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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Stefan ZWEIG zum
EXIL
1a Hat schon jemand den Hymnus des Exils gedichtet, dieser schicksalsschöpferischen Macht, die im Sturz den Menschen erhöht, im harten Zwange der Einsamkeit neu und in anderer Ordnung die erschütterten Kräfte der Seele sammelt? Immer haben die Künstler das Exil nur angeklagt als scheinbare Störung des Aufstiegs, als nutzloses Intervall, als grausame Unterbrechung. Aber der Rhythmus der Natur will solche gewaltsame Zäsuren. Denn nur wer um die Tiefe weiß, kennt das ganze Leben. Erst der Rückschlag gibt dem Menschen seine volle vorstoßende Kraft.
1b Der schöpferische Genius, er vor allem braucht diese zeitweilig erzwungene Einsamkeit, um von der Tiefe der Verzweiflung, von der Ferne des Ausgestoßenseins den Horizont und die Höhe seiner wahren Aufgabe zu ermessen. Die bedeutsamsten Botschaften der Menschheit, sie sind aus dem Exil gekommen, die Schöpfer der großen Religionen, Moses, Christus, Mohammed, Buddha, alle mußten sie erst eingehen in das Schweigen der Wüste, in das Nicht-unter-Menschen-Sein, ehe sie entscheidendes Wort erheben konnten. Miltons Blindheit, Beethovens Taubheit, das Zuchthaus Dostojewskis, der Kerker Cervantes', die Einschließung Luthers auf der Wartburg, das Exil Dantes und Nietzsches selbstwillige Einbannung in die eisigen Zonen des Engadins, alle waren sie gegen den wachen Willen des Menschen geheim gewollte Forderung des eigenen Genius.
1c Aber auch in der niedern, in der irdischeren, in der politischen Welt schenkt ein zeitweiliges Außensein dem Staatsmann neue Frische des Blicks, ein besseres Überdenken und Berechnen des politischen Kräftespiels. Nichts Glücklicheres kann darum einer Laufbahn geschehen als ihre zeitweilige Unterbrechung, denn wer die Welt einzig immer nur von oben sieht, aus der Kaiserwolke, von der Höhe des elfenbeinernen Turmes und der Macht, der kennt nur das Lächeln der Unterwürfigen und ihr gefährliches Bereitsein: wer immer selbst das Maß in Händen hält, verlernt sein wahres Gewicht. Nichts schwächt den Künstler, den Feldherrn, den Machtmenschen mehr als das unablässige Gelingen nach Willen und Wunsch; erst im Mißerfolg lernt der Künstler seine wahre Beziehung zum Werk, erst an der Niederlage der Feldherr seine Fehler, erst an der Ungnade der Staatsmann die wahre politische Übersicht. Immerwährender Reichtum verweichlicht, immerwährender Beifall macht stumpf; nur die Unterbrechung schafft dem leerlaufenden Rhythmus neue Spannung und schöpferische Elastizität. Nur das Unglück gibt Tiefblick und Weitblick in die Wirklichkeit der Welt. Harte Lehre, aber Lehre und Lernen ist jedes Exil: dem Weichlichen knetet es den Willen neu zusammen, den Zögernden macht es entschlossen, den Harten noch härter. Immer ist dem wahrhaft Starken das Exil keine Minderung, sondern nur Kräftigung seiner Kraft.
aus «Joseph Fouché»; S.121ff
Ergänzung
2a [...] so Rosenthal »[...] Eine Affinität zwischen galut [גלות] in der Weise, wie es von den Juden verstanden wurde, und djāhilīya, wie dieser Ausdruck wahrscheinlich von Muhammad verstanden wurde, ist leicht zu erkennen. In der Mischna, Abhot V 9, wird gesagt, daß Exil in die Welt kommt als Ergebnis von Idolatrie, Unkeuschheit (Inzest) und Blutvergießen. Exil ist eine Strafe für die Sünden, die aber dadurch nicht getilgt sind. Exil bleibt daher eine Situation, in der diese Sünden fortbestehen. (...) Galut steht deswegen für dieselben Eigenschaften der Barbarei, Morallosigkeit und Unwissenheit gegenüber dem wahren Gott, die Muhammad an der djāhilīya bemängelt.« So verstanden würde die Neuprägung djāhilīya die bereits seit mittelmekkanischer Zeit zu beobachtende Strategie bestätigen, individuellen neuen Ideen besondere und zusätzliche Autorität durch ihre Verknüpfung mit bereits etablierten religiösen Diskursen des Umfelds zu verleihen.
2b Schließt man sich dieser Deutung an und führt den Gedanken weiter, so ist der für das nachexilische Judentum zentrale galut-Diskurs als Folie für die Wahrnehmung von djāhilīya gar nicht zu überschätzen: Mit dieser Anbindung der Situation der Ungläubigen an das Konzept einer von Gott als Strafe auferlegten Ausgeschlossenheit vom Zustand des Heils konnte der Trennung zwischen Gläubigen und Ungläubigen virtuell der Wert einer Epochenscheidung zuwachsen. Indem sich die koranische Gemeinde mit dem Reizwort djāhilīya einer jüdischen Geschichtsdichotomie anschloß, nach der es eine Befindlichkeit gibt, die als solche undifferenziert negativ zu betrachten ist, die also ‹negiert›, nur als Negativfolie gebraucht, nicht als in sich relevanter Geschichtsabschnitt erinnert zu werden verdient, legte sie gewissermaßen den Grundstein für eine vergleichbare Ostrazierung [Ausmerzung] der Vorgeschichte des Islam. Dennoch bleiben Vorbehalte gegenüber Rosenthals Ableitung bestehen. Denn es fällt auf, daß die Gemeinde selbst dieses polemische Potential offenbar nicht weiter ausgeschöpft hat. Die Erwähnungen von djāhilīya im Koran beschränken sich auf nicht mehr als vier situationsgebundene, nicht einmal programmatische Aussagen.
Angelika Neuwirth
aus «Der Koran als Text der Spätantike»; S.208f
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit417990121.htm