ.
Durch die Zurücknahme der sogenannten Sprachknaben von Konstantinopel nach Wien legte sie den Grund zur orientalischen Akademie. Das Reskript hierzu erfließt charakteristischerweise vom Hofkriegsrat am 20. April 1753. Die darauf im Jahre 1754 mit der Ausbildung beginnende ursprüngliche Sprachschule für orientalische Idiome hatte vornehmlich begabte junge Leute zur Vertretung der staatlichen Interessen bei der Hohen Pforte zu erziehen, aber auch der Erschließung des Orients, seiner Sprache, Literatur und Geschichte zu dienen. Während diese Anstalt in den
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²²) Hantsch, Geschichte Österreichs, II. Band, Seite 414.
a] FML Jansas Bruder Heinrich Jansa war Flussbauingenieur.
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ersten Dezennien ihres Bestandes einer hohen Mittelschule gleicht, in der Sprachen mit Rechts- und Staatswissenschaften einen durch fünf Jahre führenden Lehrplan bis zum Rande füllen, wurde sie unter dem nachmaligen Kardinal Rauscher als Direktor zur ausgesprochenen Hochschule, die erst nach absolvierten philosophischen Studien, mindestens aber nach Abschluß des Gymnasiums besucht werden durfte. Als Lehrziel ist deutlich die Befähigung zu staatsmännisch-praktischer, wie auch zu wissenschaftlich-theoretischer Arbeit erkennbar. Ursprünglich fast ganz auf die Versorgung der Levante mit Dolmetschern, Agenten und Konsuln ausgerichtet, tritt später eine Teilung in eine westländische und eine orientalische Sektion ein. Oberst Körber als Direktor kreiert eine Lehrkanzel für den diplomatischen Stil. Es kommen Vorträge über Militärgeographie und Heerwesen hinzu und die 1883 neu gefaßte Zweckbestimmung bezeichnet die orientalische Akademie ausdrücklich als Spezialschule für den diplomatischen und Konsulardienst. Sie erfährt schließlich ihre Umbenennung in Konsularakademie ²³).
Diese Anstalt erwirbt sich über den Rahmen Österreichs hinaus hohes Ansehen, schenkt Österreich hervorragende Beamte und Männer der Wissenschaft. Sie schafft durch die Neubearbeitung des Wörterbuches der orientalischen Sprachen ein Kulturwerk von Weltgeltung, bringt aber nur drei Staatskanzler oder Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußeren hervor. Thugut, der die Anstalt nicht einmal vollständig absolvierte, Haymerle und Burian. Alle anderen Staatskanzler und Außenminister werden nicht dieser diplomatisch-konsularischen Spezialschule entnommen.
Von den dem Staatskanzler Grafen Kaunitz in 125 Jahren folgenden 19 Männern sind nur drei, und zwar Ficquelmont, Schwarzenberg und Mensdorff-Pouilly mit einer Gesamtwirkungsdauer von 5½ Jahren militärisch gebildet. Die 16 anderen in 119½ Jahren waren entweder dem Soldatentum völlig ferngestanden oder sind über das elementare Wissen eines Subalternoffiziers, teils aktiv, teils später im Reserveverhältnis, nicht hinausgekommen. Sonst waren sie fast durchwegs akademisch, wenn auch öfter nur durch wenige Semester, gebildet. Frühzeitig als Gesandtschaftsattachés beginnend, später eine Diplomatenprüfung ablegend, sprachkundig und aus wohlhabenden Familien stammend, da sie eine unbelastete Jahresrente von 6000 Gulden nachweisen mußten, stiegen sie durch praktische Bewährung empor.
Die Diplomatenprüfung umfaßte die diplomatische Staatengeschichte, Staatsrecht, Völkerrecht, Wirtschaftspolitik und internationales Privatrecht; keinerlei Nachweis aber für ein höheres Verständnis militärisch-kriegerischer Problematik ²⁴).
Schließlich ist es vielleicht auch noch interessant daß sieben Staatskanzler oder Außenminister mit einer Wirkungsdauer von 60 Jahren nicht aus dem österreichisch-ungarischen Länderbereiche erwachsen sind ²⁵).
Von den 19 dem Staatskanzler Grafen Kaunitz bis zum Jahre 1918 folgenden Männern möchte ich besonders hervorheben:
Thugut, wegen seiner verdienstvollen Vertragsabschlüsse zur Erwerbung der Bukowina und des Innviertels; dann auch, weil er im Gegensatz zu seinem großen und weisen Lehrer Kaunitz die Armeeführer über die politische Lage stets im unklaren ließ. Thugut brauchte Heerführer, die immer sofort bereit waren, sich blind in den Dienst der Diplomatie zu stellen. Militärische Möglichkeiten zu erwägen, war Thuguts Sache nicht. Mit einer Starrheit ohnegleichen hat er an der Überzeugung festgehalten, daß seine Ideen auch mit ungenügenden Mitteln ausgeführt werden müssen. Man ersieht aus der Korrespondenz des Erzherzog Carl mit seinem kaiserlichen Bruder, wie abhängig die Armeeführer auch in Einzelheiten von der Genehmigung des von Thugut beherrschten Kaisers gewesen sind. Fast jede auf die Operationen Beziehung nehmende Angelegenheit, selbst Einzelheiten oder Personalfragen geringfügiger Art, wurden dem Freiherrn von Thugut zur Kenntnis gebracht ²⁶).
Dem Fürsten Metternich hingegen gebührt wohl für den Anfang seiner Antszeit der Titel eines Staatsmannes, der sich in dieser Zeit mit dem Chef des Generalquartiermeisterstabes oft und gern besprach, was sich in der Spätzeit ganz wandelte. Da meinte er 1847 zu Feldmarschall Radetzkys drängenden Mahnungen über die gefahrvolle politische Lage und den völlig unzureichenden Zustand der Armee: „Er verstehe die furchtbare Angst des alten Herrn nicht ²⁷).”
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²³) Die k. u. k. Konsularakademie, Festschrift von 1904.
²⁷)Aus dem diplomatischen Jahrbuch, erliegend im Staatsarchiv Wien.
²⁵) Alle Angaben über den diplomatischen Dienst, summarisch und im einzelnen gründen auf den im Staatsarchiv eingesehenen Personalakten und Wurzbachs biographischem Lexikon.
²⁶) K. u. k. Kriegsarchiv, Criste, Thugut und die Kriegsführung 1793-1800.
²⁷) Dr. Schmahl, Radetzky.
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Zum Grafen Andrássy dem Älteren, der immer in der Generalsuniform abgebildet gesehen wird, möchte ich sagen, daß er nicht aktiver General war. Er rückte im Frühjahr 1848 als Obergespan des Zempléner Komitates an der Spitze eines Freiwilligenbataillons in den Kampf gegen die kaiserliche Armee, wurde von General Móga für Tapferkeit zu einer Auszeichnung beantragt und beschloß 1849, also schon nach einem Jahre, seine militärische Tätigkeit als Major und Adjutant des ungarischen Oberbefehlshaber Görgei ²⁸).
Es war seitens der Dynastie üblich, den Ministern des kaiserlichen Hauses und des Äußeren als Anerkennung ihres Wirkens in der Außenpolitik hohe militärische Dienstgrade zu verleihen, ohne daß diese Persönlichkeiten mit höherem mitlitärischem Fachwissen belastet gewesen wären.
So ist auch Graf Ottokar Czernin nach dem Frieden von Brest-Litowsk zum Generalmajor ernannt worden. Er hat in der Folge durch seine öffentlichen Reden bewiesen, daß ihm jegliches Verständnis für die Psychologie einer im Kampfe stehenden Armee gefehlt hat. Als Kaiser Karl den nach der tatsächlichen Lage einzig richtigen Versuch machte, den Krieg je eher - notfalls auch ohne Deutschland - zu beenden, hat dieser Minister trotz seiner beschworenen Eidespflicht „Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät Ehre, Nutzen und Frommen zu befördern” seinen Monarchen bloßgestellt. Der daraufhin folgende Bußgang des Kaisers nach Spa und die dort gefaßten Beschlüsse waren die letzte Ursache für die alliierte Entscheidung zur Zertrümmerung der Monarchie.
Wie sah nun die andere Komponente, der Generalstab aus?
Vier Jahre nach der Gründung der orientalischen Akademie, am 21. Dezember 1757, genehmigt die große Kaiserin den Antrag ihres Feldmarschalls Grafen Daun auf Zusammenfassung der Führungsgehilfen zu einem Generalquartiermeisterstab, der darauf Anfang 1758 in die österreichische Geschichte eintritt. General Graf Lacy, aus irischem Geschlecht und russischen Diensten kommend, wird der erste Chef des Generalquartiermeisterstabes, der erst 1865 die kürzere Benennung Generalstab erhält.
Es wäre sehr verlockend, aus dem vom Obersten Wolf Schneider von Arno in ganz ausgezeichneter Weise verfaßte Manuskript einer Geschichte des k. u. k. Generalstabes ²⁹) eine eingehende Darstellung zu geben. Die mir gewährte Zeit erlaubt dies nicht. Es muß darum die Festhaltung der Tatsache genügen, daß in Österreich bis 1852, das ist dem Jahre der Errichtung der Kriegsschule als Pflanzstätte des Generalstabes, dieser keine ruhige Stetigkeit seiner Entwicklung und Ausbildung aufweist. Die im Laufe der ersten hundert Jahre immer wieder gestellten Anträge der nur fallweise für den Krieg ernannten Chefs des Generalquartiermeisterstabes auf Stabilisierung fanden aus Unverständnis, Mißgunst und sinnwidriger Sparsucht eine erst sehr späte Berücksichtigung.
Gleich die erste Anweisung zur Bildung des Generalquartiermeisterstabes forderte die „allertüchtigsten und erfahrensten Subjekte in den besten Jahren, ledigen Standes, auf deren Genauigkeit in der Arbeit man sich mit Sicherheit verlassen könne”. Diese „Handlanger” des Generalquartiermeisters, wie sie das erste Generalsreglement nennt, müssen neben Geographie, Geometrie, Trigonometrie und Sprachen die vier militärischen Hauptstücke beherrschen. Diese waren die Lagerkunst, die Marschkunst und Taktik, die Feldfortifikation sowie die Verteidigung und der Angriff von Festungen. Sie hatten sich durch vieles Lesen und Übungen großes Wissen auf allen Gebieten anzueignen.
Der Generalquartiermeisterstab war von jedermann „zu distinguieren” und bkam „zum besseren Ansehen” eine blaue Uniform mit goldenen Knopflöchern, die 1788, zur Unterscheidung von der französischen Nationalgarde, in den bis 1918 verbliebenen grünen Rock mit schwarzen Samtaufschlag geändert wurde.
Die Zahl der Offiziere blieb immer unzureichend; sie betrug in den ersten hundert Jahren fast konstant bloß sechs Offiziere auf 10.000 Mann und wurde im Frieden regelmäßig verringert. 1918 entfielen gar bloß zwei Generalstabsoffiziere auf 10.000 Mann ³°).
Irgendein Einfluß auf die Vorbereitungen für ein mögliches Kriegsgeschehen stand bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts dem Generalquartiermeisterstabe nicht zu. Dieser lag ausschließlich beim Hofkriegsrat. Einen Einfluß auf die Führung
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²⁸) Wurzbach, Biographisches Lexikon und Personalakt im Staatsarchiv.
²⁹) Wolf-Schneider von Arno, Geschichte des k. u. k. Generalstabes, Unvollständiges Manuskript.
³°) Regele, Das Amt des Chefs des Generalstabes, Manuskript, Seite 76.
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der Operationen begann der Generalstab erst unter Erzherzog Carl zu gewinnen, in welcher Zeit aus den „Handlangern” der Führung die „Führungsgehilfen” wurden.
Die Friedensarbeit des Generalquartiermeisterstabes galt für lange Jahre ausschließlich der von der Kaiserin Maria Theresia 1763, nach dem Hubertusfrieden, verfügten Landesaufnahme. In 22 Jahren, also bis 1785, war die gesamte Monarchie, mit Ausnahme von Tirol und den Vorlanden, militärisch vermessen und aufgenommen. Trotz aller Unvollkommenheiten der damaligen Zeit ist diese erste Vermessung der Monarchie eine kulturelle Großtat des Generalstabes geworden, die von keinem Staate der Welt übertroffen wurde. Denn weder die große Karte Frankreichs unter César François Cassini de Thury aus den Jahren 1750 bis 1793, noch die Kabinettskarte Friedrichs II., entworfen vom Obersten Grafen Schmettau, können nach Größe und Maßstab mit der Maria-Theresianisch-Josephinischen Landesaufnahem auf gleiche Stufe gestellt werden ³¹).
Wenn das heutige Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen mit Aufträgen aus der ganzen Welt, von Nord- und Südamerika bis Indien voll beschäftigt ist, so dankt es seinen Ruf und sein hohes Können nicht nur der Tüchtigkeit des gegenwärtigen Leiters der Landesaufnahme, sondern auch der 160jährigen Vorarbeit des k. u. k. Generalstabes.
Erst durch die Kriegsschule ab 1852 und den späten Ausbau unter dem langjährigen, hochverdienten Chef des Generalstabes für die gesamte bewaffnete Macht, Feldzeugmeister Grafen Beck, bekam der Generalstab seine notwendige Einheitlichkeit in der generalstabstechnischen Schulung, während seine wissenschaftliche Fortbildung bewußt auf das Privatstudium verwiesen war. An der Kriegsschule wurden außer den militärischen Fächern auch staatswissenschaftliche Vorträge, solche über das Völkerrecht und bestimmte Kapitel der Naturwissenschaften gehalten.
Die Generalstabsoffiziere gingen andauernd durch strengste Siebe: Zwei Prüfungen für die Aufnahme in die Kriegsschule nach vierjähriger sehr gut beurteilter Dienstzeit bei der Truppe, zwei, später drei Jahre Kriegsschule mit dem dauernden Nachweise der Befähigung, den theoretischen Lehrstoff praktisch anzuwenden. Sodann Zuteilung zum Generalstab. Nach Bewährung und neuerlicher gut qualifizierter zweijähriger Tätigkeit bei der Truppe erfolgte erst die Aufnahme in das Generalstabskorps. In diesem wieder eine spezielle mündliche und schriftliche Prüfung zum Major und neuerliche Truppendienstleistungen. Also eine andauernde höchste Anspannung aller geistigen und physischen Kräfte und ein unablässiger Wechsel zwischen Büro und lebensvoller praktischer Betätigung. Der Generalstab wird von seinem Chef „das Elitekorps der Armee” genannt, für dessen Glieder der Ausschluß aus dem Korps die schwerste Strafe für Verfehlungen und Versäumnisse bedeuten muß.
Die „Organischen Bestimmungen” stellten den Chef des Generalstabes in ihrer letzten Fassung von 1907 einerseits persönlich unter den unmittelbaren Befehl des Kaisers, nannten ihn aber andererseits ein „Hilfsorgan” des Reichskriegsministers.
Dem Chef des Generalstabes oblagen alle operativen Arbeiten und Vorarbeiten für den Krieg. Er hatte auf alle militärpolitischen Fragen Einfluß zu nehmen sowie auf die Gliederung des Heeres, seine Bewaffnung und Ausrüstung, die Ausbildung, die Reichsbefestigung, das Eisenbahn- und Kommunikationswesen usw. usw., kurz auf alle einen Krieg beeinflussenden Materien. Ihm unterstanden unmittelbar: acht Generalstabsbüros (Direktions-, Instruktions-, Operations-, Etappen-, Landesbeschreibungs-, Evidenz-, Eisenbahn-, Telegraphenbüro), alle Generalstabsoffiziere des Heeres und der Landwehren, die Kriegsschule, das Kriegsarchiv, das militärgeographische Institut, die Militärattachés im Ausland, das Eisenbahn- und das Telegraphenregiment und bis 1892 auch die Pioniertruppe, deren hohe, europäisch einzigartige Ausbildung der Generalstab durch 134 Jahre unmittelbar bestimmt und geleitet hatte.
Der Generalstab hat der Armee eine Reihe hervorragender Männer gegeben; ich brauche nur die Namen Radetzky, Heß, John, Kuhn, Gallina, Beck, Conrad und Arz zu nennen. Aber auch Namen wie Mack, Benedek und der unglückselige Redl haben dem Generalstab angehört.
Aus dem genialen militärischen Dreigestirn Österreichs, dem Prinzen Eugenio von Savoy, Radetzky und Conrad, ist für meine Betrachtung besonders Feldmar-
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³¹) Wolf-Schneider von Arno, Geschichte des k. u. k. Generalstabes, Manuskript, und Regele, Beiträge zur Geschichte der staatlichen Landesaufnahme und Karthographie in Österreich bis zum Jahre 1918, Wien 1955, im Notring der wissenschaftlichen Verbände.
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schall Graf Radetzky interessant. Seine in den Jahren 1809 bis 1815 als Chef des Generalquartiermeisterstabes niedergelegten Ideen für die Organisation, die Schulung des Generalstabes und die Notwendigkeit der Befassung dieses Korps mit allen vorbereitenden Arbeiten für einen Krieg, sind bahnbrechend und maßgeblich bis auf den heutigen Tag geblieben ³²). Aber wie bei vielen der besten Männer Österreichs wurden alle seine Vorschläge zurückgewiesen und es bedurfte der Katastrophen von 1859 und 1866, um auf dem militärischen Leitungsgebiete das zustande zu bringen, was Frankreich und Preußen, den Ideen Napoleons, Radetzkys, Scharnhorsts und Gneisenaus sofort folgend, noch während der Befreiungskriege aufbauten.
Aber auch auf dem Gebiete der Staatspolitik sind Radetzkys Gedanken von einer ein Jahrhundert voraussehenden Klarheit: in einer Denkschrift an Metternich von 1810, anläßlich der Entsendung der Erzherzogin Maria Luise zu Napoleon, unterstreicht Radetzky, so wie auch später wiederholt, die Notwendigkeit einer engen Bindung Österreichs an Frankreich, da „ein Zweifrontenkrieg Österreich an den Rand des Abgrundes bringen könnte, den zu vermeiden das wesentliche Ziel der österreichischen Staatsweisheit sein müsse” ³³). Radetzky weist aber auch auf die Notwendigkeit der Erwerbung Serbiens hin und sieht seherisch voraus, daß die Monarchie von dort am gefährlichsten bedroht sein werde.
1827, vor den Zielen und der Größe Rußlands bangend, schreibt Radetzky, daß „die zur Stunde dringenste Angelegenheit die Organisation eines ganz Europa umfassenden Staatsverbandes” sei. Er prägt den Ausdruck der Koexistenz in der Politik. Er sieht Europa einer Krise seiner Weltgeltung entgegengehen und schreibt, „daß Amerikas Staaten es den europäischen Seemächten zur dringensten Pflicht machen werden, den Landfrieden in unserem Weltteil zu festigen und unverbrüchlich zu erhalten” ³⁴).
Zur deutschen Frage sagt Radetzky in der Antwort auf eine preußische Huldigung zu seinen Siegen in Italien: „Könnte je ein Bruderzwist unsere Heere spalten, dann ist es auf immer um Deutschlands Größe und Einheit geschehen. Ob Fürstenehrgeiz oder aufgewiegelter Volksgeist uns in Bruderzwist oder Verderben stürzen, das gilt gleich.”
Radetzky findet „es klüger, sich dem geistigen Fortschritt zu verbinden, als denselben zu bekriegen.”
Nach seinem Siege bei Novara und Mortara rät er dem Ministerpräsidenten Schwarzenberg zu einer Gesamtbereinigung der italienischen Frage in dem Sinne, „daß die Angelegenheiten gemeinschaftlich, bei einem Kongreß aller Regierungen der Halbinsel, dauernd und friedlich gelöst werden. Österreich soll aus freiem Antrieb eine gewissermaßen selbständige Union gewährleisten, die mit der Großmacht der gesamten österreichischen Monarchie aufs engste in Freundschaft verbunden bliebe ... Österreich würde so zum moralischen Herrn der Halbinsel”.
„Der Friede” sagt Radetzky ein andermal, „dauert nicht länger, als er durch eine Achtung gebietende Macht geschützt wird.”
Und von der Armee schließlich meint er: „Ihre Soldaten sind tapfer; sie setzt sich aus kräftigen und kriegserfahrenen Volksstämmen zusammen; sie hat sich im Verlaufe ihrer Geschichte immer gut geschlagen und gehalten. Wieviel glänzender aber würde sie noch sein, wenn unser Kriegswesen nicht an so vielen Mängeln gelitten hätte, deren Grund größtenteils in dem Mangel an Übereinstimmung im Mittelpunkt, an Einsicht und kriegerischem Geiste lag. Hierdurch verloren wir das Vertrauen und die Achtung in Deutschland, welche auf Preußen überging.”
Ich bin bei der Schilderung des Generalstabes und einer seiner größten führenden Persönlichkeiten etwas länger verweilt, weil deren Grundsätze und Forderungen im Laufe von 200 Jahren - in der großen Linie gleichbleibend - von allen Chefs, in verschiedener Abwandlung nach deren Persönlichkeit und den technischen Fortschritten, immer wieder mahnend vorgebracht wurden, aber leider nur zum geringsten Teile Beachtung und Erfüllung fanden.
Wie die Armee selbst den Chef der Generalstabes wünschte, ist vielleicht am besten aus dem Schreiben eines der tapfersten, gänzendsten und in seiner Vorvergangenheit erfolgreichsten Generale, des Feldzeugmeisters Benedek, an Feldmarschall Henikstein zu entnehmen. Benedek schreibt:
„Ich wüßte fast niemanden zu nennen, der alle Eigenschaften des Charakters,
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³²) Radetzkys Denkschriften, u. zw. jene vom 11. Februar 1811 über die bessere Einrichtung des Generalstabes, Kriegsarchiv, Heeresmemorial XI/96.
³³) Radetzkys Denkschriften, Stuttgart 1958 bei Cotta, besonders „Betrachtungen über einen künftigen Krieg des Hauses Österreich”.
³⁴) Radetzky, Betrachtungen der Lage Österreichs 1828.
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des Geistes und Körpers in sich vereint, um ein vollkommen qualifizierter Stabschef zu sein. Derlei Individuen fallen selten vom Himmel herab: Loyalität, Bescheidenheit, Selbstverleugnung und anständige Unterordnung, trotz ausgesprochenem Selbstgefühl; Dienststrenge trotz vernünftigen, warmen Soldatenwohlwollens. Allgemeine Armee- und spezielle Adjutantur- Generalstabsdienst-, Geschäfts- und Sprachkenntnis. Routine. Genügende höhere Generalstabswissenschaft und ein genügender Grad von Genialität. Sehr guter Magen, gute Verdauung, guter, kurzer Schlaf; kurz so gesund, daß er seine ganze Zeit mit eisernem Fleiß und nie ermüdender klarer Übersicht den beiden umfangreichen Geschäftszweigen (manchmal sogar ins Detail gehend) zuwenden kann. So gesund, daß er Leichtsinn, Taktlosigkeit, falsche Auffassung und manchmal sogar Dummheit von unten und oben leicht verdauen kann; daß er die Freuden der Familie, der Tafel usw. im Fluge zu genießen versteht, weil er wahrhaftig mit seiner Zeit schwer auskommen wird. Genialität im Entwurf und Fähigkeit schneller Änderung von Operationen im Unglück, kurz den göttlichen Funken und das höhere strategische Wissen; ruhige Tapferkeit und eiserne Nerven ³⁵).”
Wie Österreich-Ungarns vorletzter Chef des Generalstabes seine Offiziere ausgewählt haben wollte, schrieb er an den Kommandanten der Kriegsschule: „Sie sollen das Herz am rechten Fleck haben; sie müssen offene, gerade, biedere, männliche Charaktere, keine Augendiener, keine berechnenden Opportunitätsmenschen, keine Kriecher und Speichellecker nach oben sein. Sie müssen den Mut der eigenen Überzeugung haben, aber auch das soldatische Gefühl, sich dort, wo der Dienst es gebietet, der berufenen höheren Meinung zu unterwerfen. Stellenjäger, Streber nach Schein und Äußerlichkeiten, Menschen, die mit Neid den Weg der Kameraden verfolgen, kann ich nicht brauchen ³⁶).”
Wenn ich nun resumiere, so waren zu höchster Zusammenarbeit aufeinander angewiesen: Politiker, die ich im Einzelnen nicht bespreche, Diplomaten und Generalstab.
Die Diplomaten etntstammten den vornehmsten, meist hocharistokratischen Häusern. Sie hatten schon aus ihrer Abstammung ein natürlich erwachsenes, durch umfassende Sprachkenntnisse gefördertes Gefühl der Überlegenheit und Großzügigkeit. Dieses wurde nach mehr oder weniger sorgfältigem akademischem Studium durch den Dienst an Gesandtschaften weiter gesteigert. Das diplomatische Korps ist durch das Ansehen, das ihm die Vertretung seiner Staaten, die Exterritorialität und eine ausreichende, oft großzügige Besoldung im Verein mit eigenem Vermögen geben, zu jener oft viel beneideten und erstrebten Lebensführung berufen, die vielfach als der Inbegriff der Vornehmheit und des lebenswerten Lebens gilt. Der praktische Dienst spielt sich in dem wohltemperierten Büro und in einem nie abreißenden, ermüdendem Band von Konferenzen, Empfängen, Diners und Repräsentationen ab, die alle dem Hören, Besprechen und beeinflussen im Intersse des eigenen Landes dienen. Aber die Welt, auf die sich alle Nachrichten, Erfahrungen und Einblicke in das Gastland gründen und letztlich die Basis für die eigenen Entschließungen bilden, ist immer die zahlenmäßig beschränkte Oberschichte, die oft über die Grenzen der Länder durch ein gemeinsames Berufsethos verbunden wird. Das Wort, die Schrift, der Akt, der Vertrag sind die Elemente der Welt- und Staatsklugkeit, die - wie jedes große Werk - der genialen Intuition bedürfen. Diese Intuition müßte auf eingehender Kenntnis aller Zweige des politischen Rutenbündels und besonders auch jener der Wehrkraft und des Wehrwillens eigenen und fremden staatlichen Wesens ruhen. Die Geheimhaltung spielt dabei eine große Rolle.
Der Generalstab als Leistungsexponent der staatlichen oder nationalen Wehrhaftigkeit entstammte vornehmlich dem Kleinadel, dem Bürgertum und - wo besondere Begabung und Tapferkeit die Voraussetzung des Aufstieges gebildet hatten - auch dem Bauern- und Arbeitertum. Nur selten sind hocharistokratische Namen in seinen Reihen, und diese sind dann zumeist die armen Söhne ihrer Geschlechter. Besonders in der österreichischen Armee, die seit ihren Anfängen eine staunenswert demokratische Einrichtung war, galt Bewährung stets mehr als alles andere. Immer wieder vom Büro mit seiner konstruktiven Gedankenarbeit, die mehr auf technischem Wissen als auf philosophischen Erkenntnissen gründet, ins praktische Leben der Truppe versetzt, in alle Teile des Landes, besonders an die Grenzen geführt, wird dem Generalstabsoffizier die Eigenart von Land und Leuten wohl-
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³⁵) Wolf-Schneider, Geschichte des k. u. k. Generalstabes, Manuskript.
³⁶) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band I, Seite 350/351.
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vertraut. Er erwirbt durch praktische lebenswarme Betätigung, aber oft auch als Lehrer an militärischen Schulen psychologische und erzieherisch-pädagogische Kenntnisse; er lernt sehr früh, durch seine ihm in allen Dientsvorschriften aufgetragene Ausrichtung auf den allein gültigen praktischen Kriegszweck, alle inneren und äußeren Verhältnisse in ihrer Wirkung auf die Wehrfähigkeit scharf beobachten und beurteilen. Der kritisch gewordene Geist - der Tat näher stehend als dem Worte - läßt den Generalstabsoffizier schon in mittleren Stellungen zum Mahner und Warner werden; seine durch die Erziehung in den militärischen Schulen und vielfach auch durch die Familientradition stets bereite Hingabe seines lebens für den Kaiser, das Reich und das eigene Volkstum, gaben ihm eine besondere intuitive Witterung für Gefahren, die er mit seinem und dem Blute seiner Leute wird meistern müssen. Was Wunder, wenn der Generalstabsoffizier bestrebt war, für diesen Einsatz die besten Voraussetzungen zu einem sicheren Erfolge zu schaffen, wenn er besonders die Führung der inneren und äußeren Poltik scharf beäugte, aus dem Erfahrungswissen von Jahrhunderten, daß letzten Endes, wenn er aufgerufen wird, die Öffentlichkeit immer bereit ist, im Falle eines Mißerfolges nicht den Diplomaten und den Politikern, sondern ihm die alleinige, ganze Verantwortung aufzubürden. Denn die Bevölkerung der Monarchie hielt es nicht mit den Römern, die auch einem besiegten Feldherrn und seinen braven Truppen Kränze wanden; und die tonangebende Presse in Wien, Prag und Budapest schon gar nicht.
Die Gegenüberstellung von Diplomatie und Generalstab zeigt für sich allein schon die Möglichkeit der Diskordanz in ihrem Wirken, wenn auch alle in ihrer Art und auf ihren Gebieten bestens bemüht sind, das Höchste für das Staatsganze zu gewinnen. Bedenkt man aber noch die allem Menschlichen anhaftenden Schwächen, die gar leicht zu persönlichen Verstimmungen führen können, so zeigt sich, daß es für den Regierenden gar nicht leicht ist, ein so ungleiches Gespann zu gutem Ziel zu führen. Feldmarschall Conrad findet es natürlich, daß Außenminister und Chef des Generalstabes zeitweilig in Widerspruch geraten. Aber es sei unbegreiflich, wie man das pflichtgemäß vorsorgliche Wirken der militärischen Stellen als widerrechtlichen Eingriff, als Störung der Politik und als eine diese Poltik schädigende Provokation des Auslandes hinstellen kann, wie Baron Aehrenthal selbst die geringfügigsten militärischen Maßnahmen zu bezeichnen pflegte.
Die österreichische Geschichte zeigt leider auf - ganz besonders in den ersten 110 Jahren seit Errichtung des Generalquartiermeisterstabes -, daß man für den Krieg wohl einen unfehlbaren Generalstab wünschte, sich aber im Frieden in keiner Weise durch die Existenz wissender und mahnender Fachleute gestört, beunruhigt und belästigt wissen wollte. Deshalb hat auch kein Chef des Generalstabes sein Amt, das Feldzeugmeister John ein „herbes” nannte, widerspruchslos übernommen. Daß trotzdem Österreichs Kriegsführung zu unbedingter Ehrfurcht zwingt, mögen einige Zahlen erweisen:
In den 423 Jahren von 1495 bis 1918 hatte Österreich 233 Kriegs- gegenüber 190 Friedensjahren. In den 64 Kriegen gegen 14 äußere Feinde, unter welchen in dem ersten Weltkriege neu hinzutretend nur Serbien, Montenegro, Rumänien und die Vereinigten Staaten von Nordamerika mitgezählt sind, errangen Österreichs Heere in 1185 Schlachten und Gefechten 771 Siege gegen 414 Niederlagen. Ob die politischen Ergebnisse mit den fast zwei Drittel Siegen in richtiger Beziehung standen, wäre nach meinem Dafürhalten einer historischen Erforschung ebenso wert, wie die Einbußen zu den verweigerten Rüstungsgeldern, die - den österreichischen Heeren rechtzeitig zugeführt - gar manche Niederlagen in Siege gewandelt hätten ³⁷).
Es stellt sich nun die Frage, ob meine Betrachtung nur der Vergangenheit gelten soll, oder ob die Historik nicht in der Lage wäre, aus dem Ablauf der Geschehnisse eine praktische Nutzanwendung für die Gegenwart und vielleicht auch für die Zukunft zu ziehen. Allerdings stellt sich da gleich als Nächstes die Frage, ob solche Nutzanwendungen für uns in dem klein gewordenen Österreich überhaupt sinnvoll sein könnten. Hat doch unser Bundespräsident - der ein hervorragend tüchtiger und tapferer k. u. k. Generalstabsoffizier war -, vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt, daß es zu keinem Kriege kommen könne, weil jeder solcher ein Völkerselbstmord wäre.
Wir sind nun ein neutraler Staat geworden, der seinen ungetrübten Frieden
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³⁷) Berndt, Die Zahl im Kriege, und Regele, FM. Conrad, Seite 504.
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und seine Grenzen garantiert haben will. Als Beispiel gilt mit einemmal die Schweiz. Da ziemt es sich doch wohl, auch das schweizerische Denken ein wenig zu betrachten.
Der im ganzen Volke seit Urzeiten sehr ausgeprägte Sinn für Wehrhaftigkeit gründet in der Überzeugung, daß Kriege , gleich Elementarereignissen, immer wieder über die Menschheit kommen. Diese Überzeugung erfuhr 1949 eine Unterstreichung durch die Preiskrönung einer Abhandlung über den Bakterienkrieg, in deren Einleitung die Notwendigkeit des steten Existenzkampfes auch aus biologischer Erkennnis abgeleitet wird ³⁸).
Es ist bekannt, daß die Schweiz, unter reger Anteilnahme des ganzen Volkes an allen Wehrfragen, ihre militärische Selbstbehauptung sehr ernst nimmt und fortlaufend hohe Summen in ihre Verteidigungsfähigkeit investiert, die nicht nur auf dem Heer, sondern auch auf einem die Alpenübergänge sperrenden Befestigungssystem ruht.
Und bei uns? Was konnten wir auf wehrpolitischem Gebiete in den letzten Monaten wahrnehmen?
Man will eine bewaffnete Neutralität; das heißt also, daß man Österreich verteidigen will. Dazu wollte man eine vier- oder höchstens sechsmonatige Dienstzeit und beschloß endlich neun Monate ohne Waffenübungen, obwohl man weiß, daß 16 Monate mit Waffenübungen das Minimum für eine gute Ausbildung sind. Vor der klaren Benennung Generalstab hat man Angst. Aber auch sonst will es scheinen, daß man die Meinung des gebildeten Soldaten, in getreuer Befolgung alt österreichischer Tradition, wieder einmal nicht hören will.
Auf der anderen Seite kennen wir die Äußerung Lenins von 1920 am Ende des Bürgerkrieges, daß es ohne Wissenschaft unmöglich sei, ein Heer aufzustellen. Wie sehr Rußland den Generalstab wertet, ist aus seiner Schulung zu entnehmen. Es gibt dort zwei Generalstabsschulen: die Frunse-Generalstabsschule mit drei Ausbildungsjahren, unserer bestandenen Kriegsschule entsprechend, und die Woroschilow-Akademie mit zweijähriger Dauer, zur strategischen Schulung der bewährtesten hohen Offiziere.
In den angelsächsischen Staaten wird - soweit sich das den Zeitungsnachrichten entnehmen läßt - kein außenpolitischer Entschluß ohne vorherige Befragung der Comités der Generalstabschefs für Heer, Marine und Luftwaffe gefaßt.
England kennt eine Reichsverteidigungs-Hochschule ³⁹). Der englische diplomatische Dienst sucht seinen Nachwuchs unter den Bewerbern für die Offizierslaufbahn bei deren erster Intelligenzprüfung.
Die amerikanische Diplomatie läßt ihre besten Köpfe, die für leitende Positionen in Betracht kommen, durch mindestens ein Jahr die Generalstabsschule besuchen.
Nur in Österreich schätzt man den gebildeten Soldaten um so weniger, je größer seine Erfahrung und sein Fachwissen sind: Dollfuß lehnte den Generalstab ab, er wollte keinen Generalstabsoffizier als Berater; er wollte jemand, der sich seinen Anordnungen bedingungslos unterordnete. Schuschnigg folgte ab Juli 1936 auf dem gleichen Wege. Beide waren nicht gut beraten.
Sollte da nicht die Historik aus ihrer rein wissenschaftlichen Betrachtung zum Aufklärer werden? Dazu müßte sich allerdings die historische Forschung viel mehr als bisher mit dem Studium der Zusammenhänge von Außen-, Innen- und Wehrpolitik befassen. Manches Geschehen würde dann eine andere als die herkömmliche Darstellung und Beurteilung finden. Denn die Männer mit richtiger Erkenntnis und richtiger, weit vorausschauender Mahnung waren da. Sie wurden nur nicht gehört.
Professor Hantsch sagt in seiner Geschichte Österreichs, „daß die Stellung des Prinzen Eugenio von Savoy nicht deutlich zu erkennen ist. Es gab Zeiten, wo der Prinz daran war, sich vollständig zurückzuziehen, weil er des uneingeschränkten Vertrauens seines kaiserlichen Herrn nicht sicher war. Er hat die Gewinnung des preußisch-protestantischen Machtfaktors im Reich für den Kaiser sehr betrieben, aber er hatte nie den Ehrgeiz, den ersten Minister zu spielen, er war zurückhaltend und schweigsamen Wesens”.
Die Tragik des Erzherzogs Carl, dieser bedeutendsten österreichischen Soldatengestalt aus den Befreiungskrigen, dessen stets mahnende Stimme gegen die pausenlose Kriegführung und für den Frieden und die Vorbereitung des Krieges, dessen heeresorganisatorische Absichten und Pläne genau durchdacht, von wegweisendem
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³⁸) Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift vom Juli 1949, Heft 7, preisgekrönte Arbeit des Majors Ernst Wiesmann.
³⁹) Regele, FM. Conrad, Seite 135.
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Formate waren, ist ebenso bekannt, wie Feldmarschall Conrads vergebliches, titanisches Ringen. Regele hat vollkommen recht, wenn er dem Historiker die Untersuchung der Frage empfiehlt, wie in einem großen Reiche ein so klar denkender Mann wie Conrad einfach überhört werden konnte ⁴°).
Und doch hat schon ganz klar, positiv und aus der Vergangenheit über die Gegenwart für alle Zukunft unumstößlich gültig, das Genie des damaligen Generalmajors Grafen Radetzky 1809 geschrieben: „Der Feldherr kann nie des Erfolges sicher sein, wenn er nicht mit Gewißheit auf alle erforderlichen Mittel rechnen darf. Diese werden ihm aber mehr oder weniger immer fehlen, solange er nur als ein Werkzeug angesehen wird und nicht als ein sehr geehrtes, mit vollem Vertrauen ausgestattetes Mitglied der Staatsverwaltung ist. Die oberste Leitung des Militärs muß im Frieden wie im Kriege alle Gewalten in sich vereinigen, um allen Teilen gleichen Geist, gleichen Willen einzuflößen und zu erhalten. ... Vom Oberbefehlshaber (und Chef des Generalquartiermeisterstabes) haben Hofkriegsrat und Kriegsminister abzuhängen und nicht umgekehrt. Sie müssen ihm Helfer und Gehilfen, nicht aber Widersacher sein ⁴¹)”.
Auch diese Wahrheiten verhallten in Österreich bis zum Jahre 1913 unberücksichtigt. Erst 1913, also kurz vor dem ersten Weltkriege, wurde der Chef des Generalstabes endlich nur dem Kaiser allein verantwortlich gestellt und seine bis dahin gültige Anhängigkeit als Hilfsorgan des Kriegsministers aufgehoben, ohne daß dadurch die in Österreich-Ungarn dem Zwölf-Völker-Staat, notwendig gewesene verfassungsrechtliche Gleichstellung des Chefs des Generalstabes mit den gemeinsamen Ministern erfolgt wäre.
Es fehlte bei den die große Politik Österreichs leitenden Männern mit Ausnahme von Kaunitz und vielleicht Metternich im Anfang seines Wirkens die Bewußtheit, daß das Wehrvermögen ein integrierender Teil ihrer Politik ist und andauernder, sorgfältiger Pflege bedarf. (Lorenz von Stein und Othmar Spann lehrten an der Universität, „daß die Führung der Armee als Teil des Staates eine rein staatsmännische Aufgabe sei” ⁴²).) Es fehlte den Leitern der Politik aber auch jede Ahnung von den großen und zeitraubenden Arbeiten, welche der Generalstab für die konkreten Kriegsvorbereitungen treffen muß ⁴³), und darum fehlte ihnen auch das Maß zur klaren Beurteilung des Möglichen.
Die Notwendigkeit der Geheimhaltung eines großen Teils seiner Arbeiten und seine dauernde Erziehung zur Bescheidenheit unter dem Motto „Mehr sein als scheinen”, hat den Generalstab an diesem unguten Zustande vielleicht mitschuldig gemacht.
So klar ich mir darüber bin, daß alle Studien den nötigen „Göttlichen Funken” weder beim Leiter der Staatspolitik noch beim Chef des Generalstabes ersetzen könnten, so halte ich es doch für unbedingt geboten, daß vom Leiter der Staatspolitik ein gerütteltes Maß höheren militärischen Wissens gefordert werden muß und daß er - wenn er ein solches nicht besitzt - den führenden Soldaten befragen, anhören und dessen Meinung würdigen soll.
In einer echten Demokratie müssen weiter alle das Wohl und die Sicherheit des Volkes und seines Staates zutiefst berührenden Fragen auch an dieses direkt herangetragen werden. Das wollte Feldmarschall Conrad schon in der Monarchie immer tun; aber es wurde ihm aus verfassungstechnischen Gründen versagt, in den Volksvertretungen die Notwendigkeit der Rüstung selbst zu begründen. Und die ständige Negation der Minister und der für die Öffentlichkeit in Wirklichkeit unverantwortlichen Politiker verschwieg die Wahrheit, weil ihr Geist sie einfach nicht zu erkennen vermochte ⁴⁴).
Ich sehe, den Gedanken Feldmarschall Conrads folgend, die Anbahnung besserer Bedingungen für eine künftige Einheit der politischen Handlungen nur in der Weckung des allgemeinen Interesses für Wehr- und Rüstungsfragen.
Ich halte es darum für notwendig, nicht nur die Geschichtsschreibung viel eingehender mit militärischen Dingen zu befassen, sondern die Wehrwissenschaften aus ihrer durch die Jahrhunderte bestandenen Isoliertheit zu lösen und erhebe als
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⁴°) Regele, FM. Conrad, Auftrag und Erfüllung, 1955, Verlag Herold.
⁴¹) Aus dem Briefe Radetzkys an FM. Fürsten Liechtenstein, vom Dezember 1809.
⁴²) Regele, a. a. O., Seite 88.
⁴³) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band I, Seite 202.
⁴⁴) FM. Conrad, Aus meiner Dienstzeit: Denkschriften vom 31. Oktober 1910 und an anderen Stellen, so in den Denkschriften vom 9. September 1911 und vom 15. November 1911; dann Regele, FM. Conrad, Seiten 165/166.
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letzten Sinn meiner beiden Referate, hier in der Gemeinschaft der die abgelaufenen Ereignisse prüfenden und wertenden Historiker den Ruf:
Öffnet unsere Hochschulen dem Studium der militärischen Disziplinen!
Schafft an den Universitäten Lehrkanzeln für Wehrwissenschaft,
an den technischen Hochschulen solche für Kriegstechnik,
an der Hochschule für Welthandel Lehrstühle für finanzielle und materielle Wehrbereitschaft;
fügt in den Mittelschulen an den Unterricht in Geschichte und Bürgerkunde die Heereskunde;
schafft Forschungsinstitute zur Klärung der politischen, technischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Friedens- und Kriegszustand; zur Untersuchung der Verteidigungs- und Sicherungsmöglichkeiten aller Art, an den Grenzen und im Inneren des Landes;
schafft Arbeitsgemeinschaften für wehrwissenschaftliche Probleme an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und an der Wiener Katholischen Akademie;
tragt die erarbeiteten Kenntnisse über die Volkshochschulen hinaus in die breiten Massen;
lehrt sie die Wahrheit der Worte erkennen und glauben:
Si vis pacem para bellum.
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in »Religion Wissenschaft Kultur«
https://jan.diemorgengab.at/alja01.htm