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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Carl Jacob BURCKHARDT zur
ABSTRAKTION von ÜBELTÄTERN
1 »Wer denkt abstrakt?« fragte Hegel, und er antwortet: »Der ungebildete Mensch und nicht der gebildete. Beispiel: Es wird ein Mörder zur Richtstätte geführt - dem gemeinen Volk ist er einfach ein Mörder und somit eine Abstraktion. Ein Mensch aber, ein gebildeter Mensch, sucht den Gang auf, den die Entstehung dieses Mannes bis zu seiner Tat genommen hat, findet in seiner Geschichte, seiner Erziehung Erklärungen, die nur für diesen einen Fall und für jeden anderen in tausenderlei Art den Schlüssel bringen. Abstrakt gedacht aber sieht man in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, und durch diese billige, einfache Bezeichnung wird alles übrige menschliche Wesen an ihm vertilgt. Es gibt auch eine entgegengesetzte Abstraktion - man kann die Richtstätte mit Blumen bestreuen -, das ist dann eine Art liederlicher Verträglichkeit abstrakter Empfindsamkeit mit dem Schlechten.« Soweit Hegel.
2 Abstrakt denken wir, sobald wir verallgemeinern. Konkret denken wir, wenn wir die Formen, die unzähligen Einzelfälle erkennen und jede an ihrem Platz, unter ihren Voraussetzungen richtig einschätzen. Wir abstrahieren und verallgemeinern jedesmal, wenn wir einen Einzelnen für Taten einer Kollektivität verantwortlich machen, der er zufällig angehört. Das ist das Odiose des Geiselsystems, das Minderwertige, das im Verwerfen von Rassen oder Völkern liegt, die man abstrakt zu identifizieren sucht mit Einzelnen oder Gruppen aus ihrem Kreis, welche die Macht besaßen, Taten zu vollbringen, die man verurteilen muß. Wenn ich sage, ich gebe diesem Mann nicht die Hand, weil er der und der Nation angehört, so begehe ich durch das Ziehen einer billigen, abstrakten Konsequenz eine Sünde gegen den Geist der Wahrheit, der sich immer nur im Konkreten kundtut. Schon das Wort »Nation«, totemistisch gebraucht, wie dies seit dem siebzehnten Jahrhundert zunehmend der Fall ist, bedeutet eine Abstraktion, die auf die Methoden der »terribles simplificateurs« [~ schrecklichen Vereinfacher] und logisch auf Massenausrottungen und dergleichen hinführt. Wenn wir ein Übel bekämpfen und zu diesem Zwecke die Methoden anwenden, die wir unserem Gegner, dem Übeltäter vorwerfen, so sagen wir zu unserer Entschuldigung: »Er ist ein Übeltäter« -; also sind alle methoden gut gegen ihn, »dies Volk, diese Klasse, dieser Glaube ist verderblich, deshalb dürfen alle, auch die schlechten Methoden zu seiner Zerstörung angewendet werden«.
3 Wer so argumentiert, indem er gegen abstrakte Personifikationen kämpft, setzt sich unzweifelhaft diesen Personifikationen gleich. Wer aber durch alle Zusammenbrüche hindurch das christliche Grundgefühl vom Wert und der Würde der Einzelseele behält, das heißt den Sinn für das Einzigartige, Unwiederbringliche jedes Individuums, der bleibt konkret wirklich einer höheren Bildung teilhaftig, weil gerecht und vor allem der Wahrheit so nahe, als dies innerhalb des menschlichen Zustandes möglich ist.
aus „Eidgenössisches Dasein” in «Gesammelte Werke 5»; S.377f
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit028210377.htm