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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Dionysius Areopagita zum
FRIEDEN
1 Auf, beginnen wir den göttlichen und alle Verbindung verursachenden Frieden [ἐιρήνη eiréne] mit friedlichen Hymnen. Denn er ist es, der alles eint, der die Eintracht und die Verknüpfung von allem erzeugt und bewirkt [ermöglicht]. Deshalb begehren seiner auch alle Wesen, da er die teilbare Vielheit ihres [Da]Seins zurückwendet in die völlige Einheit, und den dem All eingeborenen Zwiespalt eint zu gleichförmiger Eintracht. Durch das Teilhaben am göttlichen Frieden werden die obersten der versöhnenden Kräfte in sich selbst und miteinander geeint, und auch mit dem einen Urfrieden des Alls, und einigen die unter ihnen stehenden (Kräfte) mit sich selber und untereinander und mit der einen vollkommenen Ursache und dem Ursprung des Friedens aller Wesen, der Ursache, die ungeteilt über dem All stehend, wie mit Schlössern, die das Getrennte zusammenhalten, das All umfaßt hält, begrenzt und fest macht, und es sich nicht, ungeordnet und haltlos, in das Unbegrenzte und Unbestimmte ergießen, von Gott leer werden und, von der Geeintheit mit sich selbst abfallend, sich in sich selbst wirr vermischen läßt. Was dieser göttliche Friede und diese göttliche Ruhe in sich selbst ist, die der heilige Justus Lautlosigkeit und Unbewegtheit in Bezug auf alle erkennbaren Hervorgänge nennt, wie sie stillsteht und ruht, und wie sie in sich und in ihrem eigenen Innersten ist, und wie sie völlig mit sich, der völlig (einen), übergeeint ist, und wie sie weder, wenn sie in sich selbst wiedereingeht, noch, wenn sie sich vervielfältigt, dabei jemals ihre eigene Geeintheit einbüßt, sondern wie sie zu allem hervorgehend, doch ganz drinnen in sich bleibt, dank dem Überschwang der alles übertreffenden Geeintheit - das zu sagen oder auch nur zu denken ist jedem anderen Wesen verboten und unmöglich. Schreiben wir ihr vielmehr dies alles wohl zu, als etwas Unaussprechliches und Unbegreifliches, da sie ja selbst jenseits von allem ist, aber betrachten wir lieber die dem Denken erfaßbaren und in Worten darlegbaren (Formen des) Teilhabens (an ihr), soweit dies für uns Menschen, und zwar für solche, die weit hinter anderen guten Männern zurückbleiben, eben möglich ist¹.
[...]
2 Wie aber, könnte man einwenden, begehrt alles nach Frieden? Das Viele freut sich an Verschiedenheit und Unterschiedenheit und möchte nicht freiwillig zum Stillstand gelangen. Wenn, der dies einwendet, unter Verschiedenheit und Unterschiedenheit die Besonderheit eines jeden Wesens versteht und meint, daß keines der Wesen, das ist, was es eben ist, diese (Besonderheit) verlieren will, so werden auch wir ihm darin nicht widersprechen, sondern auch dies für ein Streben nach dem Frieden erklären. Denn alles strebt, mit sich selbst in Frieden und Einigkeit zu sein, und das Seinige unverrückt und unverändert zu behalten. Der völlige Friede (des Alls) ist daher auch Bewahrer der unvermischten Besonderheit eines jeden Einzelnen, indem er durch seine friedenspendende Vorsehung alles ohne Streit und Vermischung mit sich und mit allem anderen geeint bewahrt, und alles in feststehender und unabänderlicher Kraft zum Frieden und zur Unwandelbarkeit sich selbst gegenüber bestärkt.
S.79ff
1 Den geistigen Hintergrund dieses ganzen Abschnittes bildet die Tatsache, daß es sich für die neuplatonische Auffassung beim Motiv des Friedens nicht nur um das Geeintsein und Einssein, Vereinfachtsein und Versammeltsein der Seele in sich und ihr Vereintsein (durch die Erkenntnis und die Liebe) mit Gott handelt, sondern (ebenso wie in der origenistischen ἑνάς [henás]) um die Wiederzurückführung der Vielheit der [da]seienden Dinge in die ursprüngliche, ununterschiedene Einheit Gottes, aus der sie hervorgegangen ist. Eine beinahe unvorsichtig zu nennende Formulierung dieses Verhältnisses liegt bei Dionysius selbst am Ende des 2. Abschnitts des XIII. Kapitels vor. Für die neuplatonische Auffassung ist die Vielfältigkeit der geschaffenen Dinge selbst ein ἐμφύλιος πόλεμος [emphýlios pólemos], ein innerer Widerstreit, der durch die vollkommene Rückkehr aller Wesen zu Gott wieder aufgehoben werden muß. Einigung mit Gott ist für diese Auffassung nicht nur intentionelles (erkennendes und liebendes) Geeintsein, sondern wesensmäßiges, ontologisches Wiederaufgehen in ihn, Einswerden und Einssein mit ihm.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Dionysius ein dem Schema μονή - πρόοδος - ἐπιστροφή [moné-próodos-epistrophé] nachgebildetes Begriffsschema vor Augen hat, das Gott einerseits als δύναμις [dýnamis] als das unentfaltete Vorbesitzen (vgl. Kap. VIII Abschnitt 2) alles Seins und aller Vielfalt in der ununterschiedenen Einheit seines Wesens auffaßt, andererseits als Weisheit (σοφία [sophía]), d. h. als die schöpferische Entfaltung aller Seinsformen und aller Stufen und Möglichkeiten des Daseins (Kap. VII) und schließlich (Kap. XI) als «Frieden» d.h. als die Zurückführung dieser Vielfalt in die ursprüngliche, ununterschiedene Einheit. [...]
S.109f
aus «Von den Namen zum Unnennbaren»
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit026760079.htm