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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Carl Jacob BURCKHARDT zur
HISTORIOGRAPHIE
1 Vielleicht läßt sich das Wesen einer Epoche an keinem Prüfstein reiner erkennen als an ihrer Historiographie. Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts und weitgehend noch die erste Hälfte des 20. innerhalb der bürgerlichen Kulturen sind gekennzeichnet durch eine Geschichtsbetrachtung, die vor allem andern die Überlieferung kritisch auf wahre [tatsächliche] Sachverhalte und die Dokumente auf ihre Echtheit hin prüft. Zu diesem Zweck wird eine Methode ausgebildet, deren Schärfe kaum mehr zu überbieten ist, aber die Anwendung dieser Methode führt am Wesentlichen vorbei. Sie dient angeblich dem Zweck, in Erfahrung zu bringen, was sich wirklich ereignet habe, aber verkennt die Tatsache, daß jeder historische Zustand jedes Ereignis, jede handelnde Gruppe, jede Person im Augenblick schon, in dem sie in das Bewußtsein ihres Betrachters treten, ihr Weiterleben, das heißt ihre Verwandlung, beginnen und daß somit das Bild, das sich Zeitgenossen wie Nachlebende von einem Vorgang oder einer Gestalt machen, daß die Illusion, die jeder Gestalt anhaftet, mehr historische Wirkung ausübt, als das reale Vorkommnis und die reale Person es jemals vermöchten; wobei ein berechtigter Zweifel die Frage stellen darf, ob außerhalb der wägbaren, meßbaren Vorgänge diese sogenannte Realität überhaupt etwas Feststellbares sei.
aus „Sullys Plan einer Europaordnung” in «Gesammelte Werke 2»; S.125
Ergänzung
2 [...] Und wie viele wissen denn, was geschehen ist? Wenn wir die Möglichkeit, daß etwas geschehen kann, nur daher abnehmen wollen, weil es geschehen ist: was hindert uns, eine gänzlich erdichtete Fabel für eine wirklich geschehene Historie zu halten, von der wir nie etwas gehört haben? Was ist das erste, was uns eine Historie glaubwürdig macht? Ist es nicht ihre innere Wahrscheinlichkeit? Und ist es nicht einerlei, ob diese Wahrscheinlichkeit von gar keinen Zeugnissen und Überlieferungen bestätiget wird, oder von solchen, die zu unserer Wissenschaft noch nie gelangt sind? [...]
Gotthold Ephraim Lessing
3.VII.1767
in „Hamburgische Dramaturgie” aus «Schriften 1»; S.197
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit028180125.htm