![]() |
zur Übersicht |
Zitatensammlung Teil 2 |
Zitat von Erich FROMM zu |
SICHERHEIT und UNSICHERHEIT |
1 Sich nicht vorwärts zu bewegen, zu bleiben, wo man ist, zu regredieren, kurz, sich auf das zu verlassen, was man hat, ist eine sehr große Versuchung, denn was man hat, kennt man; man fühlt sich darin sicher, man kann sich daran festhalten. Wir haben Angst [a] vor dem Schritt ins Ungewisse, ins Unsichere, und vermeiden ihn deshalb; denn obzwar der Schritt nicht gefährlich erscheinen mag, nachdem man ihn getan hat, so scheint doch vorher, was sich daraus ergibt riskant und daher angsterregend. Nur das Alte, Erprobte ist sicher oder wenigstens scheint es das zu sein. Jeder neue Schritt birgt die Gefahr des Scheiterns, und das ist einer der Gründe, weshalb der Mensch die Freiheit fürchtet. |
2 Natürlich ist das »Alte und Gewohnte« in jedem Lebensstadium etwas anderes. Als Säugling haben wir nur unsren Körper und die Brust der Mutter (ohne zunächst zwischen beiden unterscheiden zu können). Dann beginnen wir uns in der Welt zu orientieren, wir beginnen uns einen Platz in der Welt zu schaffen, wir beginnen Dingen haben zu wollen. Wir haben Mutter, Vater, Geschwister, Spielsachen, später »erwerben« wir Wissen, haben einen Arbeitsplatz, eine gesellschaftliche Stellung, eine Frau, Kinder und sogar eine Art Leben nach dem Tode durch den Erwerb einer Begräbnisstätte, einer Lebensversicherung und durch einen »Letzten Willen«, das Testament. |
3 Trotz dieser Sicherheit des Habens bewundern wir aber Menschen, die eine Vision von etwas Neuem haben, die neue Wege bahnen, die den Mut haben, voranzuschreiten. In der Mythologie verkörpert der Held symbolisch diese Existenzform. Der Held ist ein Mensch, der den Mut hat, zu verlassen, was er hat - sein Land, seine Familie, sein Eigentum - und in die Fremde hinauszuziehen, nicht ohne Furcht, aber ohne ihr zu erliegen. In der buddhistischen Tradition ist Buddha der Held, der all seinen Besitz aufgibt, jegliche Gewißheit, die ihm die Hindutheologie bietet, seinen Rang, seine Familie, und einen Weg geht, der zur Freiheit von aller Gier führt.[b] Abraham und Moses sind solche Heldengestalten in der jüdischen Tradition. Der christliche Held ist Jesus, der nichts hat und - in den Augen der Welt - nichts ist, doch aus überquellender Liebe zu allen Menschen handelt. |
[...] |
4 Wir bewundern diese Helden, weil wir im Tiefsten fühlen, daß ihr Weg auch der unsere sein sollte - wenn wir ihn einschlagen könnten. Aber da wir Angst haben, glauben wir, daß wir es nicht können und daß nur der Held es kann. De Held wird zu einem Idol; wir übertragen auf ihn unsere Fähigkeit, voranzuschreiten, und dann bleiben wir, wo wir sind, denn »wir sind keine Helden«. |
5 Diese Überlegungen könnten so verstanden werden, daß es zwar bewundernswert, aber im Grunde verrückt und gegen das eigene Interesse ist, ein Held zu sein. Das stimmt jedoch keinesfalls. Die Vorsichtigen, die Besitzenden wiegen sich in Sicherheit, doch notwendigerweise sind sie alles andere als sicher. Sie sind abhängig von ihrem Besitz, ihrem Geld, ihrem Prestige, ihrem Ego - das heißt von etwas, das sich außerhalb ihrer selbst befindet. Aber was wird aus ihnen, wenn sie verlieren, was sie haben? Und in der Tat gibt es nichts, was man haben und nicht auch verlieren kann. Am offenkundigsten natürlich Besitz, und damit gewöhnlich auch Stellung und Freunde - und man kann jeden Augenblick sein Leben verlieren, irgendwann verliert jeder es unausbleiblich. |
[...] |
6 Die Angst und Unsicherheit, die durch die Gefahr entsteht, zu verlieren, was man hat, existiert im Seinsmodus nicht. Wenn ich bin, wer ich bin und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen. Mein Mittelpunkt ist in mir selbst - die Fähigkit zu sein und meine essentiellen Kräfte auszudrücken, ist Teil meines Charakters und hängt von mir ab. Dies gilt für die normalen Lebensumstände und natürlich nicht für extreme Situationen wie Krankheiten mit unerträglichen Schmerzen, Folter oder andere Fälle, in denen die meisten Menschen ihrer Fähigkeit zu sein beraubt sind.[c] |
aus «Haben oder Sein»; S.109ff |
a] siehe Mbl.-B.22 b] siehe Mahanidana Sutta c] obschon ich mitbestimme, inwieweit ich mich meiner selbst berauben lasse |
nach oben oder zur Übersicht |
revid.202507 |
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit450560109.htm |